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Transzendenz ist das Überschreiten einer Grenze

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Wenn transcendere im lateinischen Wortsinn »etwas überschreiten« bedeutet, auch das war mir klar, musste es bei Transzendenz immer auch um eine Grenze gehen. Sie verläuft zwischen dem Verfügbaren und dem Unverfügbaren, zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen.

Grenzen hatten schon immer eine tiefe Bedeutung für uns Menschen. So spielen in fast allen Mythen alter Religionen Flüsse eine Rolle. Sie trennten als natürliche Grenzen Landschaften und Stammesgebiete voneinander, waren schon immer eine tägliche Erfahrung von Menschen und prägten deshalb auch ihre religiösen Vorstellungen.

Der Eridanus etwa, von den Ägyptern auch als »Strom des Lebens« bezeichnet, bildete die Grenze zwischen dem Diesseits und dem »Duat«, dem Reich der Toten. Der ägyptische Totengott Anubis geleitete die Verstorbenen bei ihrer Jenseitsfahrt über diesen Fluss.

In der griechischen Mythologie trennt der Todesfluss Styx, das »Wasser des Grauens«, die Ober- von der Unterwelt. Er ist ein beliebtes Motiv in der Literatur, von Dante Alighieri bis Else Lasker-Schüller und Thomas Mann10.

Ohne Grenzen wäre alles ein Tohuwabohu, wie es in der Schöpfungsgeschichte der hebräischen Bibel heißt, ein großes Durcheinander, ein Chaos11. Erst Grenzen ermöglichen es uns, unsere Identität zu formen, uns und das andere voneinander zu unterscheiden. Und nur, wenn wir uns vom anderen unterscheiden können, erlangen wir auch Autonomie.

Wir kämen ohne Grenzen zu keiner Wahrnehmung und zu keinem Urteil und damit zu keiner Ethik des Zusammenlebens. Ein einfaches Bild hilft, das zu verstehen: Finden Sie die Karotte im Gemüsebrei. Beschreiben Sie dieses Gemüse angesichts des Breis. Oder ist gar keine darin? Schwer zu sagen.

Hannah Arendt, eine der bedeutendsten unter den Denkerinnen und Denkern des 20. Jahrhunderts, schrieb über die Funktion der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen, 1946 einen Aufsatz mit dem Titel Was ist Existenzphilosophie?. Sie kam zu dem Schluss, dass der Mensch immer versuchen wird, über die Wirklichkeit hinaus die Transzendenz zu denken, und immer wieder daran scheitern wird.

Dennoch erfülle das Nachdenken über diese Grenzen der Wirklichkeit, das »denkende Transzendieren«, wie Arendt es nennt, einen Sinn. Denn damit stecke der Mensch die Freiheit seiner Existenz ab, und zwar immer in der Kommunikation mit anderen Menschen. Denn Grenzen werden uns von der Gemeinschaft und den Menschen, mit denen wir leben, gesteckt.

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