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Die 7 Todsünden

Jetzt kommt er uns auch noch mit der Heiligen Schrift, wird der eine oder andere Leser denken. Keine Angst, dazu bin ich nicht bibelfest genug. Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Faulheit. Negative Eigenschaften, die wir auch in der Gastronomie wiederfinden – bei Kellnern als auch bei Gästen. Da sich diese Lektüre eher um Restaurantbesucher dreht, beschränke ich mich auf dieses Thema.

Der Hochmut

Einst hatte ich das Glück (oder die Ehre) eine richtige Prinzessin bedienen zu dürfen. Für Kellner, die ihren Dienst in Nobelherbergen verrichten, mag das die gängige Praxis sein, für mich war dies seinerzeit Neuland. Ich war jung und hatte wenig Erfahrung. So war ich mächtig aufgeregt, als mir der Serviceleiter verkündete, ich solle mir zur Abwechslung mal ein frisches Hemd anziehen, heute wäre eine echte Prinzessin bei uns zu Gast.

Das Reserviert-Schild mit Namen und Uhrzeit der erlauchten Persönlichkeit stellte er auf einen Tisch in meiner Servicestation. Wie diese Adelige hieß, habe ich vergessen, das tut auch nichts zur Sache. Als ob ich unterscheiden könne zwischen niedrigem oder hohem Adel, ich hatte ja schon Probleme, beim Laufen nicht hinzufallen. Wie sie wohl aussehen würde, die Prinzessin? Im Brokatkleid gewandet, mit einem Zobelfell-Umhang? Auf dem goldenen Haupthaar ein niedliches Krönchen mit Edelsteinen besetzt? Meine Fantasie ging wieder einmal mit mir durch. Die Noblesse verspätete sich um eine halbe Stunde, was ihr niemand übel nahm. Womöglich hatte ihre Kutsche auf dem Weg zu unserem Lokal einen Platten oder eines der edlen Rösser war gerade etwas widerspenstig und musste vom Kutscher gezüchtigt werden.

Dann stand die fürstliche Person plötzlich in unserem Restaurant und kein Raunen ging durch den Raum, niemand wich ehrfurchtsvoll zur Seite, nicht ein Kniefall war zu sehen. Madame war eine ganz normale junge Frau, nicht einmal eine Schönheit, gekleidet in Bluejeans und weißem T-Shirt. Unser Oberkellner begleitete die Dame zu ihrem Tisch und ich übernahm. „Sooo“ sprach ich mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck „Sie sind also die Prinzessin?“ Sie sah mich an, ohne eine Miene zu verziehen und antwortete: „Yepp, so ist es. Darf ich die Speisekarte bekommen?“ Meine Enttäuschung wechselte sehr bald in Erstaunen, ja Anerkennung. Die Dame von Welt benahm sich so gar nicht weltmännisch oder „von oben herab“, wie ich vermutet hatte. Gut, theoretisch hätte sie es sich leisten können. Ich wäre noch nicht einmal gekränkt gewesen. Stattdessen plauderte die Adelige völlig normal und ungeniert mit mir, bestellte ein einfaches Gericht, ohne irgendwelche Sonderwünsche und verabschiedete sich freundlich von mir. Das Trinkgeld war angemessen und fiel nicht aus dem herkömmlichen Rahmen.

Dieser angenehmen Überraschung sollten im Laufe meiner gastronomischen Karriere viele unangenehme folgen. Ich begegnete Menschen, die glaubten, es sich leisten zu können, andere Leute wie Untergebene zu behandeln. Menschen, die in ihrem Dasein nichts Beifall-zu-Zollendes geleistet hatten, sondern durch irgendeine glückliche Fügung zu Geld gekommen waren. Adelige bezeichnen solche Emporkömmlinge als „Parvenüs“. Genau wie Neureichen haftet den Parvenüs der Makel an, sich hinsichtlich der Umgangsformen und Konventionen, nicht den sogenannten besseren Kreisen anpassen zu können. Wobei meine Erfahrungen eher in die Richtung gehen, dass Altreiche gar nicht so viel Aufheben um ihre Titel oder Honoratioren machen.

Eine Zeit lang war ich als Bedienung bei einem Gourmet-Caterer tätig. Dort bekam ich allerlei Einsichten in die Häuser der feinen Gesellschaft. Die Mitglieder von alteingesessenen Kaufmannsfamilien waren sich nicht zu schade, selbst mit anzupacken, wenn unsere LKWs vorfuhren, um das Equipment auszuladen. Die durch Erbschaften oder Lottogewinne zu Geld gekommenen Auftraggeber schauten durch uns Gastro-Arbeiter hindurch, wie durch eine schmutzige Scheibe und gaben Anweisungen gefälligst nichts kaputtzumachen. Trinkgeld für die geleistete Arbeit war aus deren Kreisen selten zu erwarten. Dafür spielten sie gerne den großen Zampano vor ihren Gästen. Ihre Feste waren Prestige-Angelegenheiten und hatten mit geselligem Zusammensein herzlich wenig zu tun. Krampfhaftes Verhalten der neureichen Gastgeber war steter Begleiter bei all ihren Feierlichkeiten. Alles musste teuer und professionell aussehen, um mit dem Nachbarn, der kürzlich eine Sommer-Party gegeben hatte, gleichzuziehen. Kellner und Köche waren in ihren Augen nur minderwertige Angestellte, die zu funktionieren hatten.

Diese vor allen Augen herumzukommandieren oder herunterzuputzen schien ihnen ein Gefühl von Allmacht zu geben. Am schlimmsten waren die Frauen oder Freundinnen selbsterklärter Millionäre oder Business-Novizen. Man spürte förmlich, welch eine Energie die aufgepimpten Ladys damit verbracht hatten, sich den neureichen Selfmademan zu angeln. Selbst meist aus einfachen Verhältnissen stammend, glaubten sie jetzt das große Los gezogen zu haben. Die Damen gingen förmlich auf in ihrer neuen Rolle als Grand Lady. Ständig wurden wir Kellner im harschen Ton aufgefordert, den Gästen mehr Champagner nachzuschenken oder uns gefälligst mit dem Servieren der Vorspeisen zu beeilen.

Es war immer wieder ein befriedigendes Gefühl, den tiefen Fall der einen oder anderen verblassenden Schönheit zu beobachten. Millionärs-Fantastereien, die zerplatzten wie Seifenblasen, jähe Abstürze mit Konkursen und eidesstattlichen Erklärungen. Chronische Champagner-Konsumenten teilten sich plötzlich eine Piccolo-Flasche Sekt Hausmarke und nahmen das Tagesmenü statt Hummer Thermidor. Nicht, dass sich angesichts solcher Niedergänge warme Genugtuung in unseren frostigen Kellner-Herzen breitgemacht hätte...

Der Geiz

In den unterschiedlichen Zweigen der Dienstleistungen ist es hierzulande üblich, zusätzlich zur eigentlichen Rechnung, einen Obolus für die Angestellten zu hinterlassen. Diese Extra-Gratifikation geschieht auf freiwilliger Basis und hängt im Normalfall, hinsichtlich der Höhe, von der Zufriedenheit des Kunden ab. In Deutschland beträgt das sogenannte Trinkgeld zwischen 5 und 10%, in Schwaben kann es auch schon mal unter die 2%-Hürde fallen. Friseure, Taxifahrer, Lieferdienste und Zusteller bessern sich damit ihr Einkommen auf. Auch Angestellte im Gastgewerbe profitieren gerne von diesem traditionsreichen gesellschaftlichen Konsens. Ist der Beifall am Ende der Aufführung das Brot des Künstlers, so ist das Trinkgeld die Anerkennung für den Service der Bedienung. War der Ober besonders freundlich und aufmerksam? Hat die Serviererin echte Herzlichkeit gezeigt statt professioneller Freundlichkeit? Dann gibt es keinen Grund, deren Leistungen nicht zu honorieren. Sie haben durch ihre charmante Art dazu beigetragen, dass der Abend mit der neuen Freundin ein Erfolg wurde. Das sollte uns ein paar Münzen wert sein.

Wie viele dieser Extra-Groschen der Gast letztendlich bereit ist, zusätzlich zum Rechnungsbetrag drauf zu legen, hängt auch von dessen Natur ab. Herkunft, Erziehung oder persönliche Neigungen spielen dabei eine tragende Rolle. Mitarbeiter der Dienstleistungsbranche, die selbst auf ergänzende Zahlungen angewiesen sind, werden in der Regel ebenfalls großzügig sein.

Gebefreudig sind oft auch Gäste, von denen man es nicht erwartet. Menschen, von denen man weiß, dass diese selbst nicht viel verdienen oder die als sehr bescheiden gelten. Oft hatte ich mit dem Annehmen unüblich großer Summen Probleme. Dann weise ich den Gast höflich darauf hin, dass sein Trinkgeld gerade einen Tick zu hoch ausgefallen sei. Ob er sich ganz sicher sei oder er sich bei der Rechnung eventuell verlesen hat? Manchmal wird das Missverständnis rasch aufgeklärt und ein paar Scheine wandern zurück in die Brieftasche des Kunden.

Auch wenn es unehrenhaft klingt, so ist es weit verbreitete Praxis, dass Bedienungen, wenn sie für ein Bankett eingeteilt werden, insgeheim darüber spekulieren, wie hoch das Trinkgeld des Gastes ausfallen wird. Dabei kann man positive und negative Überraschungen erleben.

Eine kleine Hochzeit fand in einen unserer Nebenräume statt. Die frisch Vermählten waren kaum älter als 18 und sichtbar nervös. Das interne Rotationsprinzip hatte entschieden, dass ich die 16 Gäste bedienen durfte. Ein Blick auf das jugendliche Alter der Brautleute und ihrer Geladenen verriet mir sofort, dass ich „Tip-mäßig“ nicht viel zu erwarten hatte. Ich hoffe, das liest sich jetzt nicht böse und raffgierig, so ist es nämlich nicht gemeint. Freundlich und unaufdringlich verrichtete ich meinen Dienst. Da das Hochzeitsessen in À-la-carte-Form stattfand, durfte jeder der Anwesenden frei sein Lieblingsgericht auswählen. Entweder waren die Gäste zu bescheiden oder von unserer Speisekarte überfordert – auf alle Fälle betrug die Rechnungssumme letztendlich knapp 350 Euro. Ich habe zwei-Personen-Tische bedient, die höhere Umsätze zu verzeichnen hatten. Sei es drum. Während ich vor meinem geistigen Auge einen 5-Euro-Schein in meine Geldbörse wandern sah, als nett gemeinten Obolus, zahlte der junge Bräutigam mit seiner EC-Karte. Anschließend drückte er mir 80 Euro Trinkgeld in die Hand und bedankte sich für den guten Service. Noch am Abend fiel mir die Kinnlade herunter, wenn ich an die Spendierlaune des jungen Burschen dachte. Zeitgleich verspürte ich einen Anflug von Scham, weil ich die Gesellschaft quasi seit ihrer Ankunft in unserem Restaurant gedanklich vorverurteilt hatte.

Dann gab es wiederum diese Gäste, von denen jeder wusste, dass bei ihnen Geld keine Rolle spielt. Teure Reisen, extravaganter Lebensstil – alle Klischees wurden bedient. Champagner-Empfang, teure Rotweine, ein 5-Gänge Gala Menü. Da wurde geklotzt und nicht gekleckert. Hatte der Gastgeber um Mitternacht ungeplant das Bedürfnis nach einem Käsebüfett, so hobelten wir Servicekräfte Brie und Gorgonzola von riesigen Laiben. Ein gut betuchter Gast ließ einen bekannten Szene-DJ einfliegen, weil sich die im Vorfeld gebuchten Live-Musiker als zu langweilig für seine Feier herausstellten. Der Rechnungsbetrag für solche aufwendigen Partys übersteigt oft jegliches Verständnis. Das Trinkgeld der Kunden ebenfalls – nicht selten unangenehm. 8.000-Euro-Veranstaltungen, durchgeführt von fünf Servicekräften, die bis in die frühen Morgenstunden für ihre Gäste da gewesen sind – honoriert mit einem 50-Euro-Schein und der Aufforderung, doch bitte mit der Küche zu teilen.

Geht's noch? Da wäre es problemloser gewesen, überhaupt kein Trinkgeld zu geben. Das hätte alle Beteiligten besser aussehen lassen.

Die Wollust

Hat Amor seinen Pfeil in die Hintern der Auserwählten versenkt und das Feuer der Liebe entfacht, so laufen die zwei Entflammten los, um jedermann mit ihrer Verbundenheit zu erfreuen. Alle Menschen haben jetzt unfreiwillig teilzunehmen an dieser Demonstration der Zuneigung. An Liebe ist an sich nichts verkehrt, solange man all die schönen Gefühle hinter den eigenen vier Wänden parkt.

Zwei erwachsene Menschen, die sich gegenseitig füttern und miteinander in Babysprache kommunizieren, sind eher peinlich. Ob diese Pärchen ahnen, wie sehr sie ihr Umfeld mit dem ständigen Liebkosen belästigen? Eher nicht, die nehmen ihren Dunstkreis überhaupt nicht wahr. In Restaurants quetschen sie sich dicht gedrängt in winzige Nischen und bleiben dort aufeinander kleben bis die Putzfrau sie am nächsten Morgen trennt. Große Umsätze sind von den Liebenden nicht zu erwarten, denn lodernde Herzen kennen weder Hunger noch Durst... noch Trinkgeld. Mit der Verschmelzung der Seelen beginnt Phase 2 der Romanze. Junge oder jung gebliebene Paare fangen an, die Körper ihrer neuen Lebensabschnitt-Verschönerer zu erforschen. Auch dagegen ist nichts einzuwenden, solange sich die amourösen Aktivitäten auf das heimische IKEA-Bett beschränken. Die Kampfzone auf öffentliches Terrain zu verlegen ist umstritten. Badesee, Blumenwiese und Kinderspielplatz sind okay als Tummelplatz für Liebende – ein Restaurant dagegen sollte tabu sein.

Umfragen zufolge ist ein Beitritt im „Mile High Club“ gerade mal wieder total „In“. Kaum zu glauben, wenn man Fluggäste erlebt, die sich in 10.000 Metern Höhe lieber ängstlich an die Armlehnen ihres Sitzes klammern, als gemeinsam mit dem Partner die Bordtoilette aufzusuchen. Die Furcht, zusammen auf der Damentoilette eines Restaurants beim Tête-à-tête erwischt zu werden, scheint dagegen gering. Das fällt eher unter Mutprobe oder Kavaliersdelikt. So manchem Paar, welches in einem vollen Lokal ungehemmt die Zungen ineinander verknotet, möchte ich zurufen, dass sich schräg gegenüber von unserem Gasthaus ein Stundenhotel befindet. Können die sich ihre wilde Leidenschaft nicht bis zu Hause aufsparen?

Bei anderen, vornehmlich männlichen Gästen, scheint es sich noch nicht herumgesprochen zu haben, dass weibliche Bedienungen kein Freiwild sind. Vielleicht haben sich diese Herren hinsichtlich ihres Frauenbildes zu sehr an der „Curly Maids“-Reihe in diversen Herrenmagazinen orientiert (von denen ich selbstverständlich nur gehört habe). Eine Serviererin, die euch freundlich anlächelt, ist nicht automatisch unsterblich verliebt, und das ändert sich auch nach deinem achten Bier nicht. Euch gutmütig zugrinsende Wesen kennt Ihr wahrscheinlich nur von der Arbeit im Kuhstall, aber das ist hier nicht das Thema.

Benötigt Ihr professionelle Zuneigung und Bewunderung, so begebt Euch bitte in die Häuser mit den roten Lampen und hört auf, die Kellnerinnen zu belästigen. Die Hände gehören auf den Tisch und nicht (aus Versehen) an den Hintern der jugendlichen Aushilfsbedienung. Das Gleiche gilt für die Fraktion der Möchtegern-Millionäre. Die Designer-Hirsche mit dem toughen Auftreten glauben, es reicht vollkommen, den Porsche-Schlüssel auf den Tresen zu knallen und augenblicklich fällt jede Serviererin in Begattungsstarre. Als ob die Kellnerinnen, dank des üppigen Trinkgeldes, heutzutage nicht selbst einen Porsche vor der Tür stehen hätten.

Der Zorn

Einige Gäste fassen ein „Nein“ des Geschäftsführers, auf die Frage nach einen freien Tisch, als persönliche Beleidigung auf. Ist deren Selbstbewusstsein solch ein fragiles Gebilde, dass sie manch exzessiven Auftritt im Restaurant nötig haben? Geht es dabei lediglich darum, die anderen Gäste zu beeindrucken oder sich selbst als Mr. Wichtig zu definieren? Vielleicht sind Sie in Ihrer Firma ein großes Tier, dass ständig das Alpha-Männchen raushängen lassen muss, um die Belegschaft klein zu halten. Schwer, dieses Verhalten nach einen 10-Stunden-Arbeitstag im Büro abzulegen. Gewiss. Versuchen Sie es trotzdem! Wahrscheinlich bewegen Sie sich mit der gleichen Attitüde im Supermarkt. Was sich der arme Filialleiter wohl anhören muss, wenn Ihr Lieblingsbier gerade ausverkauft ist? Das Essen dauert Ihnen zu lange? Bitte entschuldigen Sie.

Wie Sie sicherlich schon bemerkt haben, ist das Lokal ausgebucht. Die Köche versuchen, trotz Stress, jeden Teller in ausgezeichneter Qualität an den Gast zu bringen. Auch die Kellner können nicht mehr tun, als zu laufen. Es gibt keinen Grund, unnötig laut zu werden.

Bitte warten Sie geduldig auf Ihr Essen, so wie alle anderen Gäste auch. Sie waren nicht zufrieden mit Ihrem Steak? Es ist in Ordnung, das Essen zu reklamieren, aber auch eine berechtigte Beschwerde sollte in ruhigem Ton vorgetragen werden. Im Übrigen kann weder die Bedienung, noch der Geschäftsführer etwas für Mängel an den Speisen – dafür ist der Koch zuständig. Also schreien Sie nicht den Kellner an, sondern den Küchenmeister... wenn Sie sich trauen... und gegen Küchenmesser immun sind.

Die Völlerei

Kürzlich las ich von einem Restaurant, das jeden Freitagabend mit einer All-you-can-eat-Aktion warb. Das Lokal öffnete Punkt 18 Uhr seine Pforte und genauso pünktlich war auch ein Paar, Anfang 40. Die luden sich die Speisen auf, dass die Soße fast überschwappte bei jedem Gang. Zu trinken bestellten jeder nur ein kleines Mineralwasser, welches sie sich brav den ganzen Abend einteilten. Beim Büfett für 9,49 Euro dagegen schlugen die beiden zu, als gäbe es kein Morgen. Sie bezeichneten sich selbst als Stammgäste. Allerdings sah kein Mensch sie jemals außerhalb des Aktionstages. Als sich die zwei zum sechsten Mal ihre Teller vollmachten, reichte es dem Wirt. Kurzerhand erteilte er den nimmersatten Gästen Hausverbot. Der männliche Anteil des Duos versuchte, seine Gier noch zu verteidigen, indem er darauf hinwies, dass die Teller einfach zu klein seien und er deshalb öfter laufen müsse. Gäste wie diese zwei Exemplare gibt es mehr als genug. In freier Wildbahn trifft man sie gerne während des Urlaubs am Frühstücks- oder Abendbüfett. Kaum vorstellbar, dass diese Herrschaften auch Daheim einen solch immensen Appetit entwickeln. Ebenfalls darf man spekulieren, ob Zuhause auch so viele Überbleibsel auf dem Teller bleiben. Eher nicht, denn dort kostet das Essen schließlich etwas.

Hier aber lädt man sich erst einmal seinen Teller voll, probiert und lässt den Rest der Speise stehen. Die Bedienungen werden das Geschirr schon abräumen, während man selbst von Neuem lossaust um die Prozedur ein weiteres Mal zu wiederholen. Stellt man die Gäste zur Rede, so bekommt man zweifellos die Antwort, man hätte doch schließlich dafür bezahlt. Weitere Diskussionen sind zwecklos.

Auch bei Betriebsfesten neigen die Geladenen gerne zu übergroßem Hunger und Durst. Im 10- Minuten-Takt werden dann alkoholische Mischgetränke geordert, kurz genippt und die nächste Runde bestellt. Was kostet die Welt, wenn der Chef eh die Zeche zahlt? Wann immer ein Möbelhaus feierlich Neueröffnung feiert, sind sie nicht weit – die Pfennigfuchser und die Schnäppchenjäger. Haben sie in einer Zeitung Coupons für Schnitzel satt, inklusive Getränke, zum Sondertarif entdeckt, fahren sie Meilen um sich den Bauch vollzuschlagen. Es sind die gleichen Herrschaften, die auch einen 50-Kilometer-Umweg in Kauf nehmen, wenn die Tankstellen-App meldet, dass der Sprit bei ARAL 2 Cent billiger ist als bei BP.

Was billig ist, muss gut sein und was gut ist, wird auch qualitativ hochwertig produziert – so die Vorstellungen unserer Rabatt-Junkies. Der Besuch in einigen Restaurantküchen, bei der Zubereitung des All-you-can-eat-Büfetts, könnte für Ernüchterung sorgen.

Der Neid

Jeder kämpft um seinen Platz an der Sonne. Welche Prioritäten man dabei verfolgt, hängt von persönlichen Interessen und Vorlieben ab. Allgemein bekannt sein dürfte die „Ich habe es geschafft“-Liste aus einem Sparkassenwerbespot. „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. In diesem Clip wird der Nachbar des Besitzers dieser Reichtümer schier grün vor Neid, als er mit dem Erfolg des Konkurrenten konfrontiert wird. Rivalen sind all jene, die auf dem Weg nach der obersten Sprosse der Leiter im Weg stehen. Für den maximalen Erfolg ist manch einer bereit, seine Seele zu verkaufen, so diese denn jemand ersteigern möchte. Einigen sind bereits die kleinen Dinge des Lebens wichtig, um sich auf der Gewinnerstraße zu wähnen. Der Parkplatz in unmittelbarer Nähe zum Eingang des Firmengebäudes, der eigene Toilettenschlüssel auf der Chefetage oder der Familienname ganz oben auf der Spendenliste für die Rettung des Borkenkäfers.

Beim Besuch eines Speiselokals spielen sich oft völlig identische Szenen wie in der Berufswelt ab. Deutsche Restaurantbesucher gelten allgemein als schwierig. Dank ihrer Trinkgeld-Tradition sieht man zähneknirschend über manches Fehlverhalten hinweg. Viele fühlen sich augenblicklich benachteiligt, wenn der Gast am Nebentisch eher sein Essen bekommt als sie selbst. Dass manche Speisen eine längere Zubereitungszeit als andere benötigen, scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Warum unterhält sich der Kellner mit den Gästen an dem runden Tisch ewig und lacht gar herzlich? Bei ihnen hat er nur den Standard-Small-Talk abgespult, ohne jeglichen Esprit? Solche Kritiken über die Servicekräfte durfte ich schon des Öfteren auf TripAdvisor lesen. Meist kamen diese Kommentare von Gästen, die das Lokal zum ersten Mal besuchten und kein Verständnis dafür hatten, dass es Stammgäste gibt, mit denen die Kellner ein langes Vertrauensverhältnis innehaben. Warum hat der Gast dort vorne ein größeres Stück Fleisch auf dem Teller und weshalb bekommen die eine Kerze und wir nicht? Vor lauter neidischem Beobachten, wer eventuell in irgendeiner Weise bevorzugt wird, kommt manch einer kaum dazu, den Aufenthalt zu genießen.

In vielen Restaurants gibt es Plätze, die, aus welchen Gründen auch immer, um einiges beliebter sind als andere. Manchmal ist das ein Fensterplatz, wegen der schönen Aussicht, ein anderes Mal irgendeine Nische, die eine besondere Wohlfühlatmosphäre verspricht. Das ist natürlich Quatsch, denn das Essen schmeckt an jedem Tisch gleich.

Lange Jahre war ich in einem Ausflugslokal angestellt. Im Sommer war es ein Highlight für jeden Gast, auf unserer riesigen Sonnenterrasse zu verweilen. Der Gästebereich umfasste drei Reihen, von der natürlich nur eine direkt am Wasser lag. Um die angeblich besten Tische in Seenähe gab es regelmäßig verbale und sogar körperliche Auseinandersetzungen. Wie oft bekamen wir schon bei der Reservierung zu hören, dass die Gäste in der ersten Reihe zu sitzen wünschten, andernfalls würden sie von einem Restaurantbesuch Abstand nehmen. Meistens quittierte die Geschäftsleitung diese frechen Forderungen mit einem „Danke für Ihren Anruf. Vielleicht versuchen Sie es mal in einem anderen Restaurant.“ Regelmäßig waren es Frauen, die sich vom Schicksal benachteiligt sahen, wenn ihnen ein Tisch in der zweiten Reihe zugewiesen wurde. Männer kämpfen eher um die angeblichen Elite-Plätze, um ihrer Partnerin zu imponieren oder endlich Ruhe zu haben von deren Quengelei. Während Er versucht, seine Begleiterin zu unterhalten, schaut diese oft mit der Aura einer Hydra zu den scheinbar Privilegierten und versucht, die Verweildauer der Tischbesetzer zu errechnen. Sollten diese dann endlich aufstehen, nutzt Madame die Gelegenheit, in der Gästehierarchie aufzusteigen. Mit ihren viel zu kleinen Sommerschuhen wetzt sie los und schleppt ihre persönliche Habe an den elitären Platz.

Doch noch geschafft, endlich On the Top!

Die Faulheit

An dieser Stelle mag ich den Gästen keine negativen Eigenschaften andichten. Wenn Kunden lange sitzen bleiben und sich genüsslich im Mobiliar rekeln, hat das weniger mit Faulheit zu tun, sondern ist meist ein Zeichen dafür, dass sie sich wohlfühlen. So soll es sein!

Faul sind eher die Herren und Damen von der Service-Front. Alle zehn Minuten verschwinden sie in den Raucherbereich und tippen auf ihren Smartphones herum, während die armen Gäste fast umkommen vor Durst.

Schämt Euch!


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