Читать книгу Brennpunkt Gastronomie - Rene Urbasik - Страница 6

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Ganz in Weiß Teil 1

Neulich nahm mich eine Bekannte mit auf eine Hochzeitsmesse. Das war das erste mal, dass ich eine solche Ausstellung besuchte. Natürlich war ich zuvor schon über allerlei Anzeigen für Events dieser Art gestolpert und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Hochzeitsmessen gerade wie Pilze aus dem Boden sprossen. Warum war das eigentlich so? Mir fielen noch zwei weitere Expositionen ein, welche meiner persönlichen Einschätzung nach gerade total angesagt waren.

Das waren zum einen Erotik-Messen, die ich dutzendfach plakatiert auf meinem Weg zur Arbeit vorfand und zum anderen Tattoo- und Piercing Darbietungen. Klar, Sex geht immer und die Körperkunst war nicht länger exklusive Domäne von alternativ lebenden Jugendlichen. Von der gelangweilten Hausfrau bis zu fidelen Senioren konnte man bei Besuchen im Freibad mehr oder weniger gelungene Haut-Verschönerungen entdecken.

Aber warum zum Teufel schien es jede Kleinstadt plötzlich nötig zu haben, für Hochzeiten zu werben? Ging dem eine Offensive unseres Familienministers voraus, der sich von Ehelichungen mehr Nachwuchs für das gebärfaule Deutschland versprach? Auch erschloss sich mir nicht ganz, warum besagte Bekannte ausgerechnet mich zu diesem Event mitschleifen wollte. Wahrscheinlich hatte sie doch jede Menge Freundinnen, die sich kaum einkriegten beim Anblick von Brautuniformen und Hochzeitstorten. Die zu jeder Frage rund um den großen Tag einen zweistündigen Monolog zu leisten vermochten. Stattdessen hatte sie mich auserkoren – einen alten Brummbär, der außer „Aha“ und „So so“ keinen wirklich kreativen Beitrag abzugeben vermochte. Da wir uns schon einige Zeit kannten, dürfte ihr auch ein gewisser Zynismus und Affinität gegen die sogenannten gesellschaftlichen Werte nicht entgangen sein, die mir anhafteten.

Sei es drum – da waren wir – schlurften durch die Gänge der angenehm temperierten Messehalle und blieben bald hier, bald da stehen, um sich mit den neuesten Spleens zum Thema „Heirat“ vertraut zu machen. „Ganz in Weiß“ – innovativer konnte der Name der Veranstaltung gar nicht klingen. Aus sämtlichen Lautsprechern erklangen schwülstige Musik-endlos-Schleifen aus den Soundtracks der schlimmsten Love Storys der vergangenen 50 Jahre. Ach, wäre das ein Segen, wenn sich zwischen all den stereotypen Noten, plötzlich Klänge von Heavy-Metal-Bands gesellen würden. So einige Herren würden vorsichtig headbangen, während ihre Partnerinnen ein dezentes Schmollmündchen aufsetzen würden. Man darf ja wohl noch einmal fabulieren. Natürlich blieb es bei sanften Melodien, Harfen-Klängen und ganz viel Piano!

„Du Franzi, ich muss mal kurz ´ne Pause machen und mich setzen. Du weißt schon, die alte Verletzung.“ Damit blieb ich abrupt stehen. Meine Begleiterin setzte ein sorgenvolles Gesicht auf und seufzte: „Ach herrje, hoffentlich ist es nicht so schlimm.“ Ich verzog mein Antlitz zu einer angespannten Grimasse: „Wird schon gehen. Brauche nur mal ein Päuschen. Du kannst ruhig schon weiter gehen. Liest mich halt auf dem Rückweg wieder auf und dann gehen wir noch irgendwo lecker einen Cappuccino trinken.“ Franzi strahlte über das ganze Gesicht. „Okay. So machen wir das. Gute Besserung.“ Sie entschwand.

Was jetzt genau solch ein herzliches Strahlen in ihr Gesicht gezaubert hatte, ließ sich nicht exakt bestimmen – die Aussicht auf einen Cappuccino oder endlich mal für eine Weile von mir alten Miesepeter befreit worden zu sein. Egal – mir war es nur recht. Selbstverständlich war die Sache mit der Pause eh lediglich eine Flunkerei gewesen. Es gab keine alte Verletzung, hatte es auch nie gegeben. Wann immer ich die „schlimme Verletzung“ aus dem Keller meiner kleinen und großen Notlügen hervorkramte, zuckten die Damen unwillkürlich zusammen und ließen mir meinen Willen. In der Regel fragten sie auch gar nicht nach, was es damit auf sich hatte. Nur zwei Mal hatte ich das Pech, mit Frauen aus der Gesundheitsbranche verbandelt zu sein. Die wollten es aber so was von genau wissen. Wie passiert? Wie behandelt? Konservativ oder Operation? Örtlich oder Ambulant? Welche Medikamente? Reha oder Bettruhe? Behandelnder Arzt, Physiotherapeut etc. Puh, da redete ich mich jedes Mal um Kopf und Kragen … Aber ich schweife ab.

Ich schaute mich um und mein Blick fiel auf einen Tresen, hinter dem eine ordentlich herausgeputzte, junge Dame stand und nach potenziellen Kunden Ausschau hielt. Dem Schriftlaut über ihren Papptresen entnahm ich, dass sie für Brautmode warb. „1200 Hochzeitskleider“. Aha. Der Schausteller neben ihr offerierte Brautschmuck und Accessoires. Nur fünf Meter entfernt lud ein gut aussehender Mittvierziger die Kunden zur Erkundung von Dekoration und Ambiente ein. Dazwischen Probier-Stände für Kanapees und Aperitifs und ein paar Hobby-DJ´s, die den Umherflanierenden ihre Visitenkarten aufdrängten. Grell geschminkte Schulmädchen besserten sich ihr Taschengeld auf, in dem sie den Klienten Prospekte zum Thema „Hochzeitskutschen“ oder „Film und Video“ zusteckten. ´An alles ist gedacht´, grummelte es in meinem Kopf ´nur wo sind hier die wahren Profis? Die sogenannten Wedding-Planer, die Event-Manager. Nicht etwa die Schaumschläger, die nur auf den Zug aufsprangen, um sich auf die Schnelle ein paar Euro zu verdienen an der Insuffizienz der Heiratswilligen´.

Ich hatte in meiner gastronomischen Laufbahn so viele Hochzeiten erlebt und dabei Dinge gesehen, die mir den Wunsch selbst zu heiraten, für immer gründlich ausgetrieben haben. Traumatische Erlebnisse mit ganz viel Fremdschämen und noch mehr Kopfschütteln über Tonnen an Dilettantismus. Wie vielen der frisch Vermählten hätte ich nur zu gerne an ihrem großen Tag einen professionellen Berater an die Seite gestellt, der Zeitplan und Ablauf der Hochzeitsfeier überwachte. Sollten die Dinge drohen aus dem Ruder zu laufen, würde dieser Wedding Sentinel korrigierend eingreifen und Steine aus dem Weg rollen, die gerollt werden mussten. Alles zum Wohl der Brautleute und ihres Anhanges. Es gab etliche dieser Rolling Stones.

In der Regel fängt immer alles total harmlos an. Sybille und Thorsten haben sich ganz dolle lieb, trotz oder gerade wegen ihrer bescheuerten Vornamen. Nach gemeinsamer Wohnung und eventueller Nachwuchsplanung kommt Thorsten dann mit einer Heiratsantrags-Inszenierung daher, der die Angebetete nicht widerstehen kann. An dieser Stelle bereits möge man den beiden wünschen, sie würden für „den großen Tag“ ähnlich viel Sorgfalt an den Tag legen, wie Thorsten bei seinem Antrag.

Gut, die Sache mit dem Heißluftballon, nebst aufgedruckten „Marry me“, hatte er bei „Ausgefallene Heiratsanträge - romantisch und überzeugend“ stibitzt, aber wie heißt es doch so schön – besser gut geklaut als schlecht neu erfunden. Sybille sagt mit Tränen in den Augen „Ja“ und dann geht es in die Planungsphase. Standesamt ist noch der einfachste Programmpunkt.

Die einzige Sache, die es eventuell noch zu überlegen gäbe, wäre die Terminfindung. Hin und wieder gibt es ja ganz putzige Zahlenkombinationen im Datum, wie 06.06.2016 oder 11.11.2011 und dann schließen die Herren und Damen Standesbeamten Ehen im Akkord. Auch keine all zu schöne Vorstellung – so eine Fließband Heirat.

Das Thema Kirche ist dann schon etwas heikler. Er ist vor ein paar Jahren ausgetreten, sie hat eigentlich auch keine Lust, aber die Eltern sind halt strenggläubig oder wie er es nennt; altmodisch. Irgendwie wird ein Kompromiss gefunden, mit dem alle leben können, und dann wird es endlich spannend. Das junge Paar stellt sich die Frage – wie soll eigentlich unsere Hochzeitsfeier ablaufen? Thorsten ist gedanklich noch bei seinem Junggesellenabschied (saufen mit den Jungs vom Fußballverein und hinterher Tabledance), Sybille ist bereits einen Schritt weiter. Längst hat sie sich Ratschläge eingeholt von den besten Freundinnen und damit fangen die Probleme meist auch schon an. Stichwort: Individualität.

Das Individuum, welches sich von anderen Persönlichkeiten abgrenzt – also nicht gleichgeschaltet ist wie beispielsweise zwei gute Freundinnen. Sybille und Beate sind zwei gute Gefährtinnen, weil sie sich seit der Grundschule kennen, zusammen auf dem Konzert von Bon Jovi waren und zweimal gemeinsam Urlaub in Kroatien gemacht haben. Das heißt aber ganz gewiss nicht, dass die beiden gleich viel verdienen – also dasselbe Budget für den großen Tag aufbringen und sich für dieselben Dinge begeistern können. Warum den Ideen der besten Freundin lauschen, statt sich selbst erst einmal zu hinterfragen: „Was möchte ich?“ oder auch nicht ganz unwichtig „Wie überzeuge ich Thorsten?“ Natürlich beugt sich der männliche Homo sapiens früher oder später dem Willen seiner besseren Hälfte. Er weiß instinktiv, dass es eh keinen Zweck hat, ihre Kopfgeburten durch kluge Einwände zu zerstreuen – irgendwann hat sie ihn eh weich gekocht. Auch ist eine solche Hochzeit nun einmal für die Frau wichtiger als für ihn. Es ist IHR großer Tag – darauf hat sie schon auf sämtlichen Probeläufen vom Kindergarten bis zur Studentenzeit hingearbeitet. Männer verstehen rein gar nichts von der Bedeutung einer Hochzeit für eine Frau, aber wenigstens demonstrieren sie ihren guten Willen. Das reicht schon mal für den Anfang.

Zurück zur besten Freundin. Die wird von nun an wichtigster Ansprechpartner in allen Fragen rund um den finalen Tag. Beate, so nennen wir die Dame einmal, ist ein steter Quell neuer Inspirationen. Hat Beate bereits mindestens einen „Höhepunkt“ hinter sich – dann redet sie wenigstens aus Erfahrung und kann auf eigene Verfehlungen während der Feier hinweisen und Warnungen einstreuen. Das befreit sie natürlich nicht davor, neue Fehler zu machen. Die Idee „Was bei mir funktioniert hat, wird auch bei euch eine große Nummer“ gehört ins Reich der Fiktionen. Trotz allem ist diese Beate auf alle Fälle gewinnbringender als eine selbst unverheiratete Beate, die sich ihr gefährliches Halbwissen meist aus Soaps, Dokus und der „Bunte“ zusammengebastelt hat. Nie gehen ihr die Ideen aus, ganz egal wie unrealistisch diese auch sind. Was bei George und Amal Clooney in Venedig funktionierte, könnte allerdings eine Nummer zu groß sein für Sybille und Thorsten aus Bottrop.

Bevor man sechsspännige Kutschen mit geschmückten Schimmeln, 1.000 weiße Tauben am Firmament und den Auftritt eines A-Promis zwischen Hauptgang und Dessert in Betracht zieht, lohnt oft ein erster prüfender Blick in die Geldbörse. Budget-Planung heißt das Zauberwort. Hat man am Ende des Monats bereits Probleme, die neue Waschmaschine zu finanzieren oder den Fiat Panda durch den TÜV zu bekommen, könnte es heikel werden mit all dem Pomp und Glimmer. Da sollte man sich vielleicht doch eher für ein All-you-can-eat-Buffett beim Chinesen um die Ecke entscheiden. Die Faustformel lautet also: Was können wir uns leisten und wie steht die Finanzierung in Einklang mit unseren Wünschen. Egal in welchem Restaurant ich bisher gearbeitet habe, erschienen exakt am Sonntagnachmittag, wenn das Kaffee-Geschäft gerade brummte, junge, unsicher wirkende Pärchen auf dem Radar, die sich einmal unverbindlich über Hochzeits-Modalitäten beraten lassen wollten. Unangemeldet – natürlich.

Am schlimmsten war meine Zeit als Restaurantleiter in einem sogenannten Romantik-Hotel, wo jedes Wochenende die Pärchen im 5-Minuten-Rhythmus angewackelt kamen, um sich beraten zu lassen. Ganz klar, dass kaum jemand von den Herren aus der Chefetage Zeit hatte, sich um die Anfragen der frisch Verliebten zu kümmern. Also wurde den Heiratswütigen in Windeseile der Ballsaal und die anderen Räumlichkeiten präsentiert, eine Bankettmappe mit Menü-Vorschlägen in die Hand gedrückt und schon wurden die Täubchen genau so ratlos zurückgelassen, wie sie gekommen waren. Meist strichen die zwei unsere Lokalität sofort wieder von ihrer Liste, weil (Eintrag bei Tripadvisor) das Personal extrem unfreundlich und unprofessionell sei. Der ewige Dauerbrenner bei der Bewertung lautet einmal mehr: „Die haben es wohl nicht nötig“.

Bitte – liebe Hochzeitsaspiranten – ruft doch einfach kurz an und macht einen Termin mit einem Restaurant – oder Bankettleiter aus. Viele eurer Fragen könnte man somit auch schon im Vorfeld klären, um Zeit und Mühe zu sparen. Veranstaltet das Etablissement überhaupt Hochzeiten, bietet das Haus Räumlichkeiten für die gewünschte Personenzahl, wie sehen die Konditionen aus?

Sollten jetzt einige Leser den Kopf schütteln über meinen Verdacht – es gäbe Restaurants, die Vermählungs-Happenings kategorisch ablehnen, so sei ihnen glaubhaft vermittelt – ja es gibt sie tatsächlich. Wirtschaften, die kein Interesse an solcherart Veranstaltungen hegen, sondern eine andere Klientel bevorzugen. Die Gründe dafür sind wie immer vielschichtig. Was die Terminbesprechung angeht – so haben wir Gastronomen durchaus Verständnis dafür, dass die meisten Leute halt am Weekend die meiste Zeit haben, da sie unter der Woche arbeiten.

Bitte akzeptiert aber im Gegenzug auch, dass in unserem Beruf eher an den Wochenenden Hochbetrieb herrscht und wir daher nur einen Bruchteil unserer Zeit für eure gesammelten Fragen haben. Warum nicht an einem verregneten Montagabend vorbeischauen? Bei der Gelegenheit vielleicht ein Gericht von der neuen Wochenkarte ausprobieren und auf diesem Wege die Qualität von Küche und Service einschätzen…


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