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Kapitel 2

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Die Bürger unseres Landes werden ermahnt, während der Raunächte

keine Wäsche im Freien hängen zu lassen. Auf dass kein

Geist, der mit Odins wilder Schar durch die Nacht zieht, sich darin

einnistet und den Träger des Kleidungsstückes fortan besetzt!

(CHARTA GERMANIA)

Siegfried schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde hatte er Schluss. Die letzte Gruppe der Bewerber, die er eben in Empfang genommen hatte, verließ die Halle in Richtung Schwebebus. Sie wurden in das zentrale Aufnahmelager im Zittauer Wald gebracht. Dort konnten sie sich entscheiden, zu welchem der germanischen Stämme sie wollten. Oder ihnen wurde einer zugewiesen, damit sie durch harte Arbeit, ein straffreies Leben und den Dienst an der Gesellschaft ihren Bewerberstatus gegen einen vollwertigen germanischen Bürgerstatus eintauschen konnten. Dann würden sie ihre Stammes-Runen tätowiert bekommen und wären ab sofort freie Germanen.

Ein Signal ertönte, Siegfried schaute zum Eingang, wo gleich eine Lücke im Feldschirm, der die Landesgrenze Neu Germaniens umschloss, geschaltet werden würde.

Nach einem kurzen Flackern erlosch ein Teil des Kraftfelds und eine Bewerberschar trat unsicher in die Halle. Diesmal waren auch zwei Kinder darunter. Selten kamen ganze Familien, um in Neu Germanien Asyl und Heim zu finden. Meist waren es alleinstehende junge Männer, die hier Bürger werden wollten.

Verschüchtert um sich blickend bewegten sich die zehn Personen auf die Schleuse zu, die Kinder pressten sich scheu an ihre Mütter. Nun trat der erste entschlossen vor und legte sein Handgepäck auf das Band. Die Tasche verschwand surrend im Scanner. Mit einem Piep kam sie auf der anderen Seite wieder heraus. Das grüne Leuchten eines Lämpchens verriet, dass sie „sauber“ war. Der Mann stand weiterhin still an der Schleuse und wartete die Durchleuchtung und den Scanvorgang geduldig ab. Als kurze Zeit später das nächste Lämpchen grün flimmerte, winkte Siegfried den Mann zu sich heran.

„Papiere bitte!“, sagte er und streckte die Hand aus.

Der Mann griff in seine Jackentasche und zog einen zerknitterten Pass heraus, er schob ihn zögernd durch den schmalen Schlitz in der Scheibe zu Siegfried hin. Der schlug den Pass auf und las laut vor.

„Antropow, Valerie, 27 Jahre, geboren in Kiew, Schwarzmeerkoalition, am 31. Januar 2259 alter europäischer Zeitrechnung.“

„Ja“, sagte der Mann.

„Was führt Sie zu uns, Herr Antropow?“

„Ich möschte Birger in dieses Land werden!“, erwiderte der Mann.

„Gut!“ Siegfried legte den Pass unter das Lesegerät und wartete auf das Ergebnis. Der Pass wurde auf seine Echtheit untersucht, die Identität des Mannes nachgeprüft, schließlich wollte niemand hier einen abgetauchten Verbrecher oder Terroristen haben.

Aber auch diesmal leuchtete es grün, der Mann war in Ordnung, er konnte den Bewerberstatus und seine Tätowierung bekommen.

„Alles in Ordnung, Herr Antropow! Sie können durchgehen und sich an der Theke etwas zu essen und trinken holen. Wenn Ihre Gruppe vollständig ist, kommen Sie alle ins zentrale Aufnahmelager und dann zu den einzelnen Stämmen. Haben Sie schon einen bestimmten Stamm ins Auge gefasst?“

„Ja, isch möschte zu Sakzen, isch auf Meer fahren. Isch Seemann!“

„Na, dann viel Glück und herzlich willkommen in Neu Germanien!“, wünschte Siegfried und winkte dem nächsten, einer Frau, näherzutreten.

Zögernd trat sie an die Schleuse heran, ihre Tochter fest an sich gedrückt.

„Gehen Sie rein, es tut nicht weh!“, ermunterte Siegfried die Frau. Sie legte ihre Tasche auf das Band und trat gemeinsam mit dem Kind in die Schleuse, der Scanvorgang begann. Die Tasche kam auf der anderen Seite des Gepäckscanners wieder heraus, das Gerät gab grünes Licht. Von der Schleuse wurde ebenfalls grünes Licht gegeben, Siegfried winkte die beiden zu sich.

„Geben Sie mir bitte Ihre Dokumente!“

Die Frau kramte in ihrer Manteltasche, zog einen Pass und einen Kinderausweis hervor und reichte beides an Siegfried weiter.

„Özdemir, Ayscha, 28 Jahre, geboren in Stambul, Großosmanisches Kaiserreich, am 13. August 2258 alter Zeitrechnung. Und Özdemir, Rubina, 6 Jahre, geboren 6. März 2282.“ Siegfried legte die Ausweise in den Scanner und wandte sich wieder der Frau zu.

„Sie kommen nur mit Ihrer Tochter?“

„Ja, main Mann tott! Kommen von Sieden, bei Grenze Islamischer Kalifat. Da Krieg!“

„Oh, das tut mir leid!“, sagte Siegfried ehrlich betroffen. Mal wieder das Islamische Kalifat! Kamen denn die Grenzregionen nie zur Ruhe?!

Das Gerät gab einen Signalton von sich: alle Papiere in Ordnung!

Siegfried reichte die Dokumente an die Frau zurück.

„Alles in Ordnung, Frau Özdemir! Sie können hinten mit ihrer Tochter essen und trinken. Herzlich willkommen in Germanien!“

Die Frau nahm ihre Tochter an die Hand und ging zum Servicetresen, und Siegfried winkte dem nächsten Bewerber.

Bis zur Herbstsonnenwende nächstes Jahr würde er noch hier Dienst tun. Dann waren seine zwei Jahre Grenzdienst vorbei und er konnte endlich zur Luftwaffe gehen. Die Tests hatte er mit Bravour bestanden und er freute sich auf seinen Dienst als Pilot auf einer der neuen Maschinen „Mjölnir 7“!

Der nächste Bewerber stand vor der Schleuse, Siegfried bedeutete dem Mann, seine Tasche auf das Band zu legen und die Schleuse zu betreten.

* * *

Swanhild Rabenfeder nahm sich ein Bündel getrockneter Kräuter und rubbelte die Blätter von den Stielen. Der Geruch von Pfefferminze breitete sich im ganzen Zimmer aus und Swanhild atmete ihn tief ein. Welche Schätze uns die Natur doch schenkt! Gegen jedes Leiden war ein Kraut gewachsen! Pfefferminze – antibakteriell, entzündungshemmend, keimtötend und schmerzstillend.

Das Glas füllte sich langsam, Swanhild nahm ein letztes Bündel Minze vom Haken und füllte es auf bis an den Rand. Zufrieden verschloss sie das Gefäß und stellte es in das große Regal zu den anderen Gläsern.

Ihr Vorrat an Kräutern würde sicher bis zum nächsten Frühjahr reichen, und ab Ostara konnte sie ja wieder mit der Kräutersuche beginnen!

Swanhild wollte heute einen Hausbesuch bei einer der Mägde auf dem Nachbarhof machen, die unter starken Regelbeschwerden litt. Sie suchte mit den Augen die Reihe der Kräutervorräte ab und griff dann zielstrebig nach einem braunen und einem grünem Glas – Taubnessel, Frauenmantel … und da! Noch etwas Wermut. Sie entnahm jeweils eine kleine Dosis und füllte diese in einen Beutel. Sie würde der Magd einen frischen Sud kochen, dann würden die Schmerzen bald nachlassen. Schließlich griff sie sich noch ein kleines Töpfchen mit Ringelblumensalbe, zur Wundheilung für einen der Knechte desselben Hofes. Er hatte sich die Hände verletzt, die Salbe würde die Heilung fördern. Swanhild band den Beutel an ihren Gürtel, verstaute die Salbendose in einer ihrer Taschen und nahm sich den regenfesten Umhang vom Haken. Draußen nieselte es immer noch, sie tat gut daran, sich warm einzupacken. Sie durfte auf keinen Fall krank werden, die Menschen brauchten ihre Hilfe, schließlich war sie die einzige heilkundige Kräuterfrau im Umkreis von fast dreißig Kilometern. Und die Menschen vertrauten ihr mehr als den Ärzten.

Zugegeben, alles konnte sie nicht heilen. Manche Krankheiten machten eben doch einen Arzt nötig. Aber das, was sie tun konnte, tat sie mit Freude!

Swanhild schlang den Umhang um ihre Schultern, trat hinaus ins Freie, blieb unter dem Vordach stehen und schaute zum Firmament. Der Regen würde wohl noch eine ganze Weile anhalten, der Himmel zeigte sich in einem einheitlichen Grau. Sie raffte ihr langes blondes Haar zusammen und zog sich die Kapuze über den Kopf. Entschlossen trat sie hinaus in den Nieselregen.

Egal welches Wetter ist, meine Hilfe wird benötigt!, dachte sie, und beherzt setzte sie den Fuß auf den aufgeweichten Weg, dann schritt sie zügig aus.


URUZ – Auerochse (Heil-Rune)

Im Jahr des Wolfes

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