Читать книгу Jäger der Finsternis - Rhya Wulf - Страница 15
ОглавлениеNiam hatte beschlossen, dass sie es wissen wollte. Sie würde dem Zauberer so lange auf die Nerven gehen, bis er sie angehört hätte. Er würde ihr nichts Böses tun, das wusste sie genau und diese Tatsache wollte sie ausnutzen. Sie fand, dass sie so eine gemeine Behandlung nicht verdient hatte und würde es ihm schon zeigen!
Bedauerlicherweise machte ihr ihre Mutter einen Strich durch die Rechnung. Sie verlangte von Niam, mit ihr an irgendeinem Wandbehang, oder was auch immer - Niam war es gleich - zu weben. Sie wusste, dass sie diverse Fertigkeiten, wie Weben, Nähen, Kochen und dergleichen mehr, brauchte, aber klar war auch, dass sich Niams Talent dafür als einigermaßen überschaubar herausstellte. Das Einzige, was sie wirklich mochte, war, etwas über Heilkunde zu erfahren und zu kochen. Beides war sich ähnlich, bei beidem konnte man Tränke brauen und verschiedene Zutaten aufeinander abstimmen. Das gefiel Niam recht gut, vor allem, weil ihrer Ansicht nach am Ende etwas wirklich Sinnvolles dabei herauskam. Einen Wandbehang zu weben, fand sie hingegen weniger sinnvoll. Kleidung lag ihr schon eher, aber auch nur als notwendiges Übel.
Die nächsten drei Tage verbrachte sie also zu Hause, was ihr gar nicht schmeckte. Und endlich, endlich am vierten Tag ließ Aíne sie vom Haken. Niam hatte die Zeit allerdings nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Nachdenken genutzt. Und Letzteres gründlich. Sie war zu dem Entschluss gekommen, dass blindlings in den Wald zu rennen, womöglich doch nicht die beste Idee wäre. Denn das Letzte, was sie wollte, war es, den Zauberer noch mehr zu verärgern als ohnehin schon. Einfach nur abwarten wollte sie allerdings auch nicht. Letztlich lief es darauf hinaus: Niam hatte nicht die leistete Ahnung, wie sie jetzt weiter vorgehen konnte. Und während sie den fertigen Wandbehang kritisch musterte - er zeigte zwei Einhörner an einem idyllischen See inmitten eines prächtigen Waldes - kam ihr eine Idee: Sie würde zu Laoghaire gehen und noch einmal mit ihm reden. Er hatte ihr doch ausdrücklich erlaubt, zu Cathbad zu gehen und er hatte so nette Dinge über ihn gesagt, was Niam wirklich sehr gefreut hatte. Deshalb hatte sie beschlossen, Laoghaire gern zu haben.
Was auch nicht sonderlich schwer war. Ebenso gut hätte man versuchen können, blauen Himmel oder Sonnenschein abzulehnen. Und in Niams Fall kam noch hinzu, dass sie sowieso und automatisch jeden mochte, der ihren Liebling leiden konnte.
Außerdem hatte sie den jungen Priester zu ihrem Verbündeten erklärt. Sehr zufrieden mit ihrer Idee, fragte sie ihre Eltern nach der Erlaubnis, ihn besuchen zu dürfen, was ihr beide natürlich nicht verwehrten. Also lief sie los und kurz darauf war Laoghaires Haus in Sichtweite. Wieder war das Glück auf ihrer Seite, denn er war zu Hause. Rauch kringelte sich durch die Öffnung im Dach und sogar die Tür stand offen, wie Niam beim Näherkommen feststellte. Vor lauter Vorfreude auf bestimmt unheimlich interessante Geschichten über den Zauberer schlug ihr Herz schneller, aber sie beherrschte sich und klopfte etwas zaghaft an die Tür.
„Tritt ein, Kobold", hörte sie daraufhin die sanfte Stimme des Priesters. Niam folgte der Aufforderung und sah sich im Inneren des Hauses verstohlen und neugierig um. Sie hatte noch nie zuvor das Haus des jungen Druiden allein betreten und war dementsprechend nervös. Laoghaire sah ihr schmunzelnd entgegen. Das konnte sie deshalb so genau sehen, weil nicht nur das Herdfeuer Licht spendete, auch durch zwei schmale Fenster links und rechts neben der Tür fiel Tageslicht. Zudem brannten überall kleinere und größere Talglampen, sodass der Innenraum recht gut ausgeleuchtet war.
„Nur zu, Kobold, sieh dich ruhig um. Ich habe nichts dagegen. Ich kann mir vorstellen, dass dies aufregend für dich sein dürfte, aber komm dabei auch näher." Der junge Priester stand am Feuer und hatte bis eben in einem Kessel gerührt, aus dem es eigentümlich roch. Im hinteren Teil des Raumes gab es eine Bettstatt, ausgelegt mit Fellen und wollenen Decken. In der Mitte des Hauses loderte das Herdfeuer und an den Wänden links und rechts daneben gab es etliche Gebrauchsgegenstände, sauber in Regalen aufgestellt: Schüsseln, Krüge, Töpfe. Einige Phiolen standen dort ebenfalls sorgfältig aufgereiht herum. Von der Decke hingen gebündelte Kräuter, teils frisch, teils getrocknet, sowie zum Räuchern über dem Feuer platzierte Fleischstücke und Fische. Im Vordergrund stand ein langer, dunkler Tisch gesäumt von zwei schlichten Bänken sowie zwei Stühlen am Kopf- und Fußende. Alle Sitzmöbel waren mit Fellen belegt. Niam kam etwas zutraulicher näher und stellte sich neben Laoghaire an das Feuer. Sie schnupperte und stellte fest:
„Bäh!" Laoghaire lachte leise und erwiderte:
„Sehe ich auch so." Die Kleine stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick in das kochende Innere des Kessels zu erhaschen.
„Was wird das, Laoghaire? Irgendein geheimnisvoller Zaubertrank vielleicht?“ Der junge Mann grinste breit.
„Ich wünschte, ich könnte das bestätigen, aber in Wahrheit sollte das mein Mittagessen werden. Ist allerdings gründlich missglückt, würde ich sagen", schloss er mit kritischem Blick in den Kessel. Dann zwinkerte er Niam zu und langte in ein Fass, das an der linken Wand stand. Er warf Ihr einen großen, roten Apfel zu, den sie reflexartig mit beiden Händen fing.
„Macht nichts, dann essen wir eben das hier", erklärte er gut gelaunt und biss in sein Exemplar. Nachdem der erste Bissen vertilgt war, fragte er:
„Und was führt dich wohl zu mir? Warte, lass mich raten, ich denke, ich habe da so eine Ahnung. Der Zauberer?" Mit diesen Worten ging er zum langen Tisch und setzte sich auf den Stuhl am Kopfende. Er klopfte einladend auf die Bank zu seiner Rechten und Niam kletterte hinauf.
„Ja, genau", erklärte sie, „Laoghaire ich brauche deine Hilfe. Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, damit er mich wenigstens einmal anhört." Es klang etwas traurig und der junge Priester nickte verständnisvoll.
„Nun. Er ist schwierig, das sagte ich dir ja. Leider. Wenn du mich nun fragst, was du machen sollst, kann ich dir auch nichts anderes raten, als hartnäckig zu bleiben. Hab Geduld und nimm das, was er sagt nicht persönlich." Niam hatte einige Male in ihren Apfel gebissen und musste erst kauen und schlucken, bevor sie antwortete:
„Aber warum ist er denn nur so?“
Laoghaire wiegte den Kopf.
„Gute Frage, aber schwierig zu beantworten. Er hat seine Gründe. Nicht alle kenne ich und nicht jeden will ich nennen, aber zumindest dies: Er hat sich vor den Menschen zurückgezogen, dorthin, wo ihn niemand finden kann, es sei denn, er wünscht es. Was nicht allzu oft der Fall ist. Nun, es liegt daran, dass er einmal zu oft jemanden verloren hat, den er geliebt hat. Du weißt, er lebt sehr viel länger als andere Menschen und da er nicht aus Eis oder Stein ist, hat er irgendwann wohl auch mal Gefühle für andere gehabt. Verstehst du, was ich sagen will? Er lehnt Bindungen zu anderen ab, weil er sie ja doch wieder verlieren wird. Und das kann er, so vermute ich, nicht mehr ertragen." Niam war während seines Vortrages immer trauriger geworden. Jetzt sah sie Laoghaire an und sagte:
„Aber das ist schrecklich! Jeder braucht doch Jemanden! Das…das ist doch einfach nicht richtig." Sie brach ab, weil ihr etwas eingefallen war.
„Du, Laoghaire, woher weißt du das denn alles? Du hast ihn seit damals auf Môn doch auch nicht mehr gesehen, das hast du selbst gesagt!" Er lächelte kurz und nickte zufrieden.
„Gute Auffassungsgabe und klug auch noch. Schön. Nun ja. Wie du weißt, liegt meine besondere Gabe darin, die Gefühle der Menschen sehen und verstehen zu können. Ich habe ihn jahrelang regelmäßig auf Môn gesehen, da kommt einiges zusammen. Und der Rest folgte hier bei euch. Der Wald…schwer zu beschreiben. Er strahlt etwas aus…Dunkelheit, ja. Aber nicht nur das. Da ist noch etwas anderes im Hintergrund, das die Dunkelheit verbergen soll. Wie ein Schild. Und dieses Andere ist, wenn ich mich nicht irre, eine große Leere und Traurigkeit…und noch etwas gänzlich anderes, aber das entzieht sich mir noch. Noch", fügte er mit funkelnden Augen hinzu. Niam sah ihn neugierig und wie gebannt an.
„Das würde ich auch gerne können!" Der Priester winkte ab.
„Wünsch dir das nicht. Es ist ein Geschenk, das ja. Aber es kann auch zu einer Last werden.“ Niam hatte den Apfel inzwischen aufgegessen und leckte sich den Saft von den Fingern.
„Erzählst du mir eine Geschichte über ihn? Du sagtest eben, dass er dort lebt, wo ihn niemand findet…ja, warum lebt er denn hier bei uns im Wald? Doch nicht nur, weil der als Versteck dient, oder?" Laoghaire nahm ihren und seinen Apfelrest und warf beide, ohne sich umzusehen, über die Schulter. Beide landeten zielsicher im Kessel, woraufhin Niam der Mund offen stehen blieb. Der junge Priester zwinkerte ihr zu und sagte:
„Ich sagte ja: klug.“ Dann lehnte er sich zurück.
„Tja, warum? Nun du hast Recht. Es gibt einen anderen Grund. Zunächst aber müssen wir festhalten, dass er nicht bei euch lebt, sondern ihr bei ihm. Er war schon lange da, bevor dieser Teil der Welt besiedelt wurde. Deine Ahnen haben irgendwann beschlossen, diesen Clan zu gründen, von seiner Anwesenheit wussten sie dabei nichts. Worum es aber geht, ist dies: Weißt du, unter Druiden gibt es eine Geschichte, mehr eine Legende. Euren Leuten ist sie nicht bekannt, einfach weil es hier zu jener Zeit niemanden gab, der sie hätte erzählen können. Es ist eine alte Legende und sehr düster. Vielleicht sogar zu unheimlich für ein kleines Ding wie dich?" Dieser letzte Satz klang unschuldig, allerdings wurde die vermeintliche Arglosigkeit durch das Funkeln in den braunen Augen des Priesters widerlegt.
Er wurde auch prompt belohnt, denn Niam rief sofort:
„Bestimmt nicht! Ich habe keine Angst, nicht wie die anderen albernen, kleinen Gänse hier. Ich liebe gruselige Geschichten und vor allem solche über den Zauberer!"
Natürlich, was sonst? Sie ging davon aus, dass selbst die unheimlichste Geschichte allein deswegen gut endete, weil ER mit dabei war.
„Bitte, Laoghaire ", bettelte sie, „erzähl die Geschichte! Bitte!" Der junge Mann grinste und hob die Hände.
„Schon gut, schon gut. Ich erzähle sie dir ja. Gegen so viel Begeisterung bin ich machtlos. Dann hör gut zu: Vor langer Zeit, niemand weiß heute mehr, wie lange es wirklich her ist, lebte im Alten Wald, der damals der Verfluchte Wald genannt wurde, an den Ufern eines kleinen, aber umso tieferen Sees ein Nekromant. Weißt du, was das ist?"
Kopfschütteln.
„Nun", fuhr Laoghaire fort, „ein Nekromant ist ein Totenbeschwörer. Überall auf der Welt gibt es solche Praktiken, aber hier bei uns hat der Zauberer sie verboten. Jener Nekromant also war ein mächtiger Druide, der die Toten wiedererweckte und sie zu seinen Sklaven machte. Aber nicht nur das: Er erlangte auch Macht über ihre Seelen, quälte und peinigte sie, wo er nur konnte. Manche sagen, er hätte die Seelen der Toten sogar verschlungen, um seine Macht zu stärken. Andere sagen, er habe sie zu Dämonen erhoben, die ihm seitdem Gefolgschaft leisten mussten. Eben diese Praktiken stellen aber von allen verwerflichen magischen Tätigkeiten die schlimmsten dar. Die Vernichtung der Seele hat zur Folge, dass sie den Zyklen der Wiedergeburt und damit der Möglichkeit nach Moy Mell, dem Land der Lebenden, zu gelangen, entrissen werden. Ihnen bleibt nur die ewige Leere. Eines Tages aber kam der Zauberer in den verfluchten Wald, um den Nekromanten zu stellen. Er fand ihn auch und sie kämpften gegeneinander. Der Kampf soll lang und hart gewesen sein, keiner wollte nachgeben, keiner konnte nachgeben. Es heißt, der Nekromant hätte seine Armeen der Untoten auf den Zauberer gehetzt, aber sie konnten ihn nicht besiegen. Er tötete die meisten von ihnen. Und dann erst stellte sich ihm ein Dämon in den Weg. Der Nekromant selbst hielt sich lieber fern, er fürchtete den Zauberer zu sehr. Na ja, der Zauberer soll vom Kampf gezeichnet gewesen sein, verwundet und erschöpft, aber er gab natürlich nicht auf. Es schien zu knapp zu werden und der Zauberer geriet in Bedrängnis. Immer mehr gewann der Feind die Oberhand, bis plötzlich, kurz bevor der Dämon zum finalen Schlag ausholen konnte, etwas geschah." Laoghaire unterbrach sich und sah Niam an, die gespannt lauschte. Dabei lugte ihre Zungenspitze ein wenig zwischen den Lippen hervor, was den jungen Priester kurz schmunzeln ließ. Bilder von jenen längst vergangenen Tagen waren während Laoghaires Erzählung durch Niams Geist geflogen und sie hatte das Gefühl, alles deutlich sehen zu können: Der Zauberer, wie er mit gezücktem Schwert und erhobenem Stab gegen den Dämon kämpfte. Sie glaubte, den See zu sehen, dunkel und gefährlich, und hier und da brodelte es unheilvoll im tiefen, brackigen Wasser. Nebelfetzen hingen über dem trüben Gewässer und der Alte Wald ringsum schien hier noch düsterer und viel zu grün, unnatürlich grün zu sein. Vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild des Nekromanten: Groß und hager war er und gekleidet in eine schwarze Robe, wie der Zauberer eine trug, und das nur, um ihn zu verhöhnen. Sein Gesicht blieb im Schatten unter der weiten Kapuze verborgen und Niam spürte deutlich, dass das auch besser so war. Und dann sah sie die Behausung des bösen Druiden: Eine tiefe, dunkle Höhle am linken Ufer des Sees. Wie ein klaffendes Maul sah sie aus. Das riesige Maul eines längst gestorbenen und versteinerten Ungeheuers. Und dann der Dämon: Dieser war ganz schwarz mit leuchtend roten Augen und hässlichen ledernen Schwingen. Zwei Hörner ragten aus seiner Stirn und seine Füße waren Hufe mit langen Klauen. Alles wirkte so echt, so aufregend echt! Aber wie ging es bloß weiter?
Da platzte es aus Niam heraus:
„Was ist passiert, Laoghaire? Was hat er gemacht? Erzähl schon!"
Laoghaire fuhr sich nachdenklich durch den kurzen blonden Bart.
„Das ist die entscheidende Frage. Niemand weiß es. Es endete damit, dass der Zauberer mit letzter Kraft den Dämon vernichtete. Der Nekromant aber, der nun keine Chance mehr hatte, soll seinem unheiligen Leben selbst ein Ende gesetzt haben. Und noch im Sterben hat er sein letztes Werk vollbracht: Er verfluchte den Ort, an dem er gelebt hatte und damit die verbliebenen Wiedergänger. Einmal jedes Jahr werden sie sich wieder erheben und sich gegen den Zauberer stellen und das ist bis heute so. Der Fluch kann niemals gebrochen werden, auch nicht von Cathbad, denn er wurde gespeist durch das höchste Opfer: Den eigenen Tod. Und so muss der Zauberer bis zum heutigen Tag einmal im Jahr gegen die stets zurückkehrenden Untoten kämpfen.“ Laoghaire, der sich das Beste bis zum Schluss aufgehoben hatte, sah Niam an.
„Und weißt du auch, wann sich all dies zugetragen hat?", fragte er.
Kopfschütteln. Riesengroße Augen.
„Samhain. Deine Geburtsnacht."
Niam klappte die Kinnlade herunter und sagte fassungslos:
„Aber, Laoghaire…das kann doch nicht dein Ernst sein?! Nimmst du mich auf den Arm?" Er lächelte und sagte:
„Durchaus nicht. Dies ist die Wahrheit, jedenfalls so wahr eine alte Legende eben sein kann."
„Das ist ja großartig!", rief die Kleine voller Begeisterung.
„Nun ja", brummte Laoghaire trocken, „solange man Wiedergänger mag."
„Laoghaire, da waren Wiedergänger, als ich geboren wurde, meine ich. Waren das die aus der Geschichte?“, hakte sie neugierig nach.
„Wenn wir der Legende Glauben schenken, können wir davon ausgehen, ja.“
„Oh“, staunte sie, „das ist ja aufregend!“ Aber schnell wurde sie wieder ernster.
„Das war eine tolle Geschichte, aber jetzt weiß ich immer noch nicht, wie es weitergehen soll." Laoghaire fuhr sich abermals mit der Hand über den Bart und erwiderte:
„Mein Rat ist: Gib nicht auf."