Читать книгу Jäger der Finsternis - Rhya Wulf - Страница 7
ОглавлениеDer Blick fällt auf eine Siedlung, umfriedet von einem hohen Erdwall, verstärkt mit Holz und gekrönt von einer Brüstung. Der Betrachter kann hinter dem Wall Häuser sehen, sowie den großen Gemeinschaftsstall. Eine große Halle thront auf einem Hügel, so ziemlich in der Mitte der Anlage. In der Nähe beginnen die ersten Ausläufer des Östlichen Waldes, der zum Holzschlagen, Jagen und Sammeln genutzt wird und auch der Köhler lebt dort. Ein friedlicher, stiller Wald. Jedoch…da war noch jener andere Wald, der im Westen, einem düsteren Bollwerk gleich, seine uralten Äste wie Speere in den Nachthimmel reckt. Dieser Wald wird gemieden, was seltsam anmutet, denn die Menschen, die hier lebten, hatten diesen Platz einst, vor langen Jahresläufen, als ihre Heimat auserkoren. Niemand sonst hatte diesen Ort für sich beansprucht, und Caenas Vorfahren – er war der Häuptling in den Tagen, von denen ich Euch hier erzähle – hatten beschlossen, sich hier anzusiedeln. Sie wurden vor langer Zeit aus ihrer Heimat Albion vertrieben und hatten keine große Auswahl. Wir sehen weiter und der Blick fällt auf drei abgelegene Häuser: Eines nahe dem Westlichen Wald, dem sogenannten Alten Wald, gelegen, das andere daneben, eine Schmiede. Das letzte Haus befindet sich am Fuße eines stillen und in Nebel gehüllten Hügels und schräg hinter dem Haus, einige Schritte später, ragt ein wohl gut drei Schritt hoher, pechschwarzer Stein in die Höhe. In diesem Haus erwacht soeben ein Mann und richtet sich auf. Er wendet seinen Blick nachdenklich in Richtung des Alten Waldes.
Wir sehen in die andere Richtung, wir sehen eine schlafende Familie, einen Mann, eine Frau, ein kleines Mädchen.
Das Mädchen träumt…:
Mag Tuired, Samhain.
Sie kannte diesen Ort. Die Schlacht war in vollem Gange. Überall waren die Gegner in Gefechte und Scharmützel verwickelt. Aber niemand nahm von der Kleinen und ihrem Begleiter Notiz. Das war auch nicht möglich, denn sie waren gar nicht zugegen. Und gleichzeitig war dies in jenem seltsamen Augenblick doch der Fall. Starr vor Entsetzen beobachtete Niam, wie die Schlacht hin und her wogte, doch keine Seite konnte die Oberhand gewinnen.
Und dann…Er. Der Mann mit der schwarzen Rüstung: Balor, König der Fomor.
Er ging durch die Reihen der Verteidiger, als wären sie gar nicht da. Und dort, wo sein entsetzlicher Blick aus dem einen Auge hinfiel, da endete alles Leben. Sie verbrannten einfach, als er sie ansah und von ihnen blieb nichts als Asche.
Ein anderer Krieger, düster und mit nur einem Arm, hatte einen langen Stab als Waffe. Und damit warf er Zauber über die feindlichen Krieger und sie fielen reihenweise vor ihm zu Boden. Er sah, wie sich ein massiger Mann mit wallendem rotem Haar und langem Bart ihm in den Weg stellte. Und neben diesen Mann traten andere und zusammen fielen sie über den Einarmigen her.
Und dann, als alles verloren schien, betrat ein weiterer Krieger das Schlachtfeld:
Lugh, König der Tuatha Dé Danann, Herr des Lichts. Er brüllte den Namen des Riesen, der herumfuhr, um zu sehen, wer es wagen würde, ihn zu fordern. Der Anblick Lughs war das Letzte, was er je wieder sehen würde. Der mit nicht menschlicher Kraft geworfene Speer kam herangeflogen und traf mitten ins Auge des Unholds. Der Speer flog durch den Kopf hindurch, so gewaltig war der Wurf. Das Auge fiel zu Boden, herausgerissen aus der Augenhöhle.
Voller Grauen beobachtete die Kleine, wie das Auge rollte und schließlich ruhig liegen blieb. Und dann geschah das Unfassbare: Der nie erlöschende Blick des Auges fiel nun auf die eigenen Heerscharen - und dann waren sie nicht mehr. Und alles, was von ihnen blieb, war Asche, die der Wind verwehen würde. Und als der dunkle Krieger mit dem einen Arm dessen gewahr wurde, erlosch sein Kampfesmut. Seine Zauberkraft schien ihn zu verlassen und er…verschwand. Irgendwie. Irgendwohin. Und niemand hatte es gesehen. Selbst die beiden Beobachter nicht.
Aber: Die Schlacht war gewonnen.
Lugh trat zu seinem gefallenen Gegner und blickte grimmig auf ihn herab. Hass loderte in seinen sonst so sanften Augen. Unversöhnlicher Hass. Balor hob den Kopf und sprach mit einer Stimme wie Donnergrollen nur zwei Worte: „TU ES.“
Der Goldhaarige lächelte grimmig.
„Ja. Sei sicher.“ Und damit zog er ein langes Schwert aus der Scheide, umfasste das Heft mit beiden Händen, holte aus und schlug seinem Feind den Kopf von den Schultern. Der gewaltige Körper schwankte und kippte dann langsam zur Seite weg.
Lugh blickte jetzt zu seinen Gefährten und sprach mit kalter Stimme:
„Er wird bestraft.“
Da trat Aengus vor und sagte mit ruhiger Stimme:
„Bedenke gut, was du tust, Lugh.“
Das Mädchen schlug die Hände vor das Gesicht und ihr Begleiter seufzte, nahm sie in die Arme und sagte:
„Es war notwendig.“
In dem Moment wandten sich Lugh und Aengus den beiden Beobachtern zu und Lugh sagte:
„Ich sehe dich. Zauberer.“
Und über Aengus Gesicht schlich sich ein breites Grinsen.
Niam wachte wie üblich schweißgebadet auf und wusste erst nicht recht, wo sie war. Der Traum fühlte sich so echt an, dass sie meinte, sie wäre wirklich dort gewesen. Aber es war nur ein Traum, natürlich. Sie war Zuschauerin einer unglaublichen Tragödie. Und wie immer konnte sie auch dieses Mal nicht unterscheiden, was an dem Gesehenen die eigentliche Tragödie war.
Niam warf die Schlaffelle beiseite, setzte sich im Bett auf und strich mit der Hand die langen blonden Haare aus der Stirn.
Sie baumelte mit den Beinen und bemerkte, dass alle anderen noch schliefen, denn sie hörte das regelmäßige Atmen ihrer Eltern von der gegenüberliegenden Seite des Hauses.
Wie spät mochte es sein?
Niam stand vorsichtig auf, denn das grob behauene, hölzerne Bettgestell knarrte und schlich auf ihren bloßen Zehen, nur bekleidet mit einer langen, hellen Tunika zur Eingangstür des Hauses.
Sie passierte leise den großen Tisch aus Eschenholz, der in der Mitte des Langhauses stand, gesäumt von hölzernen Bänken, und schlüpfte, ohne ein Geräusch verursacht zu haben, nach draußen.
Der volle Mond stand am pechschwarzen, von glitzernden Sternen übersäten Nachthimmel und tauchte die Landschaft in silbernes, kaltes Licht. Niam atmete tief durch und genoss die kühle, frische Frühlingsluft.
Warum musste es immer derselbe Traum sein? Immer und immer wieder wiederholte sich das Ganze. Nicht jede Nacht, aber doch regelmäßig. Und das seit sie denken konnte, was in ihrem Fall hieß, ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt. Was sollte das bedeuten? Ein Zeichen? Vielleicht bedeutete es das, was sie hoffte: Dass eine Verbindung zwischen ihr und dem Zauberer bestand.
Niam hatte schon oft darüber nachgedacht, bisher ohne Ergebnis. Am liebsten hätte sie den Zauberer im Wald gefragt und ihm von ihrem Traum berichtet, aber es war verboten, in den Wald zu gehen. Der Zauberer würde keine Besucher dulden, hieß es dann immer. Aber dennoch gab es eine Übereinkunft: Wer immer seine Hilfe brauchte, der wandte sich einem gewissen Felsen zu…markant und düster ragte er in den Himmel empor, niemand hatte ihn dort platziert und doch, irgendjemand musste ihn aufgestellt haben, irgendwann - vielleicht in einer anderen Welt. Der Schwarze Stein. Außerdem, so dachte Niam, ihren Eltern hatte er damals vor acht Jahresläufen geholfen, und das, obwohl sie den verbotenen Wald betreten hatten. So ganz und gar in Stein gemeißelt schien sein Verbot dann wohl doch nicht zu sein?
Sie erinnerte sich gut an den spektakulären Kampf gegen die Brüder ihrer Mutter und sie hatte ganz genau gewusst, dass sie nicht gegen ihn gewinnen konnten. Seine Verletzungen indes hatten ihr gar nicht gefallen.
Nicht wundern. Diese seltsame Gedächtnisleistung wird sich noch erklären.
Seit Niams frühester Kindheit, also seitdem sie sprechen konnte, um genau zu sein, hatte sie, gleich einem trockenen Schwamm, alle Informationen, die sie über ihn hörte, aufgesogen. Ihre Mutter meinte, dass das alles mit den reichlich ungewöhnlichen Umständen ihrer Geburt zusammenhing, immerhin war der Zauberer der erste gewesen, den die Kleine zu Gesicht bekommen hatte. Aíne erklärte es sich so, dass auf diese Weise irgendwie eine Verbindung zwischen den beiden entstanden war, aber was das alles überhaupt zu bedeuten hatte, konnte auch sie nicht sagen.
Was ihren Vater anging: Fearghas nahm das Ganze eher gelassen hin. Er würde dem Zauberer auf ewig in Dankbarkeit verbunden sein und sobald er in die vor Begeisterung leuchtenden Augen seiner Tochter blickte, wenn die Sprache auf ihn fiel, war er besiegt. Und so hatte er beschlossen, dass alles, was sie glücklich machte auch ihn glücklich machen würde.
Niam wusste, dass ihre Begeisterung für den unheimlichen Zauberer bei den anderen eher auf Unverständnis stieß; eigentlich war man ganz froh, wenn man seiner Aufmerksamkeit entgehen konnte.
Niam sah das anders: Sie war ganz sicher nicht so ängstlich wie die anderen und vor allem nicht wie die Kinder im Dorf! Sie liebte Geschichten von Gwrachs, Púcas, Cailleachs, Geistern und Dämonen. Das lag natürlich auch daran, dass sie in dem festen Glauben lebte, dass ihr hier in der Nähe des Alten Waldes, in der Nähe des Zauberers, sowieso nichts Schlimmes passieren konnte. Und nicht zu vergessen: Sie war nur zur Hälfte Mensch. Immerhin war ihre Mutter eine Fee, eine Lichtfee, um genau zu sein. Und schon deshalb flößten Niam die Andersweltlichen keinen Schrecken ein. Sie war ja selbst eine von ihnen, gut, nicht ganz, aber doch ein wenig und gerade genug!
Sie blickte zum nächtlichen Himmel auf und erfreute sich am glitzernden Licht der Sterne. Ein plötzlicher, seltsam eisiger Windstoß veranlasste sie, ihren Blick in Richtung des Alten Waldes zu richten, der dunkel und unheilverkündend zu ihrer Linken aufragte. Ihr Haus lag in unmittelbarer Nähe zum Waldrand, vielleicht nur hundert Schritt entfernt.
Sie meinte, etwas bemerkt zu haben. Hatte sie nicht eben ein Aufleuchten in den schwarzen Tiefen des Alten Waldes gesehen? Doch, ja, da war es schon wieder. Es sah aus, als durchzuckten blaue Blitze den Wald. Für den Moment vergaß Niam den beunruhigenden Traum. Die Neugier auf die geheimnisvollen Geschehnisse im Alten Wald hatte die Oberhand gewonnen. Was mochte da vor sich gehen? Oh sicher, immer mal wieder hörte man merkwürdige Geräusche und immer mal wieder konnte man auch seltsame Lichter wahrnehmen und das hieß dann immer, dass der Zauberer gerade irgendjemanden oder besser gesagt irgendetwas jagte. Niam wusste, welche Gefahren in der Anderswelt auf die Sterblichen lauerten und fand all das selbstverständlich wahnsinnig aufregend. Am liebsten wäre sie sofort losgelaufen, um es genau herauszufinden. Allerdings: Noch nie hatte sie es gewagt, ihr kühnes Vorhaben in die Tat umzusetzen, aber jeden Tag aufs Neue schwor sie sich, dass sie es morgen versuchen würde. Im Moment jedoch spähte sie angestrengt in die schwarze Stille und hoffte, irgendwelche Details dort in der Ferne erkennen zu können, was ihr aber nicht gelingen wollte. Wieder jagte ihr ein kalter Windhauch Schauer über den Rücken, als noch im selben Moment ein dunkles Kreischen den Schleier der Dunkelheit durchschnitt. Niam machte große Augen und starrte mit offenem Mund weiter in Richtung des Waldes.
Was war das? Welche Kreatur konnte so einen grässlichen Schrei ausstoßen? Niam hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere. Wie gerne wäre sie jetzt auf der Stelle losgerannt, um diesem doch nun wirklich spannenden Rätsel auf die Spur zu kommen.
Gleichzeitig bemerkte sie, dass hier und dort in den entfernter liegenden Häusern Lichter entzündet wurden. Offenbar hatten die anderen den Schrei ebenfalls gehört.
„Mutter?“, flüsterte Niam unvermittelt und eigentlich in die leere Luft hinein. „Was war das? Und was ist denn jetzt mit dem Zauberer? Hat er gewonnen?“
„Das war eine Gwrach“, hörte Niam tatsächlich eine sanfte Stimme hinter sich. Die Kleine fühlte die Anwesenheit ihrer Mutter stets. „Und ob er gewonnen hat, wird sich zeigen, wenn die Sonne aufgeht, nicht wahr? Aber ich denke, wir können zuversichtlich sein.“
„Bist du sicher? Ob ihm was passiert ist, Mama?“, fragte Niam bang. Gwrachs waren gefährlich. Mit ihren langen, eisernen Klauen waren sie nicht zu unterschätzende Gegner. Und sie waren schnell, sehr schnell. Niam hasste Gwrachs, aber das tat jeder. Degenerierte tote Feen waren das, geschaffen von Balor, dem letzten König von Fomor, vor langer Zeit. Er hatte ihre Seelen zermahlen und ihnen ihre Zauberkraft genommen. Und um den Verlust auszugleichen, gab er ihnen die Dunkle Gabe, die finstere, bösartige Magie seines Volkes und zwang ihnen unstillbaren Hunger auf. Einen Hunger, der nur und ausschließlich durch das Fressen von kleinen Kindern gestillt werden konnte. Eine durch und durch grausame und erschreckende Spezies, die selbst vor Cathbad dem Zauberer keine Furcht empfand.
„Ich weiß es nicht sicher“, antwortete Aíne ehrlich. „Aber ich glaube, dass alles gut gegangen ist. Und wenn nicht: Du ahnst gar nicht, wie stark der Zauberer ist. Der überlebt alles“, schloss sie trocken. Da war Niam beruhigt. Das klang vertrauenerweckend und passte natürlich auch ganz gut in ihre Vorstellung von ihm. Und in jenem Augenblick traf sie eine Entscheidung: Sie würde in den Wald gehen und zwar gleich morgen früh! Ja, ganz sicher! Dieses Mal wirklich!