Читать книгу Jäger der Finsternis - Rhya Wulf - Страница 9

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Fearghas hatte sein Tagewerk begonnen. Er war Schmied und so talentiert, dass die Leute von weit her kamen, um seine Arbeiten zu kaufen oder zu tauschen; eine Tatsache, die ihm den Beinamen „Wunderschmied“ beschert hatte. Also gab es in aller Regel viel zu tun und so war es auch an diesem Tag.

Gerade musterte er die Klinge des Schwertes kritisch und fragte:

„Was sagst du dazu?"

Ein Gähnen war die erste Antwort und die zweite folgte gleich darauf:

„Oh, schwierig. Ich meine, ich kenne Gobnius Arbeiten, dies schon, aber ich weiß nicht, ob ich sie auch beurteilen kann."

Nachdenkliches Kopfkratzen.

Und dann: Aufstehen, näherkommen, Klinge intensiv beäugen.

„Also, wenn du wirklich meine Meinung willst: Ich finde es gut gelungen." Fearghas hatte seinen Freund nicht aus den Augen gelassen und musste, wie immer, wenn er mit ihm sprach, breit grinsen. Es sah einfach zu ungewöhnlich aus. Ohne den Kopf zu wenden, fuhr der andere dann fort:

„Deinem Bruder wird's gefallen, der im Übrigen gleich hier ist."

Fearghas drehte die Klinge hin und her und nickte schließlich.

„Du hast recht, sie ist gut." Dann warf er seinem Freund, der wieder zurück auf seinen Platz in der Schmiede getrottet war, einen Blick zu.

„Denk an deine Augen. Sie glühen nach wie vor rot."

„Wie…? Oh, ach stimmt, ja. Moment…so besser?"

„Ganz bezaubernd", sagte Fearghas mit toternster Stimme, aber immer noch grinsend.

Bevor der andere etwas erwidern konnte, fiel ein Schatten durch die Tür und Caena, der Häuptling des Clans und ältere Bruder des Schmiedes, trat ein.

„Sei gegrüßt Bruder, was macht mein Schwert?" Dabei tätschelte er jenem riesigen, schwarzen Wolfshund, der auf seinem Platz in der Schmiede in der Nähe des Eingangs lag, den großen, zotteligen Kopf.

Der Hund lies ein leises „Wau“ hören, von dem er annahm, dass der Mensch es als freundlich auffassen würde. Gleichzeitig bemerkte der Hund aber auch den warnenden Blick, den Fearghas ihm zuwarf.

Der Hund hatte tatsächlich „Wau" gesagt.

Und jetzt dachte das Tier: Mist. Das muss ich mir wirklich abgewöhnen. Das Gute daran war nur, dass die Menschen es nicht wahrnahmen, wenn es mal passierte. Irgendwie erwarteten sie ein „Wau“ von einem Hund und dachten nie darüber nach. Es klappte auch dieses Mal. Fearghas sah seinen Bruder gelassen an.

„Was es macht? Nun ja, im Augenblick halte ich es in der Hand und begutachte es." Dabei drehte er die Klinge demonstrativ hin und her. Caena wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da fuhr Fearghas ungerührt fort:

„Es steht dir natürlich frei, so oft vorbeizukommen wie es dir beliebt, aber falls du annimmst, dein Schwert würde dadurch schneller fertig werden, hast du dich geschnitten. Es dauert solange es nun einmal dauert." Caena war nähergetreten und hatte die Klinge gemustert. Jetzt sah er auf.

„Na hör mal, ich bin zufällig dein Häuptling, weißt du?", gab er entrüstet zurück.

Fearghas begann damit, die Klinge zu schleifen. Währenddessen erwiderte er trocken:

„Und ich bin zufällig der einzige Schmied hier und dazu noch der beste weit und breit. Also verscherz es dir lieber nicht mit mir und gib Ruhe." Es klang hart, aber das verschmitzte Grinsen auf seinem Gesicht sprach eine andere Sprache. Caena nahm den zugeworfenen Ball an, er mochte dieses Spiel. Er lehnte sich an die Wand und verschränkte lässig die Arme vor der breiten Brust.

„Ach was. Ich könnte dir auch einfach befehlen, mein Schwert vorzuziehen. Und du müsstest gehorchen, das ist dir klar, oder?" Fearghas unterbrach das Schleifen und sah das Schwert prüfend an.

„Den Teufel muss ich, und das ist dir ebenso klar wie mir, oder?" Da hob Caena resignierende die Hände und fuhr sich über den scharf ausrasierten, schwarzen Kinnbart, der in einem kurzen Zopf endete. Lachend sagte er:

„Schon gut, diese Runde geht an dich. Die Runde morgen wird meine sein." Fearghas rollte mit den Augen und sah die verrußte Decke an, als gäbe es da etwas zu sehen. Caena grinste und sagte:

„Das Augenrollen habe ich gesehen."

„Na das will ich doch wohl auch hoffen. Und jetzt verschwinde endlich, sonst werde ich hier mit Nichts fertig.“ Und tatsächlich: Caena trollte sich leise lachend. Der rote Umhang, den er immer trug, flatterte kurz, als er sich umdrehte und das Haus verließ.

Aíne würde heute den Tag zu Hause verbringen und Kleidung ausbessern. Vor allem Niams Kleidung.

Ihre Sachen hatten nämlich das unnachahmliche Talent andauernd kaputtzugehen. Kaum eine Tunika oder ein paar Beinlinge hielten mehr als zwei oder drei Tage. Gut, das mochte auch damit zusammenhängen, dass Niam es liebte, auf Bäume zu klettern, zu laufen (und dabei andauernd stolperte, weil sie vor lauter Übermut vergaß, auf den Weg zu achten), zu schwimmen und zu jagen. Das alles führte bedauerlicherweise dazu, dass ihr Kleidungsverschleiß enorm war, und dass sie damit ziemlich alleine war. Denn die anderen Mädchen in ihrem Alter fanden das alles nicht angemessen und die Jungs, naja, die dachten das Gleiche.

Und das war sehr schade für Niam, denn am liebsten hätte sie mit den Jungs gespielt, aber Eboric, eine Art Anführer in einer Gruppe ungefähr Gleichaltriger, fand sie einfältig. Und überhaupt war sie ja auch nur ein Mädchen.

Aber der eigentliche Punkt war folgender: Niemand sprach es aus, aber alle dachten es: Sie war zur Hälfte eine Fee, eine von den Anderen.

Und deshalb irgendwie unheimlich. Da kam es den Jungen und Mädchen des Dorfes gerade recht, dass sie so seltsame Vorlieben offenbarte, so hatte man doch gute Gründe, nicht mit ihr spielen zu müssen.

Also war es Niam gewohnt, ihre Zeit alleine zu verbringen.

Was sie indes gar nicht mal so schlimm fand, denn auf diese Weise konnte sie tun, was immer sie wollte und musste sich niemandem anpassen.

Wobei…nun ja, wenigstens einen Freund hätte sie schon gerne gehabt, also jedenfalls einen menschlichen.

Denn da war ja noch Púca.

Für den Moment hatte sie allerdings andere Sorgen: Wie konnte sie es anstellen, sich erfolgreich vor der Hausarbeit zu drücken? Niam stand unschlüssig vor dem Haus herum und dachte gerade über eine gute Ausrede nach, als ihre Mutter lautlos hinter ihr auftauchte. Sie drehte sich zu ihr um. Die Fee lächelte sie strahlend an.

„Hör mal, Kobold, du könntest mir einen Gefallen tun." Sie ignorierte Niams langes Gesicht mit einem stillen Grinsen und fuhr fort:

„Geh zu Laoghaire und bring ihm diesen Trank. Du weißt, die Hustenmedizin, die ich gestern fertiggestellt habe. Frag ihn nach seiner Meinung dazu und warte zur Not auch. Egal wie lange er braucht, ich muss wissen, wie gut der Trank geworden ist." Niam hatte genau zugehört und dachte, dass das nicht ihr Ernst sein konnte. Aber da war nichts zu machen, sie musste wohl oder übel gehorchen. Also nickte sie etwas verdrossen und nahm das schlanke Tonfläschchen an sich. Einen sehnsüchtigen Blick auf den Alten Wald konnte sie sich nicht verkneifen. Er schien so nah, aber plötzlich unerreichbar. Was sie indes nicht bemerkte, war das listige Funkeln in den Augen ihrer Mutter, als sie in Richtung des Schwarzen Steines lief, in dessen Nähe Laoghaires Haus, das Haus des Druiden, stand.

Sie beeilte sich und hoffte inständig, dass er zu Hause wäre und dass er seine Beurteilung schnell abgeben würde. Bald schon, nach einer Biegung, war das Haus in Sichtweite. Es war deutlich näher am Alten Wald gelegen, ein Umstand, dem die Dorfbewohner mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Respekt begegneten. Laoghaire, der junge Druide, war zu Hause. Er saß auf einer Bank vor seinem Haus, welches selbstverständlich ein Langhaus war. Nur dem Adel und anderen hochrangigen Persönlichkeiten stand so ein Haus zu. Ansonsten unterschied es sich nicht wesentlich von den anderen Häusern des Dorfes: Die Wände und das Dach waren aus ineinander geflochtenen Haselnusszweigen gefertigt. Die Wände wurden mit Lehm verputzt und das hohe, spitz zulaufende Dach war mit Stroh gedeckt. Der unheimliche Schwarze Stein ragte im Hintergrund still und einsam auf und wartete auf Bittsteller. Als Niam näherkam, sah Laoghaire auf und blickte seiner kleinen Besucherin freundlich entgegen. Er konnte gar nicht anders, als freundlich und gütig sein, es lag einfach in seiner Natur. Aíne hatte dazu einst angemerkt, dass sie in den siebenhundert Jahresläufen ihres Lebens noch nie so einen zutiefst freundlichen und sanftmütigen Menschen kennengelernt hatte. Laoghaire schienen negative Emotionen wie Wut, Neid und vor allem Hass völlig fremd zu sein. Er bestand aus reinstem Wohlwollen, so erschien es den Leuten jedenfalls.

Welch eine absurde Lebensform. Oder auch nicht, vielleicht sind einfach alle andern etwas merkwürdig. Man weiß es nicht.

Diese außergewöhnliche Art ließ sich jedenfalls teilweise mit der Tatsache erklären, dass er ein Filid, ein Priester, war und der Gott, dem er angehörte, war niemand Geringeres als Aengus Mac Ind Og, der Sohn des Dagda, der der Schöpfer aller Dinge war. Und dieser Aengus stand für die eine Macht, die alle anderen besiegt und übertrifft:

Liebe.

Und Laoghaire verrichtete seine diesbezüglichen Aufgaben mit großer Ernsthaftigkeit. Als Niam etwas atemlos vor ihm zum Stehen kam, lächelte er sie an und winzige Lachfältchen bildeten sich um seine herrlich warmen, braunen Augen. Er arbeitete gerade an irgendeiner Schnitzerei, unterbrach dies aber, legte das Messer auf den Tisch und das schon bearbeitete Stück Holz daneben.

„Hallo, Laoghaire!", rief Niam, wobei sie die allgemeine Aufregung in ihrer Stimme nicht unterdrücken konnte. Der junge Priester schmunzelte und fuhr sich durch den kurz geschnittenen, blonden Bart.

„Sei mir gegrüßt, Kobold, was kann ich denn heute für dich tun?" Niam reckte ihm die kleine Phiole entgegen und sagte:

„Mama fragt, ob du das da mal angucken könntest und sagst, wie du es findest. Es ist eine Hustenmedizin. Und ich soll so lange warten, bis du dein Urteil abgegeben hast." Der unwillkürliche, schnelle Blick, den sie bei diesen Worten in Richtung des ersehnten Zieles, des Alten Waldes, warf, entging Laoghaires scharfem Verstand und seiner bemerkenswerten Menschenkenntnis allerdings nicht. Er hob kurz eine Braue und streckte seine geistigen Fühler aus, und richtig: Zwischen der allgemeinen Aufregung, die die Kleine beherrschte, fand er noch einige andere starke Gefühle: Vorfreude, Hoffnung, Zuneigung und nicht zuletzt auch unbestimmte Furcht. Sieh mal an, dachte er, traust du dich endlich, hm? Na, meinen Segen hast du. Es wird auch Zeit, dass ihn irgendwer aus seiner selbst gewählten Isolation herausbekommt und wenn nicht du, dann schafft es niemand.

„Na dann lass mal sehen, was deine Mutter hier zusammengebraut hat!", sagte er laut. Er betrachtete das Fläschchen gewissenhaft und entkorkte es schließlich. Der Geruch, der ihm in die Nase stieg, verriet beinahe alles. Und der Rest…er konzentrierte sich und da glühten die eigentlich braunen Augen kurz in hellem, leuchtenden Himmelblau…dann nickte er. Niam wartete gespannt.

„Nun ja…", sagte Laoghaire gedehnt, „so etwas nimmt natürlich Zeit in Anspruch…"

Er unterbrach sich, warf Niam einen kurzen Blick zu und wurde nicht enttäuscht. Ihr Gesicht wurde immer länger. Ein Grinsen gerade noch vermeidend fuhr er fort:

„Also, ich mache mich an die Arbeit. Du kannst gerne warten, aber ich denke, dass das für ein kleines Mädchen wie dich wohl doch recht langweilig sein dürfte. Ich schätze, zwischen zwei und drei Stunden wird es wohl dauern. Ich verstehe, wenn du diese Zeit lieber mit etwas anderem verbringen willst, etwas, das dich womöglich sehr viel mehr interessiert?" Wieder machte er eine demonstrative Pause und stellte fest, dass Niam vor Überraschung die Kinnlade heruntergefallen war. Laoghaire grinste, ruckte mit dem Kopf in Richtung des Alten Waldes und sagte trocken:

„Das dort zum Beispiel. Oder war das nicht dein Ziel?" Er spürte genau, wie neben Niams Aufregung auch eine wachsende Verlegenheit aufkam. Niam sah zu Boden und überlegte, was sie jetzt nur machen sollte. Er wusste es! Laoghaire wusste es! Und er hatte ihr eine direkte Frage gestellt, auf die sie ihm antworten musste. Wobei das Schlimmste daran war, dass sie nicht einmal lügen oder wenigstens flunkern durfte, denn das war verboten. Einen Druiden durfte man niemals belügen! Und man musste tun, was er befahl, immer und ausnahmslos. Und Niam ahnte, dass er ihr den Wald verbieten würde, wenn sie jetzt bestätigte, was er ohnehin schon wusste. Ihr war zum Heulen zumute. Endlich hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und nun das!

Laoghaire hatte die Kleine nicht aus den Augen gelassen und beschloss nun, dem Ganzen ein Ende zu setzen.

„Also", begann er leichthin, „ich wundere mich ja, dass du nicht schon früher auf diese Idee gekommen bist. Ehrlich gesagt, es wurde auch langsam Zeit." Und dann wartete er.

Niam glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Hatte er ihr eben tatsächlich erlaubt, den Wald zu betreten? Hatte er es sogar…erwartet? Sie sah zaghaft auf und blickte in Laoghaires sanfte, braune Augen und als er ihr verschwörerisch zuzwinkerte, da verstand sie und lächelte strahlend.

„Danke, Laoghaire", rief sie glücklich. Er grinste und erwiderte:

„Oh, keine Ursache." Dann wurde er wieder ernst.

„Eines musst du aber über ihn wissen, Kobold: Er ist nicht leicht im Umgang und das nicht nur deshalb, weil er zu viel trinkt. Und ja: Er ist abweisend und unfreundlich. Und vermutlich wird er dich, sobald du einen Fuß in sein Reich gesetzt hast, einfach wieder hinauswerfen. Es könnte auch sein, dass er laut wird. Zimperlich wird er jedenfalls nicht sein. Oder, und das ist ebenso wahrscheinlich, du bekommst ihn gar nicht erst zu Gesicht. Hast du dies alles bedacht?"

Niam war nähergetreten und hatte aufmerksam gelauscht. Jetzt sah sie etwas besorgt aus.

„Nein", bekannte sie leise, „habe ich nicht." Dann setzte sie sich mit angezogen Knien vor Laoghaire auf den Boden und sah ihn frustriert an.

„Was soll ich denn jetzt machen?"

Das Fläschchen hatte sie unterdessen vollkommen vergessen, sonst wäre ihr aufgefallen, dass Laoghaire es überhaupt nicht mehr beachtete.

Er lehnte sich zurück und fuhr noch einmal durch seinen Bart.

„Nun, du gehst natürlich trotzdem. Wenn du einen Rat willst: Lass dir keine Angst machen, er wird genau das versuchen, eben um dich zu verschrecken. Aber ich verspreche dir, er meint es nicht so. Er ist nur so abweisend, weil er niemanden mehr an sich heranlassen will. Alle Gründe dafür kenne ich nicht, jedoch einige – ich glaube aber, dass alles zusammengenommen recht schwerwiegend ist.“ Laoghaire hielt kurz inne und Niam schien es so, als wäre er mit seinen Gedanken weit weg. Schließlich fuhr er fort:

„Weißt du, die Wahrheit ist, er mag Kinder. Und…naja, um ehrlich zu sein, ich denke, er hat eine Schwäche für alle irgendwie niedlichen und schützenswerten Lebensformen, egal auf wie vielen Beinen sie sich fortbewegen."

Niam hatte interessiert zugehört und jetzt erwiderte sie einigermaßen erstaunt:

„Woher weißt du das alles denn so genau?"

„Nun, ich kenne ihn. Jedenfalls besser als jeder andere hier, einschließlich deiner Mutter", erwiderte er trocken. Der Kleinen blieb ob dieser unglaublichen Eröffnung einmal wieder der Mund offen stehen. Und dann platzte sie heraus:

„Woher? Warum? Oh, Laoghaire, bitte erzähl!" Der junge Mann lachte und sagte die Hände hebend:

„Schon gut, schon gut, ich erzähl's dir ja.“ Er dachte kurz nach und zwirbelte dabei eine Strähne seines langen Haares zwischen den Fingern. Schließlich begann er:

„Also pass auf: Es fing vor langer Zeit an. Ich habe einmal einen Jungen gekannt, vier Jahresläufe älter als du heute, und der war der Schüler eines Druiden. Nur musste er sein Elternhaus und seinen Clan verlassen, um bei seinem neuen Meister zu leben. Der Junge hatte Angst, nicht vor seinem Meister, der ein erstaunlicher und wunderbarer Mann war, nein, Angst vor der Fremde. Ehrlich gesagt: Der Junge war an sich ein echter Angsthase, ganz furchtbar! Und zu allem Überfluss stand auch noch das alljährliche Druidentreffen auf Môn an. Du weißt, in den zwei Wochen vor und nach Litha, der Sommersonnenwende, findet die Zusammenkunft statt?"

Niam nickte gespannt.

„Gut", fuhr Laoghaire fort, „und da war der Junge also: Inzwischen elf Jahresläufe alt, immer noch ängstlich, unsicher, kaum Selbstvertrauen und dann auch noch das Treffen. Denn sein Meister hatte verfügt, dass der Junge IHM begegnen sollte: Cathbad dem Zauberer, Oberhaupt aller Druiden und Oberster Richter Érenns, unserer schönen Insel, die wir heute Irland nennen. Du kannst dir vorstellen, dass der Junge eine Heidenangst vor Cathbad hatte. Das galt eigentlich für jeden und tut es heute noch, wenn ich so darüber nachdenke. Nun ja, einige Ausnahmen gibt es dann doch, mich zum Beispiel oder Myrddin Emris, Deirdre und Fiona, die in seiner Abwesenheit die Geschicke Môns lenken. Wie dem auch sei, Gormal, der Lehrer des Jungen, befahl nun, dass er zu Cathbad gehen und mit ihm sprechen sollte. Du ahnst vermutlich, dass der Junge davon nicht begeistert war. Ganz im Gegenteil: Seine Ängste verstärkten sich immer mehr, allein der Gedanke, vor diesem riesigen, düsteren Mann stehen zu müssen, sorgte für Panikanfälle. Aber es half nichts, Gormal hatte gesprochen. Er meinte, der Zauberer würde die Ängste wegnehmen, er würde einfach alles wieder zum Guten wenden. Also machte sich der Junge auf den Weg zum abgelegenen Haus des Zauberers, ein Haus ganz aus Stein gewachsen, und ich meine gewachsen, nicht etwa gebaut. Er war da, das konnte man daran erkennen, dass der Eingang nicht verschlossen war. Der Junge trieb sich einige Zeit lang unschlüssig vor dem Haus herum und traute sich nicht, hinein zu gehen. Eine ganze Weile ging das so und dann hörte der Junge von drinnen die Stimme. Und er hörte:

Jetzt komm endlich rein, sonst läufst du noch eine Furche in den Boden. Der Junge, obgleich immer noch ängstlich, konnte gar nicht anders, als zu gehorchen, die Stimme war zwingend, niemand hätte ihr wiederstehen können. Und was dann geschah, erstaunte den Jungen. Der Zauberer, obwohl immer grimmig und abweisend, sprach sanft und gütig mit ihm, lange und geduldig. So lange bis der Junge Zutrauen fasste. Er blieb den gesamten Tag bei Cathbad. Und den darauffolgenden auch. Er blieb so lange, bis alle Ängste wie weggeblasen waren. Der Junge fuhr völlig verändert mit seinem Meister nach Hause, glücklich und voller Selbstvertrauen. Und als es im nächsten Jahr wieder nach Môn gehen sollte, da freute sich der Junge sehr auf den Zauberer. Und tatsächlich: Wieder war er sanft und verständnisvoll, geduldig und einfach wunderbar. Es war in dieser Zeit, als der Junge zum ersten Mal die Schwermut und Düsternis im Gemüt des Zauberers wahrnahm und das stimmte ihn traurig und nachdenklich. Gormal hatte ihm erklärt, dass darin, also im Erspüren von Emotionen, sein besonderes Talent lag. Naja, so vergingen die Jahre und irgendwann erlaubte der Zauberer nicht mehr, dass der Junge, aus dem langsam ein Mann wurde, ihn weiter besuchte. Gormal war traurig darüber und sagte, dass die Zeit die Dinge ins rechte Lot bringen würde, der Junge solle bloß Geduld haben.“ Laoghaire seufzte leise und ein kurzes, trauriges Lächeln umspielte seine schönen Züge.

„Aber was ist denn nun aus dem Jungen geworden? Geht es ihm gut?", hakte Niam gespannt nach.

Laoghaire grinste breit.

„Kann mich nicht beklagen, danke der Nachfrage." Seine Augen funkelten, als er Niam ansah. Die riss die Augen auf und stotterte:

„Du…du bist der Junge? Uiii…!"

„Allerdings. Und bevor du fragst: Ich habe ihn tatsächlich das letzte Mal wieder auf Môn gesehen, allerdings nicht gesprochen, leider, und das war vor neun Jahresläufen", fügte Laoghaire mit einem Seufzer echten Bedauerns hinzu und sah bekümmert in Richtung des Alten Waldes. Und da wurde Niam etwas klar:

„Du hast ihn auch gern, so wie ich, stimmt`s?", fragte sie aufgeregt.

„Stimmt", bestätigte Laoghaire schmunzelnd. „Kann`s nicht leugnen.“

Niam kratzte sich nachdenklich am Kopf.

„Aber, Laoghaire“, erklärte sie, „bist du nicht traurig gewesen, als er dich fortgeschickt hat? Ich wäre es ganz bestimmt!“

Der junge Priester lächelte schwach.

„Ja“, seufzte er, „war ich. Bin ich immer noch, um ehrlich zu sein. Ich weiß nicht, was es ist, aber…ja, er bedeutet mir eine ganze Menge, das ist sicher. Damals war ich heilfroh, dass Gormal da war. Er hat mich getröstet, mir erzählt, dass sich alles schon fügen würde. Ich wollte es unbedingt glauben, weißt du, konnte es aber nicht. Und dann stell dir meine Überraschung vor, als der Zauberer mich hierher zu euch gerufen hat.“ Laoghaire schüttelte angesichts dieser Erinnerung immer noch fassungslos den Kopf.

„Ich dachte, ich träume. Und ja, ich freute mich sehr, habe seit ich vor einem Jahreslauf bei euch ankam, immer auf ein Wiedersehen gehofft. Es sollte wohl nicht sein. Aber wer weiß“, fügte er mit einem langen Blick auf Niam hinzu, die konzentriert zugehört hatte, „vielleicht ist er bei dir anders. Irgendwann. Ich weiß, wie es sein kann, ihm zu begegnen und mir gefällt der Gedanke, dass du so etwas auch erfährst. Zudem hoffe ich, dass du ihn knacken kannst, etwas das ich nicht vermocht habe.“ Wieder zeigte sich ein trauriges Lächeln auf den ebenmäßigen Zügen des Priesters. Dann räusperte er sich.

„Also, was ist nun: Traust du dich oder lieber doch nicht?"

Niam schüttelte wild den Kopf. Sie war entschlossen und wollte auf keinen Fall einen Rückzieher machen.

Immerhin ging es um den Zauberer und eine Gwrach! Und Laoghaire hatte es sogar erlaubt. Er hatte sie ja sogar regelrecht dazu aufgefordert, den Zauberer zu suchen!

„Ich gehe auf jeden Fall, Laoghaire! Und stelle dir nur mal vor, ich schaffe es. Vielleicht…also, wenn er schon mit mir spricht, dann bestimmt erst recht mit dir, meinst du nicht auch?“

„Wer weiß, Kobold. Aber ja, es wäre möglich. Denk jetzt allerdings nicht an mich, such ihn, na los und erinnere dich an das, was ich dir gesagt habe: Er ist schwierig. Ach ja, sag deiner Mutter bei Gelegenheit, ihr Trank ist gut. Nicht dass es wichtig wäre, geh du nur in den Wald."

Niam machte große Augen. Ihre Mutter schien es doch sehr wohl wichtig zu finden, immerhin hatte sie sie doch extra deshalb zu Laoghaire geschickt, oder nicht? Der grinste die Kleine an und nickte ihr bestätigend zu.

„Glaub mir. Es ist in Ordnung. Und zur Not schiebst du es auf mich." Dabei zwinkerte er Niam verschwörerisch zu. Da lachte sie und stürmte begeistert los. Was sie nicht mehr sah, war dass das Grinsen aus Laoghaires Gesicht verschwand. Es wurde durch ein sorgenvolles Stirnrunzeln abgelöst. Der junge Priester sah Niam nachdenklich hinterher. Naja, dachte er, keine meiner besten Ausreden, aber immerhin. Seltsam, nie habe ich ihm von dem Traum, den ich damals hatte, erzählt. Warum nur nicht? Warum habe ich das nicht fertiggebracht? Er seufzte. Hoffentlich schaffst du es, Kleine, wäre für uns alle besser. Und für ihn. Gerade für ihn. Wie schaffen es die Menschen nur, so nahe beim Wald zu leben und nicht zu spüren, wie es ihm geht? Diese Düsternis, sie ist selbst gewählt und dient als Schild, als Panzer. Sobald ihm jemand zu nah kommt, weist er ihn von sich. Vielleicht ist Niam der Weg. Irgendetwas ist da jedenfalls zwischen diesen beiden, das fühle ich deutlich. Wir werden es sehen. Laoghaire erhob sich und betrat sein Haus.

Aengus, der Gott, dem er diente und der unmittelbar, jedoch unsichtbar, neben ihm stand, sah ihm interessiert bis wohlwollend nach und nickte zufrieden.

Jäger der Finsternis

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