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Worms

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Inhaltsverzeichnis

Beiläufig sagte Luther in seiner Babylonischen Gefangenschaft der Kirche, man solle Ketzer nicht mit Feuer, sondern mit dem Wort überzeugen wollen. Diese Ansicht mochte mancher von den Ketzern haben, die verbrannt wurden; der rechtgläubigen Menge war es selbstverständlich, daß Irrgläubige mit dem Feuertod bestraft wurden; war das doch seit 1236 Reichsgesetz. Denn den Grundsatz, gewaltsam eine einheitliche Weltanschauung herzustellen, befolgten Kirche und Staat gemeinsam. Er hatte Karl den Großen zu Grausamkeiten verleitet, der die Einheit seines aus widerstrebenden Elementen zusammengesetzten Reiches mit despotischen Mitteln erzwang. Für die Staatsleiter war die Meinung maßgebend, Untertanen ließen sich leichter regieren, leichter als kompakte Masse handhaben, wenn sie den gleichen Glauben hätten, also in den höchsten die Menschheit bewegenden Fragen übereinstimmten. Der Standpunkt der Kirche war idealer; denn, obwohl auch hier das Herrschenwollen mitsprach, so kam es doch vielen Priestern darauf an, die offenbarte Wahrheit, zu deren Hüter sie berufen waren, so weit wie möglich zu verbreiten. In den Völkern kam ihnen die Mehrzahl der Menschen darin bereitwillig entgegen, so daß sich die abendländische Welt der heidnischen gegenüber im gleichen Glauben verbunden fühlte. Widerspruchslos herrschte der Glauben trotzdem nicht. Von den Anfängen der Kirche an traten Andersgläubige mit abweichenden Auffassungen auf, gegen welche die Kirche die ihrigen abzugrenzen und als allein gültig festzusetzen sich gezwungen sah. So entstanden nach reiflichem Abwägen, wobei die gelehrtesten Theologen und erfahrensten Priester sich ernstlich bemühten, die zutreffendste Formulierung für die übersinnliche Wahrheit zu finden, um die es sich handelte, die Dogmen; eins in das andere greifend, eins über das andere gelagert, stiegen sie auf wie Quadern zu einem mächtigen, unumstößlichen Gewölbe. Was einmal von der gesamten Kirche als Lehrsatz festgesetzt war, konnte nicht von neuem in Zweifel gezogen werden, ohne daß vieles andere, damit verbundene, gelockert wäre und damit die von der Kirche verkündete Wahrheit überhaupt angetastet wäre. Es war folgerichtig und ein streng festgehaltener Grundsatz, daß die Kirche sich auf eine Erörterung ihrer Lehrsätze niemals einließ; sie mußten schlechtweg geglaubt, wenigstens bekannt werden. Gerade die religiösen Gemüter, denen es ein Bedürfnis war, sich in die religiösen Geheimnisse zu versenken, und die dem besonderen Lauf ihres Lebensweges entsprechend eine besondere Seite des Göttlichen erfaßten, fanden in der abgerundeten Formulierung des Dogmas kein Genügen, fühlten sich vielleicht sogar davon abgestoßen; solche konnten ungehindert ihren Gedankengängen folgen, solange sie sie nicht laut äußerten und solange sie sich nicht aus dem von der Kirche vorgeschriebenen Kreise entfernten. Traten sie aber in offenen Widerspruch zur Kirche, so wurde ihnen keine Verteidigung der als ketzerisch bezeichneten Sätze gestattet, nur der Widerruf verlangt. Im 12. und 13. Jahrhundert, als die Päpste eine übersteigerte Herrschaft ausbildeten, erließen sie eine Reihe von Bullen, die ein besonderes Verfahren zur Vernichtung der Ketzerei einführten, nämlich den Inquisitionsprozeß, und beanspruchten selbstverständlich für die ganze Christenheit dessen Gültigkeit. Sie wandten sich an die Regenten aller Länder, denn die Teilnahme des Staates war um so notwendiger, als die geistlichen Gerichte, der christlichen Milde entsprechend, deren Vertreter sie waren, keine Todesurteile aussprachen und vollzogen. Die Kaiser, die als oberstes weltliches Haupt der Christenheit vor allem in Betracht kamen, folgten wie alle anderen Regenten den päpstlichen Weisungen ohne weiteres und taten es in diesem Falle nicht ungern, da sie ja das Bestreben der Kirche, mit allen Mitteln eine einheitliche Weltanschauung zu erzwingen, durchaus teilten. Friedrich II., dem Ketzereien der ärgsten Art nachgesagt wurden, führte das Inquisitionsgericht durch Gesetze von 1220 bis 1239 förmlich im Reiche ein. An der Spitze desselben stand ein Inquisitor, der ein theologisch sehr gebildeter Mann sein sollte, was wegen der oft subtilen Unterscheidungen zwischen ketzerischer und rechtgläubiger Ansicht erforderlich war, und es wurden deshalb Angehörige des gelehrten Dominikanerordens bevorzugt. Der Inquisitor pflegte Beisitzer zu haben, war aber an deren Meinung nicht gebunden, sprach das Urteil ganz nach eigenem Gutdünken. Als Prozeßform unterschied man wohl Akkusations-, Inquisitions- und Denunziationsprozeß, aber da kaum jemals jemand den Mut hatte, offen mit einer Anklage aufzutreten, bildete in der Regel Denunziation die Grundlage. Dem Angeklagten sollte gestattet sein, einen Angeber zurückzuweisen, der sein persönlicher Feind war; da ihm aber die Angeber nicht genannt wurden, war dieser Schutz des Gesetzes eine Täuschung. Ebenso wurde die vom Gesetz vorgesehene Bestrafung falscher Angeber nie vollzogen. Ein Verteidiger wurde dem Angeklagten nicht gestattet. Die Fragestellung war so gekünstelt, setzte eine solche Gewiegtheit in theologischen Spitzfindigkeiten voraus, daß der unglückliche Johann von Wesel, ein berühmter Professor, vor dem Inquisitionsgericht ausrief, bei solchem Verfahren würde auch Christus als Ketzer verdammt werden. Die gesamte Habe verurteilter Ketzer wurde eingezogen ohne Rücksicht auf deren rechtgläubige Kinder. Auch die Unfähigkeit Ämter zu bekleiden, ging auf die Nachkommen des Ketzers über. Eigens war der Inquisitor angewiesen, sich durch die Klagen des Opfers nicht rühren zu lassen. Er konnte andererseits, sowie er nach Belieben die Strafe verschärfen konnte, auch Milde walten lassen und tat es zuweilen, ohne daß ein ersichtlicher Grund vorgelegen hätte, wenn es für die Zwecke der Kirche ersprießlich schien. Denn der verderbliche Grundsatz war aufgestellt worden, daß das als Recht zu betrachten sei, was der Kirche nütze. Sowie aber der Rechtsgrund irgendwo anders gesucht wird als im Rechte selbst, entscheidet Willkür und parteiliches Interesse. Durch diese Auflösung des Rechtsbewußtseins, durch die Anleitung zur Angeberei – wurden doch die Kinder angewiesen, gegen ihre Eltern auszusagen – wurde die Seele des Volkes, zu deren Errettung angeblich die Inquisition erdacht war, vergiftet und erniedrigt. Nicht nur, daß bösartige Menschen Gelegenheit fanden, den Gegenstand ihres Neides oder ihrer Rachsucht in sicheres Verderben zu stürzen, daß Menschen angeleitet oder gezwungen wurden, gegen ihre Nächsten auszusagen, daß der Angeklagte selbst aus Angst vor unerträglichen Qualen zum Heuchler wurde, man benutzte auch die bekehrten Ketzer, sei es, daß sie wirklich überzeugt waren, oder daß sie sich anstellten, als wären sie es, um die ihnen bekannten Ketzer zu bekehren oder anzugeben. Bekehrte Ketzer waren die besten Werkzeuge der Inquisition.

Die Regenten Deutschlands nahmen an der neuen Art des geistlichen Gerichts, das dem germanischen Rechtsgedanken in verschiedener Hinsicht widersprach, keinen Anstoß, wohl aber empörte sich das Volk dagegen. Nach germanischem Recht fanden Beisitzer das Urteil, die des Angeklagten Standesgenossen sein sollten. Ohne Ankläger fand kein Verfahren statt, und der Ankläger setzte sich persönlich als Vertreter seiner Klage ein. Frauen, Kinder und Gesinde des Angeklagten wurden nicht als Zeugen zugelassen. Der Widerwille gegen die römische Einrichtung führte zur Ermordung des Inquisitors Konrad von Marburg und eines seiner Gefährten; aber es ist ein Irrtum, zu meinen, damit habe die Inquisition in Deutschland aufgehört. Im Gegenteil wurde sie durch Karl IV. ausgebildet und sogar verschärft. Es ist bezeichnend für die Verschlagenheit dieses Kaisers, daß er bestimmte, von dem eingezogenen Vermögen des Ketzers solle ein Drittel dem Inquisitor, ein Drittel den Städten zufallen. Dadurch bekamen die Städte, die ursprünglich der Inquisition abgeneigt waren, ein Interesse daran, das heilige Gericht zu unterstützen. Daß der Inquisitor, der Kläger und Richter in einer Person war, aus der Verurteilung der Angeklagten finanziellen Gewinn zog, sollte später, in den Hexenprozessen, entsetzliche Folgen haben.

Schwoll auch die Inquisition in Deutschland nicht zu einer so unentrinnbaren Maschinerie an wie später in Spanien, so arbeitete sie doch, trotz vereinzelten Widerstandes im allgemeinen gebilligt, rüstig weiter. Vielleicht wäre der Widerstand wirksamer gewesen, wenn die Ketzer hochstehende, einflußreiche Personen gewesen wären; aber es waren überwiegend kleine Leute, um deren Schicksal die Mächtigen sich nicht bekümmerten. Die meisten waren Handwerker, Weber besonders, Menschen, die einen gewissen Grad von Bildung besaßen und doch nicht so begütert waren, daß ihr religiöses Bedürfnis in weltlichen Genüssen untergegangen wäre. Die Inquisition, die an ihrem sittlichen Wandel nichts aussetzen konnte, warf ihnen vor, daß sie ohne Unterlaß arbeiteten, lernten und lehrten und deshalb zu wenig beteten. Die kirchlichen Zeremonien genügten ihrer Nachdenklichkeit nicht; vielleicht beförderte auch das Zunftwesen die Neigung zur Sektenbildung. In diesen Kreisen gewannen die Hussiten Einfluß und vermischten sich mit den niemals ganz verdrängten Waldensern, namentlich in den an Böhmen grenzenden Gebieten: Österreich, Sachsen, Franken.

Als nun in Luther das Wesentliche der ketzerischen Ideen zusammenströmte und er laut und öffentlich sich für sie einsetzte, sah es aus, als könne er der Inquisition so wenig entgehen wie Huß oder Johann von Wesel oder Dränsdorf und viele andere. Allerdings hatte er den Vorteil, daß er durch seine Predigt das Herz seines Landesherrn gewonnen hatte und ein angesehener Professor an dessen Universität war; aber in derselben Lage hatte sich Huß befunden. Hinter Huß hatte die gesamte Bevölkerung eines Landes einmütiger gestanden, als die Deutschen für Luther waren. Ein Bedeutendes aber konnte Luther zugute kommen: die veränderte Einstellung der Nation und des Staates zur Kirche. Besonders durch die Humanisten war das nationale Selbstbewußtsein so gesteigert, daß die Abhängigkeit von einer Macht, die so häufig ihren nicht universalen, sondern ausländischen Charakter verraten hatte, unwillig ertragen wurde; die staatlichen Gewalten aber waren in ihrem Streben nach Zusammenfassung und Abrundung ihrer Landeshoheit durch die kirchlichen in ihr Territorium eingreifenden Rechte gestört und fühlten sich stark genug, auch die geistige Leitung ihrer Untertanen in die Hand zu nehmen. Wenn auch der mächtige junge Kaiser von dieser nationalen und staatlichen Gesinnung erfaßt wurde, konnte Luther hoffen, dem Feuertode zu entgehen.

Merkwürdig, wieviel Freiheit doch im Mittelalter neben Zwang und Gebundenheit war. Die vielen selbständigen Mächte, die es gab und die oft untereinander verfeindet waren, ermöglichten es Bedrohten und Verfolgten, irgendwo Schutz zu finden. Selbst Gebannten und Geächteten eröffnete sich noch ein Asyl, wie Gregor von Heimburg erfahren hatte. Der Gegensätze waren so viele, daß leicht einer nützlich und wertvoll fand, was einem anderen schädlich schien. Es ist nicht zu leugnen, daß Luther und Hutten den Bann der Kirche, die höchste Macht in der Christenheit, durch öffentliche Angriffe geradezu herausgefordert hatten; trotzdem wäre Hutten im Dienst des Kurfürsten von Mainz geblieben, wenn der Papst seine Entlassung nicht gefordert hätte, und Luther blieb hochgeschätzter Professor in Wittenberg, erhielt sogar freies Geleit, um sich auf dem Reichstage vor dem Kaiser zu verantworten. Auch das freie Geleit war eine Einrichtung, die den damit Begnadeten für eine jeweils bestimmte Zeitdauer aus allen Gefahren, Gesetzesfolgen, Angriffen heraushob, ihn gleichsam mit einem rettenden Gewölk umhüllte, wie die Götter es einst für ihre Lieblinge in der Schlacht bereit hatten. Allerdings war Huß das Geleit nicht gehalten worden; aber trotz der Begründungen, die den Ruf Kaiser Siegmunds sicherstellen sollten, war man allgemein der Ansicht, er habe großes Unrecht getan, indem er Hussens Verbrennung zuließ, und habe damit seinen söhnelosen Ausgang und den frühen Tod seines Enkels verschuldet. Manches ließ vermuten, daß dem Kaiser selbst nicht wohl bei seinem Wortbruch gewesen sei, und es war anzunehmen, daß sich ein solcher nicht wiederholen würde.

Am 28. Januar 1521 eröffnete Karl V. den Reichstag zu Worms, der eine Art Fortsetzung des berühmten von 1495 sein sollte. Die Reichsreform und die Kirchenreform, von denen damals die erste wenigstens in Angriff genommen war, sollten endlich durchgeführt werden. Das Fehdeverbot, dem dauernd zuwidergehandelt worden war, wurde von neuem verkündigt, das Reichskriegs- und Reichssteuerwesen wurde geordnet. Mit gänzlicher Beiseitesetzung des Gemeinen Pfennigs, der die Bevölkerung unmittelbar mit dem Reich verbunden hätte, wurde auf die alte sogenannte Matrikel zurückgegriffen, die auf die Stände je nach ihren Einkünften verteilt wurde. Auf Grund derselben wurde eine Einheit festgesetzt, die man Römermonat nannte, was eine bestimmte Anzahl Reiter- und Fußsoldaten bedeutete; entweder diese oder das zu ihrer Ausrüstung nötige Geld hatte der betreffende Stand zu liefern. Die Veranlagung nach Römermonaten hat bis zum Ende des Reiches gedauert.

Dorniger war die Frage des Reichsregiments, das, trotzdem zwei so charakterfeste Männer wie der Kurfürst Berthold von Mainz und der Kurfürst Friedrich von Sachsen sich dafür eingesetzt hatten, an Maximilians Widerstand gescheitert war. Der Wunsch der Fürsten, dem Reich eine ständische Spitze statt einer monarchischen zu geben, war inzwischen eher gewachsen, da sie einem Kaiser gegenüberstanden, der über eine ungeheure Macht verfügte; er konnte die deutschen Fürsten in unabsehbare Ziele verwickeln und ihnen große Opfer dafür auferlegen. Sie hofften, mit dem Jüngling, der ohnehin durch die Wahlkapitulation gebunden war, leichter fertig zu werden als seinerzeit mit dem unberechenbaren, aufbrausenden Maximilian. In den ersten Wochen, als noch nicht alle Teilnehmer des Reichstages eingetroffen waren, konnten sie bewundern, mit welch gewandter Kraft sich der junge Kaiser als Reiter und Fechter in den Ritterspielen hervortat. Als dann die Verhandlungen begannen und die Frage des Reichsregiments vorgenommen wurde, offenbarte er seinen Willen zu herrschen. Er hatte nichts gegen ein Reichsregiment; aber es sollte erstens nur in seiner Abwesenheit tagen, und es sollte eine von ihm abhängige Körperschaft werden. Das Reich, sagte er, könne nur einen Herrn haben, und das sei der Kaiser. Er hatte nichts von der reizbaren Heftigkeit seines Großvaters, nicht dessen leichte Laune und bald bezaubernde, bald verwirrende und erschreckende Beredsamkeit; aber er hatte Besonnenheit und Selbstbeherrschung und war in einem ganz habsburgisch, in dem maßlosen, wahnhaften und dabei natürlichen, selbstverständlichen Herrenbewußtsein.

Von allen Dynastien Europas ist die habsburgische die interessanteste, und keine hat wohl einen so sehr in allen ihren Gliedern ausgeprägten Charakter. Die Mischung von phantastischer Grandezza und künstlerischer Freiheit, ja Leichtigkeit vereinigt sich zu einem unaussprechlichen, musikalisch schwingenden Reiz. Das Kaisertum, bei ihnen eine erblich gewordene, angeborene Eigenschaft, gab ihnen Gelegenheit, das Leben großartig aufzufassen; daneben aber zeichnete sie eine Neigung zu häuslicher Zurückgezogenheit und zur Pflege warmer menschlicher Beziehungen aus. Das Übermaß an Erbe schien ihnen keine Last zu sein, sie trugen es mit elastischem Schritt; nur zuweilen verriet sich ein Element verführerischer Schwermut. Das Bewußtsein, sich in einem Raume außerhalb der Menschen zu befinden, war so fest in ihnen, daß sie sich in liebenswürdigem Sichgehenlassen zwischen den Menschen bewegen konnten, ohne daß sie Gefahr gelaufen wären, dadurch zu unerwünschter Vertraulichkeit zu ermutigen. Damals machte Karl wohl zuweilen den Eindruck, als sei er schlaff und gleichgültig, als lasse er seine Räte für sich regieren; aber sicherlich war sein Herrenbewußtsein vollkommen ausgebildet. Noch hatte das Ringen um das Reichsregiment zu keinem Ergebnis geführt, als die Ordnung der Lutherischen Häresie zur Sprache kam.

Der Kaiser hatte, um sich dem Kurfürsten von Sachsen liebenswürdig zu erweisen, versprochen, Luther auf dem Reichstage anzuhören; aber als der Reichstag eröffnet war, änderte sich die Lage. Von päpstlichen Abgesandten umringt, war er hier stets daran gemahnt, daß er geschworen hatte, die Kirche und den Papst zu schützen. Er war willens, das zu tun, soweit es mit seinen staatsmännischen Interessen vereinbar war. Nun hatte der Papst eben in einer Spanien angehenden Sache seinen Wünschen Rechnung getragen. In Spanien nämlich war die Inquisition ganz vom König abhängig: ihm fielen die eingezogenen Güter der Ketzer zu, sie diente dem königlichen Absolutismus. Auf Bitten der arragonesischen Stände hatte sich der Papst bereit finden lassen, die Inquisition dem gemeinen Recht Spaniens gemäß zu ändern, was eine Einschränkung des königlichen Einflusses bedeutete. Karl, dem das unerträglich war, drängte den Papst so sehr, diese Bewilligung zurückzunehmen, daß Leo X. sich endlich dazu bequemte. Um sich seinerseits erkenntlich zu zeigen, erklärte sich der Kaiser bereit, Luther nicht in Worms vernehmen, sondern ihn ohne Verhör verurteilen zu wollen. Das zu tun entsprach dem Recht, denn dem päpstlichen Bann hatte die kaiserliche Acht zu folgen, und auch des Kaisers Neigung, der nicht das allermindeste Interesse für theologische Untersuchungen hatte. Er konnte nicht recht begreifen, warum sich Leute damit abgaben. Wenn Maximilian, wie behauptet wird, gesagt hatte, man möge Luther gut verwahren, um ihn etwa einmal gegen den Papst auszuspielen, so lag dieser Gesichtspunkt seinem mächtigen Enkel fern. Zum Glück für Luther konnte der Kaiser nicht ohne die Kurfürsten entscheiden. Die drei geistlichen und Brandenburg stimmten ihm zu, Sachsen aber und Pfalz widersprachen. Nach erbittertem Streit im Kreise der Kurfürsten, bei dem es fast zu Tätlichkeiten gekommen wäre, siegte die Minderheit. Da die Frage des Reichsregiments noch nicht gelöst war, kam man überein, daß es besser sei, den Kaiser nicht durch Nachgiebigkeit zu stärken. Sie stellten ihm vor, daß das Volk nicht vom Aufruhr zurückzuhalten sein würde, wenn man Luther ohne Verhör verurteilte. Das einfachste sei, ihn nach Worms zu laden, nicht um mit ihm zu disputieren, sondern um ihn zu veranlassen, daß er seine ketzerischen Bücher widerrufe; dann könnten seine guten erhalten bleiben. So erließ denn Karl am 6. März die Ladung an den »ehrsamen, lieben, andächtigen Martin Luther« nach Worms, damit Kaiser und Reich über seine Bücher Auskunft erhalten könnten. Alle die Fürsten, deren Gebiet Luther auf seiner Reise berühren mußte, fügten besondere Geleitsbriefe bei. Es war eine empfindliche Niederlage des Papstes: nachdem er bereits das Urteil gesprochen hatte, maßten Kaiser und Stände sich an, die geistliche Sache von neuem zu untersuchen. Der päpstliche Legat Aleander, der schon gesiegt zu haben glaubte, war außer sich. Der kluge, scharfblickende Italiener fühlte, wie die Atmosphäre in Deutschland sich verändert hatte, aus unsichtbaren Hinterhalten zückte es, blitzte es, schlich es feindselig gegen ihn heran, es war ihm, als wage er sein Leben, wenn er sich öffentlich zeigte. Das Schlimmste war zu erwarten, wenn der Kaiser, dessen Rechtgläubigkeit bis jetzt außer Zweifel stand, der Ketzerei nachgäbe.

Aufgeregte, gereizte Spannung herrschte nicht nur unter den Vertretern des Papstes in Worms, sondern im ganzen Reiche. Handelte es sich erst um die Frage, ob Luther auf dem Reichstage erscheinen dürfe, so hernach um die angstvollere: Wird er widerrufen oder nicht? Wenn er widerruft, werden seine Anhänger ihn ermorden? Wenn er nicht widerruft, wird er ausgeliefert und verbrannt werden? Sofort oder nach Ablauf des Geleits? Wie wenn ein Feldherr nach gewonnener Schlacht zurückkehrt, solch ein Jubel und solch eine Neugierde bewegte die Gegenden, durch welche der Planwagen fuhr, in dem Luther und seine Gefährten, der Dompropst Nikolaus von Amsdorff und ein pommerscher Edelmann, der Student Peter Swaven, nach Worms fuhren. Die beiden hatten nicht wie Luther freies Geleit; sie setzten ihr Leben aufs Spiel, indem sie sich ihm anschlossen. Die Reise, die vielleicht am Scheiterhaufen endete, glich einem Triumphzug. In Erfurt, der Stadt reich an Erinnerungen, empfing ihn am Tore die Universität, an ihrer Spitze der Rektor Crotus Rubeanus, sein und Huttens alter Freund, der witzige Verfasser der Dunkelmännerbriefe. Alle wollten Luther sehen, ihn berühren, ihm Heil wünschen. Und doch, würden diese Begeisterten nicht mit derselben Begierde herbeiströmen, um ihn im Feuer verbrennen zu sehen?

Ein schreckhafter Augenblick war es für Luther, als ihm das kaiserliche Mandat vor Augen kam, das allen Behörden befahl, seine Bücher zu verbrennen. Also hatte der junge Kaiser bereits gegen ihn entschieden. Es wurde Luther wie vielen Deutschen schwer, den Glauben an einen Volkskaiser abzutun, der jedem das Seine geben würde. Aber was war das anders als ein Feind mehr? Er zählte sie nicht, ihm zählte nur sein Gott. Verlasset euch nicht auf Fürsten, sagte die Bibel, denn sie sind Menschensöhne, und es ist kein Heil bei ihnen. Und wenn so viele Teufel wie Ziegel auf den Dächern in Worms wären, er wollte doch hineinziehen, sagte er. Auch in Worms lief das Volk Luthers Wagen entgegen, dessen Nahen der Wächter vom Turme mit Hornstößen anzeigte: die einen wollten den Gesandten Gottes, die anderen den großen Häresiarchen sehen, der Papst und Kaiser herauszufordern wagte. Das Getümmel, das ohnehin des Reichstags wegen in Worms herrschte, verdichtete sich um ihn herum, drängte bis in die Herberge, wo er mit seinen Begleitern abstieg und bis in sein Zimmer. Selten war er allein; die ihm wohlvertrauten Räte des Kurfürsten besprachen sein Verhalten mit ihm. Schon auf den folgenden Nachmittag um 4 Uhr wurde das Verhör festgesetzt. Vielleicht war es Befangenheit, daß Luther auf die ihm vorgelegte Frage, ob er widerrufen wolle, nicht antwortete, sondern Bedenkzeit erbat; wahrscheinlicher ist, daß er gehofft hatte, sich über seine Bücher äußern zu können und nun, da ihm das verwehrt wurde, Zeit gewinnen wollte, um seine Antwort danach einzurichten. Trotz des Unwillens der päpstlichen Partei wurde die Bitte gewährt; so kam es, daß Luther am folgenden Tage, es war der 19. März, zum zweiten Male vor dem Reichstage erschien. Hatte er das erstemal enttäuscht, so befriedigte er jetzt alle die, welche ihn bewunderten und auf ihn bauten. Er war fest und ruhig, im Kreise der Mächtigen der Überlegene. In der Zwischenzeit hatte er sich vorbereitet und antwortete mit straffer Zusammenfassung der Gedanken sachlich und voll persönlicher Glut. Er teilte seine Schriften nach ihrer verschiedenen Bestimmung ein, gab zu, daß er in seinen Streitschriften zu heftig gewesen sei, widerrief aber nichts. Indessen da er Mensch sei und nicht Gott, also irren könne, wolle er der erste sein, seine Bücher ins Feuer zu werfen, wenn er aus prophetischen und evangelischen Schriften eines Irrtums überführt werde. Den Aufruhr betreffend, den seine Schriften hervorrufen könnten, führte er das Wort des Herrn an: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.« Man solle sich hüten, fuhr er fort, daß man nicht durch Verdrängung des göttlichen Wortes dem jungen edlen Kaiser Karl eine unglückliche Regierung bereite. »Solches sage ich nicht, als ob so hohe Häupter meiner Lehre und Meinung bedürften, sondern weil ich mich dem Dienst nicht entziehen darf, den ich meinem Deutschland schuldig bin.« Als es gewünscht wurde, wiederholte er seine Rede in deutscher Sprache. Begreiflicherweise wollte sich die Versammlung auf eine Disputation nicht einlassen; deshalb wurde ihr Beauftragter, der Triersche Beamte Johann von Eck, angewiesen, Luther noch einmal zu ermahnen, und er tat das auf sehr eindrucksvolle Weise. Wenn Luther, sagte er zu ihm, neue, von ihm erfundene Häresien lehrte, würde der Papst gelehrte Männer schicken, um sie zu untersuchen und zu widerlegen. Seine Irrtümer aber wären die der alten Häretiker, der Waldenser, Pikarden, Wiclefiten, Hussiten und anderer, sie wären längst vom Papst und von den Konzilien verdammt. Man solle nicht in Zweifel ziehen, was die katholische Kirche rechtlich festgelegt habe, was in Brauch, Sitte, Herkommen übergegangen sei, was unsere Väter im Glauben festgehalten und wofür sie willig hundertmal den Tod erlitten hätten. Luther solle sich doch nicht anmaßen, allein derjenige zu sein, der die Schrift richtig auslegen könne.

Es war in den Worten Ecks etwas von dem Cusanischen Geiste, der, nachdem er alles durchdacht hat, was dem Verstande zugänglich ist, vor der abgründigen Leere schaudert, in der der Mensch nicht atmen kann und sich dankbar an den Felsen klammert, auf dem die Kirche als auf einem aus den Tiefen der Erde gewachsenen Fundament ihre Lehre aufgemauert hat. Ihre dichtgeschlossenen Fugen gewähren Schutz gegen den Zweifel; hier ist in Jahrhunderten die Weisheit der Erlesensten mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Volkes in Einklang gebracht. Am Schlusse seiner Rede forderte der Offizial Luther zu einer ehrlichen, nicht zweideutigen noch gehörnten Antwort auf, ob er die in seinen Büchern enthaltenen Irrtümer widerrufen wolle oder nicht.

Die eindringliche Wärme, mit der von Eck auf das historische Recht der Kirche hinwies, war geeignet, einen ernsten und einsichtsvollen Menschen zu erschüttern. Aber Luther hatte sich für diesen Augenblick gewappnet, er wehrte alles ab, was ihn nachdenklich machen, ihn rühren, seinen Kinderglauben hätte erwecken können. Mit der Unbeirrbarkeit des Berufenen, der auf eine Aufgabe verpflichtet ist, antwortete er: »Weil denn die geheiligte Kaiserliche Majestät und Eure Herrschaften eine schlichte Antwort von mir verlangen, so will ich eine Antwort geben ohne Hörner und Zähne, auf diese Weise: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder einleuchtende Gründe überführt werde – denn dem Papst und den Konzilien allein glaube ich nicht, da es feststeht, daß sie oft geirrt und sich selbst oft widersprochen haben –, so bin ich gebunden durch die von mir angeführten Schriftstellen, und mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort; widerrufen kann ich und will ich nichts, da wider das Gewissen zu handeln weder sicher noch ehrenhaft ist. Gott helfe mir, Amen.«

Auf den jungen Kaiser hatte Luther keinen anderen Eindruck gemacht als den, daß er sich nunmehr als hartnäckiger Ketzer erwiesen und die Folgen davon zu tragen habe. Am folgenden Tage ließ er dem päpstlichen Gesandten, den Kurfürsten und Fürsten eine von seiner eigenen Hand geschriebene Erklärung vorlesen, daß er seinen Vorgängern, den Kaisern, sich anschließen wolle. Alle seine Königreiche und Provinzen, seine Freunde, Leib und Leben, ja seine Seele wolle er für diese Sache einsetzen und fordere alle Fürsten auf, Luther auszuliefern, sowie das freie Geleit abgelaufen sei. Wer Luther ferner noch anhänge oder ihm Hilfe gewähre, den werde er für einen Ketzer ansehen. Den Fürsten dagegen hatte der mutige Mönch gefallen, seine Überzeugungstreue hatte manchen nachdenklich gestimmt. Selbst ein so gut katholischer und kaisertreuer Herr wie Erich von Braunschweig-Calenberg fühlte sich zu dem tapferen Manne hingezogen, der junge Landgraf Philipp von Hessen besuchte ihn, um ihm Sympathie zu zeigen. Friedrich der Weise fand seinen Professor reichlich kühn, war aber im ganzen doch mit ihm zufrieden. Allen leuchtete ein, daß sie sich die Gelegenheit, einen Druck auf den Papst auszuüben, nicht sollten entgehen lassen. Dieser Luther hatte das Volk und die Ritterschaft auf seiner Seite, die Unruhe in der Stadt, drohende Anschläge an der Kathedrale, bewiesen das. Wie wenn dieser gewaltige Mann die Beschwerden der deutschen Nation vor dem Papst verträte, die man seit 100 Jahren vergeblich wälzte? Gelang es, den ketzerischen Fleck aus seinem Programm auszumerzen, konnte der Mann ein Zauberwort sprechen, das die zerrissenen Glieder des Reiches zu einem verjüngten Körper zusammenschmolz, unüberwindlich gegen Kaiser und Papst. Trotz der Erklärung, die er soeben gegeben hatte, willigte der Kaiser ein, daß noch ein Versuch der Verständigung mit Luther gemacht werde. Ein Ausschuß wurde gebildet, an dessen Spitze der Erzbischof von Trier, Richard von Greifenklau, stand, der in Glaubensangelegenheiten keine Vorurteile hatte. Als ein hochgeborener Herr, dem die Formen der großen Welt geläufig waren, verkehrte er in liebenswürdiger Weise mit Luther, zog ihn zur Tafel und suchte ihm die Pläne der Fürsten ins beste Licht zu setzen. Bei den Verhandlungen kam man wieder auf das Konzil zurück, dem als höchste Instanz die verworrenen kirchlichen Dinge zur Ordnung sollten unterworfen werden. Luther sah voraus, daß ein Konzil die hussitischen Sätze, die zu Konstanz verworfen worden waren, wieder verwerfen würde, und der Erzbischof selbst gab das zu; das war für Luther Grund genug, unbedingte Unterwerfung unter ein Konzil abzulehnen. Verständigung war unmöglich; aber Luthers Abschied von den Herren, die mit ihm verhandelt hatten, war freundlich. Bevor er Worms verließ, wurde ihm von Seiten des kursächsischen Hofes mitgeteilt, daß er unterwegs zu seiner Sicherheit von Reitern würde überfallen und auf eine Burg geführt werden, wo er eine Zeitlang verborgen bleiben solle. Wenn auch ungern, fügte er sich doch dem Wunsche seines Landesherrn und reiste am 26. April mit seinen Gefährten ab.

Die Reichsversammlung tagte weiter. Am 25. Mai, zwei Tage, nachdem die Kurfürsten von Sachsen und Pfalz Worms verlassen hatten, lud der Kaiser die noch anwesenden Fürsten zu einer Sitzung auf das Rathaus ein. Als der Reichstag förmlich geschlossen war, geleiteten ihn alle zu seiner Herberge, wo er mit den Kurfürsten allein blieb. Hier ließ er ihnen ein Edikt vorlesen, durch welches Luther als offenbarer Ketzer von Kaiser und Reich geächtet wurde. Nicht nur sollten alle seine Schriften verbrannt werden, es wurde auch durch eine strenge Zensur dafür gesorgt, daß keine gegen den katholischen Glauben gerichtete Schrift künftig gedruckt werden könne. Alle Dichter, Schreiber, Maler, Drucker und Verkäufer, die dem Edikt zuwiderhandelten, wurden mit schärfsten Strafen bedroht, »damit die hochberühmte Kunst der Druckerei allein zu guten und löblichen Zwecken gebraucht und geübt werde.« Von Luther hieß es, daß er, mehr Teufel als Mensch, jegliche Ordnung zerstöre und alle längst verdammten Ketzereien in eine stinkende Pfütze versammelt habe, seine Lehre wurde als eine solche bezeichnet, die zu einem freien, gesetzlosen, viehischen Leben führe.

Die Kurfürsten hörten aufmerksam zu und der von Brandenburg sagte, für alle sprechend, daß sie das Edikt billigten. Am Tage darauf unterschrieb es der Kaiser und sagte dabei lächelnd in französischer Sprache zu Aleander: »Nun werdet Ihr doch mit mir zufrieden sein«. Die Martinische Ketzerei schien vernichtet.

Gesammelte Werke von Ricarda Huch

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