Читать книгу Perlen vor die Schweine - Rich Schwab - Страница 10
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... and life is not a song ...
Du bist selber schuld!«, schimpfte sie. Ihre Stimme klang zittrig, brüchig, als leide sie innerlich doch ein bisschen mit ihm – aber natürlich würde sie nicht eingreifen, natürlich würde sie ihn nicht retten. Das hatte sie einmal versucht, als er im Winter auf der im Hof gestreuten Asche knien musste, weil er mit Streichhölzern gespielt und ein Loch in die Tischdecke gebrannt hatte. Der Alte hatte sie geohrfeigt, grob an den Haaren herumgezerrt und sie ebenfalls dort knien lassen, zwei Stunden lang, frierend, mit schmerzenden Kniescheiben, schluchzend. Nein, sie würde ihm nicht helfen. Nicht helfen können.
Noch ein Löffel voll. Rhabarbergemüse mit Kartoffelbrei. Kalt – der Rest seines Abendessens. Von gestern. Da war der Junge nach mehreren Schlägen in den Nacken, nachdem ihm der Alte zweimal das Gesicht in den halb geleerten Teller gedrückt hatte, ins Bett geschickt worden, mit dem bekannten, gefürchteten Versprechen. Die halbe Nacht hatte er würgend wachgelegen, lautlos unter seiner Decke geweint, ein Erdbeben, einen Blitzeinschlag, eine Panzerarmee herbei gebetet.
Und selbstverständlich hatte der Alte es sich nicht nehmen lassen, ihn schon vor dem Morgengrauen aus dem Bett zu zerren, in die noch kalte Küche, während sie den Herd in Gang brachte. Hatte den Teller aus der Vorratskammer geholt, zum Glück nicht bemerkt, dass sie ein unauffälliges Häppchen davon schon hatte verschwinden lassen, die eklige rosarote Pampe auf den Küchentisch geknallt und ihn auf den Stuhl davor gedrückt.
»Und das isst du jetzt!« Und als Prophylaxe gleich zwei schmerzhafte Kopfnüsse dazu.
Drei Löffel hatte der Junge geschafft, den widerlichen Brei gekaut, fast eine halbe Stunde immer wieder und wieder im Mund umher gewälzt, bis er sich überwinden konnte, ein kleines Bisschen davon hinunterzuschlucken; klar wusste er, dass das Zeug nur immer ekliger wurde, je länger er das Schlucken hinauszögerte – aber die Angst, dass es sich wieder selbständig machte, seine Speiseröhre sich weigerte, es weiterzubefördern, sein Magen sich weigerte, es anzunehmen, war zu groß. Und dann war es ihm doch hochgekommen. So gerade noch schaffte er es, den Kopf zur Seite zu drehen. Schon einmal, im letzten Herbst – Breitlauch mit Graupen – war es ihm passiert, dass er, sich übergebend, den Teller getroffen hatte, und er hatte alles zusammen aufessen müssen – das schlimmste Frühstück seines Lebens.
Jetzt traf ihn eine Ohrfeige, die ihn seitlich vom Stuhl warf, aber bevor er sich unter dem Tisch verkriechen konnte, war die Hand da, packte das Fleisch an seinem Oberarm und riss ihn wieder hoch.
»Gottverdammter –« Draußen röhrte ein Lastwagenmotor, und eine heisere Hupe erklang zweimal.
»Ach, der Wolfi«, rief seine Mutter, bemüht beflissen, einen schrillen Unterton von Verzweiflung in der Stimme, von Hoffnung auf Erlösung. Sie packte die verbeulte Aluminiumdose mit den Butterbroten und die Kanne mit dem Getreidekaffee in die verschlissene braune Aktentasche, drei hartgekochte Eier. »Hier, ich tu’ dir zwei Äpfel dazu!« Der Alte schnaubte verächtlich, ging zum Vorderfenster und öffnete es.
»Ja zaraz wraca!«, schrie er hinaus. »Ich komme gleich!« Kam wieder zurück. »Jetzt mach, Junge, stell dich nicht so an«, tat er freundlich, »Rhabarber ist gesund! Willst doch groß und stark werden, oder? Komm, ein Löffel noch!« Griff sich die kleine Nase und hielt sie zu. Als der Junge, nach Luft schnappend, den Mund öffnete, schob er ihm einen gehäuften Löffel voll hinein. Hielt die Nase weiter fest im Griff, bis alles hinuntergeschluckt war. Ignorierte das Würgen, den Strom von Tränen.
»Na siehste, geht doch!«, sagte er zu beiden, gab dem Jungen noch einen harten Klaps auf den Kopf und der Mutter einen noch härteren auf ihr dürres Hinterteil. Schnappte sich seine Tasche und polterte hinaus.
Schnell griff die Mutter sich den abgestoßenen weißen Emaille-Putzeimer und hielt ihn dem Jungen vor das hochrote Gesicht, nur um die Nase herum noch weiß von den eisernen Fingern, und im hohen Bogen erbrach der sich in den Eimer, ein rot-grüner Schwall von Zerkautem und Galle, während ihm der Schweiß in dicken Tropfen aus der Stirn brach.
Keuchend hielt er inne.
»Groß und stark!«, flüsterte er. »Groß und stark! Wenn ich groß und stark bin, schlag’ ich ihn tot!«
Von draußen hörten sie das Gelächter der beiden Männer, dann knallte eine Wagentür, der Motor brüllte auf, und sein böses Grollen entfernte sich langsam, verlor sich im Grau des beginnenden Tages, im Knistern des Herdes, dem Ticken der großen Uhr auf dem Küchenschrank, dem Kratzen des Löffels, mit dem die Mutter den Rest des Essens in den Eimer schob, ihrem bebenden Atem.
»Dann musst du essen!«, kam es tonlos aus ihrem Mundwinkel, als sie sich wegdrehte und, den Löffel noch in der Hand, ein hastiges Kreuzzeichen über ihrer mageren Brust schlug.