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Was 'ne Woche

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»Ja, allerdings, mein Freund: Was ’ne Woche«, bestätigte ich meinem Spiegelbild noch einmal und bemühte mich, den Rallyestreifen zwischen meinen Koteletten zu rasieren, ohne mich umzubringen. Your face / Is drawing / Crazy patterns / On my mind*, sang Tom Rapp nebenan. »Wenn ich das nächste Mal abhebe und es meldet sich ein Herr Eisenmacher, sag’ ich ‚Falsch verbunden!’ und lege sofort wieder auf. Wie soll ich dich eigentlich nennen?«

»They call me Mister Pitiful«*, sang er. »Aber immerhin tausend Ocken! Plus Fahrgeld – da hast du doch nicht mit gerechnet, oder?« Hatte ich nicht. »Und dein Name auf dem Cover einer Platte, die sich wahrscheinlich deutlich mehr verkaufen wird als alle drei Penner’s Radio-Alben zusammen. Is’ doch auch was, oder?« War auch was. »Und trotz Kiffer-WG jeden Abend gemütlich angeschickert in die Koje. Hättste au’nich’ gedacht, hä?« Hatte ich auch nicht. »Und beinahe nicht mal immer alleine! Hättste damit gerechnet?« Nein, damit hatte ich allerdings überhaupt nicht gerechnet.

»Blödmann!«, knurrte ich. That’s how I got my fame, bellte Mr. Pitiful fröhlich …

»Wie, du hast keinen Schlafsack dabei?!«, hatte Sibylle sich gewundert, als der Schrat nach dem Essen wieder hereinkam und mein Gepäck neben einen der drei Kühlschränke pfefferte.

»Wusste nicht, dass ich hier neuerdings einen brauche«, klimperte ich sie an. Sie wurde rot und zerpflückte heftig ein Stück Kerzenwachs. Nicht besonders fair von mir, aber sie ging mir zusehends auf die Nerven, und das schon am ersten Abend. Dass sie gleich versuchte, mir ein Bündel Verhaltensmaßregeln für die Woche aufzudrücken, hätte ich ja noch lustig gefunden, wenn mir auch ihre Behauptung, Raimund sei jeden Morgen um acht mit Elvis eine Runde durch die Botanik gelaufen, schwer danach klang, als wollte sie bloß dafür sorgen, dass ich nicht wieder bis morgens um fünf mit dem Schrat und einem Kasten Bier um den Billardtisch herumhing. Dass ich während meines Aufenthalts einmal mit Kochen und einmal mit Abwaschen dran sei, war für mich sowieso selbstverständlich. Dass sie aber meinte, sich auch einmischen zu müssen, als wir anfingen, über die Stücke zu reden, auf denen ich trommeln sollte, ging mir entschieden zu weit. Darüber würde ich mit Hansi noch genügend Zoff kriegen, dafür brauchte ich die Weisheiten der Band-Mutti wahrhaftig nicht.

»Ich hab’ noch ’ne zweite Steppdecke«, sprang Paul ein.

»Alles klar«, sagte ich.

»Morgen nach dem Frühstück hören wir uns mal an, was wir bis jetzt auf Tape haben«, entschied Hansi, ganz der Kapellmeister, »und dann spielen wir dir mal vor, was an neuem Material da ist.«

»Un’ dann ’ne Jam-Session, ey!«, beteiligte sich Selmer. Super, dachte ich. Session hieß bei Selmer, der wiederum Selmer hieß, weil er nie ein Saxophon einer anderen Marke auch nur anfasste, dass er nach dem vierten Joint sein Echogerät nachjustierte, bis es klang, als hätte man fünf Fichtelgebirge hintereinander gestapelt. Dann trötete er in eins seiner Hörner, ein, zwei, vielleicht sogar drei Töne, lauschte erst mal ein paar Takte versonnen und weggetreten dem Weg der Echos hinterher, und erst, wenn von irgendwo in Freakistan eine Antwort kam und seinem vernebelten Hirn sagte, dass er es ruhig wagen könne, sich zu einem vierten Ton durchzuringen, kam er wieder auf den Teppich und an sein Mikrophon zurück.

Leider war es sein Ehrgeiz dabei auch, das Echogerät auf das Tempo des Stückes einzustellen, das gerade gespielt wurde. Was er allerdings höchst selten schaffte, bevor seine Mitspieler mal wieder einen der bei Jam Sessions üblichen und häufigen Tempowechsel vollzogen hatten.

Also beschränkte sich der kreative Beitrag des Saxophonisten die halbe Zeit auf ein kurzes Tuut, dem vom Bandecho eine lange Reihe schneller und wieder langsamer werdende tutututuutuuuutuuuutuututututs folgten. Versuch mal, zum Takt eines Metronoms einen Tischtennisball auf einen Steinfußboden fallen zu lassen.

Hinzu kam, dass auch Paul, an sich ein netter Mensch und ein klasse Gitarrist, zu später Stunde den Versuchungen des einen oder anderen Hallgeräts nicht widerstehen konnte und zu ein paar von seinen typischen merkwürdigen Akkorden – er spielte umgebaute Gitarren, an denen die tiefe E-Saite unten und die hohe oben lag – anfing, Gesang zu improvisieren. Wie gesagt, ein toller Gitarrenmann, aber sein Gesang klang wie Frl. Menken auf Rohypnol. Und sein Englisch war nicht halb so gut wie Rudi Carrells Deutsch.

Allerdings hatte er noch einen guten Grund, auf lange Gitarrensoli zu verzichten, und der hieß Hansi Hedegger. Und so spielte er auch. Häddäggähäddäggäddäggäddä hackte er mit einem riesigen, viel zu harten Plektrum aus Büffelhorn seine Sechzehntel auf den straff gespannten, viel zu dünnen Saiten seines Kramer herum, einer amerikanischen Bassgitarre, die zu allem Überfluss noch einen Hals aus Stahl hatte – kein bisschen naturhölzerne Wärme. Die Höhen und oberen Mitten seines Verstärkers waren bis zum Arsch aufgedreht, sodass sein Geschrabbel klang, als hämmerte jemand mit Moniereisen auf einem Sauerkrautfass herum. Vielleicht hatte das ja diesen englischen Journalisten zu dem Begriff Krautrock inspiriert. Zum Ausgleich, und weil ihm vielleicht in einer Auftrittspause doch noch jemand geflüstert hatte, dass er doch der Bassist sei, drehte Hansi auch noch alles zwischen achtzig und hundertachtzig Hertz bis hinten gegen – wenn er mal gelegentlich einen tiefen Ton ausklingen ließ, hatte man Angst, seinen Schlagzeughocker voll zu spratteln. Kam aber zum Glück selten vor.

Seine berühmten Sechzehntel waren so akkurat wie Millimeterpapier – allerdings erst zerknüllt und dann wieder aus dem Papierkorb gefischt und notdürftig geglättet. Wenn du als Schlagzeuger auch mal probiertest, welche zu spielen, klang das mit seinen zusammen wie eine Häckselmaschine. Raimund schien das nicht weiter zu jucken, aber mir rollte es die Zehennägel auf. Dass Hansi seine Riffs häufig und unmotiviert unisono ins Mikrophon schnatterte, machte die Sache auch nicht gerade besser. Häddäggähäddäggäddäggä …! Worüber wir uns auch prompt immer wieder in die Haare gerieten, erst recht in dieser Woche, wo es um diese wichtigen Aufnahmen ging.

Ihr Publikum liebte es, wenn bei Auftritten die Baggermann-Kompositionen in kilometerlange Improvisationen mündeten. Beziehungsweise ausuferten. Na ja, kein Wunder – ihre Fans waren noch simpler gestrickt als unsere, und man konnte förmlich hören, wie in jedem einzelnen von ihren leeren Schädeln die Tischtennisbälle herumklackerten. Aber bei mir waren Sessions mit den Baggermännern so beliebt wie ein Aushilfsjob bei den Flippers. Fehlte nur noch, dass Paul anfinge, Weine nicht, kleine Eva zu singen.

Völlig ausgeschissen hatte ich bei Hansi am dritten Tag, als ich ihn nach einer heftigen und ermüdend ergebnislosen Diskussion über Präzision und Timing zum Spaß mal ein paar Takte die Sechzehntel eines Drumcomputers mitrattern ließ, sogar noch bei seinem Lieblingstempo. Dasselbe tat ich auf einer anderen Spur, dann ließ ich das Band mit halber Geschwindigkeit wieder ablaufen. Während meine Snare-Schläge zusammen mit denen des Japaners klangen wie Axthiebe in eine Porsche-Tür, war sein Bass so synchron wie ein Trupp Bundeswehrsoldaten auf dem Hauptbahnhof am Freitagabend. Dass Paul sich nicht hatte verkneifen können, bei der Bandgeschwindigkeit klänge der verdammte Kramer endlich mal wie ein richtiger Bass, hob Hansis Stimmung auch nicht gerade.

Na ja, hatte auch sein Gutes – an dem Abend wurden frustriert ein paar Flaschen Rum aufgemacht, und zu der unvermeidlichen pseudo-basisdemokratischen Grundsatzdiskussion gab es Grog bis zum Abwinken.

Das eigentlich voraussehbare Ergebnis des Gesprächs war, dass ich als Mietmucker gefälligst meine eigenen Kanaldeckels-Ansprüche zurückzuschrauben und mich auf den Baggermann-Stil einzustellen hätte. Nach dem siebten oder achten Grog konnte ich das auch locker abnicken.

Weniger voraussehbares Ergebnis des Besäufnisses war, dass Sibylle mich zuuufällig um vier Uhr morgens im Bad traf – genau wie vor zwei Jahren, bei meinem ersten Besuch in Hinderup. Damals waren wir nach einem ausgiebigen Test von ein paar Kisten Rotwein, die Hansi aus Portugal mitgebracht hatte, auch im Halbdunkeln in der Badezimmertür zusammengestoßen, beide schon bettfertig gekleidet, also gerade mal ein T-Shirt an. Und als hätten uns der Portugiese und der Fado, den wir passenderweise dazu gehört hatten, inspiriert, hatten wir plötzlich knutschend auf dem Badewannenrand gesessen. Ein Stündchen später, wir lagen inzwischen quer auf ihrem Bett und versuchten gerade, mich zu einer Zugabe hochzupäppeln, war sie mit einem Mal wieder nüchtern geworden.

»Was …? Mensch, wie kommst du denn …?«, stotterte sie mit großen Augen, erschrocken keuchend.

»Das hast du doch eben offensichtlich gemerkt«, versuchte ich ihre Stimmung zu lockern. »Und von dir weiß ich’s jetzt auch. Sehr angenehm, übrigens«, versuchte ich, ihr das zu beweisen. Aber entsetzt stieß sie meine Hand weg.

»Du musst sofort in dein Zimmer!«, haspelte sie. »Ich habe hier nie …! Nie …!«

»Nie Besuch? Nie Gesellschaft?«, fragte ich ungläubig. Sie guckte weg, wühlte nach ihrem T-Shirt und zog es über. »Ah, ein neuer Fan«, machte ich sie freundlich frotzelnd darauf aufmerksam, dass sie mein Penner’s-T-Shirt erwischt hatte, eins von denen mit den zahnlos lachenden tanzenden Berbern. »Steht dir aber auch gut.« Sie riss es sich so hastig wieder vom Leib, als hinge es voller Spinnen.

»Geh jetzt!«, drängte sie und zog ihr eigenes über.

»Nie?«, beharrte ich. »Mit keinem von deinen Jungs?« Sibylle, die kaltschnäuzige Herrin von Hinderup, errötete tatsächlich.

»Das geht dich nichts an.« Nachdrücklich schob sie mich von ihrem Bett und drückte mir meine Berber in die Hand. Nebenan aus Hansis Zimmerflucht ertönte eine Serie schneller spitzer Schreie. Er hatte sich ein bisschen Fan-Besuch mitgebracht. Sibylle erstarrte, und eine Sekunde lang dachte ich, sie würde mich wieder festhalten wollen. Ihre Augen glitzerten, als wolle sie anfangen zu weinen. Aber vielleicht war’s auch nur das Kerzenlicht.

»Ach so«, sagte ich, stand auf und zog mich an. »Na ja, wenn er so pimpert, wie er Bass spielt, würd’ ich auch nicht mit ihm angeben wollen.« Einen Moment sah es aus, als wolle sie mir eine scheuern, aber dann hauchte sie mir einen Kuss auf die Wange und umfasste kurz mein verschrumpeltes Bübchen.

»Schlaf gut«, flüsterte sie, schob mich von sich, ließ sich wieder auf das Bett fallen und wickelte sich in ein Laken, das Gesicht zur Wand gedreht.

»Du auch«, wünschte ich ihrem Rücken und ging mal nachsehen, ob der Rest des Portugiesen schon dekantiert war. Die restlichen Tage meines Besuches – wir nahmen gerade im Baggermann-Studio für kleine Mark ein paar Penner’s-Demos auf – hatte sie mich kaum noch angesehen und kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen.

Weiber.

Und dann diesmal das. Ich komme zwischen zwei Grogs vom Pinkeln zurück und habe meine Hose noch nicht ganz zugeknöpft, da steht sie wieder in der Badezimmertür und lässt mich nicht vorbei. Als ich sie vorsichtig um die Hüften fasse, um sie verlegen grinsend zur Seite zu schieben, wirft sie mir beide Arme um den Hals und ein Bein um den Hintern, schiebt mir ihre scharfe Zunge zwischen die Zähne und spült mir einen Schluck lauwarmen, puren Rum in den Mund. Das Zeug fährt mir in alle Körperenden, als hätte ich an einen elektrischen Weidezaun gepinkelt, und da erst merke ich auch, dass sie wieder nur ein Hemd anhat. Ein verwaschenes Herrenhemd, nicht zugeknöpft. Sie ist noch dünner als vor zwei Jahren; mit ihren Beckenknochen hätte ich mir die Reste des Abendessens aus den Zähnen pulen können. Mit einer Hand öffnet sie meine halb geschlossene Hose wieder und massiert eine beginnende Erektion, so heftig, als wolle sie mich dafür bestrafen, dass ich schon wieder im Stehen gepinkelt hatte.

»He!«, sage ich, als sie irgendwann Luft holt. Nie um ein schlagfertiges Witzchen verlegen, der Büb.

»Sei still«, legt sie mir kurz die andere Hand über den Mund, »wollt’ dir nur sagen, dass ich das nicht vergessen habe, damals.« Lässt mich los, dreht sich um und verschwindet in ihrem Zimmer.

Da stehe ich, weder bestellt noch abgeholt, der Rum pocht von hinten gegen meine Augäpfel wie der Sekundenzeiger einer Bahnhofsuhr, während mein kleiner Zeiger vorwitzig auf ihre Zimmertür deutet. Und frage mich, wie ich das nun wieder interpretieren soll.

Nö, doch keine Einladung, sagt das Klacken, mit dem von innen ein Schlüssel herumgedreht wird. Ich ziehe mich wieder komplett an und wanke in die Küche, wo der Schrat ungerührt schon fünfzehn Kugeln in ein Dreieck sortiert hat.

Weiber, grunzte auch Mr. Pitiful, drehte sich ebenfalls um und verschwand aus meinem Spiegel und aus meinem Badezimmer. Sind eben nicht immer nur die Frauen, die merkwürdige, undurchschaubare Dinge tun.

Und ich schnitt mir doch noch ins Kinn.

Na, wenigstens hatte ich zum guten Schluss meinen Job noch zufriedenstellend hinter mich gebracht. Hing zwar immer noch eine Weile auf der Kippe, aber am fünften Tag hatte sich dann auch Raimund endlich mal blicken lassen – er ließ sich im heimischen Tübingen von Muttern pflegen, und mit seiner unverletzten Hand wälzte er den ganzen Tag Motorradkataloge.

»Geil, Alder!«, meinte er neidlos, nachdem wir die Aufnahmen durchgehört hatten, und knallte mir seinen Gipsarm ins Kreuz. »Hätt’ i net besser mache’ könne’. Wuscht’ i’s doch, dess du die richt’ge Verdredung bischt.« Hansi machte große Augen und schmale Lippen, Paul grinste bestätigend, Selmer baute einen.

»Chottverdickie!«, schrie der Schrat und machte mir ein Bier auf, was Billa nicht mal mit einem Wimpernzucken kommentierte. Ich hielt es mit Elvis und mich bescheiden zurück.

»Hätt’s net nur net besser mache’ könne’«, erklärte Raimund der erstaunten Versammlung, nachdem der Joint seine letzte Runde gedreht und wir uns das Ganze noch einmal angehört hatten. »Am liebschte würd’ i jetscht die andere Nummere noch emol trommele.« Das war in der Tat ein Kompliment. Elvis zwinkerte mir zu, und ich prostete zurück. Sie würden allerdings beim Mischen ein bisschen Mühe haben, mit ihren Kompressoren und Equalizern so zu tun, als hätte Raimund meinen Bums.

Auf jeden Fall war das Ergebnis so ausgefallen, dass ich sie beruhigt meinen Namen aufs Cover schreiben lassen konnte, und ich würde auch nicht rot werden müssen, wenn mich jemand auf die Platte ansprach.

Okay, meine Kollegen Veedelnoh und Eiermann würden ein paar Wochen lästern, aber damit konnte ich leben.

Nachdem ich mir ein paar Fuhren kaltes Wasser ins Gesicht geschmissen hatte, konnte ich auch mein Spiegelbild wieder halbwegs als meins erkennen. Aber ich kam mir vor wie ein verwackeltes Foto, die Sorte, die nicht im Album landet, sondern in einem Schuhkarton oben auf dem Schrank. Zu schade zum Wegschmeißen – konnte man ja gelegentlich eines feucht-fröhlichen Abends noch mal rauskramen: Guck ma’, der Büb bei der Dingens-Feier – sieht doch echt komisch aus, oder?

Zurück in Köln, für ein paar Wochen meine Geldsorgen los, musste ich dann erfahren, dass die hiesige Kripo im Zusammenhang mit dem Fall Kathrinchen drei österreichische Zuhälter festgenommen hatte. Und nach zweitägiger U-Haft wieder laufen lassen – Tatverdacht nicht bestätigt, Fluchtgefahr nicht gegeben. Also ging ich erst mal zu Ferdi und ließ mich von ihm ein bisschen abfüllen, während ich mich was umhörte, bevor wir auf eine Runde um die Häuser zogen, die Donnerstag Abend begonnen und irgendwann vorletzte Nacht geendet hatte. Knirschend kramte ich in meinem Gedächtnis herum, kam auf vielleicht sieben oder acht Kneipen, aber dem Geschmack meiner Rülpser und dem Geruch meines Urins nach mussten es ein paar mehr gewesen sein – Bier natürlich, jede Menge, Apfelkorn, Ouzo, Gin, veredelt von einem Hauch von Magenbitterkräutern.

Kein Wunder, dass der Büb echt komisch aussah. Fragt erst mal, wie er sich fühlt …!

Nein. Fragt nicht.

***

5 Tote in Bonn!, blökte der Express mich an, als ich endlich so weit war, dass ich am Küchentisch sitzen, ein Glas frische Milch bei mir behalten und vorsichtig an einer Rollmopsstulle kauen konnte. Ich konnte sogar die Buchstaben entziffern, ohne dass meine Augen mir immer wieder nach links innen oder rechts außen wegrutschten.

Aus Verzweiflung darüber, dass seine Ehe völlig zerrüttet war, hatte ein 45-jähriger Familienvater seine Frau, seine 16-jährige Tochter, seine Schwiegereltern und anschließend sich selbst mit Kopfschüssen ins Jenseits befördert. Ob er an ein besseres Leben nach dem Tod glaubte? Das würde sich wohl auch den Rest seines Lebens sein jetzt 14-jähriger Sohn fragen – den hatte Papi nicht richtig getroffen, der war jetzt bloß blind.

Noch mehr Schüsse waren an der Schweizer Grenze gefallen – dort hatte ein vorbestrafter deutscher Rechtsradikaler einen Grenzer erschossen, bevor er im darauf folgenden Feuergefecht tödlich getroffen wurde. Das BKA vermutete, dass er in der Schweiz Waffen für eine unserer einheimischen Wehrsportgruppen besorgen sollte. Einfach nur Kreuzchen bei NPD zu machen, reichte denen nicht.

Auf dem linken Flügel randalierten Jugendliche in Berlin und Zürich. Die Berliner versuchten mit Brandsätzen auf Sparkassen und Banken inhaftierte Hausbesetzer freizupressen, während Jung-Zürich protestierte, weil sein berühmtes AJZ geschlossen werden sollte, das Autonome Jugendzentrum. Geschieht euch recht, fand ich – was beschmeißt Ihr auch harmlose deutsche Rockbands auf Benefiz-Konzerten mit Milchtüten? Vollen Milchtüten! »Weil Ihr hier doch bloß Werbung für eure Platten machen wollt!«, kreischen sie empört zurück. Da kann ich mir bessere Methoden vorstellen, entgegne ich ungerührt, nehmt euch ein Beispiel an den Punks im AJZ Hannover – die haben uns wenigstens mit Bier beschüttet! Oder an den militanten Mädels in Frankfurt, die unseren gelben Bandbus über und über mit Schokolade beschriftet haben! Mit diesem süßen Werbeträger für deren gerechte Sache (»SCHWANZ AB, DUMPF-CHAUVIS!« Aber dann doch: »NEUE MÄNNER BRAUCHT DAS LAND!« – ohne Schwanz, Mädels?) waren wir dann fünf Wochen – bis zum nächsten kräftigen Regen nämlich – landauf und landab gefahren. Und fragten uns heute noch, ob das nicht den Feminismus in der BRD ein gutes Stück vorwärts gebracht hatte – immerhin hatten wir nach diesen fünf Wochen siebzehn Auftritte und sechstausenddreihundert Kilometer mehr auf dem Tacho. Und unser Opel Blitz hieß nur noch »die Bussin«.

In Teheran wurde laut Express noch nicht geballert, da drohte man nur mal wieder, den seit dem vierten November festgehaltenen zweiundfünfzig amerikanischen Geiseln den Spionageprozess zu machen. Noch-Präsident Jimmy Carter fand das »beleidigend«, während der künftige, Ronald Reagan, die Iraner als »kriminelle Kidnapper« beschimpfte.

Verstorbener des Tages war Großadmiral Karl Dönitz, mit neunundachtzig Jahren in Hamburg einem Herzversagen erlegen. Nach Hitlers Selbstmord war er dreiundzwanzig Tage lang Reichspräsident gewesen, hatte dann, weil Hitler ja nicht auf ihn gehört und die U-Boot-Flotte ausgebaut hatte, die Kapitulation genehmigt. Ein Jahr später noch verkündete er den Richtern des Nürnberger Prozesses, man »habe den Eid halten müssen, solange immer anständig war, dem die Loyalität galt. Dass der Führer nicht anständig war, das habe ich nicht erkannt.« Deswegen auch: Nicht über Los, zehn Jahre Haft.

Von toten Frauen in Kühlkellern stand nirgends etwas, auch nichts von einem schlichten schwarzen Grabstein auf dem Nordfriedhof, auf den in zierlichen goldenen Lettern Katharina Maria Löhr graviert war, 12. 11. 1952 – 4. 12. 1980. Lieber ein Augenblick mit einem Engel als ein Leben mit einer Heiligen stand nicht darauf, obwohl das der Epitaph war, den Kathrinchen sich gewünscht hatte. Aber vielleicht war ich der einzige Mensch gewesen, der das wusste. Und mich hatte niemand gefragt.

Mich hatte niemand fragen können, selbst wenn sie es gewollt hätten – am Tag ihrer Beerdigung hatte ich schließlich auf einer Bühne von der Größe einer Tischtennisplatte in einer Kellergalerie in einem Kaff bei Karlsruhe gesessen, um mal wieder ein paar Mark für die Miete nach Hause zu bringen. Also hockte ich mit meinem Schlagzeug in eine Ecke gepfercht, als hätte ich Angst vor unserem Publikum, eingekesselt von zwei Verstärkern, vor mir Tom Sack mit seiner 50er-Jahre-Guild und in der anderen Ecke unser Bassist Eiermann, der auf seiner Box saß, weit vornüber gebeugt, damit man erstens nicht sein permanentes Kichern sah und er zweitens hören konnte, was aus seiner Box überhaupt raus kam – eigentlich spielte er eher nach Gefühl als nach Gehör, nach den Schwingungswellen, die er unterm Hintern spürte, während ich meine Besen so locker gespannt hatte, dass ich genauso gut mit halbgaren Makkaroni hätte trommeln können. Toms Slide klang, als käme sie aus einem handlichen Diktiergerät; sein Mikrophon war quasi ausgeschaltet, und er bellte seinen Mississippi-Blues fast unverstärkt über die weißgedeckten Tische, an denen unser Publikum in Vernissage-Klamotten Schildkrötensuppe schlürfte, mit Kennermiene auf französischem Chateau de la Vachequirit herumkaute und sich in kultiviert-gedämpftem Ton an einem gelungenen Abgang freute, etwas, das uns dreien heute wahrhaftig nicht vergönnt war.

Zwischendurch zeigten sie sich gegenseitig die Gemälde an den grob verputzten, kalkweißen Wänden – très mediterranée –, Quadratmeter große Geschmacksachen in Gelb, Grau und NSU-Prinz-Farben für viereinhalb Mille das Stück, klopften sich gegenseitig, also sich selbst, auf die Schulter für ihre tolle Entdeckung – noch ein Abgang –, freuten sich über ihre Schnäppchen und nickten gelegentlich anerkennend zu dem vergeistigten Künstler hinüber, den all die roten Punkte, die an seinen Rahmen klebten, und wohl auch das eine oder andere Gläschen Geschäftsabschluss-Sekt so aus der Bahn geworfen hatten, dass er fröhlich, beidhändig und laut den Takt mitschnippte – schade, dass es nicht der unsere war. Und nach jeder Nummer applaudierte er lautstark und verlangte fachmännisch nach dem Hoochie Coochie Man, yeah! – wahrscheinlich die einzige Bluesnummer, die er kannte. Ich wusste, wie gerne Tom Sack diesen abgenudelten Song spielte, aber als er sich animiert zu uns herumdrehte, machte ich ihm dezent und diplomatisch klar, dass so ein zweiundzwanziger Ride-Becken, auf kurze Distanz umgekippt, doch ganz schön unschöne Kopfverletzungen verursachen kann. Auch wenn es sein Gig war und wir nur die Begleitmucker.

Woraufhin Eiermann mit hochrotem Kopf prustend drängelte, wir sollten doch schleunigst mal zur letzten Nummer kommen, sonst müsse er sich noch in die Hose pissen; da erst entdeckte ich, dass neben seiner Box drei Flaschen von dem Chateau la Dingens standen, wovon allerdings zwei schon zum Leergut gehörten.

Also torkelten wir noch somnambul durch eine Bleiadler-Version von Stormy Monday und hofften, uns eine Zugabe zu ersparen, indem wir für T-Bone Walkers Sail On Boogie ein paar Briketts nachlegten. Aber obwohl das der einen oder anderen Zuhörerin ihr Tiramisu vom Löffel blies, mussten wir doch noch mal ran, nicht zuletzt, weil der Künstler inzwischen so weit war, dass er sich auf die Bühne schwang, sein geblümtes Halstuch schwenkte und seine Mäzene energisch aufforderte, nach mehr zu klatschen.

Zur Strafe kriegten sie als Encore Shake Your Moneymaker in der Haut-rein-Jungs-da-draußen-steht-schon-der-Wagen-des-Sheriffs-Version. Tom sägte ihnen mit seinem Bottleneck die Frisuren ein bisschen durcheinander, und während er sich nach seinen schweißtreibenden achtzehn Chorussen in blumigen Worten bedankte, seine tollen Mitmusiker noch mal vorstellte und sich verabschiedete, stand ein Drittel der Band bereits auf dem Klo – heute kein Bass-Solo –, und ich nutzte mein Schlagzeug-Solo, um schon mal die Hälfte von meinem Schrottplatz abzubauen. Fanden sie ganz schön Avantgarde. Na ja, Applaus ist das Brot des Künstlers.

Nix gegen vier Blaue bar auf die Kralle und ein paar Flaschen La Dingens für knapp fuffzig Minuten Matinee-Mucke.

Perlen vor die Schweine

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