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Da isser ja

»Naa, da isser ja!«, grüßte er scheinheilig und schüttelte sich ein paar Schneeflocken von einer sündhaft teuer aussehenden Kalbslederjacke. Aber dann guckte er sich uns kurz genauer an, sah für zwei Gäste erstaunlich viele schmutzige Gläser neben dem Spülbecken stehen und erfasste recht schnell die Lage. Sein professionelles Lächeln ließ ihn ein wenig im Stich, sein Mund schien ein enttäuschtes »Oh« formen zu wollen, und auf seiner Stirn stand Ich hab’ euch gleich gesagt: Nicht diesen versoffenen asozialen Kölner! Sein Abend war wohl auch im Eimer.

War’n wir halt quitt.

Aber so what – er war doch nur der Manager, Baggermanns Mädchen für alles – Tourbegleiter, Ombudsmann, Drogenbeauftragter, Finanzverwalter. Und als einer der ersten in unserem Geschäft von Amateuren und Luftikussen hatte er erkannt, dass es durchaus nicht verkehrt war, sich ein paar kaufmännische und juristische Kenntnisse draufzuschaffen und als Band, die all ihr Material selbst schrieb, einen eigenen Musikverlag zu gründen. Das war ihm als BWL studierendem Spross einer alten Hamburger Kaufmannsdynastie auch nicht sonderlich schwergefallen. Also leitete er seit zwei, drei Jahren die IronmakerPublishing GmbH – alle Ausgaben wurden aus der Baggermann-Kasse gezahlt, und von allen Einnahmen sackte er einundfünfzig Prozent ein, schließlich war er entsprechender Mehrheitsinhaber und Geschäftsführer und hatte »die ganze Arbeit am Hals«. Dieses Arrangement war meinen Kollegen möglicherweise noch gar nicht so richtig aufgegangen, vielleicht war’s ihnen aber auch schnurz – von ihrem Anteil der GEMA-Tantiemen konnte man sich einen ziemlichen Klumpen Afghanen leisten. Dass manche in der Branche Eisenmacher »den Jud’« nannten, fanden sie jedenfalls genau so wenig angebracht wie ich.

Natürlich ließ er sich nur zu einem Sprudel überreden, an dem er spitzmundig nippte, während ich erst mein Bier austrank, dann noch das, was Schneider mir schon angezapft hatte, und meinen Deckel bezahlte. Mit Ach und Krach, aber für’s erste hütete ich mich, Eisenmacher um einen Vorschuss zu bitten – um Kohle würde ich noch früh genug mit ihm feilschen müssen.

Also schleppte ich mein Gepäck raus zu seinem BMW (erst drei Schritte vor dem Kofferraum bot er mir an, mir ein Stück abzunehmen) und ließ mich auf den schnieken Beifahrersitz fallen. Und natürlich musste er sich aufspielen und ausgerechnet Emerson, Lake & Palmer aufdrehen – aber was hatte ich erwartet? – und halsbrecherisch einen Waldweg voll frischem Schnee entlang schlittern – ein leichtsinniges Reh, und ich könnte mich gleich zu Raimund ins Bett legen. Ich überlegte noch, ob ich ihm zum Spaß auf seine schicken Lederarmaturen reihern sollte, aber da rutschten wir schon zwischen zwei riesigen Totempfählen hindurch und kamen drei Zentimeter vor der Heckklappe des Baggermann-Tourbusses zum Stehen. Natürlich ein fetter Mercedes 608, keine zwei Jahre alt. Ein kleines bisschen neidisch dachte ich an unseren Opel Blitz. Der war schon volljährig. Aber dafür stand auf dem auch nicht so was wie Baggermann – FREAKPOWER OVER GERMANY!

Das erste Stück Freakpower, das ich zu spüren bekam, war Elvis – knappe zwei Zentner Neufundländer schmissen mich begeistert in den Schnee, leckten mir durchs Gesicht und niesten mich voll, nachdem sie meine Bier-und-Korn-Fahne in die Nase gekriegt hatten. Immer noch besser als das zweite Stück – in der Haustür tat Sibylle, als würde sie sich freuen, mich wiederzusehen, fiel mir jauchzend um den Hals und rammte mir ihre knochige Hüfte in die Weichteile. Aber auch ihrer langen Nase blieb die Fahne nicht verborgen. Natürlich nicht.

»Wie deine Fahrt war, brauch’ ich ja wohl nicht zu fragen«, schnupperte sie ostentativ geräuschvoll, »aber jetzt hast du sicher Hunger, oder? Wir wollen gerade essen.« Spitze Betonung auf essen. Klar hatte ich Kohldampf. Und Gentleman, der ich bin, verkniff ich mir, sie auf den Geruch von Schimmel und Haschisch hinzuweisen, der aus ihren Klamotten und ihren roten Locken stieg.

»Ach, komm, Bill – du weißt doch, dass ich weiß, dass ihr immer einen Kasten Bier im Keller habt. Und ich wette, der steht schon wieder so lange da, dass das Verfallsdatum –«

»Leider Pech gehabt, Büb!«, schnurrte sie so triumphierend, dass sie vergaß, sich das verhasste Bill zu verbitten. »Den haben die Jungs gestern Abend leergemacht – du bist schließlich zum Arbeiten hier, oder?«

»Klar. Aber ob das was wird – mit so ’nem trockenen Hals?«

»Lass dich nich’ verarschen, Mann. ’türlich ha’m wir dir ’ne Flasche übrig gelassen.« Paul hielt uns die Küchentür auf, hieb mir in die Lebergegend und klatschte Sibylle auf den mageren Hintern. Zur Strafe nahm sie ihm den halbgerauchten Joint aus dem Mund und stolzierte paffend in die Küche. Hier roch es besser – Knoblauch, Weißwein, Oliven und Kräuter übertönten den Modergeruch, ohne den eine Landwohngemeinschaft nicht auszukommen schien. Und Shit natürlich.

»Aah«, machte ich begeistert, »wieder Boeuf Niçoise – ohne Fleisch, wie?« Solange die Kollegen daheim unter Sibylles Fuchtel standen, waren sie alle Vegetarier. Aber sobald es auf Tour ging, saßen sie in der ersten Raststätte, die auf ihrem Weg lag, und hauten sich Bockwurst, Schnitzel und Gulasch rein. Bis auf Selmer natürlich, den Saxophonisten – der schmierte sich nicht mal Butter aufs Brot, weil man dafür eine Kuh vergewaltigt hatte. Dass irgendwelche Maserati fahrenden Arschlöcher sich den Arsch ab verdienten, indem sie mit Kräutern handelten, die achtjährige Kurdenjungs bei dreißig Grad im Schatten ernten und bei zwölf Grad minus für eine Handvoll Reisnudeln zentnerweise über mörderische Gebirgspfade schmuggeln mussten, schien seinem Gewissen nicht so viel auszumachen – er hatte ein Rohr in der Hand, für das er mindestens fünf Blättchen gebraucht hatte. Und es war offensichtlich nicht sein erstes – seine nur noch halb offenen Augen schwammen in einer rosigen Flüssigkeit, und er grinste, als habe er einen kleinen Mann im Ohr, der ihm einen Ostfriesen-Witz nach dem anderen erzählte.

»Ey, Mann«, brachte er heraus. »Cool, ey. Der – ääh – der Büb, ey.« Der kleine Mann in meinem Ohr bedauerte fast, dass Eisenmacher auf seinem Weg zu Schneiders Dorfkrug kein Reh getroffen hatte.

Do es ene Kääl en mingem Kopp / Määt mich langsam, ävver beklopp’* klimperte Paul auf einer akustischen Zwölfsaitigen, zwar meiner Ankunft zu Ehren, aber durchaus passend, einen von Penner’s Radios vielen heimlichen Hits (eigentlich hatten wir ja nur Hits – und irgendwann würde das auch mal jemand merken …). Die große Überraschung war das Mädel, das neben ihm auf einem der Sofas saß und plötzlich lachend den Text mitsang – in akzentfreiem Kölsch! Die würde ich mir später noch genauer angucken müssen.

Aber erst mal galt es natürlich den Chef zu begrüßen. Der saß am Kopfende eines Esstisches für zwanzig Personen in seinem Thron, einem hohen Eichenlehnstuhl mit wilden Schnitzereien, und blickte abwesend von einem winzigen Steckschach auf, als sei er überrascht, mich zu sehen.

»Hansi!«, lautete meine wohlgesetzte Begrüßungsrede. Es ist zum Kotzen – ich kann arrogante Menschen nicht ausstehen, sie können mich eigentlich nicht im geringsten beeindrucken, und ich durchschaue sie meistens bis zu den Pickeln auf ihrem selbstherrlichen Hintern, aber trotzdem tue ich mich schwer damit, mich nicht von ihnen verunsichern zu lassen. Kommt vielleicht davon, dass man als Arbeiterkind auf eine Herde »richtiger« Gymnasiasten losgelassen wird. Bzw. umgekehrt. Ich wanderte zu ihm hinüber und blieb zur Kompensation einen Meter vor ihm stehen, mit ausgebreiteten Armen, so dass er sich genötigt sehen musste, höflich zu sein, aufzustehen und mir einen Schritt entgegen zu kommen.

Küche könnte im Fall Hinderup ein etwas irreführender Begriff sein. Die Kirche von Espelkamp war nicht viel kleiner als Baggermanns Gemeinschaftszimmer, und bei einer anständigen Fete würden hier mindestens achtzig Leute Platz finden, ohne sich gegenseitig auf die Füße zu treten. Vom Kühlschrank zum Herd konnte man Rollschuh fahren, zu einer Klettertour auf ihren Küchenschrank nahm man besser eine Leuchtpistole mit, und zwischen den mächtigen Esstisch und den Billardtisch im hinteren Teil hätten bequem noch ein paar Kicker und ein Hundezwinger gepasst.

Was red’ ich da – neuerdings stand da zumindest ein Kicker, und Elvis lag daneben auf seinem eigenen Sofa, einem riesigen schmuddeligen Ungetüm aus zerfetztem violetten Leder. Missmutig und krachend kaute er an einem halben Birnbaum – auch ihm blieb nichts anderes übrig, als zu Hause Vegetarier zu sein. Von einem Köter, besonders dieses Formats, natürlich ein bisschen viel verlangt, weswegen er sich gelegentlich mal eine Nacht in die Wälder der Gegend verdrückte. Und wenn er dann zufrieden grinsend heimkehrte, war, was manchmal noch von seinen Lefzen tropfte, gewiss kein Johannisbeersaft.

»Der Büb«, konstatierte Hansi lässig, aber korrekt. »Kommt mal wieder was Leben in die Kräuterbude, wie?« Er klopfte mir ein paarmal auf den Rücken und befummelte meine Rechte. Ich fühlte mich wie Hänsel, aber ich war wohl immer noch nicht fett genug, denn die Knusperhexe ließ von mir ab und setzte sich wieder an sein Schachbrett.

»Springer auf f9«, sagte ich. Verdutzt guckte er auf seiner Partie herum, bis er den blöden Witz schnallte und säuerlich grinste. Selmer wollte sich hingegen nicht mehr einkriegen vor Lachen.

»Springer auf f9!«, jaulte er. »Läufer auf fis-Moll 7!!«

»Schockemöhle auf Alarich«, ergänzte Paul grinsend.

»Wilson Pickett auf Lester Young!!!«, kreischte Selmer. Kiffer.

»Essen is’ fertig, Kinners!«, klatschte Sibylle in die Hände. »Sagt jemand dem Schrat Bescheid?«

»Nit nodig«, brummte es von der offenen Küchentür her. Weit offen, denn der Schrat war so breit wie groß, und er war ziemlich groß. Ein Bär von einem Kerl, mit wilden schwarzen Locken und einem noch wilderen schwarzen Bart, dem die lila Latzhose, die er trug, ähnlich gut stand wie mir das Gelbe Trikot. Wir führten ein kleines Wiedersehenstänzchen auf.

»Mann, hab’ ik auf dir chewartet!«, holländerte er strahlend, angelte zwei Pullen Bier aus seinen Hosentaschen und knackte zwischen seinen Pferdezähnen die Kronkorken ab. »Endlik einen, mit dem ik mal wieder ein’n zischen kann! Wat, Billa?« Sibylle sagte nichts, aber ihr Gesicht sprach Bände. Ihre ganze schöne Hausmütterchen-Autorität drohte flöten zu gehen. »Die Mary Ann aber ließ ihn nicht los«, sang der Schrat. »Wat, Büb, oude klootzak

Damit war ich sein Freund geworden, als wir uns vor ein paar Jahren kennenlernten, auf irgendeinem Festival irgendwo in Ingendingenhingen (ob Rabotti auch da gewesen war, damals?). Als ich ihn das erste Mal sah, war mir spontan das alte Freddy-Quinn-Lied in den Kopf gekommen, und ich hatte es ihm gleich vorgesungen. Und an mehreren Theken noch mehrmals vorsingen müssen, er hatte es nämlich nicht gekannt und war völlig begeistert – ein eigenes Lied! Für ihn, der doch bloß Roadie bei einer Krautrock-Kapelle war! So groß wie ein Baum und stark wie ein Bär / So fuhr er das erste Mal über’s Meer … Und Big Bill Broonzy wälzte sich in seinem Grab herum.

Arm in Arm walzten wir eine halbe Runde um den Tisch.

»He, koptein«, dröhnte mir der Schrat ins Ohr, »has’ du schon Mischa kenne’chelernt, mein Meisje?« So viel zu »später genauer angucken« – rundum appetitliche, schwarzlockige Einssechzig sprangen in seinen Arm, reichten mir ein schwitziges Händchen und versuchten, mir die Finger zu zerquetschen.

»Tach, Herr Klütsch, isch ben et Mischa, us Lungke. Alles en Dortmund?«* Sie nahm dem Schrat seine Pulle aus der Hand und holte aus. Na, war das auch erledigt – um vorlaute Frauen mit schwitzigen Händen mach’ ich eh lieber einen Bogen.

»Teller!«, machte Sibylle Boden wett. »Besteck! Brot!«

»Willkommen in Hinderup«, grinste Paul. Ich ließ das kölsche Mädchen unsere Flaschen aneinander knallen und mir erst mal das Bier in den Hals laufen. Trocken, wie der schon wieder war.

»Isch kenn’ disch!«, verkündete Mischa dann auch noch. »Isch hab’ disch mal mit dem Kathrinschen zusammen jeseh’n – auf’m Mädschenklo im Session!« Ihr Kichern verriet, dass das nicht beim Lippenstift-Nachziehen gewesen war.

»Tja, die Welt is’ klein«, brachte ich hervor.

»Un’ – wie jeht et der? Seid ihr noch zusammen?«

»Nö«, sagte ich, machte die Pulle alle und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie weh das »Nö« tat.

»Komm, Herr Baggermann, sei unser Gast und segne, was du uns eingedudelt hast«, mussten wir dann am Tisch beten, während alle sich an den Händen gefasst hielten. Aber wenigstens spendierte uns Herr Baggermann Rotwein zum Essen.

Perlen vor die Schweine

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