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Kinder der Liebe

Leider hatten wir uns das falsche Repertoire ausgesucht – zumindest für diesen Auftrittsort, St.Tropez, abends um halb sieben.

Der Franzmann hat’s ja wohl anscheinend nicht so mit dem Blues. Wir stellen uns zum Beispiel vor die gut gefüllte Terrasse des Le Clemenceau. Kurzes Gitarrenvorspiel, ’noh bellt einmal I Got Ramblin’ – hier klirrt eine Espressotasse, dort ein Champagnerkelch. Unter den Tischen kläffen ein paar Pudel hervor, ein Kind plärrt los, ein Afghane, mit einem hellblauen Seidenschal an einem der Tischchen festgebunden, rennt heiser hustend auf uns los, Tisch hinterdrein, und ein Wienerwald-Hähnchen in rosa Satin stößt spitze Schreie aus, weniger wegen I Got Ramblin’ als wegen der heißen Crêpe in seinem Ausschnitt. Zwei schnöselige Kellner stürmen mit nasalen Röö-röö-röös auf uns ein, und als ich das als Aufforderung nehme, die zweite Stimme zu singen, kommt auch noch Silberschläfe im schwarzen Anzug, dick »Geschäftsführer« auf die schwitzende Stirn geschrieben. Unser Französisch ist nicht so doll, aber ihrem Tonfall und den bedrohlichen Gesten ist unschwer zu entnehmen, dass wir an der falschen Adresse sind. Also eine Bar weiter. Oder zwei.

Oder sechs. Aber nicht mal vor einem Schuppen, der sich Le Gorille Électrique nennt, weiß man unsere Blues-Interpretationen zu würdigen.

»Is’ vielleicht nich’ unser Tag, Büb?«

»Is’ ja auch erst der erste. Vielleicht sollten wir uns erst mal ’n bisschen akklimatisieren.« Also setzten wir uns auf die nächste Terrasse, bestellten ein Bier und drehten uns eine. Eine entzückende kleine Mulattin in einem roten Kleidchen brachte uns zwei entzückende kleine Tulpen, halb voll Schaum, mit denen man in Köln gerade mal ein Stößjen vollgekriegt hätte, und legte uns ein Zettelchen unter den Aschenbecher. ’noh warf einen Blick darauf und starrte die Kellnerin mit offenem Mund an. Sie zeigte ihm ein entzückendes kleines Krausnasenlächeln. Er gab ihr ein paar Francscheine. »Schon die nächsten zwölf mit bezahlt?« Er schüttelte langsam den Kopf und leckte vorsichtig ein Flöckchen von seinem Schaum ab. »Was kost’ denn eins?«, fragte ich und kippte mir meins in den Hals.

»Zwölf-fuffzisch.« Ich verschluckte mich fast an meinem letzten Tropfen.

»Wieviel?!« Er verzog bloß resignierend die Mundwinkel und nickte. »Hammer denn noch jenuch Sprit für die Rückfahrt?« Er war unser Kassenwart. Mit Geld konnte ich noch nie umgehen.

»Nix Rückfahrt. Erstens ha’m wir noch mindestens sechshundert Mark in der Tasche –«

»Die anscheinend schon weg sin’, wenn wir uns hier nur ein einziges Mal halbwegs ordentlich besaufen …«

»Un’ zweitens ändern wir morjen unsere Stratejie. Wär’ doch jelacht, wenn wir hier nich’ wat Schotter machen. Luur dich doch ens öm!«*

Ich luurte mich öm. Überall waren mittlerweile Neonreklamen und Gaslichtkopien angegangen. Vom Wasser her blinkten die bunten Lampen von fast hundert Yachten zu uns herüber. Über die Berge hinter uns schwallte die Nacht wie verschüttete Tinte über die rot-weiß-goldene Torte des Sonnenuntergangs und drückte sie in ein Mittelmeer, das violett glitzerte wie zerknittertes Geschenkpapier. Mit einem kleinen Taschengeld von vielleicht drei, vier Mille würde man glatt den einen oder anderen Abend wieder herkommen wollen. Wie die alten Kreolen schon sangen: Geld ist schon gut, aber zu teuer.

Alle Terrassen um uns herum waren vollbesetzt mit Menschen. Keiner von ihnen schien sich groß Gedanken um Bierpreise zu machen – auf den meisten Tischen standen sowieso Sektkübel und Weinkühler. Zwischen den Cafés und der Hafenmole schob sich ein summender Strom von Designerjeans, Hundertdreißig-Marks-T-Shirts und ’n-Fuffi-der-Nadelstich-Fummeln unablässig hin und her. Entlang der Mole saßen Straßenverkäufer mit Schmuck, Leder, Batiktüchern und Gemälden, auf denen der Hafen von St.Tropez zu sehen war. In Pastellfarben, ohne all das Volk hier. Und alle verkauften ihr Zeugs, als sei’s der letzte Tag vor Weihnachten.

Dazwischen hockte Arlo Guthrie’s Double auf einem Seesack und spielte Querflöte – immer abwechselnd den Sommer aus Vivaldis Vier Jahreszeiten und Bourrée. Er unterbrach sich nur – etwa alle fünfzehn Minuten –, um die Scheine und Münzen aus dem Flötenkoffer auf dem Boden vor ihm in den Seesack zu stopfen. Ein paar Schritte weiter hinten spielte ein kupferfarbenes Mädel in einem schneeweißen Wollschlauch Tante Ediths Milord auf einem schneeweißen Akkordeon. Dazu passend tanzten zwei, natürlich schneeweiße, Pudel auf den Hinterbeinen um sie herum. Die rosa Erektion des einen schien ihren Umsatz nicht zu schmälern – sie würde nach Feierabend ’ne Schubkarre brauchen. Aber wahrscheinlicher war wohl, dass ein sechs Meter langer Cadillac sie abholen würde.

***

Vor unserer Terrasse baute sich gerade ein engelsblondes Hippiepärchen auf; er mit einer muschel- und korallenverzierten Klampfe, sie mit einem großen, fellbespannten Tamburin, an dem lange bunte Bänder flatterten. Gegen ihre Version von Blowin’ in the Wind war die von Joan Baez der reine Punk. Eine Weile fragte ich mich, warum er ’noh und mich mit so finsteren Blicken bedachte, ohne sein Grübchenlächeln für den Rest des Publikums einzustellen, bis mir einfiel, dass die beiden uns im Laufe des Nachmittags schon zwei- oder dreimal über den Weg gelaufen waren. Sie waren nach unseren diversen Rausschmissen vor den gleichen Läden aufgetaucht und genau wie wir verscheucht worden, weil der Ärger über uns sich noch nicht gelegt hatte. Mit anderen Worten, wir waren heute schlecht für ihr Geschäft gewesen.

Aber sie holten schwer auf. Während er You Are The Sunshine Of My Life säuselte, schwebte sie zwischen den Tischreihen hindurch und sammelte mit ihrem Tamburin, die zweite Stimme summend, einen Haufen Asche ein, der uns für die nächsten zehn Bier gereicht hätte. Sie kam auch an unseren Tisch.

»Hi! Isch bin der ’noh. Jibste einen aus?«, strahlte mein Partner sie mit einem Blick auf ihre Kasse an.

»Pardon? I don’t understand you«*, kam es in breitem Südstaatensingsang zurück.

»Na jut – dann jeben wir einen aus.’ellja, viere Biere!«, schrie er in Richtung Krausnase. Sonnenscheinchen wartete, weil er in seiner Hosentasche nach Geld wühlte, und stand dicht vor mir in einer zarten Wolke aus Grasöl und Kaugummi. Ihr Lächeln mit den Partner-Look-Grübchen wirkte ein wenig angestrengt, als stände hinter ihr jemand, der ihr fortwährend Cheese! Cheese! ins Ohr brüllte. Sie hatte eine Mannequinfigur, mit kleinen Brüstchen und spitz vorstehenden Beckenknochen unter einem knöchellangen Hippiekleid aus dünnem, geblümtem Leinenstoff. Als ’noh das Bier bezahlte und das Wechselgeld wieder einsteckte, schien ihr Lächeln das Cheese! nicht mehr zu verstehen.

»Komm, Hellja, trinken wir auf den jeilen, jeilen Sommer!«, charmierte ’noh und wollte ihr ein Glas in die Hand drücken. Sie zuckte pikiert einen Schritt zurück.

»Oh no! We never drink alcohol!«, säuselte sie und zeigte mir noch mal ihre Grübchen. »We are children of nature! And love!«*

»Womit wir gleich beim Thema wären: I like the way you smell«, sagte ich, »all over«*, und bewunderte ihren Venushügel, bis sie rot wurde. Hilfesuchend blickte sie sich zu ihrem Partner um, der jedoch am Nebentisch gerade Mühe hatte, seine Hand aus den Klauen seiner Verehrerin zu lösen, einem krebsroten Glücksschweinchen in einem silbernen Overall, mit Klunkern behängt wie die Madonna von Lourdes. Aber seine Grübchen hielten sich. Ein Profi eben. Dafür steckte sie ihm noch einen Schein extra in den bestickten Ausschnitt seines indischen Hemdchens.

»Ja marvellous, mein Lieber! Please, bitte, spiel Summertime für unsere kleine Entourage, ja?« Und schon förderte sie ein paar weitere Scheinchen aus ihrem Overall, in den wir gut unseren Taunus hätten einwickeln können. Und nach ein paar hingetupften Gitarrenakkorden gab’s Summertime – zweistimmig und reif für die Aufnahmeprüfung der Habbelrather Domspatzen. Glücksschweinchen kriegte feuchte Augen und legte einem ihrer Begleiter, der aussah wie eine panzerlose Schildkröte, ein Pfötchen mit neunzig Karat auf den Oberschenkel. »Oh George, ist das nicht beauuutiful?« George rutschte dem Pfötchen noch ein Stück entgegen, während seine Linke den behaarten Schenkel eines Bürschchens aus Frank’n’Furter’s Rocky-Katalog massierte.

’noh legte den Kopf auf meine Schulter und schluchzte los wie ein asthmatischer Esel. Ein paar empörte Shshshshts! und erleichtertes Gekicher ringsum hielten sich die Waage. Ich tätschelte ihm den Kopf, dass es nur so knallte.

»Nimm et nit eso schwer, Jung – der nächste Winter kommt bestimmt!«, tröstete ich ihn. Glücksschweinchen zischte empört was von Barbarians! und Rocky stand auf und wedelte wichtig mit den Armen, um sich seinen Schampus zu verdienen.

»Fernand! S’il vous plait!«* Schon kam die hiesige Silberlocke angedackelt, zwei sportliche junge garçons im Schlepptau, und komplimentierte uns hinaus.

»Assholes!«*, zischte Blondie, als ich an ihm vorbeikam.

»Anjenehm – Büb!«, erwiderte ich freundlich, »dat is Veedelnoh. We’re children of love, too.«

***

Auf die Art waren dann innerhalb von vier Wochen unsere paar hundert Märker fast alle. Bei sämtlichen Cafés hatten wir mittlerweile ausgeschissen, und unseren Job machten wir meistens spätnachmittags am äußeren Ende der Mole, neben einem vertrockneten Spanier, der am Tag fünf, sechs Möwen in Öl malte – und verkaufte – und sich nicht weiter von uns stören ließ. Er war so alt, dass er wahrscheinlich Kolumbus noch gekannt hatte – und halb taub.

Wir machten vielleicht fünfzehn, zwanzig Mark am Tag, wenn’s hoch kam, hatten viel Spaß, ständig Kohldampf, aber immer eine Pulle Rotwein. Wenn’s ganz eng wurde, setzte ’noh sich mittwochs und samstags, den Markttagen, neben das Kinderkarussell auf der Place des Lices und spielte ein paar Instrumentals wie Bourrée oder einen Flamenco oder den Säbeltanz, während ich meinerseits meine Fähigkeit verfeinerte, in den beiden Supermärkten drumherum nur die Hälfte meiner Einkäufe zu bezahlen. So hielten wir uns halbwegs über Wasser und wurden zwei-, dreimal die Woche sogar satt. Alles in allem dann doch gar kein so schlechter Urlaub.

Dann gerieten wir in Françoise und ihren VW-Bus, was uns nach drei Wochen Askese ein paar Nächte viel Freude bereitete, mir aber bald zu anstrengend wurde. In den Tagen darauf zog ich mich daher öfters in die Bucht hinter dem Friedhof zurück, und während ’noh und Françoise Sprachkenntnisse, Kultur und Körpersäfte austauschten, übte ich Gitarre spielen und fing an, ein paar eigene Textideen aufzuschreiben – irgendwann würde schließlich auch dieser Sommer zu Ende gehen …

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