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Irgendwo im Sand

Anscheinend lag ich irgendwo im Sand.

Die Sonne brannte mir wie blöde auf den summenden Schädel, meine Zunge fühlte sich an wie ein in alten Senf getunkter und ausgetrockneter Schwamm, und meine Lider streikten. Ich versuchte blind mich aufzusetzen und griff erst ins Leere, dann auf kochend heißes Autoblech. Das öffnete mir die Augen. Ich kniff sie sofort wieder zu. Diese Welt war zu hell für mich.

Und zu laut – ein paar Meter weiter balgte sich ein Haufen französischer Blagen um einen Wasserball, hinter mir plärrte ein Kofferradio was von J’aime l’été* oder was immer diese hiesigen Piepsmiezen so lieben, auf der Uferstraße über mir knatterte der nie endende Verkehrsstrom, das Mittelmeer rauschte, die Möwen krächzten, und in meinem Schädel brummte es wie in einem ’64er Dynacord-Verstärker. Ich beschloss, ganz schnell hier weg zu müssen.

Nach höchstens einer Viertelstunde hatte ich es geschafft – ich saß ziemlich aufrecht und hatte den Durchblick. Es war das Stück Strand, wo wir unseren alten Taunus-Kombi geparkt hatten, mit viel Glück unter einem Platanenpärchen, das der Karre am späten Nachmittag soviel Schatten spendete wie ein Knirps. Ein Knirps ohne Bespannung allerdings. Morgens dagegen knallte die Sonne unbarmherzig auf das weiße Dach, so dass wir es vorzogen draußen zu pennen, halb im Schatten des Wagens.

Was heißt wir? – Veedelnoh war seit ein paar Tagen Dauergast im VW-Bus einer pummeligen Krankenschwester namens Françoise, ein paar Meter weiter, die einen noch größeren Bedarf an sex à la boche hatte als wir beide zusammen. Außerdem versuchte sie verzweifelt, das Angenehme mit dem Nützlichen – ihre Deutschkenntnisse verbessern – zu verbinden, und kommentierte ohne Punkt und Komma, was sie gerade mit welchen Gefühlen tat oder was man ihrer Meinung nach gerade wie tun sollte. Wie eine gesprungene Langenscheidt-Platte, und immer wieder: »Sag’ isch das rischtisch comme ça?« – egal, was sie gerade im Mund hatte. Weshalb ich mich nach den ersten beiden gemeinsamen Nächten genervt und gerädert ausgeklinkt hatte. Veedelnoh hatte da offensichtlich ein dickeres Fell. Jetzt teilte er sie sich mit einem mageren Siebzehnjährigen aus Frankfurt, der es, wie ’noh neidisch berichtete, auf acht Orgasmen in vier Stunden brachte. Oder umgekehrt – jedenfalls beachtlich.

Das erinnerte mich wieder daran, dass meine Eier schmerzten, als steckten sie in einem Nussknacker. Mühsam kratzte ich die Erinnerung an den gestrigen Abend zusammen – ach ja, der Streit im Chez Boubou! Anscheinend hatte Blondie mir noch mindestens einen Tritt versetzt, als ich weggetreten auf dem Boden lag. Diese Hippies sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.

***

Ich hätte ihm seine Zähne gleich in den korallengeschmückten Hals schlagen sollen. Makellos weiße Beißerchen, wie die auf Hilde Knefs Nachttisch. Sie blitzten sonnig zwischen seinen braungebrannten Grübchen, wenn er sein goldblondes Lächeln anknipste, auf einer mit Muscheln und Perlen beklebten Gitarre klimperte und Blowin’ In The Wind oder Guantanamera sang. Vor allem die reiferen Damen hier mochten das, und er sahnte gut ab mit seiner Blumenkuh von Schwester, die ähnlich blendend aussah und dämlich grinsend ein Tamburin streichelte, mit dem sie dann bei You Are The Sunshine Of My Life vor den Hafencafés das Geld einsammelte. St.Tropez, 1980. Und es war Sommer*

Aber gutmütig, wie ich nach zwei Flaschen Rotwein nun mal bin, hatte ich ihm sein albernes Stilett bloß aus der Hand getreten, ihm zwei Ohrfeigen gegeben und mich wieder zur Theke rumgedreht. Er war allerdings wieder aufgestanden, und nur Mampernods erschrockenes Gesicht hatte verhindert, dass er mich voll erwischte. Ich drehte mich mit einem halben Schritt zur Seite, und der schwere Aschenbecher aus Kristallglas ratschte meine Schläfe lang und landete auf meiner Schulter. Leider hatte ich dabei auch ein halbes Glas von dem guten Roten verschüttet, und als ich auf Blondie loswollte, um meinen Fehler wieder gutzumachen, rutschte ich in der Pfütze aus und knallte mit dem Hinterkopf auf die Theke. Abgang Büb.

Wie ich dann wieder hierher zu unserem Wagen gekommen war, kam in meinem Film nicht mehr vor. Ich riss mich zusammen, stand stöhnend auf und öffnete die Wagentür. Die heiße Luft im Innern traf mich ins Gesicht wie eine frisch gebügelte Bettdecke, und ich musste mich am Holm festhalten, um nicht gleich wieder auf dem Hintern zu landen, wobei ich mir ein zweites Mal die Finger verbrannte. Ich betrachtete mich im Rückspiegel. Schöner fremder Mann … Die rechte Hälfte meines Gesichts war blutverkrustet bis zum Hals, und mein Hemd war mit Blut getränkt und steif wie ein Zementsack. Ich zog es aus und musste erneut laut aufstöhnen – die Beule an meinem Hinterkopf hatte ich im Spiegel natürlich nicht gesehen. Jetzt hatte ich die Schnauze aber voll – ich suchte in dem Gewühl im Wagen die Flasche, die da irgendwo noch sein musste. Schlafsäcke, Klamotten, Taschenbücher, Leergut, Handtücher, Kassetten, Gitarren – Bingo! Noch mindestens Dreifingerbreit von dem teuren französischen Cognac, den Françoise so gerne trank – und wohltemperiert. Wie ein guter Grog, ungefähr. Egal – ich trank das Zeug in einem Zug. Mein Magen spielte Epileptiker, aber ich hielt ihn gut fest und schluckte den Schaum vor seinem Mund wieder runter. Mit tränenden Augen drehte ich mir eine und steckte sie an. Als ich mit Husten fertig war, war der Rest schon verglüht und ich musste mir eine neue kurbeln.

»Wenn jetz’ einer kütt un’ ‚Morjenstund hätt Jold em Mund säät’, schlar’ isch ’m die Fläsch en die Fress’!«*, sagte ich zu der Möwe auf dem Mäuerchen zur Straße. Achselzuckend drehte sie sich um und flog weg. Anscheinend verstand sie kein Kölsch.

Bei dem Gedanken an ein kühles, schäumendes Kölsch fing ich fast an zu heulen. Ich hatte wirklich die Schnauze voll – von diesem Sommer, diesem penetranten Traumwetter jeden Tag, von all den gut gelaunten, gut aussehenden Menschen um mich herum, von den Preisen hier, die zu zahlen die sich offensichtlich leisten konnten, von all den arroganten Franzmännern genauso wie den nervigen Touristen, von dem ewigen billigen Rotwein, der schon viel zu lange neben labberigem Weißbrot und Knoblauchtomaten meine Nahrung war. Gut – ich hatte in der Zeit mindestens sieben Kilo abgenommen, dafür ein paar Muskeln zugelegt vom täglichen Paarkilometerschwimmen und den stundenlangen Federballschlachten mit Veedelnoh. Ich war kupferbraun gebrannt und fand, dass ich eigentlich ganz gut aussah mit meinen ausgebleichten langen Haaren über den verwaschenen karierten Flanellhemden mit den abgeschnittenen Kragen und Ärmeln, die ich damals gerne trug.

Das hatten, ganz abgesehen von einem halben Dutzend schwuler Yachtbesitzer, auch schon mindestens dreißig Mädels aller Nationalitäten gefunden, aber sobald sie merkten, dass ich mir dreimal überlegen musste, ob ich mir leisten könnte, ihnen eine Cola auszugeben, geschweige denn einen Long Drink oder gar ein Abendessen, hatten sie plötzlich einen Friseurtermin. Oder Tennisstunden. Oder Surfen. Sechs Wochen im Paradies, umgeben von den schönsten Weibern Europas, und was war … ? If it wasn’t for bad luck, I wouldn’t have no luck at all*

»Wenn isch endlisch widder in Kölle bin, muss isch mir wa’scheinlich dreimol eine rungerholle, eh’ isch misch bei dä Schöss röckmelde. Sönz platze isch jo schon, wenn mir ein nur en Hand jitt!«*, beschwerte ich mich bei der Möwe, die wieder auf ihren Platz zurückgekehrt war. Sie lachte kreischend auf, wie ein Haufen Nippeser Marktfrauen, die sich am Damenkegelabend einen Herrenwitz erzählen. Sie verstand mich also doch – ich musste nur laut und deutlich reden. Zum Dank warf ich ihr ein Stück trockenes Brot hin. Und von Brigitte Bardot, die hier angeblich immer vorbeikommt, wenn sie zum Einkaufen geht, hab’ ich auch noch kein Gramm gesehen!

***

»Büb! Mir zwei! Un’ et janze Johr Sommer!« An einem vergraupelt-vermatschten Heiligabend in Köln, gerade mit gebrochenem Herzen in einer Horrorfahrt aus Horrorstadt zurück, klingt so ein Song vom Sommer an der Côte d’Azur ziemlich verlockend – aber was sollte ein Schlagzeugberserker wie ich zwischen Bambusflöten wringenden, Gitarre zupfenden Hippies? »Kei’ Problem, Büb! Jeder kann Jitta’ spille!«*, hatte ’noh trompetet.

Er hatte mich begrüßt wie den lange verlorenen Sohn, nach meinem ziemlich misslungenen Versuch, in München Fuß zu fassen, obwohl wir uns im Frühjahr davor mit einem ziemlichen Krach getrennt hatten. Wir alle von Penner’s Radio hatten’s reichlich satt gehabt – den ewigen Tourneeschlauch, die ständigen Benefizkonzerte, all die Nächte auf zu kalten Matratzen nach heißen Abenden mit zu warmem Bier. Die zähen Tage, an denen man mit matschiger Birne auf ein paar hundert Kilometer Mittelstreifen stiert. Die Abzockereien von Veranstaltern, Agenturen und der kleinen »alternativen« Plattenfirma, die von unserem Hitalbum Wat dä Driss soll?!? – Penner’s Radio live in Habbelrath wahrscheinlich an die achtzehntausend Stück verkauft, aber bis heute nur neuntausend an uns abgerechnet hatte. Die Anlagenschlepperei, den Kampf gegen unseren Schuldenberg, gegen das Finanzamt, gegen das Getriebe und den ewig lockeren Auspuff unseres alten Opel Blitz.

Und dann all die fruchtlosen Diskussionen – die Frauenbewegerinnen hielten uns für heuchlerische Chauvis (»Was singt Ihr da – Eva, wenn du so mit deinem Fischbrötchen lachst? – Schwanz ab!«), die Autonomen für Kommerzsäue (»Ihr spielt doch bloß ohne Gage für unser Jugendzentrum, weil ihr Werbung für eure Platten machen wollt!«), die Konservativen für Anarchisten (»Ihr liefert doch die Hymnen für die RAF-Sympathisanten!«), die Politfreaks für unpolitische Klamaukrocker, und für ein Heer von Polizei– und Zollbeamten waren wir anscheinend alle Rauschgift schmuggelnde Terroristen (»Fahren Sie bitte mal rechts ran! Aussteigen, den Laderaum öffnen und ausladen!«)…

Und nicht zuletzt gingen wir uns selber gegenseitig ziemlich auf die Nerven: Weiter kölsch singen oder lieber hochdeutsch oder nicht doch besser gleich englisch? Mehr Geblödel oder mehr Politik? Mehr Jazz (Emerson, unser Organist)? Mehr Punk (Veedelvüür, der linke Gitarrist, von meinem Schlagzeughocker aus gesehen)? Zielstrebig auf die Hit-Single los (Veedelnoh, der rechte)? Mehr Showeffekte für Eiermann, unseren Bassisten? Schnellerhärterlauter für mich, Büb Klütsch, den sie auch Kanaldeckel’s Büb nennen, weil ich mein Schlagzeug-Set eher auf Autofriedhöfen zusammenklaube als bei metro-music?

Monatelange zermürbende Gruppenhydraulik hatte dann zu der Entscheidung geführt, Penner’s Radio für ein Jahr zu beurlauben. Oder so. Also den Blitz, unsere Anlage und unseren Proberaum an die Kollegen von Coppercabana Silver vermietet, im guten alten Maschinensaal der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik noch ein denkwürdiges Abschiedskonzert hingelegt, nach dem nicht nur mein Schlagzeug in Trümmern lag, noch mal gemeinsam die Kante gegeben, zwei Tage Komaland – und dann die vorläufige Endabrechnung für fünf Jahre Penner’s Radio abgesegnet (nach Begleichung aller offenen Rechnungen für jeden sechshundert Mark, sowie vierhundert Platten und zweihundert Poster, die jeder selbst zu Geld machen durfte), bevor wir uns in alle Windrichtungen zerstreuten, um auf den Serpentinen der Selbstfindung und Selbstverwirklichung ein paar Raststätten weiterzukommen. Hardnose the highway*

Eine Alte Dame Ging Hering

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