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Musikunterricht

»Da hammer den Salat!«, stöhnte ’noh, »Bin ich nich’ zu alt für so’n Quatsch, Büb? Sind wir hier am Eigelstein oder wat?« Er hasste Prügeleien. Gitarristenfinger

»Schön wär’s – da könnten wir jetzt in den Kölsche Boor gehn und erst mal ein anständijes Bier trinken.«

»Un’ wat machen wir jetzt mit den Arschgeigen? Ich hab’ keine Lust, meine Klampfe kaputt zu kloppen.«

»Vielleicht könntest du ihnen deine Knoblauchfahne um die Ohren hauen?«

»Shit – die sehn doch aus, als seien sie mit Knoblauchmilch gestillt worden!« Das stimmte allerdings. Blondie hatte seine Eskorte in der Gosse von St.Trop’ rekrutiert – drei Jungs, denen »Straßenratte« groß auf der niedrigen Stirn stand. War er wohl doch nachtragend. Children of nature and love – wat hammer jelaach.*

Saßen wir also hier auf unserer Mole, passten auf die Ölschinken unseres Spaniers auf, der sich »auf ein Viertelstündchen« zu einem kleinen Dämmerschoppen zurückgezogen hatte, tranken ab und zu ein Schlückchen aus der Tequilaflasche, die ich am Vormittag im Hypermarché gefunden hatte, und sahen uns einem unerwarteten Zwei-gegen-Vier-Match gegenüber. Dabei war ich gerade mal froh, dass meine Hinterkopf-Beule abgeschwollen war und meine Schläfenwunde verheilte, ohne genäht werden zu müssen.

»Ich hab’s euch gesagt: Haut ab aus dem Kaff hier!« grinste Blondie.

»Diese Amis«, sagte ich zu ’noh, »völlig versaut von Hollywood un’ Fernsehen. ’Diese Stadt ist nicht groß genug für uns beide, Fremder’, wie?« wandte ich mich an unseren Hippie-Helden. Die drei Ratten zogen sich zu einem Halbkreis auseinander und kamen näher, waren jetzt vielleicht sechs oder sieben Meter von uns weg. Blieben stehen. Grinsten, mitleidig. Kamen näher. Vier Meter.

»Urlaub… «, seufzte mein Partner, nahm unsere beiden Gitarren, ging ein paar Schritte am Wasser entlang und bat Arlo, der auf seinem Seesack saß und seine Querflöte polierte, ein paar Takte drauf aufzupassen. Womit wir dann auch schon unseren ersten Punkt gemacht hatten – zwei Schritte, und ’noh stand halb hinter ihnen, und sie sahen sich gezwungen, sich zu teilen und eine zweite Front zu bilden.

»Warum macht ihr euch nich’ vom Acker und geht ein bisschen Boule spielen?«, fragte er den ihm Nächsten. Der spuckte ihm erst ein paar französische Vokabeln, dann einen Klumpen Rotz vor die Füße, während der zweite versuchte, um ihn herum zu schleichen. Gleichzeitig kriegte ich mit, wie mein Franzmann sich einen dicken Ledergürtel aus den Jeansschlaufen zog. Eine protzige Messingschnalle in Form eines Indianerkopfes mit vollem Häuptlingsschmuck baumelte nun neben seinem Knie. Noch drei Meter. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie ’noh, der ein bisschen gelenkiger war als ich, eine halbherzige einleitende Gerade abwehrte, in seinen Mann hineinglitt, ihn am Kehlkopf packte und aus dieser Drehung heraus dem anderen in den Magen trat.

»Also doch alles wie am Eigelstein«, konstatierte ich. »Na dann –«, schnippte Blondie mein Plektrum ins Gesicht und peste auf den Indianerhäuptling los. Als er endlich ausholte mit seinem halben Meter Gürtel, war ich schon viel zu nah dran. Ich hieb ihm mit der Rechten einen kurzen Haken auf’s Herz, schlängelte mich unter seinem erhobenen Arm hindurch, knallte ihm mit der Linken drei durchgedrückte Finger in die Achselhöhle, und als er seinen Gürtel fallen ließ, weil ihm der Arm plötzlich lahm geworden war, fing ich das Ding auf und wickelte es ihm von hinten um den Hals. Damit hatte ich ihn zwischen mir und Blondie stehen, der gerade heranstürmte, und brauchte seinem Hinterkopf bloß einen Stups zu geben, damit er Blondie eine dicke Lippe köpfte.

»Das is’ besser als am Eigelstein«, grinste ich den an, »so’n Franzmännchen is’ klein und wiegt nix. Kein Vergleich zu einem Nippeser Schiffsschaukelbremser.«

Ich sollte nicht immer so vorlaut sein. Meine Ratte nutzte die Ablenkung und rammte mir beide Ellbogen in die Rippen, dass mir die Luft wegblieb. Aber ich bin ja nicht nur vorlaut, sondern auch noch ein Trotzköpfchen – während ich in die Knie ging, zog mein Gewicht das Leder um seinen Hals empfindlich enger. Er quiekte wie ein Hund vor einem Kaninchenloch. Ich ließ den Gürtel los, und wo ich schon mal so tief gesunken war, packte ich von hinten seine Schienbeine und stieß ihm meinen Kopf gegen den Hintern. Weil seine erste Reaktion natürlich der Griff an den Gürtel war, knallte er erst mit den Ellbogenknochen, dann mit dem Gesicht auf den Asphalt. Ich versuchte mühselig, Luft in meine Lungen zu kriegen, rote Pünktchen vor meinen Augen.

Dann kriegte ich erst mal eine erfrischende Dusche – ’noh war es gelungen, aus einer seiner beiden eine Wasserratte zu machen; die kletterte gerade prustend, spuckend und fluchend die Mole wieder hoch. Nicht, dass wir es damit hinter uns hätten. ’nohs zweiter Mann warf auf einmal ein gemein aussehendes Messer von einer Hand in die andere, und als ich versuchte aufzustehen, trat mir Blondie gegen den Hals. Im Winter am Eigelstein wär’s das gewesen für mich, aber er trug zum Glück nur diese weichen Riemchensandalen für Großstadtindianer. Ich mag aber auch keine Riemchensandalen. Trotzdem musste ich noch mal kurz zur Seite in den Staub kippen. Langsam wurde ich sauer.

***

»Ihr geht besser wieder dahin, wo ihr hingehört, Scheiß-Krauts«, geiferte Blondie, seine Gitarre wieder unter dem Arm, »wenn ihr nicht auf euren Arsch aufpasst, könntet ihr ziemlich bald als Fischfutter enden!« Aber Rotwein ist ja nun kein Getränk, das einen völlig kleinmütig macht.

»Fischfutter, hä?«, amüsierte ich mich, stand auf und nahm ihm seine Gitarre weg. Er wollte sich auf sie stürzen, aber ich ließ ihn einen halben Schritt an mir vorbei stolpern und trat ihm kurz in die Kniekehlen. Er knickte ein, und ich haute ihm von der Seite die flache Hand vor die Stirn. Schon lag er auf dem Rücken, wo ich ihn haben wollte. Ich stellte ihm einen Fuß unters Kinn und legte ein bisschen Gewicht drauf, damit er aufhörte, sich darunter loszuwinden. »Du häls’ jetz’ besser still, Blendaxmännchen, jetz’ is’ Musikunterricht«, ermahnte ich ihn. Seine drei Figuren wollten sich einmischen, aber plötzlich stand links von ihnen ein kahlköpfiger, braungebrannter kleiner Kerl, vielleicht an die sechzig, in einem hellblauen italienischen Leinenanzug, darunter ein T-Shirt mit einem Siebdruck des Buckingham Palace, an einer kurzen Leine eine Dänische und eine Deutsche Dogge – ein echter Europäer –, und schüttelte den Kopf.

»Ça suffit!«*, knurrte er, aber das Knurren der Doggen war doch noch ein Stückchen beeindruckender. Auf dem rechten Flügel hielt ein ähnlich aussehender Typ in einem rosa Tropenanzug mühsam einen gemütlich grinsenden Mastiff an der kurzen Leine. Eins von diesen Viechern, die die ganze Felge mitfressen, wenn sie mit einem Autoreifen spielen.

»Guck zu, Sonnyboy, damit du was lernst«, sagte ich zu Blondie und begann die Saiten seiner Gitarre abzuschrauben. Er bäumte sich auf und krallte beide Hände in meine nackte Wade. Zum Glück hatte er ordentlich gestutzte Gitarristenfingernägel. Trotzdem lehnte ich mich noch ein bisschen nachdrücklicher auf seinen Kehlkopf, bis es ihm die Zunge aus dem Mäulchen drückte. »Guck!«, sagte ich und ließ die sich wieder zusammenkringelnden Saiten hübsch nacheinander auf sein Gesicht fallen, »Eine – Alte – Dame – Ging – Hering – … ’noh, wie heißt noch mal die verdammte sechste? Ich kann mir dat einfach nich’ merken – Angeln? Fischen? Fangen? Kaufen?«

»Essen!«, rief ’noh vergnügt. Er hatte seine Klampfe schon wieder im Arm und ließ seinen Slide-Ring über die hohe E-Saite singen.

»Essen«, wiederholte ich zufrieden, bückte mich und drückte sie Blondie zwischen die Werbefernsehbeißerchen. »Listen, Goldilocks«*, sprach ich ihn auf Englisch an, damit er mich auch ganz sicher verstand, »wenn du mir noch mal anders als freundlich über die Füße läufst, nehm’ ich die dickste Bass-Saite, die ich kriegen kann, und schieb’ sie dir hinten rein, bis sie dir zur Nase wieder rauskommt. Und dann stimm’ ich dich ordentlich durch und zeig’ dir mal den wahren Rock ’n’ Roll. Got me?«* Er röchelte zweimal. Ich nahm’s für Zustimmung.

Ich bin nicht Pete Townshend, also legte ich ihm sein nacktes Instrument unbeschädigt und sanft auf den Bauch, drehte mich um, setzte mich auf die Kaimauer, nahm meine eigene Klampfe und gab eine etwas eigenwillige Kurzversion von If You’re Lookin’ For Trouble zum Besten – das hatten wir noch nie geprobt. Ein paar der Umstehenden applaudierten trotzdem.

Blondie rappelte sich auf, klemmte seine saitenlose Gitarre unter den Arm, zischte mir noch ein »See you! You bet!«* entgegen und schlich sich ins Le Charmeur. Wo er ja auch hingehörte. Unsere drei Ratten hatten sich schon in drei verschiedenen Richtungen verpisst. Sie mochten wohl keine Hunde..

»Morgen kaufen wir uns aber ein Peace-Amulett und stecken uns ein paar Blumen ins Haar, Büb. Dat is’ doch kein Urlaub!« Ich nickte nur und suchte unsere Flasche. Sie war noch heil geblieben. Der Tag doch nicht völlig hinüber. Wir nahmen jeder einen großzügigen Schluck.

»Ich glaube, wir sollten heut’ Abend mal unsere Karre umparken«, sagte ich zu Veedelnoh.

»So viel Sprit ha’m wir garnich’, um die weit genug wegzufahren,« knurrte er trocken.

»Willste sie anzünden?«

»Damit wir hier nie mehr wegkommen, du Hirn?«

Dann ging er rüber zu dem Doggenmann, um sich charmant und weltmännisch zu bedanken. »Vielen Dank, Monsieur, eh, merci beaucoup«, stotterte er. Der lachte freundlich und reichte uns eine ledrige Hand.

»Gérard Bérat, meine ’erren. Es ist mir eine Vergnügong.« Er ließ ’nohs Hand erst los, als der hustete und nach seinem Tabak fummelte. »Versseihen Sie das unmöglische Benehmen meinör Landsleute – sie sind jung und wild – petits sauvages. Aber wir sind nischt alle comme ça. Écoutez, isch ’abe Sie schon ein paar Tage beobachtet – mir gefällt Ihre musique. Um Ihnen beides zu beweisön, möschte ich Sie gerne bitten, mir die Ehrö zu erweisen, ’eute Abend mein Gast zu sein auf der Bératta«, er deutete hinter sich auf einen babyblau schimmernden Kahn mit zwei Masten, der aussah, als könne er auch gut und bequem sechs Kegelvereine von Köln nach Rüdesheim den Rhein hoch schippern, »und vielleischt auch für ein kleinös Stündschen meine Gäste ssu unter’alten, oui? Natürlisch isch werde Ihnen bessahlen ein angemessön ’onorar.«

’noh und ich guckten uns an. Wenn man so lange zusammen ist wie wir beide, in Probekellern und Tourbussen, Autobahnraststätten und Hotelbars, in engen, aber zugigen Garderoben, auf Stadthallenbühnen und Schützenzeltpodesten, in Doppelbetten und WG-Küchen und an, über den Daumen, zwölf– bis fünfzehnhundert Theken, dann muss man nicht mehr so viel reden (richtig, Manni: Wat sommer spreche?).*

Ich hatte wahrhaftig nicht die geringste Lust, die halbe Nacht damit zu verbringen, irgendwelchen mehr oder weniger alten Jungs auf die Finger zu klopfen, weil sie an meinen knackigen Arsch wollten. Aber allein Bérats geflochtene Slipper waren ganz klar mehr wert als alles, was wir in den letzten sieben Wochen an Kohle verbraten hatten, inklusive Spritgeld, und der Gedanke an was Anständiges zu Fressen und zu Saufen ließ all meine Bedenken in einem bösartigen Magenknurren verklingen. Und dass es Veedelnoh nicht anders ging, war ihm leicht anzusehen.

Eine Alte Dame Ging Hering

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