Читать книгу „So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“ - Richard A. Huthmacher - Страница 20
LUTHERS GOTTESBILD: „MONSTRÖS, UNGE-HEUERLICH, ZUTIEFST ERSCHRECKEND, ER-SCHÜTTERND UND ABSTOSSEND, UN-MENSCHLICH, IRRATIONAL UND ABSURD“
ОглавлениеMeine Liebe!
Zudem gilt festzuhalten: „Die meisten Protestanten wissen es nicht, und die Theologen der Evangelisch-lutherischen, der Calvinistischen und der Zwinglianischen Kirche nebst deren zahlreichen Deviationen und Denominationen werden es ihnen … auch nicht sagen[:] … [D]as Gottesbild Luthers … ist … monströs, ungeheuerlich, zutiefst erschreckend, erschütternd und abstoßend, unmenschlich, irrational und absurd … Die Aufdeckung des haarsträubenden Gottesbildes Luthers würde auch die letzten Getreuen aus den Kirchen …treiben.“
Geradezu sadistische Züge zeige er, Gott: „Er schlingt einen hinein und hat solche Lust daran, dass er aus seinem Eifer und Zorn dazu getrieben wird, die Bösen zu verzehren. Fängt das einmal an, dann hört er nicht mehr auf.“ „ … [S]o ist er ungerecht und hat viel mehr Sünde denn der Teufel, ja er ist erschrecklicher und grewlicher denn der Teufel, denn er handelt und gehet mit uns umb mit gewalt, plaget und martert uns …“ „Das ist denn das verzehrend fressige Feuer.“
„Und wirst du sündigen, so wird er dich auffressen.“
„Denn Gott ist ein Feuer, das verzehret, frisset und eifert, das ist, er bringt euch um wie das Feuer ein Haus verzehrt …“
„Lehren [Lernen] soll man zwar von Gottes unausforschlichem und unbegreiflichem Willen; aber sich unterstehen, denselben zu begreifen, das ist sehr gefährlich und man bricht sich dabei den Hals.“
„[I]ntolerabilis … humanae naturae“, untragbar für die menschliche Natur sei Gott, „mysteriis suis et iudiciis impervestigabilibus“, in seinen Geheimnissen und seinem Urteil nicht zu ergründen; seine Macht offenbare sich „in metuendis mirabilibus et iudiciis suis incomprehensibili- bus", will meinen: in seinen Wundern, die gleichermaßen zu fürchten, in seinen Ratschlüssen, die nicht weniger unbegreiflich seien.
Ist hier etwa eine Nähe zur Willkür weltlicher Herrscher und deren – der Willkür wie der Herrscher – (pseudo-)intellektuelle Rechtfertigung zu erkennen – quod licet Iovi convenit principi non licet bovi: Was für Gott gilt geziemt sich für die Fürsten, aber nicht für das Volk.
Rechtfertigt Luther gar deren, der Fürsten Herrschaft, will meinen: Tyrannei? Unter Berufung auf eine (vermeintlich resp. angeblich) höhere, ungleich größere, sehr viel umfassendere Macht (Gottes)?
Ist Luther „nur“ ein angstgeplagter, von Zweifeln zerrissener, nach einem Ausweg aus seiner Verwirrung suchender Psychopath oder ein durchaus bewusst handelnder intellektueller Brandstifter? Oder beides?
Fragen über Fragen. Zu deren Beantwortung. Liebste, unser Briefwechsel beitragen will – abweichend von der offiziösen Lesart, die von einem „Re-formator“ statt von einem „Re-stitutor“ (der alten in einer neuen, humanistisch-aufgeklärten Zeit) spricht: Bisweilen ist der Herren Dank der Herren Diener gewiss.
Und weiterhin: Spielten Luther und die „Reformation“ an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eine ähnliche Rolle wie die Französische Revolution und deren Ausgeburt, Napoleon, beim Übergang vom Feudalismus zum Bürgertum? Gebiert, mithin, jede Zeit resp. Zeitenwende die Ungeheuer, die sie verdient? Ungeheuer, die Not und Tod verursachen, obwohl sie (angeblich) für die „Freiheit eines Christenmenschen“ resp. für „liberté, égalité, fraternité“ angetreten sind.
[Anmerkung des Herausgebers: Und gebären – derart, zwangsläufig und folgerichtig – nicht auch Kapitalismus und Neoliberalismus ihre eigenen Ungeheuer: einen Rotschild und einen Rockefeller, einen Gates und einen Sorros, einen Drosten und einen Tedros Adhanom, also neue Herren und deren Adlati, Diener und Vollstrecker? Am Übergang zu einer („neuen“) post-faktischen Zeit. Einer neuen Irrationalität. Im Zeitalter der Pseudo-Wissenschaftlichkeit. Deren, letzterer, Aufgabe es ist, die Interessen derer, die sie, die sog. Wissenschaften, bezahlen, zu legitimieren. Wie irrational die „wissenschaftlichen“ Begründungen auch sein mögen. Beispielsweise dann, wenn man ein Husten- und Schnupfen-Virus als neue Pestilenz verbrämt.]
Ergo und notabene: Newspeak ist keine Erfindung Orwells, Neusprech nicht die des Neoliberalismus´!
Und bedienen die „Protagonisten“ solcher Übergänge (doppelzüngig allemal, bisweilen inkonsistent in ihrer Haltung) nicht immer die Interessen derer, denen am Bestand alter [resp. „neuer alter“ Unterdrückungs-]Strukturen und Herrschaftsverhältnisse gelegen ist?
Wären sie, die vermeintlichen Vorkämpfer, andernfalls nicht längst in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden?
Denn, bekanntlich, ist die je herrschende Geschichtsschreibung die Geschichtsschreibung der Herrschenden. Und diese, letztere, setzen sich keine Laus in den Pelz. Ansonsten würden sie nicht herrschen. Sondern wären längst von der Bühne der Geschichte abgetreten.
Sind die – vermeintlichen – Protagonisten einer neuen mithin nicht oft, vielleicht gar meist die Restauratoren der alten Zeit? Ansonsten sie, allenfalls, als Deutera- oder Tritagonisten eine unbedeutende, längst vergessene Rolle in der Tragödie spielen würden, die man der Menschen Geschichte heißt und die in immer gleicher Szenenfolge aufgeführt wird – mit jeweils anderen Darstellern. Von denen, die in der Tat die Macht haben, das Schauspiel zu inszenieren, das sich Historie nennt, indes nichts anderes als das Kaschperl-Theater kennt. Mit Marionetten (wie Luther), die an den Fäden der tatsächlich Mächtigen hängen. Wiewohl die Puppenfiguren bisweilen eine Eigendynamik entfachen (wie beispielsweise der Wittenberger die Bauern- und Religionskriege), die nicht im Sinne der Herrschenden sein mögen, vielmehr als „Kollateralschäden“ zu betrachten und als Nebenwege der Geschichte (von Herrschaftssicherung und Machterhalt) zu erachten sind. [Anmerkung: Ist auch Donald Trump ein solcher „Betriebsunfall“ im Machtspiel der Herrschenden? Der, Trump, eine Eigendynamik entwickelt, welche die Ranküne der im Hintergrund Herrschenden zu durchkreuzen droht. Oder ist auch er nur die – geschickte – Inszenierung des alten Spiels, das in hegelscher Dialektik vermeintliche Thesen und Antithesen anbietet, um dann, in der jeweiligen Synthese, die Pläne der tatsächlichen Macht-Haber – aktuell The New World Order – zu verwirklichen?]
Jedenfalls repräsentiere, so Luther, Gott selbst (in „sua natura et majestate“, seiner Natur nach und in all seiner Macht) das Irrationale, das Abstruse, das Dunkle und Gewalttätige, das Maß- und Zügellose, auch das Triebhafte: „Er [Gott] ist ohne Maß, Gesetz und Ziel und betätigt sich im ganz Paradoxen.“
Ist nicht auch hier, wiederum, die Nähe eines despotischen Gottes zur Willkürherrschaft von Klerus und Adel zu erkennen? Schuf Luther Gott nach dem Ebenbild seiner („christlichen“ wie weltlichen) Herren?
Ist Gott (in Luthers Vorstellung) nichts anderes als seine, Luthers, Projektion eines gewalttätigen Vaters und einer vergrämten und freudlosen Mutter: „Wie aus einem Vaterkonflikt der Konflikt mit der Mutter Kirche entstand: Als junger Mann durchlief Luther eine dramatische Identitätskrise: Er rebellierte gegen seinen dominanten Vater, weigerte sich[,] zu heiraten und Jurist zu werden; stattdessen trat er ins Kloster ein und ließ sich zum Priester weihen – bis er sich im Alter von 34 Jahren dann … gegen die Autoritäten von Papst und Kirche stellte. Luther hatte damit eine Lösung für seine persönliche Krise gefunden, die gleichzeitig einschneidende Umwälzungen für die gesamte christlich-westliche Welt bedeuteten.“
Jedenfalls: Luther hatte Angst. Und schuf Angst. Sicherlich auch im Sinne seiner Oberen: „Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist“, wusste schon Tacitus. Und nicht erst der Neoliberalismus. [Der werte Leser erlaube nochmals eine Anmerkung des Herausgebers: Was wäre die „Corona-Krise“ ohne die – wohlgemerkt: vollkommen irrationale – Angst vor einem banalen Erkältungs-Infekt?]
Luther hatte viel Angst. Zuvörderst vor dem Teufel. „Der quält ihn körperlich … [Luthers] Ohrgeräusche geben in den ersten Jahren der Ehe … Ruhe, … als später [jedoch] sein Vater stirbt, fühlt er … [geradezu] Donnerschläge im Kopf. In seinen antisemitischen Hetztiraden stellt er sich vor …, wie Juden die Exkremente des Teufels … verzehren … Gegen den Teufel helfen … [so Luther:] Sex, … Essen, Trinken, Witzemachen …
Er [Luther] sieht ihn [den Teufel] nicht, er hat kein Bild von ihm, doch er hört ihn und spürt ihn. [P]hysisch … [Er] zeigt sich in ´Anfechtungen´, die Luther überfallen. Als Grübeln. Als Melancholie. Als Zweifel. Der Teufel raubt … den Schlaf … Er sorgt für Verstopfung. Er lässt die Körperflüssigkeiten stocken. Er will … das Witzemachen austreiben. Er ist … ein Spielverderber …
Luthers Überzeugung, die ihn von … Zeitgenossen unterscheidet, lautet: Nur wer vom Teufel ständig angegriffen wird und sich ihm stellt, entwickelt den stärksten Glauben, und im Glauben allein ist der Weg zu … Gott …
´Ich kenne ihn genau, und er kennt mich …´, sagt Luther, man … [möchte glauben], er meint Gott … [Doch er meint den Teufel.] Luther verlagert das Böse … nach innen …, der Teufel ist nicht ein anderer. [Außerhalb.] … [Und er] wirkt, wo er will.“ Innerhalb. In ihm. In Luther. Als Gegenentwurf. Zu Luthers Gottesbild.
Das, gleichwohl, noch viel schrecklicher als das des Teufels erscheint. Denn Luther projiziert seine eigene gewalttätige Natur, seine Grobheit, seine Triebhaftigkeit, seine Zügellosigkeit in eben diesen Gott. „Bis an die Grenze der Gemütskrankheit“ zeichnet Luther sein „irrationales Erleben eines tief irrationalen transzendenten Objektes, das sich fast der Bezeichenbarkeit … ´Gott´ entzieht. Und dies ist die dunkle Folie für das gesamte Glaubensleben Luthers. An unzähligen Stellen seiner Predigten, Briefe, Tischreden wird diese Folie sichtbar.“
Mithin: Gott ist böse. Der Teufel ist böse. Und Luther kämpft gegen das Böse. Oder doch, nur, gegen seinen psychotischen Wahn?
Allein durch die Gnade Gottes, nicht durch seine Taten und Verdienste sei der Mensch gerechtfertigt, so Luther; ein Gedanke, der nur schwer zu ertragen sei und deshalb, auch heute noch, den Christen lutherischen Glaubens nicht verkündet werde.
Gleichwohl: Aufgrund solch ekklesiogener, d.h. durch die lutherischen Lehre verursachter Neurosen seien unter evangelischen Pfarrern und deren Frauen, unter evangelischen Religionslehrern und Theologiestudenten 10-mal mehr Verzweifelte und Lebensmüde zu finden als in der Normalbevölkerung. So jedenfalls der Theologe, Arzt und Psychotherapeut Klaus Thomas („So erschöpfend und mit so viel innerem pastoralem Engagement ist wohl das Selbstmordproblem noch nie behandelt worden wie in dem hier angezeigten Werk des evangelischen Theologen, Arztes und Psychotherapeuten Klaus Thomas, dem Begründer der Lebensmüdenbetreuung in Deutschland …“).
In der Tat: Ein monströses, erschreckendes, ein irrationales, absurdes und unmenschliches Gottesbild, das Luther zeichnet. Das in fataler Weise an die Willkürherrschaft kirchlicher und weltlicher Herren – erstere oft in Personal-union mit letzteren – zu Luthers Zeit erinnert.
Hat Luther mithin, schlichtweg, die realen gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit internalisiert und auf Gott und sein, Luthers, Gottesbild projiziert?
Jedenfalls liegt auf der Hand und ist kaum zu bestreiten, dass Luthers Theologie oft nichts anderes reflektiert als seine eigene psychopathische Persönlichkeit, seine Zerrissenheit, seine Neurosen, auch seine rezidivierenden Wahnvorstellungen im Sinne einer Psychose.
Ein psychisch zutiefst kranker Mensch gleichwohl der Begründer einer neuen resp. der Reformator der alten Kirche?
Heutzutage würde Luther wohl hinter den Mauern einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt verschwinden (mit welcher Wahrscheinlichkeit und ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt); dennoch war er Wegbereiter, Sinnstifter und Symbolfigur einer religiösen Bewegung, der mittlerweile weltweit mehr als 1 Milliarde Menschen anhängen.
Eigentlich kaum vorstellbar. Dennoch Fakt.
Ob Luthers Gottesbild stecken evangelische Geistliche in einem Dilemma: „Entweder sie identifizieren sich mit diesem Gottesbild, wozu sie eigentlich von Amts wegen verpflichtet sind. Dann partizipieren sie an dessen inhumanem, die Menschenwürde mit Füßen tretendem Charakter. Oder sie identifizieren sich eben nicht mit Luthers Gottesbild. Dann stehen sie in innerer Opposition zu ihrer Kirche und deren Lehre, für die das Gottesbild Luthers verbindlich und zentral ist. Die Folge sind Versteckspiel und Heuchelei, weil man nach außen hin eine Rolle spielt, die mit der inneren Bewusstseinslage nicht übereinstimmt.
So also glauben selbst evangelische Pfarrer immer weniger an Gott – wiewohl Luther verlangt: „Dies ist der höchste Grad des Glaubens: glauben, dass der [barmherzig und] gütig ist, der so wenige rettet, so viele verdammt; glauben, dass der gerecht ist, der durch seinen Willen uns notwendigerweise zu Verdammenswerten macht.“
Und, mehr noch: Die gesamte evangelische Theologie droht, sich an Luthers Gottesbegriff zu scheiden und an demselben zu scheitern: „Gott, das ist einst ein anspruchsvolles Wort gewesen. Doch es droht immer mehr zu einem unpassenden Wort zu werden.“
Für manchen Theologen mag heutzutage gelten: Die Negierung der Existenz Gottes erspart die Theodizee, also die Rechtfertigung des Allmächtigen angesichts des Elends in der Welt; man muss nicht (zu) erklären (versuchen), weshalb er, Gott, (frei nach Goethe) nicht einmal das Gute will und stets das Böse schafft, hätte er sehr wohl doch Macht und Kraft, dem Gutem zum Sieg zu verhelfen.
Vor den Theologen hatten schon die Philosophen „den Tod Gottes“ verkündet. Nicht nur Nietzsche, sondern auch Feuerbach, Hegel und Marx. Später die Existentialisten, allen voran Camus und Sartre.
Und wieder andere waren der Meinung: „Gott ist nicht ganz tot.“
Für Luther indes war Gott alles andere als tot. Er war omnipräsent. Und er, Luther, würde sich im Grabe umdrehen, wüsste er von all den Verdrehungen und Verrenkungen, die man derweil mit „seinem“ Gott anstellt. „Sola scritura“, würde er wortmächtig intervenieren. Und verleugnen, dass sein Gottesbild vornehmlich seiner eigenen psychischen Verfasstheit entsprang. Und deshalb so zerrissen, so widersprüchlich und gleichermaßen so konsistent war und ist wie Luther selbst.
Dessen latenter Pantheismus eigentlich ein „Pan-Dämonismus“ war, der nicht das Göttliche im Menschen erfasste, vielmehr in ihm, dem Menschen, das Wirken des Teufels zu erkennen glaubte; Luthers „resignatio ad infernum“ bringt diese zutiefst pessimistische Einstellung zum Ausdruck.
Mithin ist Luthers Christenmensch ein fortwährender Sünder, der in Zweifel und Zwiespalt lebt; was bleibt ist eine vage Hoffnung: „peccator in re, iustus in spe“.
„Wohl jedem klinischen Psychologen sind aus seiner Praxis Fälle ´ekklesiogener Neurosen´ bekannt: Patienten, die unter religiösen Schuldgefühlen leiden, Menschen, die unter der Last ihres Glaubens zusammengebrochen sind.“
Angesichts des lutherischen Gottesbildes erstaunt auch die (willkürliche, despotische, bisweilen gar sadistische) Strenge nicht, mit der Kinder in evangelischen Jugendheimen erzogen wurden. Und missbraucht. Im weitesten Sinne. Bis in die Siebziger Jahre. Und weiterhin werden. Auch heutzutage. Wie die Enthüllungen jüngerer Zeit – (einem barmherzigen) Gott sei Dank, bin ich anzumerken geneigt – ans Licht der Öffentlichkeit gebracht haben.