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OBITER DICTUM: „MARTINUS LUTHER, DASS IHR´S WISST, DER ZU WITTENBERG AUGUS-TINER IST, DER HAT ERWECKT UNS VON DER NACHT“ – WIE LUTHER LITERARISCH REZI-PIERT WURDE“ (TEIL 1)

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Liebster!

Zwar schreibt Hölderlin, gigantisch in der Sprache, neben der Sache in vermeintlicher Erkenntnis:

„Ja! in seinem Namen will ich beten,

Und du zürnst des Beters Erdewünschen nicht,

Ja! mit freiem, offnem Herzen will ich vor dich treten,

Sprechen will ich, wie dein Luther spricht.

Bin ich gleich vor dir ein Wurm, ein Sünder –

Floß ja auch für mich das Blut von Golgatha –

O! ich glaube! Guter! Vater deiner Kinder!

Glaubend, glaubend tret ich deinem Throne nah.“

Doch gab es In Aufklärung und Klassik m. E. nur eine einzige literarisch bedeutende Auseinandersetzung mit Luther – die von Kleist im Michael Kohlhaas. Und, ausgehend von Novalis´ Schrift Die Christenheit oder Europa, kehrte sich das Lutherbild in und seit der (deutschen) Romantik ins Negative; denn nicht nur Heine (dieser, s. zuvor, durchaus positiv, fast lobhudelnd), sondern auch (s. ebenfalls zuvor) Börne und namentlich Feuerbach, der sich spaßeshalber „Luther II“ nannte, sowie Marx setzten sich im (18. und) 19. Jhd. mit Luther, ihrerseits sehr wohl kritisch, auseinander: „Es ist Feuerbachs Verdienst, die in der christlichen Theologie herrschende Einseitigkeit mit der paulinisch-lutherischen Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben alles allein auf den Glauben zu stellen, neu überdacht und korrigiert zu haben.“

Zutreffend, mehr noch: mit intellektueller Brillanz schreibt Marx: „Deutschlands revolutionäre Vergangenheit ist theoretisch, es ist die Reformation. Wie damals der Mönch, so ist es jetzt der Philosoph, in dessen Hirn die Revolution beginnt. Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußern Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum innern Menschen gemacht hat.“

Im deutschen Kaiserreich (nach 1871) waren es dann Schranzen wie Conrad Ferdinand Meyer – der heute, Liebster, sicherlich mit dem Nobelpreis geehrt würde, da ich lob ich mir gar einen Bob Dylan –, welche die deutsche Sprache, inhaltlich wie formal, zu Luthers Lob und vermeintlich Ehr´ missbrauchten:

„Herr Luther, gut ist Eure Lehr,

Ein frischer Quell, ein starker Speer:

Der Glaube, der den Zweifel bricht,

Der ewgen Dinge Zuversicht,

Des Heuchelwerkes Nichtigkeit!

Ein blankes Schwert im offnen Streit! –

Ihr bleibt getreu trotz Not und Bann

Und jeder Zoll ein deutscher Mann.“

Oder auch:

„Er trug in seiner Brust den Kampf verhüllt,

Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt …

Er fühlt der Zeiten ungeheuren Bruch

Und fest umklammert er sein Bibelbuch.“

Und der Historiker Heinrich von Treitschke – Verfasser von: „Die Juden sind unser Unglück“ – verklärte Luther zum Vereiner von Deutsch- und Christentum: „Luther wurde … zur Ikone der Einheit von Deutschtum und Christentum im werdenden deutschen Nationalstaat. Treitschkes Rede zum 400. Geburtstag Luthers 1883 vollendet diesen Prozess. Luther sei ´Blut von unserem Blute. Aus den tiefen Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der alte Heldenmut der Germanen, der die Welt nicht flieht, sondern sie zu beherrschen sucht durch die Macht des sittlichen Willens.´“

Derart führt „[e]ine kontinuierliche Linie von preußischen Historikern über protestantische ´Kriegstheologen´ von 1914-18 und das republik-feindliche Luthertum der zwanziger Jahre bis ins Nazi-Reich.“

In der Luther-Literatur nach Ende des 2. Weltkriegs erscheint namentlich Stefan Heyms Roman Ahasver erwähnenswert; hier wird ebenso Luther wie dem Luthertum, mehr noch dem ganzen Christentum der Prozess gemacht; Jurek Becker schreibt über Heyms Roman:

„Ahasver war ein jüdischer Schuster … Als Jesus, das Kreuz zum Berg Golgatha schleppend, ans Haus des Schusters kam und anhielt, um … auszuruhen, jagte der ihn von seiner Tür. Jesus verfluchte ihn, Ahasver war verurteilt, bis zu des Heilands Wiederkehr umherzuirren auf der Erde, ruhelos. Aus dem Schuster Ahasver wurde der Ewige Jude …

Der wirkliche Ahasver hat Stefan Heym als Vorlage für eine imposante Neuerfindung gedient. Sein Ahasver, ein gefallener Engel, weist den Heiland nicht … kleinlich ab, … er hat Gründe dafür. Er liebt ihn, er ist bereit, sich für ihn zu zerreißen, er fleht ihn an, sich zu wehren, das Kreuz hinzulegen, das Schwert zu nehmen und gegen seine Peiniger zu kämpfen … Er sagt: ´Glaubst du, den da oben kümmert´s, wenn sie dir die Nägel treiben werden durch deine Hände und Füße und dich stückweise absterben lassen am Kreuz? Er hat doch die Menschen gemacht, wie sie sind, und da willst du sie wandeln durch deinen armseligen Tod?´ …“

Gleichwohl: „Wer über die neuere deutsche Literatur reden will ..., muß … mit Luther beginnen ...“ Und: „… [I]ch weiß. daß durch diese [Luther-]Bibel, wovon … die Schwarze Kunst … Tausende von Exemplaren ins Volk schleuderte, die Lutherische Sprache in wenigen Jahren über ganz Deutschland verbreitet und zur allgemeinen Schriftsprache erhoben wurde. Diese Schriftsprache herrscht noch immer in Deutschland und gibt diesem politisch und religiös zerstückelten Lande die literarische Einheit.“ Mithin: „Er [Luther] gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache.“ So jedenfalls – und m.E. zu Recht – Heinrich Heine. So auch mein Dafürhalten. Als promovierte Germanistin.

„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“

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