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EXKURS: ERASMUS VON ROTTERDAM UND MARTIN LUTHER – DER KAMPF ZWEIER GIGANTEN, REFLEKTIERT VON STEFAN ZWEIG

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Liebster!

Ich bemühe (zunächst) Stefan Zweig, um die Auseinandersetzung zwischen Erasmus und Luther vor Augen zu führen:

„Er [Erasmus] hatte als der erste deutsche Reformator ... nach den Gesetzen der Vernunft die katholische Kirche zu erneuern gesucht; aber ihm, dem weitsichtigen Geistmenschen, dem Evolutionär, sendet das Schicksal den Tatmenschen …, Luther, den Revolutionär, den dämonisch Getriebenen dumpfer deutscher Volksgewalten. Mit einem Schlage zertrümmert Doctor Martins eiserne Bauernfaust, was die feine, bloß mit der Feder bewehrte Hand des Erasmus zaghaft zärtlich zu binden sich bemühte …“ So Stefan Zweig. Und weiterhin derselbe:

„Einen schweren Fluch spricht Luther, der Protestant, über seinen [Erasmus´] Namen aus, die katholische Kirche wiederum setzt alle seine Bücher auf den Index … Nie wird Erasmus in der heftigen und jeden Widerspruch wegfegenden Art Luthers, Zwinglis oder Calvins statuieren, was in der katholischen Kirche richtig sei, oder was unrichtig, welche Sakramente verstattet seien und welche ungehörig, ob das Abendmahl substantiell oder unsubstantiell zu verstehen sei; er beschränkt sich nur darauf, zu betonen, daß nicht schon die Einhaltung der äußeren Formen an sich das wahre Wesen christlicher Frömmigkeit sei … [A]ls Textkritiker, Philolog und Exeget [übersetzte er, Eramus] die Evangelien aus dem Griechischen ins Lateinische …, eine wegbereitende Tat für Luthers deutsche Bibelübersetzung und von fast gleicher Bedeutsamkeit für die Zeit … [A]us Instinkt sind von der ersten bis zur letzten Stunde diese beiden Männer einander ausgewichen, die in unzähligen Schriften und auf zahllosen Kupferstichen Bild an Bild und Name an Name als die Befreier vom römischen Joch, als die ersten redlichen deutschen Evangelisten gemeinsam gefeiert wurden … Blickt man von d...em stämmigen, grobfleischigen … Erdenkloß Luther … zum Geistmenschen Erasmus, zu dem pergamentfarbenen, feinhäutigen, dünnen, gebrechlichen … Menschen, blickt man die beiden nur körperlich an, so weiß das Auge schon vor dem Verstand: zwischen solchen Antagonisten wird dauernde Freundschaft oder Verständnis niemals möglich sein …

Auf dem Kampfplatz wird der hochgebildete Doctor theologiae [Luther] sofort zum Landsknecht: ´Wenn ich komm, schlage ich mit Keulen drein´, ein rasender Grobianismus, eine berserkerische Besessenheit erfaßt ihn, er greift rücksichtslos zu jeder Waffe, die ihm zur Hand kommt, zum feinfunkelnden dialektischen Schwert ebenso wie zur Mistgabel voll Schimpf und Dreck; rücksichtslos schaltet er jede Hemmung aus und schreckt auch notfalls vor Unwahrheit und Verleumdung zur Austilgung des Gegners nicht zurück. ´Um des Besseren und der Kirche willen muß man auch eine gute, starke Lüge nicht scheuen.´ Das Ritterliche ist diesem Bauernkämpfer völlig fremd. Auch gegen den schon besiegten Gegner übt er weder Noblesse noch Mitleid, selbst auf den wehrlos am Boden Liegenden drischt er in blindwütigem Zorn weiter … Er jubelt, als Thomas Münzer und Zehntausende Bauern schandbar hingeschlachtet werden, und rühmt sich …, ´daß ihr Blut auf seinem Halse ist´, er frohlockt, daß der ´säuische´ Zwingli und Karlstadt und alle anderen, die je ihm widerstrebten, elend zugrunde gehen – niemals hat dieser haßgewaltige und heiße Mensch einem Feinde auch nach dem Tode gerechte Nachrede gegönnt … ´Ein Mensch, sonderlich ein Christ, muß ein Kriegsmann sein´, sagt er stolz …

Nicht nur antworten will er [Luther] … dem Erasmus, sondern ihn völlig zerschmettern. Bei Tisch, vor seinen versammelten Freunden, kündigt er seine Absicht mit den fürchterlichen Worten an: ´Darum gebiete ich Euch auf Gottes Befehl, Ihr wolltet dem Erasmus Feind sein und Euch vor seinen Büchern hüten. Ich will gegen ihn schreiben, sollt ihr gleich darüber sterben und verderben; den Satan will ich mit der Feder töten´, und beinahe stolz fügt er bei, ´wie ich Münzern getötet habe, dessen Blut liegt auf meinem Hals´.“

Dass Luther oft wütete wie die Sau im Walde war allenfalls Ausdruck seiner Zügellosigkeit, indes kein Indiz für Genialität, wie diese ihm, darob und allzu gerne, unterstellt wird. Wüten – so lange, ohne Maß und mit solcher Wirkmacht wie Luther – darf ohnehin nur, wem die Herrschenden derart zu berserkern erlauben. Ohne Schutz und Wohlwollen derselben wird ein zügellos Wütender, ad unum omnes, zum tollen Hund, den man alsbald erschlägt.

Insofern gilt zu fragen: Waren die Bauern, die Aufständischen, die in ihrer existentiellen Not zu Dreschflegel und Mistgabel griffen, toll? Oder war Luther irr? Nicht nur, wenn er den Aufbegehrenden Tollheit unterstellte. Mit geiferndem Maul. Blind rasend. Und bäuchlings kriechend. Vor seinen Oberen. Die ihm, dem Mönchlein, immerhin ein recht gutes Leben ermöglichten sowie, mehr und wichtiger für ihn, den Ruhm der Nachwelt sicherten.

Einen Ruhm indes, der auf tönernen Füssen steht, wenn man bedenkt, was Luthers Gedanken, Worte und Werke bewirkten:

 Millionen von Toten nämlich, in endlos währenden Glaubenskriegen

 Nicht die Befreiung der „Christenmenschen“, die er sich aufs Panier geschrieben, vielmehr Jahrhunderte weiterer babylonischer Knechtschaft (denn nach den Bauernkriegen und deren Massakern war der Widerstand des „gemeinen Mannes“ gebrochen; die Leibeigenschaft wurde erst anfangs des 19. Jahrhunderts, also dreihundert Jahre später, zuletzt 1833 im Königreich Hannover, in deutschen Landen abgeschafft)

 Zerrissenheit zudem, die – europaweit, ein halbes Jahrtausend bislang – quer durch die Lande geht (dem cuis regio eius religio des Augsburger Religions-„Friedens“ von 1555 geschuldet) und, immer noch, Menschen, die an den einen Gott glauben, voneinander trennt.

Im Zweifelsfall hat Luther getötet. Wenn er nicht bekehren oder unterwerfen konnte. Hat realiter getötet: Thomas Münzer, den er „ins offene Messer“ laufen ließ. Hat im übertragenen Sinne getötet: (Die Ideen des) Erasmus. Den klügsten Kopf seiner Zeit, der heutzutage, jedenfalls beim „gemeinen“ Volk, ungleich weniger bekannt ist als er, Luther, der Berserker.

In Gedanken, in Worten, in Werken hat Luther mithin getötet. Weil er nur töten, „zerschmeissen, würgen und stechen“ konnte; Verzeihen war ihm, im Gegensatz zu Erasmus, fremd.

Nicht wirklich die Attitüde eines großen Mannes. Vielmehr Ausdruck der Psyche eines zutiefst Zerrissenen, eines Sich-verfolgt-Fühlenden, eines (nach heutiger Diktion) Paranoikers, eines sozial Devianten, eines Psycho- und Soziopathen. Schlichtweg: eines kranken Menschen.

Der nur in dieser seiner Krankheit zu verstehen, dessen Tun gleichwohl nicht zu rechtfertigen ist. Denn schuld-unfähig war er, Luther – auch im Sinne heutiger psychiatrischen „Wissenschaft“ –, nicht. Er lebte auch nicht „sola gratia“, hatte vielmehr, trotz all seines diesbezüglichen Leugnens, einen freien Willen.

Den er jedoch nicht für mehr Menschlichkeit in seiner Zeit, vielmehr für die Hatz auf Anders(als-er-)Denkende, letztlich für die gesellschaftspolitische Restauration an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit einsetzte.

Er, Luther, gab die Menschen neuer alter Knechtschaft anheim. Er spaltete das Land. Er spaltete Europa. Er spaltete die abendländische Kultur. Er verwehrte humanistischem Gedankengut bis zur Aufklärung, also bis zum 18.Jhd., weitgehend Öffentlichkeit und gesellschaftliche Praxis.

Er war letztlich ein Fürstenknecht, der sich (vordergründig, vermeintlich und jedenfalls anfangs) sozial-revolutionär gebärdete. Er war des Teufels Zauberlehrling. Weil er die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde. Bis zum heutigen Tag.

Deshalb gilt es Luther, den Säulen-Heiligen, zu entthronen. Von seinem Podest zu stoßen. Auf das die Herrschenden ihn, in wohlbedachter Absicht, gestellt haben. Auf dem er indes keinen Platz (mehr) hat. Angesichts seiner wahren Persönlichkeit, in Anbetracht seiner Werke, Worte und Taten. Und deren Nachhall. Bis heute.

So also: Wir, wir Menschen, brauchen das wohlwollende Verständnis eines Erasmus. Nicht die gnadenlose Unbedingtheit eines Luther. Wir brauchen keinen Wittenberger, der uns der Obrigkeit unterwirft. Wir brauchen schlichtweg Humanität. Um als Menschen (miteinander) Mensch zu sein.

Und wir brauchen – difficile dictu – Liebe. Luther indes konnte nur Hass geben. Insofern brauchen wir Luther nicht.

Es war nicht Luthers Rechtfertigungs- und Prädestinationslehre (sola gratia: nur durch Gottes Gnade entscheide sich der Menschen Heil), es waren keine hochfahrenden theologischen Fragestellungen, welche die Menschen umtrieben, viel drängender waren die sozialen Probleme der Zeit; auch der Antipapismus, die Wut auf die Privilegien und die Prasssucht der Kirche dürfen als Movens nicht unterschätzt werden.

Und wenn die Herrschenden eine soziale Bewegung nicht mehr kontrollieren können, versuchen sie, oft jedenfalls, sich an die Spitze derselben zu stellen. Dazu bedienen sie sich ihrer Adlati. Spätestens dann, wenn die Opposition außer Kontrolle gerät, ist Gewalt angesagt. Auch dazu bedienen sich die Machthaber, die Potentaten ihrer Helfer und Helfershelfer: Der einen für die ideologische Indoktrination. Der anderen für „die Drecksarbeit“. Luther gehörte zu ersteren. Gleichwohl machte er sich die Hände nicht nur schmutzig, sondern auch blutig.

Jedenfalls erinnert mich der Verlauf der Reformation in fataler Weise an die Regime-Changes von heute; mit dem Unterschied, dass sie, erstere, (in einer noch nicht globalisierten Welt) im eigenen Lande inszeniert wurde.

Farbenrevolutionen – so schriebst Du unlängst – gehören … zur … Welt- und Herrschaftsordnung … [Und weiterhin:] Deceptio dolusque suprema lex – ohne Tarnen und Täuschen geht gar nichts …

Wer aber sind die wahren Akteure, will meinen: die Hintermänner dieser Farbenrevolutionen? [Ich erlaube mir anzumerken, dass es noch in meiner Jugend allgemein üblich war, die Protestanten „die Blauen“ zu nennen und die Katholiken „die Schwarzen“!]

Bekanntlich geschieht in der Politik nichts von ungefähr; Tarnen und Täuschen dienen einzig und allein dem Zweck, die Ziele der verschwindend kleinen Schicht zum Ausdruck zu bringen, die bereit ist, die ganze Welt in ein Chaos zu stürzen, sofern dies ihren Macht- und Herrschaftsinteressen zupass kommt.

Helfer und Helfershelfer hatte die Reformation genug, ihr prominentester ist Luther. Und in ein Chaos stürzte sie die (westlich-abendländische) Welt allemal; mit all den Kriegen, die in ihrem Namen geführt wurden, und mit all den Verwerfungen, die bis heute nachwirken.

Insofern gilt, wohl zu überlegen, inwiefern und inwieweit die Reformation von Anfang an als „Regimechange“ (Verschiebung der [Vor-]Herrschaft von Papst und Kaiser zu den deutschen Fürsten) geplant war, als ein Machtwechsel unter der ideologischen Verbrämung religiöser Veränderung und Erneuerung.

Den Herrschenden, wage ich zu behaupten, dürfte es jedenfalls schnurzpiepegal gewesen sein, ob sie als Protestanten oder Katholiken in ihren (Duodez-)Fürstentümern nach Belieben schalten und walten konnten. Und der Umstand, dass sie (durch das cuius regio eius religio des Augsburger Religionsfriedens) nicht nur zu weltlichen, sondern auch zu religiösen Oberen wurden (jedenfalls dann, wenn sie sich für den Protestantismus entschieden), dass sie somit über ein weiteres Instrument von Macht und Unterdrückung verfügten, dürfte nicht gerade ihren Unmut hervorgerufen haben.

„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“

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