Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 10
2.
ОглавлениеDu willst, dass wir die Reise nach Florenz abbrechen?«, fragte Jana fassungslos, während wir am nächsten Morgen im Hof der Herberge standen und zusahen, wie die Reit- und Packtiere reisefertig gemacht wurden. Sie drückte ihr Siegel mit dem niemals abflauenden Stolz, den sie jedes Mal dabei empfand, auf das Pergament, das Messer Maurizio berechtigte, in Venedig seinen vereinbarten Lohn von einem Bankkonto abzuheben; sie verzichtete wie üblich darauf, dem Siegel ihre Unterschrift beizugeben. Jetzt rollte sie die Vollmacht unwillig zusammen und schlug damit auf ihre Handfläche. »Kannst du mir bitte erklären, weshalb?«
»Ich hatte gestern Zeit nachzudenken. Die politische Lage ist mehr als unsicher. Jemand hat gesagt, erst im letzten Jahr wäre das gesamte Gebiet um Siena verwüstet worden. Wenn ich ihn richtig verstand, hat er eine ganze Karawane mit Gütern verloren – samt deren Begleitmannschaft, der auch sein Schwager, seine Schwester und deren Töchter angehört haben.« Dem Kaufmann, den ich es hatte erzählen hören, waren noch jetzt Tränen in den Augen gestanden. Ich war froh, nicht verstanden zu haben, was die marodierenden Söldnerbanden mit ihnen angestellt hatten. »Es schwelt hier an allen Ecken und Enden.«
»Das war uns bewusst, als wir nach Venedig aufbrachen!«
»Natürlich war es das. Genauso wie es uns bewusst war, dass Venedig nahe genug an den Alpen liegt, um eine schnelle Ausreise zu ermöglichen. Genauso wie es uns bewusst war, dass wir nach dem Abschluss des Handels wieder zurückkehren würden. Umso mehr, da du deinen Konkurrenten Ser Pratini so gekonnt aus dem Rennen geschlagen hast.«
»Was nicht unbedingt dir zu verdanken ist.«
Ich verdrehte die Augen. »Ich will doch nur sagen, dass die Entschlüsse, die wir zuvor gefasst hatten, richtig waren.«
»Daran haben die Umstände einiges geändert«, erwiderte sie aufgebracht. »Das weißt du so gut wie ich.«
»Jana, es tut mir Leid, dass dein Vater gestorben ist. Und es tut mir umso mehr Leid, da ich gerne den Mann kennen gelernt hätte, der seine Tochter zu der Frau heranwachsen ließ, die ich liebe. Das habe ich dir schon mehrfach gesagt, ebenso wie ich gesagt habe, dass ich deinen Schmerz wegen seines Todes verstehe – und deinen Zorn auf deine Verwandten, die von deinen Erfolgen fett geworden sind und jetzt die Macht über das Haus Dlugosz an sich reißen wollen. Aber ich verstehe nicht, warum du dich deinen Vettern nicht in Krakau stellen willst, anstatt hier in Italien immer tiefer in die Ränke zwischen den Republiken und dem Heiligen Stuhl zu geraten.«
»Weil gerade wegen der herrschenden Situation große Geschäfte zu machen sind für jemanden, der umsichtig und entschlossen handelt. Sieh dir doch die Kaufleute an, die in unserer Gesellschaft reisen: Haben sie sich etwa in ihre Häuser zurückgezogen, um sich vor den Unruhen zu fürchten?«
»Sie sind auch hier zu Hause, sprechen die Sprache, haben gute Verbindungen und können wahrscheinlich das Gras wachsen hören.«
»Für mich reicht es, wenn ich höre, wo sich die Türen zu guten Geschäften auftun.«
»Das Einzige, was sich hier auftun wird, sind die Zellen der Kerker und Folterkammern.«
Sie starrte mich an. »Hast du schlecht geträumt?«, spottete sie.
»Ich habe überhaupt nicht geträumt, weil ich kaum ein Auge zugetan habe!«, rief ich. »Daran bist du schuld mit deiner Sturheit …« Sie legte mir die Hand auf den Mund und deutete mit dem Kopf zum anderen Ende des Hofes hinüber. Dort trat eben einer der Kaufherren aus unserer Reisegruppe mit einer jugendlichen Dienstmagd aus dem Stall heraus und knetete ganz ungeniert ihre Brust, bevor er sie mit einem Klaps auf den Hintern zu seinem Tross schickte. Jana lächelte und hielt sich den Finger vor den Mund, bis der Mann außer Hörweite war.
»Ich ahnte, was du sagen wolltest. Ihr Fleiß hat mich auch die halbe Nacht wach gehalten – flinke Füßchen die Treppe hinauf und hinab.« Ihr Lächeln und die tiefen Grübchen, die es in ihre Wangen zauberte, ließen meinen Groll abflauen.
»Egal, welche geschäftlichen Möglichkeiten sich hier erschließen«, sagte ich. »Lass uns zurückkehren. Lass uns sagen, wir hätten den Appenin im Frühling sehen wollen; wenngleich man uns für verrückt halten wird, so etwas als Reisegrund anzugeben. Aber was soll’s? Wir können den Treck mit den Waren wahrscheinlich einholen, lang bevor er in Krakau eintrifft. Du kannst damit im Triumphzug heimkehren.«
»Hast du denn immer noch nicht verstanden? Es geht nicht darum, hier irgendwelche weiteren Geschäfte zu machen. Ich will das Geschäft machen; einen Abschluss, der den Stubenhockern daheim in Krakau ein für alle Mal beweisen wird, dass ich fähiger bin als jeder von ihnen, das Haus zu führen.«
»Darauf läuft es hinaus. Ich hätte es mir denken können. Und das ist auch der Grund, weshalb du diesen elenden Wurm Tredittore noch nicht nach Hause geschickt hast.«
Jana blickte über meine Schulter. Ich drehte mich um. Als hätte er einen geheimnisvollen Sinn dafür, wann wir uns stritten, tauchte Tredittore aus dem Stall auf. Er nickte uns zu.
»Es ist alles bereit, Monna Jana«, sagte er ruhig, und so wie er es sagte und die Anrede gebrauchte, die auch Messer Maurizio für Jana verwandte, schwang seine übliche feine, nicht wirklich zu greifende Herablassung mit. Er neigte nochmals vor mir den Kopf, zog ein kameradschaftlich-bedauerndes Gesicht angesichts Janas erhitzter Wangen und trollte sich zum Toreingang hinaus.
»Richtig. Er ist Auge und Ohr meiner Vettern. Er soll ihnen etwas berichten können, das ihnen ihre unverschämten Forderungen im Halse stecken bleiben lässt.«
»Und was für ein so ganz außerordentliches Geschäft soll das sein, das sich nur in Florenz abwickeln lässt?«
Jana sah mich unbewegt an. »Das wird sich dann schon zeigen«, sagte sie. Es war klar, dass sie mir auswich. Mein Ärger schwappte hoch.
»Wie willst du denn das anstellen?«, rief ich erregt. »Wenn du jetzt noch keine Ahnung davon hast? In einem fremden Land, in dem jeden Moment ein Bürgerkrieg ausbrechen kann? In dem wir aus dem Norden bestenfalls als unwissende Barbaren betrachtet werden? Und noch dazu als Frau?«
– Das hatte ich nicht sagen wollen.
Ihre Augen verengten sich. Ich seufzte. Ich wusste, was kommen würde. »Wer hätte beinahe das Seidengeschäft in Venedig ruiniert mit seinem ach so männlichen Geschäftssinn?«, zischte sie. »Warst du das oder ich? Ich sagte von Anfang an, wir können Ser Mocenigo nicht trauen, und wenn sein Urgroßvater tausendmal der Doge gewesen ist. Er wollte niemals unsere Rechte an der Gewürzladung kaufen, er war nur immer an Pratinis Wechseln interessiert!«
»Ist ja gut, Jana.«
»Nichts ist gut. Es gibt Geschäfte, da braucht es den Instinkt einer Frau anstatt der Erfahrungen eines Mannes. Mocenigo hatte dich um den Finger gewickelt, und nur weil er ebenso viel über diesen leidigen Krieg zwischen Herzog Ludwig dem Reichen und Achilles von Brandenburg wusste wie du. Euer weinseliger Abend zur ›Aufwärmung alter Erinnerungen‹! Pah!«
»Du weißt so gut wie ich, dass meine Erinnerungen an jenen Krieg alles andere als fröhlicher Natur sind.«
»Nenn es, wie du willst. Er hat dich vollkommen getäuscht. Während er dich in Sicherheit wiegte, verhandelte er mit Pratini. Hätte ich es nicht geschafft, die venezianischen Gewürzhändler auf meine Seite zu bringen, sodass sie Mocenigo unter Druck setzten, hätte er mit Pratini abgeschlossen statt mit mir.«
»Dafür musstest du die Gewinnspanne gewaltig senken und die Hälfte davon auch noch mit den Gewürzhändlern teilen.«
»Na und? Besser ein kleiner Gewinn als gar keiner! Außerdem wäre es ohne deine Einmischung nicht nötig gewesen.«
Ich konnte ihr nicht widersprechen. Ich versuchte es nicht einmal. Wir gingen auseinander, als hätten wir uns nichts mehr zu sagen.
Die Straße nach Florenz führte über die Piazza Mercatale, durch ein wuchtiges Tor und über den Bisenzio, der nicht weit nördlich von Prato in den Hügeln entsprang und nicht weit südlich davon in den Arno mündete, ein träges Flüsschen eher denn ein Fluss, dessen Wasser undurchsichtig und dessen Farbe mehr grün als blau war. Vor uns die Stelle am jenseitigen Ufer, an der gestern der zerschundene Körper der Sklavin so lang unter Wasser gedrückt worden war, bis keine Luftblasen mehr aufstiegen, und wo sich noch immer eine Menschenmenge drängte und mit den Fingern ins längst wieder ruhige Wasser zeigte; Tredittores Schilderung des Leidenswegs, die er mit aufgesetzter Bestürzung wiedergab, so wie ein Mann die Neuigkeit vom Tod seines erbittertsten Geschäftskonkurrenten verbreitet; die Stadtmauern von Prato hinter uns, ziegelrotes und lehmfarbenes Leuchten in der Sonne des frühen Vormittags – eine kleine Gruppe mit wenig Gepäck, die nach Südosten ritt. Ich hatte wieder das Geschrei der Zuschauer unter den Herbergsfenstern im Ohr. Sie brüllten ihren Zorn auf die Mächte hinaus, die ihr Leben zu untergraben suchten, und lenkten den Zorn auf die Unglückliche im Henkerskarren. Papst Sixtus machte sich daran, die Republiken mit Gewalt aus dem Gleichgewicht zu bringen; die Republiken wehrten sich mit Zähnen und Klauen. Ich musterte die kurzfristigen Weggefährten, die wir überholten oder die an uns vorbeizogen: Ihr Lachen klang aufgesetzt und ihre Grüße zurückhaltender als gewöhnlich, und es lag nicht daran, dass Karfreitag war und der Tag eigentlich in stiller Kontemplation statt auf einer staubigen Landstraße verbracht werden sollte. In einiger Entfernung marschierte eine lange Kolonne von Landsknechten über die Hügelkuppen, misstrauisch beobachtet von den Reisenden auf der Straße. Sie hielten einen strikt östlichen Kurs und entfernten sich von uns. Plötzlich hatte ich das drängende Gefühl, dass wir auf der Straße die Schafe waren, die zum Metzger trotteten: Unser Schlachthaus war die Stadt von Lorenzo dem Prächtigen; die Söldner aber waren die Aasvögel, die darauf warteten, was mit uns geschah. Wir begleiteten einander auf dem Weg in den Untergang.
Außerhalb von Prato wandte sich die Straße nach Süden, weit genug vom Fluss und seinen sumpfigen Ufern entfernt, aber doch vage seinem Verlauf folgend. In halber Höhe an den sanften Abhängen der Hügel, unter Kastanienbäumen und Eichen, durchschnitt sie seltsam geometrische Weinberge und wand sich an vereinzelten Gehöften vorbei. Dunkel aufragende Kastelle aus hochgeschossenen Pinien markierten Landhäuser reicher Patrizier. Der Verkehr war beträchtlich. Jana ritt neben mir und betrachtete das Treiben. Je weiter die hässliche Auseinandersetzung zwischen uns zurückblieb, desto mehr verblasste die Erinnerung daran.
»Ich hätte nicht gedacht, dass am Karfreitag so viele Reisende unterwegs sind«, bemerkte sie schließlich. »Und ich hatte schon ein schlechtes Gewissen wegen der Sünde, heute zu reisen.«
»Viele werden die Passionsspiele besuchen.« Ich wies auf die Krüppel und Zerlumpten, die in Abständen die Straße säumten und mit kaum nachlassender Begeisterung ihre Holzschüsseln oder Kappen in unsere Richtung schwenkten, wenn wir sie überholten. Janas Zofe verteilte kleine Münzen. »Andere hoffen auf die Freigebigkeit der Reichen und auf die Barmherzigkeit von Lorenzo de’ Medici.«
»Dessen Barmherzigkeit haben wir gestern in Prato zu hören bekommen.«
»Ich weiß nicht, wieweit man den Mann für die Hinrichtung einer Sklavin verantwortlich machen kann. Er mag der eigentliche Herrscher über Florenz sein, aber er wird kaum jede Bewegung wahrnehmen, die in den Florenz hörigen Städten geschieht.«
»Natürlich nicht«, sagte sie finster. »Und die Wellen, die von der Stelle ausgegangen sind, an der man sie endlich ertränkt hat, werden den Arno unter den Brücken von Florenz kaum aufwühlen.«
»Du wolltest nach Florenz Weiterreisen, nicht ich«, erinnerte ich sie. Sie wandte den Kopf zur Seite und schwieg.
»Wird der Mann deiner Tochter uns erwarten?«, fragte sie endlich.
»Ich hoffe es. Ich hatte mit einer Botschaft von ihm in der Herberge in Prato gerechnet, nachdem ich in Bologna den Boten mit meinem Brief zu ihm schickte. Vielleicht ist der Brief nicht angekommen; ich kann mir vorstellen, dass der Name Johann Kleinschmidt einem italienischen Boten einige Schwierigkeiten bereitet.«
Tredittore, der ein paar Schritte vorausgeritten war, zügelte sein Pferd und ließ uns aufschließen. Er wies nach vorn.
»Seht Ihr die Staubwolke? Eine größere Gesellschaft ist vor uns.«
»Wie weit ist es noch bis Florenz?«, fragte Jana.
»Wir dürften die Hälfte hinter uns haben; fünf oder sechs Meilen noch«, erwiderte ich. »Wenn ich den patron richtig verstanden habe.«
»Ich erkenne Fahnen und Wimpel und das Blitzen von Lanzen«, brummte Tredittore, der sich im Sattel aufgerichtet hatte. Er schien zum ersten Mal beunruhigt. Jana winkte ihrer Zofe und den Pferdeknechten aufzuschließen. Julia, die Jana seit ihrer Abreise aus Ulm begleitete, machte ein ängstliches Gesicht. Tredittore hatte ihr eine Weile lang geschildert, welches Schicksal die hingerichtete Sklavin erlitten hatte, während Prato hinter uns zwischen den Hügeln verschwunden war. Ich hatte die Wortfetzen seiner Erzählung gehört: »Sie saß im Karren, die Hände vor dem Schoß gefesselt, den Oberkörper entblößt, während die Menge grölte.« Jana hatte die Augen verdreht. Die Henkersknechte hatten glühende Zangen betätigt, mit denen sie die Verurteilte im Rücken und in die Brüste zwickten. Stepan Tredittore reicherte seine Schilderung mit allen verfügbaren Details an.
»Vielleicht eine Abteilung Landsknechte«, sagte ich und sah mich nach möglicher Unterstützung um. Zwei Krüppel mit schmutzigen Fetzen am Leib drängten sich an uns vorbei, Krücken fleißig schwingend und ein- bis dreibeinig vorwärtshüpfend, auf die Staubwolke zu. Sie ignorierten uns vollkommen. Voraus lag bessere Beute.
»Und jene dort wollen bei ihnen anheuern«, erklärte Jana sarkastisch.
»Also gut, keine Landsknechte. Ein reicher Mann mit bewaffneter Begleitung.«
»Oder ein fetter Kardinal.«
Wir waren unwillkürlich langsamer geworden; jetzt legten wir wieder an Tempo zu. Die Gruppe vor uns bewegte sich gemächlich; ihre Nachhut bestand aus bunt gekleideten Bewaffneten mit langen Spießen und Armbrüsten, allesamt erstaunlich gut genährt für Landsknechte und allmählich unter der Glocke herabsinkenden Straßenstaubs verschwindend. Sie marschierten zu Fuß und husteten unzufrieden. Dennoch machten sie uns bereitwillig Platz. Es musste sich um einen Teil der Privatarmee eines Fürsten handeln, egal, ob kirchlicher oder weltlicher Art; jedenfalls waren sie zu diszipliniert und zu gut gerüstet für eine Söldnerkompanie. Sie schienen eine ebenso große Truppe Bediensteter vor sich herzutreiben, die auf Packkarren und Eseln Ballen, Körbe und tragbares Mobiliar mit sich führten. Der berittene Bestandteil des Kontingents befand sich an der Spitze der Staubwolke, etwa ein Dutzend junger Männer in vornehmen Gewändern, die sich um einen im strahlend roten Kardinalsornat prunkenden Jüngling gruppiert hatten. Auf mehreren Fäusten schaukelten Falken, die Köpfe in ihren albernen Lederhauben hin und her drehend. Ihnen voran ritten wiederum drei Bewaffnete mit Helmen und Brustpanzern, von denen zwei die Wimpel in die Höhe reckten, die Tredittore gesehen hatte. Ich spähte zu ihnen hinauf: Sie trugen ein Wappen mit sechs roten Bällen auf goldenem Grund. Die schwatzende Gruppe der jungen Männer drehte sich zu uns um, als wir sie zu überholen versuchten, und einer fragte uns, wer wir seien. Tredittore antwortete ihm flüssig, noch während ich an einer Erwiderung formulierte.
»Das ist Kardinal Raffaelle Riario«, erklärte Tredittore. Er wies mit dem Kinn auf den jungen Mann in der Mitte, der gemessen zurücknickte und Jana unter der breiten Krempe seines Kardinalshutes hervor musterte. Der Stoff des Hutes schillerte im Sonnenlicht in allen Farbnuancen erlesenster Seide. »Er bietet uns an, sich ihm und seiner Gruppe anzuschließen und den Schutz seiner bewaffneten Truppe zu genießen.«
»Sagt ihm, wir danken ihm und das Übliche, aber wir reisen allein weiter«, entgegnete ich.
»Ich möchte Euch nur darauf aufmerksam machen, dass der junge Mann, wenn es sich wirklich um Raffaelle Riario handelt, der Großneffe von Papst Sixtus ist«, sagte er mit gespielter Unterwürfigkeit. »Ich meine, es könnte für Eure Geschäfte von Vorteil sein, einen solchen Mann näher zu kennen.«
»Es sind nicht meine, sondern Janas Geschäfte. Und ich muss mich wundern, wie gut Ihr Bescheid wisst. Ich dachte, Eure Informationen erschöpften sich darin, wie man in Prato eine halb nackte Sklavin zu Tode bringt.«
»Was ich weiß, habe ich von Prateser Bürgern erfahren oder von Messer Maurizio«, erwiderte er bescheiden.
»Was ist los?«, fragte Jana ungeduldig.
»Der bartlose Jüngling da in der Mitte ist einer von Papst Sixtus’ Simoniekardinälen. Er bietet uns seine Begleitung an.«
Jana sah Stepan Tredittore an. »Ihr habt gesagt, er sei mit dem Papst verwandt?«
»Das habe ich gehört, als ich wie ein guter Geschäftsmann Erkundigungen einzog. Während Ihr schlieft.«
Ich unterdrückte den Impuls, ihn aus dem Sattel zu werfen.
Wenn Jana das Wohlwollen des jungen Kardinals erringen wollte, und ich konnte es ihren funkelnden Augen ansehen, dass dies ihre Absicht war, hätte sie es sicherlich wieder als Einmischung in ihre Geschäfte angesehen. Wie es der Kardinal aufgenommen hätte, wenn ich Tredittore mit einem wohlplatzierten Nasenstüber aus dem Sattel gestoßen hätte, konnte ich mir nur denken.
»Wenn Ihr damit fertig seid, Eure kaufmännische Umsicht zu loben, könnt Ihr dem Mann sagen, wir fühlen uns durch sein Angebot geehrt und nehmen an«, sagte Jana.
Tredittore nickte schmollend und übersetzte. Der Kardinal winkte uns gnädig zu sich heran. Der mittlere der drei Bewaffneten an der Spitze, derjenige ohne Wimpel, wendete sein Pferd und gesellte sich zu uns. Aus der Nähe besehen, wirkte er trotz seiner bunten Kleidung kriegstüchtig und kompetent. Die Augen unter dem polierten Helm waren dunkel und auf der Hut. Der junge Kardinal nickte ihm zu und stellte ihn mithilfe von Tredittores Übersetzungskünsten vor: »Condottiere Montesecco aus der päpstlichen Leibgarde. Er und seine Männer haben mich nach Florenz gebracht.« Der condottiere neigte knapp den Kopf, ohne etwas zu sagen.
»Ich freue mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Exzellenz«, sagte ich in lateinischer Sprache. Der Kardinal neigte in höflicher Überraschung den Kopf. Ich stellte ihm Jana vor – ohne auf unsere Beziehung näher einzugehen, mochte auch er denken, ich war ihr Verwalter oder was immer – und versäumte es, Stepan Tredittore vorzustellen, was meine kleine, billige Rache für seine Überheblichkeit gegen Jana war.
»Es ist mir eine Ehre, Exzellenz«, sagte Jana in dem vorsichtigen Latein, das sie von mir gelernt hatte (besser, als ich von ihr Polnisch gelernt hatte), und der Kardinal war zum zweiten Mal angenehm überrascht. Er hielt uns eine rot behandschuhte Hand hin, deren dicksten Ring wir ehrerbietig küssten. Er hatte ein jugendlich-scharfes Gesicht, das von seinem breitkrempigen Kardinalshut beschattet wurde, und die neugierigen Augen eines Jünglings, der nur selten Gelegenheit hat, mit anderen Menschen zu sprechen.
»Wir wollen nach Florenz«, sagte er und umfasste seine Gruppe mit einer Armbewegung. »Ich kann Euch Schutz gewähren auf diesen Straßen. Sie sind heutzutage unsicherer denn je. Wenn Ihr ein anderes Ziel als Florenz habt, vergesst es. Es gibt keinen lohnenderen Ort.«
Ich antwortete, da er in Latein gesprochen und mich dabei angesehen hatte. Er vermied es, Jana anzureden, genau so, wie es seine Stellung verlangte. »Florenz ist auch unser Ziel.«
»Woher kommt Ihr?«
»Aus Prato. Und Ihr?«
»Wir haben im Freien genächtigt.« Er kicherte plötzlich so albern wie der Junge, der er in Wirklichkeit war. »In einem Zelt. So etwas habe ich vorher noch nie getan. War das nicht mutig? Es heißt, auf den Hügeln und in den Wäldern treibt sich Mordgesindel herum.«
»Wart Ihr auf der Jagd?«
»Falkenbeize. Es war herrlich. Jetzt kehre ich zurück in die Stadt. Ich habe quasi meine eigene Karfreitagsprozession.«
Ich nickte. Kardinal Riario wies verstohlen auf Jana, die die Gesichter der Höflinge um uns herum musterte und diesem und jenem freundlich zunickte.
»Ist sie …?«
»… geschäftlich unterwegs. Ich helfe ihr, wenn sie mich braucht«, sagte ich glatt.
»Ich verstehe. Ich kann eine Audienz bei Lorenzo de’ Medici erwirken, wenn das Euch und Euren Geschäften hilft.« Er wies auf die Wimpel mit den roten Bällen, und ich verstand, dass es nicht seines, sondern das Wappen der Medici-Familie war.
»Tatsächlich?«
»Ja. Ser Lorenzo steht mir sehr nahe.« Er grinste töricht. »Ich weiß natürlich, dass die Hälfte seiner Zuneigung davon bestimmt wird, dass er hofft, über mich mit dem Heiligen Vater Frieden schließen zu können. Aber man kann ihm nicht vorwerfen, dass er damit hinter dem Berg hielte – er hat es mir offen gesagt. Es kränkt mich nicht. Ich kenne mich aus in der Politik.«
Ganz bestimmt, dachte ich und betrachtete sein Jungengesicht. Du kennst dich aus damit, wie eine Schachfigur auf dem Spielbrett von Mächtigeren herumgeschoben zu werden. Und trotz deines Kardinalsornats bist du nicht mehr als ein Bauer. Neben dem König stehen andere als du.
»Ser Lorenzo hält mich, seit ich in Florenz eingetroffen bin, in Atem«, plauderte der junge Kardinal weiter. »Jagden, religiöse Spiele, Messen, ein Besuch in der Domkuppel und bei den Malern und Bildhauern, Vorlesungen von Poliziano und aus dem gewaltigen Werk von Dante Alighieri, dieses Abenteuer mit der Übernachtung im Freien … Und das, obwohl ich mich eigentlich auf Einladung von Jacopo de’ Pazzi in Florenz aufhalte. Am Sonntag werde ich das Hochamt im Dom abhalten. Ser Lorenzo hat es mir angeboten. Der Domkapitular war nicht sehr erfreut darüber. Ich habe ihm gesagt, er dürfe die Wandlung selbst abhalten. Bin ich nicht großzügig?«
»Überaus, Exzellenz.«
»Ja, was wollte ich sagen? Wir sollten weiterziehen. Ursprünglich wollten wir in der tristen Ansammlung von Höfen dort vorn eine Rast einlegen – Sesto oder Sestro oder so ähnlich, wenn ich richtig verstanden habe. Aber wir haben vor einer Weile eine Abteilung Landsknechte fernab von der Straße gesehen, ohne erkennen zu können, wohin sie gehörten. Condottiere Montesecco hat mir zwar versichert, dass wir uns ihretwegen keine Sorgen zu machen brauchen, doch solches Pack sehe ich mir lieber an, wenn ich aus einer befestigten Stadt auf sie hinunterschauen kann.« Er schnippte mit den Fingern zu einem der Höflinge, während die Vorhut sich ordnete und ich das Gefühl hatte, dass der junge Kardinal nicht ganz so töricht war, wie es den Anschein hatte. »Und gebt den armen Teufeln neben dem Weg Almosen. Was wir ihnen geben, geben wir dem Herrn.«
Florenz zeigte sich allmählich; die Stadt kündigte sich gewissermaßen an, und sie konnte es sich leisten, denn ihrer endlich in vollem Umfang ansichtig zu werden, war noch imposant genug – auch wenn man beim Näherkommen schon ein Dutzend Blicke auf Ausschnitte des Stadtbildes hatte werfen können. Die Straße stieg aus der Höhe der Hügelflanken herab, ins Tal des Arno. Die Höfe verdichteten sich, wurden zu Weilern und zu kleinen Dörfern, kaum voneinander unterscheidbar im Weichbild der Stadt, und schließlich zu den Siedlungen der Pfahlbürger, der Handwerker und Arbeiter und derjenigen, denen die signoria nicht erlaubt hatte, in der Stadt zu wohnen. Im gleichen Maß wichen die dichten Bäume vom Straßenrand zurück, Wäldchen wurden zu Bauminseln, bis die geraden Reihen der schlanken Pinien übrig blieben, unübersehbar prominent die Zufahrten zu den Häusern selbstbewusster Landbesitzer säumend. Der Arno war ein träges schlammiges Band, lehmbraun in der sattgrünen Landschaft, matt schimmernd im silbrigen Dunst. Seine Oberfläche voller Leben: schlanke Boote, plumpe rechteckige Zillen, ein paar Flöße, die langsam in Richtung Meer trieben. Die Ufer waren eine lange Strecke vor der Stadt bereits baumlos. Inmitten der mächtigsten Stümpfe, die herauszuheben die Holzfäller weder Kraft noch Lust verspürt hatten, erhoben sich Fischerhütten. Ihre Bewohner wateten in Ufernähe im Fluss umher, teils bis zum Bauch im kalten Wasser, Netze auswerfend und wieder zu sich heranziehend. Hinter ihnen, eingezwängt zwischen einem kanalisierten Rinnsal und einer Flanke der Stadtmauern, lag eine kahle Fläche, über der Raben und andere Aasvögel zu Hunderten flatterten: ein Schindanger, der nur deshalb nicht zur Straße herüberstank, weil der Wind günstig stand.
Schließlich erreichten wir eine bewegliche Brücke, die über einen Kanal direkt vor der Stadtmauer in den Turm eines Tors führte – aber da erhob sich Florenz bereits gewaltig vor uns, ein pompöses Kleinod, das von einer nicht minder pompösen Stadtmauer eingefasst wurde. Wir näherten uns aus Nordwesten. Das Licht der Nachmittagssonne modellierte die strahlend weißen Rippen in der Domkuppel heraus, stanzte die kühne Laterne auf ihrer Spitze aus dem blauen Himmel und den wuchtigen campanile mit seinen geometrischen Mustern aus weißem und grünem Marmor. Von weiteren Gebäuden ragten nur die Dächer über die Mauerkrone heraus, eine stachelige Silhouette aus spitzen und gedrungenen Kirch- und Wohntürmen, eingefasst von der mehr als drei Mannslängen hohen Mauer und ihren Dutzenden von Türmen, die noch fünfmal höher in den Himmel ragten.
»Wir müssen warten, bis wir zur Porta al Prato hinein dürfen«, knurrte Kardinal Riario. »Die Zollstelle auf dem Ponte alle Mosse hält den Verkehr auf.«
Vor der Brücke drängelte sich eine Menschenmenge; im wesentlichen die zerschlissenen Gestalten von Arbeitern, Fischern und fahrenden Händlern. Die bunteren Gestalten der wohlhabenderen Reisenden leuchteten daraus hervor und da und dort hochgehaltene Wimpel und Lanzenspitzen. Ich wandte mich zu Jana um, die nachdenklich die zinnenbewehrte Mauerkrone musterte und beeindruckt schien von der Größe der Stadt. Stepan Tredittore zog ein Gesicht, als wir inmitten der wartenden Menge zum Halten kamen, und nicht einmal mehr die drei Berittenen an der Spitze vermochten, das Volk auseinander zu scheuchen.
»Ich schätze, da hilft auch das Wappen der Medici nichts«, sagte ich. »Am Feiertag will einfach jeder in die Stadt hinein.«
»Wenn es ehrbare Bürger wären, die sich hier drängen, würden sie uns den Weg freigeben«, erwiderte der Kardinal. »Das hier ist jedoch hauptsächlich Pöbel.«
»Es ist bedauerlich, unter solchen Unseligen stehen und warten zu müssen«, sagte eine dritte Stimme in halbwegs flüssigem Latein. Ich drehte mich erstaunt um. Ein untersetzter Mann in einem graubraunen Mantel und einer zerknüllten Lederkappe sah zu mir herauf; neben ihm standen zwei Frauen in ähnlich farblosen Gewändern, die Mutter und Tochter sein konnten: Die ältere der beiden trug ein dicht gewebtes Tuch in gebrochenem Weiß auf dem Kopf, die jüngere war barhäuptig und höchstens siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Frisur des Mädchen als ungeschickt aufgesteckt, das Tuch der Mutter war weniger chamoisfarben als vielmehr speckig und der Mantel des Mannes an den Schultern, Ärmelöffnungen und am Saum rettungslos abgestoßen. Was wie Schmutz auf seinen Wangen ausgesehen hatte, war ein zu lange nicht rasierter Bart; tatsächlicher Schmutz war dagegen unter seinen Fingernägeln und in jeder Rille seiner Hände, als er sie vor der Brust zusammenlegte wie zu einem Gruß. Ich fragte mich, wie die drei durch den Kordon der Höflinge gekommen sein mochten, die uns umgaben. Den Gesichtern der Höflinge nach zu schließen, die sich dem Mann bei seinen Worten zuwandten, fragten diese sich das Gleiche. Ich drehte mich zu Janas Zofe um, um sie zur Herausgabe einiger kleiner Münzen zu bewegen. Kardinal Riario hatte dieselbe Idee und schnippte mit den Fingern. Der Mann mit der Lederkappe winkte hastig ab.
»Aber nein, meine Herren, nein.« Ein Stoß der älteren Frau ließ ihn verstummen und in komischer Resignation mit den Schultern zucken. Während sich zwei weibliche Hände nach den Münzen ausstreckten, schaffte er es, ein verlegenes Gesicht aufzusetzen. »Ich bin Lapo Rucellai; leider nicht verwandt mit Bernardo Rucellai, dem großen Gönner unserer schönen Stadt. Dies sind meine Frau und meine Tochter. Wir danken für das Almosen, aber es wäre nicht nötig gewesen.«
»Wenn du das glaubst, hast du noch nie in einen Spiegel gesehen«, stellte Stepan Tredittore in der ihm üblichen höflichen Art fest.
»Weshalb habt Ihr mich angesprochen, Lapo Rucellai?«, fragte ich.
»Als ich hörte, dass Ihr und Seine Exzellenz miteinander Latein spracht, dachte ich, vielleicht könnte ich Euch von Nutzen sein.«
»Auf welche Weise?«
»Ich bin Notar«, sagte Lapo Rucellai nicht ohne Stolz und legte die Hand auf die Brust.
Tredittores Gesicht verzog sich verächtlich. »Der einzige ehrliche oder der übliche Betrüger?«, stieß er hervor. Lapo Rucellai machte eine beleidigte Miene. »Ich bin kein San Ciappelletto«, erklärte er.
»Wer soll das sein?«, fragte ich.
»Die Figur eines unserer berühmten Dichter, Ser Boccaccio«, eröffnete Rucellai und verriet dabei größere Belesenheit, als ich ihm zugetraut hätte. »Messer Ciappelleto verspürte große Scham über jeden seiner Verträge, der nicht rechtswidrig war, und nahm sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der ein anderer gibt. Auf dem Totenbett überzeugte er einen naiven Klosterbruder, dass er nach seinem Ableben als Heiliger zu betrachten sei.«
»Ein Schlitzohr«, lachte Tredittore und vollführte die Geste des Ohraufschlitzens, das als Strafe Dieben und Betrügern zuteil wurde.
»Zu jenen gehöre ich nicht«, erklärte Lapo Rucellai mit Würde.
»Nun, leider brauchen wir die Dienste eines Notars nicht, gleich welcher Tradition.«
»Sehr bedauerlich. Aber seht, ich will Euch nicht länger zur Last fallen. Daran könnt Ihr erkennen, dass ich ein aufrechter Mann bin. Solltet Ihr es Euch noch anders überlegen, dann fragt im Corso dei Tintori nach dem Spezialisten Lapo Rucellai. Das ist das Tuchfärberviertel. Man wird Euch zu mir weisen.«
Er verbeugte sich und machte Anstalten, sich aus dem Gedränge der Pferdeleiber wieder herauszuwühlen, seine beiden Begleiterinnen im Schlepptau.
»Worin seid Ihr denn Spezialist?«, rief ich ihm hinterher.
»Schriften«, sagte er. »Bringt mir ein Dokument und eine Fälschung davon, und ich sage Euch auf den Kopf zu, welches das echte ist.«
»Was wollte er von dir?«, fragte Jana.
Ich zuckte mit den Schultern. »Almosen, wie die meisten. Er war nur zu stolz, es zuzugeben.«
»Komm jetzt. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat der Kardinal doch die Geduld verloren und einen seiner Speichellecker nach vorn geschickt, um den Wachen klar zu machen, dass er jetzt hier ist. Wenn sie ihm den Weg freimachen, heften wir uns an seine Fersen.« Sie betrachtete Kardinal Riario, der mittlerweile einen aufregenden Zeitvertreib ersonnen hatte: Er schleuderte kleine Münzen aus seinem Almosenbeutel nach vorn unter die Menge und versuchte die Leute zu treffen. Wann immer einer der Getroffenen zusammenzuckte und sich umsah, machte er ein unschuldiges Gesicht. Bis der Getroffene bemerkte, was ihm an die Ohren geschleudert worden war, hatte sich längst einer der Umstehenden der Münze bemächtigt. Riarios Gesicht war rot vor unterdrücktem Lachen. »Man merkt, dass wir uns dem Einflussbereich des Papstes nähern – wenn solche Kindsköpfe zu Kardinälen ernannt werden.«
Tatsächlich war der Name des Kindskopfs klingend genug, um eine Dreiermannschaft von Torwächtern einen Weg durch die Menge stoßen zu lassen; nicht eben rücksichtsvoll und das Gebrumme der Leute hervorrufend. Kardinal Riario und sein Tross benutzten die Gasse, wobei der Kardinal huldvoll nach allen Seiten grüßte und die Münzgaben aus seiner Richtung wieder auf eine weniger lebensgefährliche Heftigkeit drosselte. Die Leute winkten zurück und balgten sich um die Münzen und wünschten ihm ein langes Leben, völlig vergessend, dass sie gerade noch um seinetwillen geknufft und zusammengeschoben worden waren. Wir machten schleunigst, dass wir in sein Kielwasser kamen.
Bis zur Zollstelle vorzudringen war keine Schwierigkeit. Die Zolleintreiber warfen dem Kardinal nur einen kurzen Blick zu und begannen dann, ihn und seinen Tross durchzuwinken. Jana versuchte, den Anschluss nicht zu verlieren; sie hoffte, zur umfangreichen Entourage Riarios gerechnet zu werden und gleich ihm zollfrei das Tor passieren zu können. Sie drehte sich zu mir um, und ich nickte ihr zu, während ich mich zurückfallen ließ. Condottiere Montesecco schien lediglich die Aufgabe gehabt zu haben, den Kardinal sicher zur Stadt zu geleiten, oder außerhalb der Tore warteten noch andere Aufgaben auf ihn; ich sah, wie er sich mit einem knappen Kopfnicken von Riario verabschiedete und sein Pferd zur Seite lenkte. Stepan Tredittore zögerte unschlüssig, aber auf meinen Wink schloss er sich Jana an, die bereits die Rossknechte mit den Packtieren zwischen die Pferde des Kardinals manövriert hatte. Ohne dass die Zöllner zweimal aufgesehen hätten, ließen sie alle miteinander passieren. Ich fing ein triumphierendes Lächeln Janas auf, bevor die Schatten des Torturms sie verschluckten. Die Menschen, die ebenfalls nach Florenz hineinwollten, drängten wieder zu mir heran. Ich sah mich nach Johann Kleinschmidt um.
Ich hatte meinen Schwiegersohn nur zweimal gesehen: als er um die Hand meiner Tochter anhielt und als er sie zum Traualtar führte. Beim zweiten Mal hatten schlecht unterdrückte Tränen meinen Blick getrübt – Tränen, die ich nicht so sehr um den Weggang meiner Tochter als um die Erinnerung an die Hochzeit mit meiner Frau vergoss. Ich besaß eine vage Erinnerung an einen breitschultrigen jungen Mann mit dunklem Haar. Maria hatte einmal geschrieben, ihr Ehemann sei hübsch, mit einem freundlichen Gesicht. Ich war mir nicht sicher, dass ich ein freundliches Gesicht auf Anhieb als solches erkennen würde, und ich ahnte, dass Marias Beschreibung bestenfalls voreingenommen war. Vielleicht hätte ich sie aufsuchen sollen, bevor ich mit Jana in Ulm zusammentraf; Augsburg wäre auf der Strecke gelegen. Doch zu jenem Zeitpunkt vor zwei Jahren war mir das Wiedersehen mit Jana wichtiger gewesen, und danach war niemals genügend Zeit vorhanden, von den verschiedenen Städten des Reichs aus einen Abstecher nach Augsburg zu machen, um meine Tochter zu besuchen.
Natürlich wäre Zeit gewesen; und natürlich hätte ich sie treffen sollen.
Ich hatte es nicht gewagt. Maria, meine zerbrechliche, zarte, dunkle Maria, die nach dem Schock über den Tod ihrer Mutter einen Vater gebraucht hätte, der sich um sie kümmerte, statt selbst in Düsternis zu versinken. Ich hatte die Gelegenheit verschenkt und die Jahre dazu, die ich mit ihr hätte haben können; mit ihr, mit meiner älteren Tochter Sabina und meinem Sohn Daniel. Es war nicht so einfach, die Distanz zu überbrücken, die diese vergebliche Trauerzeit geschaffen hatte.
– Jedenfalls nicht für mich.
Ich seufzte. Wie immer lag es an mir.
Es lag auch an mir, dass der Verkehr vor der Zollstelle noch mehr behindert wurde als nötig. Als mir einer der Zöllner aufgebrachte Bemerkungen zurief und mit den Armen wedelte, stieg ich ab und führte mein Pferd beiseite. Es war nervös und versuchte auszubrechen, und einige Leute wurden von ihm gestoßen; Knüffe, die sie mir zurückgaben, während sie dem Pferdekörper auswichen. Ich zog mich an den Straßenrand zurück, zur Bank des schmalen Kanals vor der Stadtmauer. Die Gerüche eines fast stehenden Gewässers, in dem aller möglicher Unrat schwamm, gerieten mir in die Nase. Schmutzige Kinder, dünner, als gesund war, stiegen in Ufernähe im Wasser herum und kümmerten sich nicht um das Gedränge auf der Straße. Einige hockten unter der Brücke, wo sie kaum genug Platz hatten, Schultern und Kopf über Wasser zu halten. Ich fragte mich, ob sie sich für die Privilegierteren hielten, da sie sich im Schatten befanden. Dann wurde mir klar, dass sie die Eingreiftruppe darstellten; die Kinder, die im seichten Wasser herumstakten, waren die Späher. Sobald es danach aussah, als ob einem der Reisenden etwas zu Boden fiel, was durch die Spalten zwischen den Brückenplanken passte, erhielten sie ein Zeichen; und noch während die Blicke des Reisenden oben über die Bretter streiften, um die Münze zu finden, wurde unter ihm schon danach getaucht. Die Schatzsuche ging schweigend vor sich: Die Kinder waren sich des Ernstes ihrer Tätigkeit bewusst.
Der Überblick war nun schlechter als vom Rücken meines Gauls mitten in der Menge, aber dann entdeckte ich einen jungen Mann mit einem Schopf dichten schwarzen Haares und der feinen Kleidung eines wohlhabenden Patriziers, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Menschenstroms immer wieder auf die Zehenspitzen stellte und ebenfalls über die Menge hinwegspähte. Als sein Blick auf mich fiel, kniff er die Augen zusammen und musterte mich unentschlossen. Schließlich wand er sich zu mir herüber und starrte mich an. Ich nickte ihm zu.
»Herr Peter Bernward?«, fragte er.
»Was von ihm übrig ist.«
Er hielt mir zögernd eine Hand hin. Die andere hielt sich an einem breitkrempigen Hut fest, den er abgesetzt hatte. »Ich hätte Euch beinahe nicht wiedererkannt.«
Er hatte ein scharfes, beinahe kühnes Gesicht mit breiten Kinnbacken, einer geraden Nase und tief liegenden, blauen Augen. Sein Haar war an den Seiten und im Nacken kurz geschnitten, vorn hing ihm eine widerspenstige Locke in die Stirn. Er war kleiner als ich, doch seine Schultern waren ebenso breit wie meine und seine Hüften so schlank wie die eines Knaben. Wenn er seine Zähne pflegt, dachte ich, werden die Jungfrauen bei seinem Grinsen in Ohnmacht fallen. Er lächelte angespannt und entblößte zwei blendend weiße Zahnreihen.
»Ich erinnere mich«, sagte ich und schüttelte die dargebotene Hand. Dann entstand die unvermeidliche Pause. Ich überbrückte sie, indem ich ihm auf die Schulter klopfte und hinzufügte: »Mein Sohn.« Es ging mir nicht einfach von den Lippen.
Seine Schultern sanken herab. Er drückte noch einmal meine Hand und ließ sie dann los. Unschlüssig sah er sich um und räusperte sich.
»Ich hoffe, Ihr wartet noch nicht so lange …«
»Wir sind gerade angekommen. Wir wurden gestern in Prato aufgehalten und sind heute auf der Straße langsamer vorwärts gekommen als geplant. Ich hoffe … Ihr … habt gestern nicht zu lange umsonst gewartet?«
Er zuckte mit den Schultern und winkte ab. Dann sah er sich nochmals um. »Seid Ihr allein?«
»Jana ist mit ihrem Tross bereits in der Stadt.«
»Oh, ich hätte ihr bei der Zollstation helfen können.«
»Sie brauchte keine Hilfe. Sie hat sich sozusagen hineingeschmuggelt.«
Er sah mich so entgeistert an, dass ich mich zu einer Erklärung genötigt sah. »Wir trafen unterwegs auf den Kardinal Raffaelle Riario, der von Lorenzo de’ Medici mit Gunstbeweisen überhäuft wird.« Er nickte verwirrt; er schien den Namen zu kennen. »Nun, Jana tat so, als würde sie zu seinem Haufen gehören, und einszweidrei war sie hinter dem Tor.«
»Ihr meint, Ihr… sie hat nichts bezahlt? Keine Zollgebühren?«
»Keinen Pfennig«, sagte ich und fühlte mich geradezu stolz auf Janas Schliche.
»Hoffentlich ergeben sich daraus keine Probleme«, sagte er. »Das ist nicht gut.«
»Was?«
»Na ja, ich meine, es gehört sich nicht; und wenn es herauskommt, wird die signoria sicherlich eine Strafe verhängen.«
»Wie sollte es denn herauskommen?«, rief ich ungeduldig.
»So etwas kommt immer heraus.« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Aber ich werde versuchen, Euch … ihr zu helfen. Wollen wir nun hineingehen?«
»Wenn wir es schaffen, am Zoll vorbeizukommen, ohne dass sie einen von uns fressen«, brummte ich so leise, dass er mich nicht hören konnte. Ich betrachtete seine athletische Gestalt, als er sich mit vielen Entschuldigungen wieder in die Menge hineindrängte und mir winkte, ihm zu folgen. Hier war offensichtlich eine Maus in den Körper eines Löwen hineingeboren worden.