Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 9

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Was will der Kerl bloß?«, stieß Jana ungehalten hervor. Der Stallknecht vor ihr, der mit den Händen fuchtelte und nicht einen Fuß bewegte, um ihrem Wunsch nachzukommen, unsere Pferde aus dem Stall der Herberge zu holen, überschüttete sie mit einem Schwall pratesischen Dialekts. Sie funkelte mich an, doch als Messer Maurizio herankam, der unsere Reisegruppe von Venedig nach Prato geführt hatte, fand ihr Zorn ein neues Ziel.

»Warum gibt er die Pferde nicht heraus?«, fuhr sie ihn an.

»Mi dispiace«, seufzte er. »Ihr könnt Prato nischt mehr verlasse’ für ’eute. Es ist eine … man hat eine …«

»Was soll das heißen, wir können Prato nicht verlassen? Wir haben mit Euch vereinbart, dass wir uns hier von Eurer Gruppe trennen und allein nach Florenz weiterreisen!«

»Es ist etwas dazwisch’gekomme’. Wie sagt man …?«

»Dazwischengekommen? Ihr habt doch gewusst, dass wir Euch hier nur auszahlen und etwas essen wollten, mehr nicht. Warum habt Ihr uns überhaupt nach Prato hereingeschleppt, wenn wir nicht wieder hinauskönnen?«

Messer Maurizio warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu.

»Isch ’abe es au’ nischt gewusst ’e«, verteidigte er sich. »Isch ’abe es ebe’ erst selbst erfahre’.«

Ich sah aus dem Augenwinkel Stepan Tredittore heranschlendern, den Boten vom Hof von Janas Vater in Krakau, der uns seit,Venedig begleitete. Ich berichtigte mich: Es war nicht mehr der Hof von Janas Vater. Es war jetzt Janas Hof. Eine der Botschaften Tredittores war die vom Tod Karol Dlugosz’ gewesen.

»Es ist eine Hinrichtung im Gange, Monna Jana«, erklärte Stepan Tredittore mit derselben Leichtigkeit, die es ihm bereitete, die verschiedenen Dialekte zwischen Venedig und Prato zu verstehen.

»Der Henkerskarren fährt gleich hier entlang. Wir können nicht hinaus, bevor er durch ist, und wir können nicht aus der Stadt, bevor die Hinrichtung vorüber ist.« Er grinste, so wie er es immer tat, wenn einer von Janas Plänen fehlschlug, und zwinkerte mir dabei zu. Seit er zu uns gestoßen war, ließ er es an feiner Verachtung für Jana und anbiedernder Freundlichkeit für mich nicht fehlen. Ich wandte den Blick ab und brummte unhörbar: »Schlange.«

»Eine Hinrichtung? Heute? Am Gründonnerstag?«

»Scheinbar wollten sie nicht bis zur Osterfeier warten, damit nicht noch jemand auf die Idee kommt, die Übeltäterin zu begnadigen.«

»Eine Frau? Was hat sie getan?«

»Eine Sklavin, Monna Jana. Die Leute sagen, sie habe ihren Herrn vergiftet.«

Ich verdrehte die Augen. Welche Hinrichtungsart man immer für die Unselige bestimmt hatte, sie würde nicht leicht sein.

»Und warum will man so unbedingt vermeiden, dass sie begnadigt wird?«, fragte Jana.

»Eine Frau, die einen Mann umbringt«, erklärte Tredittore mit Betonung. »Daneben«, er seufzte mit seinem eigenen Talent für sarkastische Nebenbemerkungen, »war er der podestà der Stadt. Die Bürger haben eine mächtige Wut auf die Täterin.«

»Der podestà?«

»Der oberste Polizeibeamte.« Tredittore stieß ein verächtliches Lachen hervor und deutete zum Tordurchgang des Herbergshofs, vor dem sich die Menschen drängten. »Ich habe den Eindruck, manche glauben, sie habe im Auftrag des Papstes gehandelt. Ihr wisst schon – beim Anschlag auf Herzog Sforza in Mailand vor drei Jahren war es das Messer in der Kirche, in Prato heute ist es eben das Giftfläschchen in der Küche … wieder für ein wenig mehr Ungleichgewicht gesorgt in den Republiken. Dona nobis pacem.«

»Was wird man mit ihr anstellen?«, fragte ich langsam.

»Ich weiß es nicht. Ich habe nur gehört, dass man sie durch jede Gasse fährt. Dabei werden die glühenden Zangen und die heißen Eisen wohl nicht ruhen.« Er zuckte mit den Schultern. »Soll ich nachfragen?«

»Ich will es gar nicht wissen«, murmelte ich. Ich sah in Janas Gesicht. Der Zorn darin war einem Ausdruck der Bestürzung gewichen.

»Santa Verena, ora per le«, brummte Messer Maurizio, ohne allzu viel Mitgefühl dabei aufzuwenden.

»Die heilige Verena ist die Schutzheilige der Dirnen, Diebe und Mörder«, erklärte Tredittore überflüssigerweise und völlig ungefragt.

»Warum stellt Ihr Euch nicht wieder hin und versucht, etwas zu sehen?«, fragte ich ihn. »Vielleicht könnt Ihr noch was lernen.« Er marschierte davon, ohne sonderlich gekränkt zu sein. Es war mir selten gegeben, ihn zu beleidigen.

»Ich gehe wieder in die Stube hinein«, sagte Jana. »Ich will es weder sehen noch hören.«

»Es dauert nischte lange«, versicherte Messer Maurizio. »Ihr könnt sische’ bald abreise’. Die Karre ist schon ein’ Weile unterwegs. Sie müsse’ sisch beeile’, damit sie no’ lebt, wenn sie sie ertränke’.«

Jana verzog das Gesicht und stapfte zum Eingang der Herberge, ihre schweigsame Zofe Julia im Schlepptau. Messer Maurizio stieß hörbar die Luft aus und wurde einen Zoll kleiner.

Wann immer er mit Janas Zorn konfrontiert wurde, schien er sich zu spannen wie ein Bogen, und seine schwarzen Augen wurden starr vor Nervosität. Ich blickte auf den halb vollen Becher mit Wein in meiner Hand, den der Herbergspächter jedem Mitglied von Messer Maurizios Reisegruppe bei der Ankunft ausgehändigt hatte, und bot ihn ihm an. Er stürzte den Inhalt hinunter und reichte mir den Becher mit einem dankbaren Blick zurück. Wir waren zeitlich befristete Gefährten in den Unwettern von Janas Launen.

»Die Reise ’at Eure Gemahlin erschöpft«, sagte er schließlich. Der hartnäckige Gebrauch der Worte Gemahl und Gemahlin war seine Art, seine Missbilligung darüber auszudrücken, dass Jana und ich nicht Mann und Frau vor der Kirche waren. Die Tatsache, dass ein Großteil der anderen Reisenden in der von ihm geführten Gruppe – zumeist Prateser, Pisaner und Sieneser Kaufleute – in ihrem Tross junge Mädchen mitführten, die als Köchinnen, Näherinnen und Wäscherinnen bezeichnet und bei jeder sich bietenden Gelegenheit von ihren Herren ungeniert betatscht wurden, störte ihn bei weitem weniger. »Mi dispiace, wenn die Reise nischt so bequem war, wie sie ’ätte sein müsse’.«

Die Reise war so bequem und ereignislos gewesen, als wenn man von seinem Schlafzimmer in die Stube hinübergegangen wäre. Ein warmer Südwind hatte den frühen April zu Ausbrüchen von frischem Laub, Blüten und Blumen ermuntert, die die Dammlandschaft vor Bologna, die sanft ansteigenden Buckel der Romagna und das zerklüftete Mugello in eine Wellenbewegung aus zartem Grün, strahlendem Weiß und blau-rot-gelben Farbspritzern verwandelten, während wir aus der Tiefebene des Po in den Appenin hinein anstiegen. Jenseits der Alpen, die wir gut zwei Wochen vorher über Kempten, Innsbruck und Sterzing überquert hatten, lag das Land noch im Griff des scheidenden Winters, mit matt darniederliegendem Gras und leeren Ästen, die sich in einen ständig veränderten Wolkenhimmel krallten.

Das Wetter war uns ebenso hold geblieben wie das Glück: Keinem der Wagen unserer Gesellschaft war ein Rad abgesprungen, keines der Pferde und Packtiere hatte zu lahmen begonnen, und selbst in den Schluchten des toskanischen Hügellandes hatte uns kein selbst ernannter Zöllner belästigt, dessen schwerbewaffnete Spießgesellen seiner Forderung nach einer Weggebühr Nachdruck verliehen hätten. Wo es Schwierigkeiten mit geizigen Herbergswirten gegeben hatte oder mit Torwachen, die die Stadttore allzu früh am Abend vor unseren Nasen schließen wollten, hatte Messer Maurizio sie ausgeräumt. Peter Ugelheimer, der allseits bekannte Frankfurter Herbergswirt in Venedig, hatte ihn uns als patron empfohlen, und der patron hatte seine Gesellschaft sicher von Venedig nach Prato geführt. Wir waren dabei die zahlenmäßig kleinste Gruppe gewesen: Jana, ihre Zofe Julia, Stepan Tredittore, die beiden in Venedig gemieteten Rossknechte – und ich. Während die anderen Mitglieder der zusammengewürfelten Reisegesellschaft mit ihrem gesamten Tross an Waren, Geld und Begleitpersonal reisten, hatte Jana nach dem Abschluss ihres letzten Geschäfts ihr Personal samt den Gütern von Venedig aus nach Hause geschickt. Ursprünglich hätten wir dabei sein sollen; ursprünglich, bevor Stepan Tredittore aus Krakau kam mit seinen Botschaften und seinem herausfordernden Auftreten, mit dem er deutlich machte, dass er Jana bestenfalls als eine kurzfristige Erscheinung an der Spitze des Hauses Dlugosz betrachtete. Und Jana die Weiterreise nach Florenz beschloss, um dort noch ein letztes Geschäft abzuwickeln.

»Es liegt am Tod ihres Vaters«, sagte ich und sah unwillkürlich zu Stepan Tredittore hinüber, der die sichtbare Manifestation all der Dinge war, die Janas schlechte Laune verursachten. Messer Maurizio folgte meinem Blick, ohne dass seine Miene verraten hätte, ob er sich Gedanken über den Boten von Janas Hof in Krakau gemacht hatte und welcher Art diese Gedanken waren.

»Eine schlimm’ Botschaft«, bestätigte er.

»Ja, und umso schlimmer, da die Botschaft mit einer Forderung der Vettern und Geschäftsfreunde verbunden war, dass Jana heimreisen und die Führung des Handelshauses in die Hände irgendeines männlichen Verwandten zweiten Grades legen möge.«

»Isch verstehe nischts von Geschäfte’«, erklärte der patron. Er hatte sich einmal eine Diskussion mit Jana geliefert, als er eine abfällige Bemerkung über die Witwe eines ihm bekannten Handwerkers gemacht hatte, die versuchte, das Geschäft nach dessen Tod selbst weiterzuführen. Danach hatte er es vermieden, in solchen Dingen mit Jana nochmals unterschiedlicher Meinung zu sein.

»Ich werde meiner Gefährtin Gesellschaft leisten«, sagte ich. »Ich habe ebenfalls kein Bedürfnis, Zeuge zu werden, wie die Unglückliche auf dem Weg zu ihrer Hinrichtung vor aller Augen gequält wird.«

Messer Maurizio fuhr sich durch die Haare. »Und isch werde den oste von die ‘erberge frage’, ob es noch eine Lager für Euch gibt. Ihr ‘ättet Euch ohn’hin beeile’ müsse’, Firenze ‘eute noch zu erreiche’. So kommt Ihr abe’ niemals reschtzeiti’ an.« Er warf einen Blick zum Tordurchgang, wo sich jetzt auch die Mitglieder unserer Reisegruppe drängelten und Stepan Tredittore versuchte, sich einen guten Aussichtsplatz zu sichern. Die Prateser hatten mit einem rhythmischen Singsang begonnen, der sich anhörte, als werde ein Name gerufen. Vielleicht war es der Name der Sklavin. »Schlimme Zeite’«, flüsterte Messer Maurizio und schlüpfte davon.

Es war die falsche Entscheidung gewesen, in die Schankstube zu gehen. Sie war dunkel und menschenleer und roch nach kaltem Rauch, abgestandener Luft und Bratfett, obwohl der Wirt die kleinen Fenster geöffnet hatte. Das jedoch war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass die Schankstube ein paar Stufen über dem Niveau der Straße lag, weil sich unter ihr ein Vorratskeller befand und die Fenster sich einige Ellen über den Köpfen der Wartenden draußen öffneten. Jegliches Geräusch von der Straße konnte ungehindert eindringen, noch verstärkt durch die glatte, fensterlose Flanke eines wuchtigen Lagerhauses auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse. Zuerst war es nur das Singen, über das sich da und dort Gelächter erhob. Dann verstummte der Singsang langsam und zögernd, bis nur noch eine einzige Stimme herauszuhören war, die mit einem verlegenen Geräusch abbrach, als dem Sänger bewusst wurde, dass er allein war. Ich sah zu Jana hinüber. Das Ende des Gesangs konnte nur bedeuten, dass die ersten Zuschauer etwas gehört hatten. Dann hörten wir die abgehackten Geräusche auch und wussten, lange bevor man es wirklich erkennen konnte, dass es die Schreie einer Frau waren. Der Lärm der Menge steigerte sich wieder und ertränkte sie für eine gnädige Weile. Jana und ich saßen uns gegenüber und starrten uns wortlos an, während der Henkerskarren sich näherte und die gequälten Schreie der Verurteilten endgültig über die Geräusche der Menge hörbar wurden. Es kam niemand zu uns in die Stube, obwohl man von den Fenstern aus einen hervorragenden Blick in die Gasse gehabt hätte. Vielleicht dachte niemand daran; vielleicht zogen es die Zuschauer auch vor, näher am Geschehen zu sein, als es die kleinen Fenster zugelassen hätten. Die Männer und Frauen draußen pfiffen und klatschten. Janas Augen weiteten sich, als die Schreie abrupt verstummten und mit ihnen das erwartungsvolle Lärmen der Menge. Ihre Lippen formten Sie ist tot, während das Rumpeln der Karrenräder zu hören war. Dann begannen die Schreie wieder: Man hatte sie offensichtlich aus der Bewusstlosigkeit aufgeweckt. Der Karren schien sich mit einer Langsamkeit zu nähern, die Messer Maurizios Versicherung Hohn sprach. Plötzlich war er doch unter dem Fenster oder in einer Position, in der der Schall am besten zu uns in die Stube dringen konnte. Janas Kiefermuskeln spannten sich. Die Schreie übertönten den Krach der Zuschauer mühelos und steigerten sich nach einer wie überraschten Pause zu einem lang anhaltenden Heulen, und ich glaubte zu verstehen, wie eine Männerstimme bravo, bravo! rief, aber ich hoffte, mich verhört zu haben; die Unglückliche auf dem Karren heulte wie die Verdammten der Hölle, die Zuschauer heulten vor Begeisterung mit, und die Szene hörte sich genauso an wie der Beifall für eine Gruppe von Schauspielern, die ihr Publikum mit erlesenen Künsten begeistern. Nur eine Sklavin, die ihren Herrn vergiftet hatte und auf dem langen Weg zur Hinrichtungsstätte vor aller Augen zerfleischt wurde – Wie kann es eine Schutzpatronin für Mörder geben? – und derem unsäglichen Sterben die Menschen applaudierten. Was hatte er getan, das sie so weit getrieben hatte, ihn zu vergiften, und wie war sein Ende gewesen? Oder wie hoch die versprochene Belohnung für einen Auftragsmord?

Aber wenn es dich gibt, Santa Verena, dann mach ihr ein Ende. Das Heulen brach ab und schwoll wieder an, die Stimme heiser und zerrissen wie der Körper, aus dem sie kam. Ich hörte, wie Jana etwas auf Polnisch flüsterte, das ich als Gebet erkannte. Der Karren ratterte weiter; ein dünnes Geräusch wie von rasselnden Ketten brachte einen Schwall Weihrauch mit zu den Fenstern herein und das kaum hörbare monotone Leiern eines Priesters. Ich starrte Jana an, die die Augen geschlossen hatte und die Lippen bewegte. Die Zuschauer johlten. Die Verurteilte schrie. Der gemarterte Körper hielt seine Seele fest, und die heilige Verena machte keine Anstalten einzuschreiten.

Die Hinrichtung schien nicht nur uns in der Stadt festgehalten zu haben; oder sie hatte zusätzliche Gäste angelockt. Der Wirt der Herberge tat sich jedenfalls schwer damit, noch weitere Schlafplätze in seinem Lager unter dem Dach auszugeben – zumindest für die Männer. Für Stepan Tredittore und mich blieb nur die Wahl zwischen der Schankstube und dem Stall, in dem jedoch schon die Knechte und Mägde der anderen Reisenden nächtigten. Im Frauenlager gab es genügend leere Plätze; doch der Wirt war ein gottesfürchtiger Mann und von Messer Maurizio sicherlich in die besonderen Verhältnisse zwischen Jana und mir eingeweiht. Ich gab nach und suchte mir mein Lager in der Schankstube, wo sich Stepan Tredittore bereits zusammengerollt hatte – nicht ohne ausgiebig über diese Unbequemlichkeit zu maulen und dabei den Anschein gebend, als wäre auch dafür Jana verantwortlich. Ich streckte mich auf dem Boden neben dem glimmenden Feuerplatz aus und versuchte, Schlaf zu finden. Stattdessen hörte ich das leichtfüßige Hin und Her im nachtdunklen Gebäude, mit dem einige der Kaufleute zu den jungen Mädchen in ihrer Dienerschar fanden und umgekehrt. Es war eine Verschwendung der Schlafplätze und außerdem eine Zumutung, Ohrenzeuge der hastigen Kopulationen unter der Treppe, im Vorratskeller und – in einem Fall – in der Küche der Herberge zu werden. Mein Ärger hinderte mich noch mehr als der harte Boden und das Getrappel daran, in den Schlaf zu sinken. Schließlich beendete ich den Versuch, hörte auch damit auf, Tredittores sanftes Schnarchen mit Zischeln und Pfeifen unterbinden zu wollen, setzte mich auf eine der Bänke und dachte nach.

Vor neun Jahren hatte ich aufgehört zu leben; der Tod meiner Frau Maria hatte auch meinem Dasein als Mitglied der menschlichen Gesellschaft ein Ende gesetzt. Vor zwei Jahren war ich dem Leben wieder zurückgegeben worden: durch Jana Dlugosz, die in den Wirren eines Mordfalls während der Fürstenhochzeit zu Landshut auf meinen Hof gekommen war, um mich vor den Mördern zu warnen. Sie war lebhaft, wo ich verschlossen war, sie hatte ihre eigenen Gedanken und pflegte sie, ohne zu zögern, zu realisieren, sie neigte dazu, mich stets zu überraschen, sie trug das Herz auf der Zunge und hatte meines, obwohl es unter den tiefen Schichten jahrelanger Trauer begraben lag, auf Anhieb gefunden – und sie hatte mir mitten in einem trüben November mit ihrer Liebe das Licht wiedergegeben, das in meinem Leben erloschen war. Als sie Landshut verließ, um einem Handel mit Seidenstoffen in Ulm nachzugehen, brauchte ich nur wenige Wochen, um mir klar zu werden, dass mein Platz an ihrer Seite war. Ich, der ich bis dahin keinen Augenblick die Führung meines kleinen Handelshofes aus der Hand gegeben hatte, überschrieb die Verantwortung meinem neuen Geschäftspartner Sebastian Löw – der darüber noch immer erstaunt war, wie ich seinem letzten Brief entnehmen konnte – und folgte Jana, sobald die Witterung es zuließ.

Seitdem war ich ihr Begleiter gewesen und hatte Hunderte von Malen neugierigen Herbergswirten, misstrauischen Geldverleihern, kaltherzigen Geistlichen und den bigotten Ehefrauen von Janas Geschäftspartnern erklären müssen, dass wir es nicht als nötig erachteten, unserer Liebe durch die Sanktion einer Heirat Legitimation zu verschaffen. Was ungesagt blieb, war, dass ich viel zu große Angst vor einem weiteren Verlust hatte und mein Aberglaube viel zu groß war, als dass ich mich nochmals vor den Traualtar gewagt hätte. Ungesagt war es bislang auch Jana gegenüber geblieben; da sie mich trotz ihrer stets direkten Art niemals fragte, ahnte ich, dass es ihr dennoch bewusst war. Die Situation erschuf viele ungute Momente zwischen uns: ausgelöst durch die Missbilligung, die Jana manches Geschäft kostete, und durch den Umstand, dass wir mehr Nächte getrennt als gemeinsam verbrachten, sobald wir gezwungen waren, in Herbergen zu übernachten; aber auch dadurch, dass ich mich immer öfter als Janas Verwalter oder älterer Geschäftsfreund darstellte und in dieser Rolle lächerlich wirkte. Ich war mittlerweile Ende vierzig, Jana Mitte dreißig; ich wirkte wie ein alternder Versager, der nur deshalb nicht die Armensuppe eines Klosters schlürfte, weil er sich bereit fand, für eine jüngere Frau den geschäftlichen Popanz zu spielen. Weitere Zwiste folgten: wann immer die Pferde mit mir durchgingen und ich mich in Janas Geschäftsabschlüsse einmischte; oder wenn ihre Geschäftspartner in Verkennung der Situation mich als den Herrn der Lage erachteten und ich es nicht übers Herz brachte, in den Verhandlungen nicht den großen Kaufmann zu spielen. Unsere Phasen der gegenseitigen Verstimmung waren aufreibend und brachen uns jedes Mal das Herz; aber im Grunde genommen waren sie nur die Ausbrüche zweier unterschiedlicher Charaktere, die einen gemeinsamen Weg haben, und flammten ebenso schnell auf, wie sie verloschen. Doch seit Stepan Tredittores Eintreffen in Venedig, kurz nachdem wir selbst dort angekommen waren, hatten sich die immer wieder aufflackernden Streitigkeiten in einen Dauerzustand zähneknirschenden Waffenstillstands verändert, in dem beim geringsten Anlass Scharmützel emporflammten, denen langes, eisiges Schweigen gefolgt war.

Seit wir vor einer Woche von Venedig aufgebrochen waren, war Jana womöglich noch verbissener und gereizter geworden. Sie hatte es geschafft, dass die gesamte Reisegesellschaft die Augen verdrehte, sobald sie nur den Mund auftat, und ich redete mir vergeblich ein, dass mir dieser Umstand nichts ausmachte.

Mir war nur schleierhaft, wozu wir – nach Janas guten Geschäften in Venedig – nun ausgerechnet noch nach Florenz reisen mussten. Selbst mit meinen Lateinkenntnissen, die von der heutigen Sprache im ehemaligen Reich des Cäsar und Augustus so weit entfernt waren, dass ich nur Fetzen von Worten verstand, hatte ich von der Situation südlich der Alpen gehört: von den Fehden, mit denen die Republiken sich bekriegten; von den hin und her ziehenden Söldnerscharen, deren Anführer jeden ihrer Auftraggeber betrogen und deren Einheiten ihren aufgestauten Zorn an den Bewohnern schutzloser Dörfer abreagierten; den schwelenden Aufständen, die immer wieder in Attentaten gipfelten und schreckliche Strafgerichte nach sich zogen; den fanatischen Mönchen, die von kommenden Höllengerichten und Sintfluten predigten und ihre Herde aufforderten, ihre weltlichen Herrscher abzuschlachten; den Schädelstätten, die sich füllten und füllten mit gehängten, zerschlagenen, gefolterten, gebrannten, ins Rad geflochtenen Körpern; und nicht zuletzt von dem feisten Teufel auf dem Thron des heiligen Petrus, dessen einziges Trachten die Vermehrung des Reichtums seiner Familie war.

Die grässliche Hinrichtung der Sklavin setzte all dem nur einen vorläufigen Höhepunkt auf, und ich fragte mich, bis mich der Schlaf zuletzt doch einholte, was dieses Erlebnis, eine halbe Tagesreise von unserem Ziel entfernt, uns sagen wollte.

Eine Messe für die Medici

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