Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 11
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ОглавлениеMein Schwiegersohn ging zu Fuß, was mich erstaunte; seine schmalen Schuhe sahen nicht so aus, als seien sie zum Gehen gemacht, und seiner Stellung als Beauftragtem des großen Handelshauses der Hochstetter gemäß hätte es sich geziemt zu reiten. Wohl oder übel zerrte ich mein Pferd am Zügel hinter mir her. An der Zollstelle nahm niemand Notiz von uns, obwohl er die Männer auf uns aufmerksam machte – die Packtiere eines kleinen Trecks weiter hinten sahen nach größeren Einkünften aus. Er übersetzte mir, was er zu den Männern gesagt hatte. Das müde Abwinken der Zöllner bedurfte keiner Übersetzung. Danach erstarben seine Gesprächsthemen fürs Erste, während wir auf einer erstaunlich breiten Straße nebeneinander her trotteten. Zu unserer Rechten erhob sich eine halbhohe Mauer, über die die Kronen von Bäumen ragten; links standen in unregelmäßigen Abständen Lagerschuppen, Ställe und dazwischen die Werkstätten von Handwerkern, die es noch nicht geschafft hatten, in eine Zunft aufgenommen zu werden und in ihr Viertel im Zentrum der Stadt umzuziehen. Auf den freien Flächen zwischen den Gebäuden wuchs Gestrüpp, Unkraut und da und dort auch eine kleine Reihe knorriger Weinstöcke. Weiter vorn, wo die Straße einen leichten Knick machte, ragte eine hölzerne Säule in die Höhe, an deren Spitze etwas wie verblichene Tuchbänder hing.
»Euer Brief hat mich zu spät erreicht, sodass ich Euch nicht mehr antworten konnte«, erklärte Kleinschmidt endlich, als das Schweigen schon beinahe peinlich geworden war. »Er ist wahrscheinlich durch alle Zünfte der Stadt geirrt, bevor man ihn in den Fondaco dei Tedeschi brachte … jedenfalls: Ihr habt geschrieben, dass ich mich nicht um eine Unterkunft bemühen sollte. ›Kümmert Euch nicht um Logis, denn es ist alles bereits vorbereitet …«Er kniff die Augen nachdenklich zusammen, aber er hatte wohl fehlerfrei zitiert. Er konnte sich an mein Schreiben besser erinnern als ich selbst. »Ich nehme an, Ihr logiert wie ich im Fondaco dei Tedeschi?« Selbst das sprach er richtig aus.
»Nein, Jana hat eine Unterkunft besorgt, von einem Ser Piero Vespucci. Er hat das Haus einer gewissen Familie Bischeri gekauft und vermietet ein Stockwerk darin, bis er sich darüber klar geworden ist, was er damit anfangen will.« Ich runzelte die Stirn und versuchte, mich an Janas Informationen zu erinnern. »Das Haus steht in der Nähe des Doms, an der Ostseite des Domplatzes. Vespucci selbst ist meines Wissens nicht in der Stadt. Der Mann verbringt nur den Winter in der Stadt und zieht im Frühling auf seinen Landsitz irgendwo im Nordosten des Umlands. Ich glaube, Jana hat über ihn auch Dienstboten gemietet, die sich um uns kümmern sollen.«
»Woher kennt Ihr den Mann?«
»Hol mich der Teufel, wenn ich weiß, wie Jana an ihn gekommen ist«, knurrte ich halblaut. »Manchmal staune ich immer noch über sie.«
»Er ist ein angeheirateter Vetter von Simonetta Vespucci, die vor zwei Jahren gestorben ist. Man hat ihr eine Affäre mit Giuliano de’ Medici nachgesagt, und auch Ser Lorenzo soll sie sehr ins Herz geschlossen haben. Jedenfalls hat er sogar seinen Leibarzt an ihr Sterbebett schicken lassen … wie auch immer«, erklärte er nervös. »Eure … nun … äh … Eure …«
»Jana ist meine Frau. Es fehlt uns nur der Segen des Priesters«, sagte ich kurz. Kleinschmidt wurde rot und verstummte.
»Was wolltet Ihr sagen?«, half ich nach.
»Es ist bewundernswert, in so kurzer Zeit schon so gute Kontakte geknüpft zu haben«, stotterte er unglücklich und vermied jede Berührung mit einem der schwierigen Wörter, die Janas und meine Beziehung beschrieben hätten.
»Jana ist bewundernswert.«
Er nickte tapfer. Ich beschloss, ihn aus seinem Elend zu erlösen, und deutete nach vorn: »Was hat diese geschmückte Säule zu bedeuten?«
»Dort wenden die Pferde beim palio. Das ist das Pferderennen, das im Frühsommer durchgeführt wird.«
»Und jene Gruppe übt bereits?«
Ich wies auf ein Grüpplein von einem halben Dutzend Reitern, das die Straße heraufgesprengt kam, eine Staubwolke hinter sich lassend. Die Menschen in ihrem Weg brachten sich hastig in Sicherheit; Kinder wurden gepackt und beiseite gehoben. Es schien nicht danach, als würden die Reiter Rücksicht nehmen, wenn ihnen die Passanten nicht schnell genug auswichen.
Das Trommeln der Hufe wurde über den Lärm der Leute um uns herum hörbar; die ersten blickten auf.
»Das sind Pazzi-Leute«, erklärte er. »Lasst uns beiseite treten.«
»Diesen Namen habe ich heute schon einmal gehört.«
Kleinschmidt fasste mich am Arm und zog mich von der Straße. Die Reiter näherten sich rasch, galoppierten an der Säule vorbei, wobei sie sich in einem Manöver teilten, das ein von Reiterspielen mehr begeisterter Mann als ich sicherlich aufregend gefunden hätte. Ein paar Kinderstimmen kreischten erschrocken auf. Der Trupp donnerte an uns vorüber, mit dem üblichen, mehr mit dem Bauch als mit den Ohren vernehmbaren Trommeln schwerer Pferdehufe. Kleinere Steinchen trafen uns, dann hüllte uns die Staubwolke ein. Demonstratives Husten wurde hörbar. Ein Haufen Männer, die in abgetragenen Gewändern neben der Straße gestanden waren, schüttelte die Fäuste hinter den Reitern her. Als das Trommeln leiser wurde, hörte ich sie rufen: »Pazzi, popolo e libertà!«, und bemerkte, dass ihre gebleckten Zähne keineswegs Zorn, sondern Begeisterung ausdrückten. Sie senkten die Fäuste und sahen sich herausfordernd um, aber die meisten taten so, als hätten sie nichts bemerkt. Kleinschmidt warf ihnen einen kurzen Blick zu, während er sein Gewand ausklopfte. Vorn am Tor wieherten die Pferde laut, als die Reiter an den Zügeln zogen, um sie anzuhalten. Bevor das Stimmengewirr um uns herum wieder anhob, hörte ich barsche Männerstimmen, die mit den Torwachen zu streiten schienen.
»Habt Ihr den Anführer der Männer gesehen, den alten Mann mit dem langen weißen Haar?«, fragte Johann Kleinschmidt. »Das war Jacopo de’ Pazzi, der Anführer der Familie. Die Pazzi sind mit den Medici verschwägert, doch seit der Papst den Medici die Finanzverwaltung des Vatikan entzogen und sie in die Hände der Pazzi gelegt hat, besteht Feindschaft zwischen den beiden Familien.«
»Und mit wem hält es das Volk von Florenz?«
»Das ist eine intelligente Frage. Also, ich denke, es sieht so aus, dass die Patrizier, Handwerker und Ladenbesitzer zu Ser Lorenzo halten, während die Anhänger von Papst Sixtus und der Rest der Stadt, die Tagelöhner und Arbeiter und die ewig Unzufriedenen auf der Seite Ser Jacopos sind.«
»Wie unklug von Ser Jacopo, seine Anhänger am helllichten Tag über den Haufen zu reiten.«
»Ja, nicht wahr? Ser Jacopo ist von altem Stadtadel, hochfahrend, arrogant und rücksichtslos. Eigentlich müssten die armen Leute ihn hassen. Aber sie hassen Ser Lorenzo noch mehr, denn sie neiden ihm seinen Reichtum. Ich glaube, sie hassen ihn, weil sie gerne sein möchten wie er.«
Ich zuckte mit den Schultern; in Gedanken versuchte ich vergeblich nachzuvollziehen, wie man einen Mann, der mit einer Gruppe von Reitern rücksichtslos über die Straße sprengte, einem anderen vorziehen konnte, der religiöse Sonette dichtete. Doch Kleinschmidt hielt sich länger hier auf als ich und musste die Verhältnisse kennen. Wie hatte ich jemanden auf der Reise hierher über die Florentiner sagen hören? In all ihrem Tun ist etwas Hinterhältiges, und ihre Bösartigkeit kennt keine Grenzen.
»Es ist nicht mehr weit zur Kirche der Humiliatenbrüder, wo ich mein Pferd untergestellt habe«, erklärte Kleinschmidt und deutete vage nach vorn. »Die Gegend in der Nähe der Mauer ist nicht so, dass man sein Pferd längere Zeit irgendwo stehen lassen möchte. Die Humiliatenbrüder aber passen darauf auf, wenn man ein paar Münzen für ihre Bedürftigen spendet. Danach können wir reiten. Ich meine«, er sah mich unsicher an, »selbstverständlich könnt Ihr jederzeit aufsteigen. Ich fühle mich nicht gedemütigt, wenn Ihr neben mir reitet.«
»Ich bin froh, wenn ich meine Beine ein wenig strecken kann«, sagte ich nicht ganz wahrheitsgemäß. Sein Bemühen, mir zu gefallen, forderte geradezu mein Mitleid heraus. »Solange Ihr mich nicht auf Umwegen herumführt …«
»Nein, bestimmt nicht. Wenn wir die Kirche erreicht haben und reiten können, kommen wir am Hospital von San Giovanni di Dio vorbei – das Hospital ist übrigens vor gut hundert Jahren von der Familie Vespucci gegründet worden –, dann am Palazzo Rucellai und über den alten Marktplatz, wo früher das römische Forum stand, in die Via Calimala, von dort zu Santa Maria del Fiore und zur Piazza del Duomo, wo sich der alte Bischeri-Palazzo befindet. Über die Piazza Santa Trinità wäre es zwar kürzer, aber die Kirche wird zur Zeit wieder einmal umgebaut. Wenn Ihr zum Fondaco dei Tedeschi wolltet, müssten wir am Ufer entlangreiten bis zur Via degli Archibusieri und zu Santa Croce – wobei man auf diesem Weg allerdings durch das Färberviertel muss, und das ist immer ein ungutes Stück Weg, wenn Ihr versteht …«
»Ich verstehe gar nichts«, sagte ich halb lachend. »Und ich wollte nicht andeuten, dass Ihr mich in die Irre führen wollt. Ihr braucht mir den Weg nicht so genau zu beschreiben – ich kenne die Örtlichkeiten ja doch nicht.«
»Natürlich. Es war nicht so gemeint … Dort ist die Kirche der Humiliaten«, sagte er und deutete nach vorn. »Ich hole mein Pferd.« Er eilte in die Kirche hinein, sichtlich erleichtert, für ein paar Momente Abstand von mir zu gewinnen. Ich seufzte. Ich hätte meinen guten Mantel dafür gegeben, den ersten Brief zu lesen, den er nach unserem Zusammentreffen an meine Tochter Maria schreiben würde. Er tauchte nach einigen Minuten wieder mit einem langgliedrigen, feinen Tier auf, dessen Fell mit den polierten Kupferbeschlägen seines Sattels um die Wette glänzte.
»Ein schönes Pferd«, sagte ich, als er aufstieg.
»Ja, das stimmt. Ich … äh … Eures ist bestimmt ausdauernder und robuster … so, wie es aussieht«, er merkte, wohin ihn seine Rede führte, und klappte den Mund zu. Ich fühlte mich bemüßigt, meinem Gaul tröstend auf den Hals zu klopfen.
»Was führt Euch eigentlich nach Florenz?«, fragte er nach einer Weile schüchtern. »Ihr habt von einem Geschäft geschrieben. Braucht Ihr meine Hilfe? Soll ich Euch mit jemandem bekannt machen?« Er dachte einen Augenblick nach. »Obwohl – Ihr habt ja anscheinend gute Verbindungen, zumindest zu Ser Vespucci.«
»Es ist nicht mein Geschäft, sondern das Janas. Ich begleite sie nur.« Ich versuchte, seinen fassungslosen Blick zu übersehen, als ihm dämmerte, dass ich zu nichts anderem als meinem persönlichen Vergnügen nach Florenz reiste. Ich hätte sein Gesicht sehen mögen, wenn ich ihm eröffnet hätte, dass nicht einmal das Vergnügen besonders groß war. Stattdessen sagte ich: »Aber Jana wird sich bestimmt freuen, wenn Ihr dieses Angebot für sie erneuert.«
»Da vorn müssen wir nach links. Kennt Ihr die Geschäftspartner Eurer … kennt Ihr … Mit wem will sie denn ein Geschäft abschließen?«
Ich musste lächeln. Sollten Jana und ich jemals vor einem Priester das Ehesakrament vollziehen, würde mein Herr Schwiegersohn sich gezwungen sehen, sie Mutter zu nennen. Wahrscheinlich würde er dabei seine eigene Zunge verschlucken.
»Ich weiß nur, dass ihr Ehrgeiz zu groß ist, als dass sie sich mit irgendwelchen Kleinhändeln zufrieden geben würde«, sagte ich. Er machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Es ist schwierig in Florenz, besonders als Frau. Man wird sie kaum respektieren. Das liegt nicht an ihr, nicht, dass Ihr das glaubt, aber die Florentiner Kaufherren sind … nun ja«, plötzlich hellte sich seine Miene auf, als hätte er eine Lösung gefunden, »Donna Ciarice, die Gattin von Ser Lorenzo, könnte sie vielleicht empfangen – das heißt, wenn sie nicht gerade eine ihrer … eh … Befindlichkeiten hat. Wenn Ihr dann noch versucht, eine Empfehlung von Ser Vespucci zu bekommen … für Ser Lorenzos Bruder Giuliano … Lorenzo und sein Bruder stehen sich sehr nahe …«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Da Jana sich erst zufrieden geben wird, wenn sie dem besten und reichsten Kaufherrn von Florenz das Fell über die Ohren gezogen hat, und da, wie man hört, Lorenzo de’ Medici dieser Mann ist, wird eine freundschaftliche Verbindung mit dieser Familie kaum zustande kommen.«
Er schüttelte den Kopf. Ich erwartete, ihn wieder »Das ist nicht gut!« sagen zu hören, und kam ihm zuvor. »Hier nach links?«
»Ja«, sagte er verwirrt. »Ja, hier links. Wir müssen die Gasse hinauf zur Via de Pancrazio, am Haus von Fillippo Strozzi vorbei zum alten Marktplatz, bei der Via Calimala wieder links zur Misericordia …«
Es war ebenso ermüdend, ihm bei den Ortsangaben zuzuhören, wie seiner Ängstlichkeit gegenüber allem zu lauschen, was nicht exakt in irgendein Schema passte. Der Rest seiner Rede floss an mir vorüber, während wir durch die engen Gassen ritten. Die Via de Pancrazio war gepflastert und voller Leute: eine breite Straße, die sich nach links und rechts zwischen zwei Plätzen vollkommen gerade erstreckte. Die meisten Menschen in ihr bewegten sich mit gemessenen Schritten auf den größeren der beiden Plätze zu. Als plötzlich das dünne Läuten einer Glocke ertönte, wurde mir klar, dass dort eine Kirche lag und die Leute zur Abendandacht wollten.
»Dort ist die Kirche und der Platz der Heiligen Dreifaltigkeit«, erklärte Johann Kleinschmidt. »Die Kirche ist besonders schön; die Familien Strozzi, Rucellai, Sassetti und Davanzati sind dafür bekannt, reichlich für sie zu spenden. Dahinter ist die Brücke der Heiligen Dreifaltigkeit, die schon einmal vom Hochwasser weggerissen wurde. Danach dauerte es mehr als zehn Jahre, bis sie wieder aufgebaut war …«
Er hatte über nahezu jedes Haus, jede Gassenkreuzung, jeden Platz und jede Kirche etwas zu sagen, was an mir vorbeidröhnte. Es war spät am Nachmittag, das Sonnenlicht fiel schräg und warm in die Gassen, und der lohfarbene Stein der meisten Bauwerke glühte auf, als wolle er mit dem Sonnenlicht wetteifern. Die Bauten erhoben sich in einen tiefblauen Himmel hinein und schwebten förmlich auf den ebenso blauen Schattenpolstern, die um ihre Grundfesten lagen. Selbst die bunte Bemalung der Häuser meiner Heimatstadt Landshut konnte mit diesem Farbkontrast nicht mithalten. In meiner Erinnerung waren die Farben blasser, der Himmel milchiger und die Schatten – nur Schatten, weiter nichts. Kleinschmidts aufgeregter Erzählfluss jedoch verleidete mir alles. Letztlich war er zwar nicht schuld daran, dass ich einen Groll mit mir herumtrug, der mich die Schönheit kaum sehen ließ, aber ganz sicher war er nicht geeignet, mich meinen Ärger vergessen zu lassen. Ich wusste, ich hätte schon allein aus dem Grund besser auf seine Beschreibungen Acht geben sollen, um mich später allein in Florenz zurechtzufinden, aber ich verschloss meine Ohren und widmete mich meinen eigenen Gedanken. Die Prachtbauten waren lediglich Häuser, in denen Menschen wohnten oder Behörden oder die Geistlichkeit oder in denen Gott dem Herrn oder dem Gott Mammon gedient wurde, nichts weiter. Ich dachte: Hör auf, Peter, heute bist du nicht ganz normal, doch der Zynismus ließ sich nicht vertreiben. Ich war geneigt, doch Johann Kleinschmidt die Schuld daran zu geben, dessen erschöpfende Auskünfte den Trojanischen Krieg hätten verhindern können, wenn er dem Paris auf diese Art und Weise die Vorzüge der schönen Helena geschildert hätte. Paris hätte Helena nicht entführt, sondern schreiend das Weite gesucht. Der wirkliche Grund für meine Stimmung war jedoch, dass Jana mir nach dem Debakel in Venedig offenbar nicht einmal mehr so weit über den Weg traute, um mich in ihre Pläne hier in Florenz einzuweihen. Ich bemühte mich, auf andere Gedanken zu kommen, und stand mehrmals kurz davor, Kleinschmidt zu fragen, was es Neues über meine Tochter Maria zu berichten gab; aber ich empfand ihn mit zunehmender Zeit als so lästig, dass ich es nicht über mich brachte, ein persönliches Thema anzuschneiden. Er selbst schien nicht in der Lage zu sein, meine finstere Laune zu erkennen oder außer weit ausholenden Gemeinplätzen etwas von sich zu geben, was Substanz hatte. Als wir endlich vor einem rötlich-grauen Eckgebäude mit zwei Obergeschossen Halt machten und ich Janas Zofe ansichtig wurde, die aus einem der oberen Fenster ein Laken ausschüttelte, war ich erleichtert.
»Wo ist Jana? Oben bei dir?«, rief ich zu ihr hinauf. Sie nickte.
Ich nahm Kleinschmidt mit hinein, was ihm peinlich zu sein schien. Ein von Säulen umrahmter Innenhof mit einem Springbrunnen öffnete sich hinter dem engen Durchgang von der Straße; Portici-Bögen an allen vier Seiten, zwei Loggien im ersten und zweiten Stockwerk. Noch peinlicher war es Kleinschmidt, dass ich ihn Jana vorstellte. Er stotterte und redete noch abgehackter als sonst. Ich war froh, dass Stepan Tredittore nicht in der Nähe war – neben meinem Schwiegersohn hätte er geradezu eine gute Figur gemacht. Sein Angebot, Jana mit seinen Geschäftsbeziehungen behilflich zu sein, wiederholte er nicht, und ich sprach ihn nicht darauf an. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Jana ein Hilfsangebot dieses haspelnden Unglücksraben willkommen gewesen wäre – sie hatte immer noch ihre Verbindung zu Piero Vespucci und die neuen Kontakte zu Kardinal Riario in der Hinterhand, und Johann Kleinschmidt machte ganz den Eindruck, dass ein Empfehlungsschreiben aus seiner Hand außer einem Lachanfall nichts hervorrufen würde. Als ich gerade hoffte, dass sein stockender Redefluss endlich versiegen würde und geistig sein Hinterteil vermaß, um die Stelle zu finden, in die ich ihn im nächsten Moment treten würde – da hörte ich, wie er mit entwaffnender Offenheit sagte: »Bitte entschuldigt … Ich meine, ich stottere und benehme mich wie ein … Und dabei habe ich Euch noch nicht einmal willkommen geheißen und Euch gutes Gelingen gewünscht. Es liegt daran, dass ich so aufgeregt bin, endlich den Vater meiner Maria kennen zu lernen. All die Jahre habe ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet …«
Ich sah überrascht auf und in sein eifrig glänzendes Gesicht. Als ich nicht sofort etwas darauf erwiderte, verdüsterten sich seine Züge.
»Ich habe Euch keine Chance gegeben damals, als Ihr meine Tochter mit Euch nahmt«, brummte ich endlich. »Das war nicht richtig. Ich hoffe, dass ich das hier in Florenz wieder an Euch gutmachen kann.«
»Ich … Ich weiß schon, es war schwer für Euch damals … und …«
Ich dachte: Nun rede um Himmels willen nicht weiter, bevor du den einzigen guten Eindruck zerstörst, den ich von dir habe. Er schien es verstanden zu haben, denn er schwieg und schaute zu Boden.
»Ich begleite Euch hinaus«, sagte ich. »Vielleicht findet Ihr Zeit, am Sonntag mit uns die Messe im Dom zu besuchen?« Ich warf einen Blick zu Jana hinüber, und sie zuckte mit den Schultern.
»Was, die Messe?«, stieß Kleinschmidt hervor.
»Sie wird von Kardinal Riario abgehalten. Das ist etwas Besonderes. Wollen wir nur hoffen, dass er nicht mit dem Leib Christi nach der Gemeinde wirft.« Kleinschmidt sah mich verwirrt an. »Ihr holt uns hier ab, und wir gehen gemeinsam. Einverstanden?«
»Nun, aber ich …«
»Was ist? Habt Ihr schon einen Termin?«
Er straffte die Schultern. »Natürlich nicht. Also … Ich freue mich darauf … ja, wirklich.«
Kleinschmidt verabschiedete sich umständlich von Jana und sah mich danach erwartungsvoll an. Ich stieg vor ihm her die Treppe hinunter in den Innenhof und führte ihn durch das zweiflüglige Tor in den dunklen Bogengang, der hinaus ins Freie führte. Einer von Janas Rossknechten schlurfte aus einer Ecke hervor und begab sich auf die Suche nach Kleinschmidts Pferd.
»Ich freue mich darauf, am Sonntag ein wenig mehr über Euch zu erfahren, Herr Kleinschmidt«, sagte ich, um die Abschiedszeremonie abzukürzen.
»Ich glaube«, begann er und räusperte sich gewaltig, »ich glaube, ich würde mich freuen, wenn Ihr mich … nun … als wir uns begrüßten, habt Ihr mich schon einmal … ich meine: als Euren Sohn betrachten würdet …« Er sah mir einen Augenblick lang ins Gesicht und senkte dann den Blick. Seine Wangen färbten sich. »Ich meine … also …«
Er konnte einem Leid tun. Er sah aus wie jemand, den die Bildhauer längst vergangener Zeiten nackt modelliert hätten, mit einem weit in den Nacken geschobenen Helm, die Toga lässig um die Hüfte geschlungen und das Schwert in der muskulösen Rechten erhoben, um die Legionen gegen die Barbaren zu führen; aber er war so unsicher wie ein krummbeiniger Junge mit vorstehenden Zähnen und einer Hühnerbrust. Plötzlich fragte ich mich, was Maria ihm über mich erzählt haben mochte. Ich fragte mich, welchen Eindruck Maria selbst von mir hatte. Ich blieb stehen und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Johann Kleinschmidt, mein Sohn«, sagte ich.
Mir taten die Zähne weh von meinem eigenen Pathos, aber er ritt strahlend von dannen.
»Was hältst du von ihm?«, fragte ich Jana.
»Als Schwiegersohn, als Vertreter der Hochstetter oder als Mensch?«
»Ich glaube, wir sollten mit dem unverfänglichsten anfangen.«
»Gut. Ich kenne ein paar Fernkaufleute der Fugger, und die nehmen sich mit ihrem übersteigerten Selbstbewusstsein neben ihm aus wie ein Adler neben einem Rebhuhn. Aber vielleicht ist sein unterwürfiges Auftreten hier nötig. Wie es heißt, sind die Florentiner Meister in schlechtem Benehmen; es kann sein, dass sie nur mit einem Geschäfte machen, der ihnen in den Hintern kriecht.«
»Schlechte Aussichten für dich«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen. Sie lächelte. »Das war hoffentlich ein Kompliment, mein Lieber.«
Ich lächelte ebenfalls, froh und halbwegs erstaunt darüber, dass meine Bemerkung keinen Zornesausbruch hervorgerufen hatte. Für den Moment schien Jana ihr Gleichgewicht wiedergefunden zu haben.
»Alles, was ich sage, ist immer irgendwie ein Kompliment für dich.«
»Ja, das sollte man sich manchmal vor Augen halten«, erklärte sie trocken.
»Was hältst du von Kleinschmidt – als Mensch?«
»Ich dachte mir schon, dass der Schwiegersohn zuletzt kommt. Nun, er sieht blendend aus, sein Lächeln könnte die hartgesottenste Nonne dazu bewegen, den Schleier abzulegen, und wenn seine Schüchternheit ein bisschen weniger unterwürfig wäre, würde sie reizend sein, anstatt einem auf die Nerven zu gehen. Mehr kann ich im Augenblick nicht sagen.«
Sie trat einen Schritt auf mich zu. Unwillkürlich öffnete ich die Arme, und sie lehnte sich an mich und strich mir über die Wange. Ich legte ihr vorsichtig die Hände auf den Rücken.
»Als Schwiegersohn letztlich«, sagte sie sanft und bemühte sich, nicht zu breit zu grinsen, »habe ich den Eindruck, dass er die Hosen gestrichen voll hat vor dir.«
»Jemand muss ihm erzählt haben, dass ich meine Schwiegersöhne aufzufressen pflege«, brummte ich.
»Woher kann er nur diesen Eindruck haben?«
Ich seufzte. Jana hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte. »Ich freue mich, dass du wieder gute Laune hast«, sagte ich.
Sie machte sich los, trat einen Schritt zurück und breitete die Arme aus.
»Warum sollte ich das nicht?«, rief sie. »Wir sind in der schönsten Stadt der Welt. Hast du dich nicht umgesehen, als du durch die Straßen geritten bist? Die Häuser, die Paläste, die Kirchen! Dagegen sind Krakau und Landshut Lehmhüttendörfer, und die Städte des Reichs wirken wie plumpe Versuche, einen Bruchteil dieser Pracht einzufangen. Und der Palast, in dem wir wohnen: So hausen bei uns die Herzöge! Hast du den Innenhof betrachtet mit seinem kleinen Springbrunnen? Die Portici an seinen Seitenwänden und die Loggien? Allein dort könnte ich einen ganzen Tag verbringen, dem Plätschern des Wassers lauschen und die bunten Fresken betrachten.«
»Ich hatte zu viel damit zu tun, Kleinschmidts erschöpfenden Ausführungen zu lauschen«, sagte ich und kam mir vor wie einer, den man durch eine Schatzkammer geführt hat und dem davon nur der ausgetretene Fußboden aufgefallen ist.
Sie winkte ab. »Außerdem habe ich die Zöllner am Stadttor an der Nase herumgeführt, dem Kardinal eine Verneigung abgenötigt, als er sich von mir verabschiedete, und …« ihre Stimme senkte sich, »Stepan Tredittore mit einem der Knechte hinunter zu den Vorratsräumen geschickt, wo er mindestens zwei Stunden dafür brauchen wird festzustellen, was alles vorhanden ist und was wir einkaufen müssen.« Sie lachte auf. »Allein, wenn ich sein schmollendes Gesicht nicht mehr sehe, geht es mir schon besser.«
Ich verzichtete darauf, sie erneut zu fragen, warum sie ihn nicht wegschickte. Ihre strahlende Laune war mir zu wertvoll, um sie mit meinem Misstrauen gegenüber ihrem Vorhaben hier in Florenz wieder zu trüben. Sie wies zur Zimmerdecke.
»Hast du schon einmal eine so wundervoll geschnitzte und mit Gold verzierte Zimmerdecke gesehen? Oder diese umlaufenden Fresken – was dort schimmert, ist nicht nur Goldfarbe, sondern Blattgold.«
»Was dort schimmert, ist die übertriebene Prunksucht eines eitlen Geizkragens. Wahrscheinlich hat er nach der Fertigstellung der Decke ein Jahr lang mit den Handwerkern über ihren Lohn gestritten.«
»Peter, du bist wieder einmal so garstig wie ein Bär. Komm, ich zeige dir das Haus. Du hast noch überhaupt nichts davon gesehen.«
Halb lachend, halb widerstrebend ließ ich mich von ihr durch die Räume im obersten Stockwerk führen. Kassettendecken mit den wunderbarsten Verzierungen, Fresken in warmen Gold-, Rot- und Terrakottatönen, Fußböden aus dunkelglänzendem Holz – eine wahre Flucht an Zimmern, von denen die prunkvollsten und größten fast die ganze Straßenfront einnahmen und sich in die Tiefe des Gebäudes mit Schlaf-, Arbeits- und Wartezimmern verloren. Ich hatte niemals Toiletten im Inneren eines Bürgerhauses gesehen und stand staunend vor den kleinen Anbauten, die an die Schlafzimmer grenzten; ebenso staunend eilte ich an den Türen im ersten Stock vorbei, die allesamt geschlossen waren und deren Schnitzarbeiten allein schon ein Vermögen gekostet haben mussten. Im Erdgeschoss befanden sich außer den Vorratsräumen und einem Stall die Küche, ein Raum für das Gesinde und ein paar leer stehende Gewölbe, die man an andere Kaufleute oder Handwerker vermieten konnte. Schließlich zerrte sie mich in den Innenhof.
Ich sah nach oben. Der Innenhof war nicht überdacht. Jetzt war er fast kalt; im Sommer würde er lediglich angenehm kühl und doch hell erleuchtet sein vom Tageslicht. Das Wasser plätscherte. Ich stellte mir vor, hier zu sitzen und Wein zu trinken und die Fresken zu betrachten, während draußen der Straßenstaub in der Augusthitze flimmerte.
»Hast du mir jetzt alle Wunder dieser Behausung gezeigt?«, fragte ich lächelnd.
»Noch nicht ganz«, sagte sie. Ich folgte ihr wieder über die Treppe nach oben in den zweiten Stock. Jana wandte sich zu einer Tür, die schwerer und größer war als die anderen, und stieß sie auf. Sie öffnete sich in eine Loggia, die auf die Hauptstraße und auf den Domplatz blickte. Wir traten hinaus, und Jana führte mich um die Ecke herum.
Ich hatte nicht darauf Acht gegeben, als ich mit Johann Kleinschmidt vor dem Haus angekommen war; umso mehr überraschte mich der Anblick jetzt. Die Apsis des Doms ragte direkt vor uns auf, so nah, dass es schien, durch die eckigen Tragsäulen des Dachs danach greifen zu können. Das Haus von Ser Vespucci lag an der südöstlichen Ecke des Platzes, auf dem sich Santa Maria del Fiore erhob, an einer Gasse, die fast gerade nach Osten hinaus führte. Die Seite der Loggia, zu der mich Jana geführt hatte, sah nach Westen, und dort, umrahmt vom Licht der untergehenden Sonne direkt hinter ihr, stand der Dom – blickfüllend, in den Horizont ausgreifend und in all seiner Massigkeit doch zart schwebend; als ruhte die gewaltige Kuppel nur auf einer Wolkenformation aus Apsiden, Tempietti und Exedren wie in einem eingefrorenen Augenblick. Weißer Marmor leuchtete golden vom Widerschein des Sonnenuntergangs, strukturiert von den Rechtecken des dunkleren Gesteins und den wolkigen Schatten der Konsolen, auf denen sich eine umlaufende Balustrade abstützte. Die gewaltigen Rundfenster des Kuppelbaus starrten von jeder Flanke, ihre Glasfenster goldene Splitter im schwindenden Licht oder tiefblaue Brunnen, die in das Innere der Kirche hineinzuführen schienen. Die Ziegeldächer der Tribünentempietti, die Kuppeln der Sakristeien und endlich die große Kuppel des Doms waren von einem tiefen Terrakottarot, wo sie das Licht noch auffingen, und samten erdfarben, wo die Schatten über sie fielen. Ich schüttelte den Kopf und trat zum Rand der Loggia, um den Anblick in seiner Gänze einzufangen. Ich hatte beim Herweg gedacht, dass die Gebäude auch dieser Stadt nur Häuser waren; jetzt erkannte ich, dass sie in Wahrheit Kunstwerke darstellten. Nicht, dass es nicht weitaus schlechtere Möglichkeiten gegeben hätte, seinen Reichtum zu preisen. Neben dieser Zurschaustellung erkannte ich jedoch in der Fülle der Bauwerke, in dieser wahren Explosion aus Marmor, Ziegeln und Glas, die der Dom darstellte, eine inbrünstige, laut jubilierende Lobpreisung des Herrn. Es musste dem Architekten zuzuschreiben sein, dass diese Absicht unter all dem Pomp noch deutlich sichtbar war. Santa Maria del Fiore stieg vom Pflaster des Platzes auf wie ein gewaltiges Gebet. Unwillkürlich verglich ich sie mit dem Bauwerk des Martinsdoms in meiner Heimatstadt, dessen wuchtige Strenge mir selbst in seinem unfertigen Zustand immer wie ein steingewordenes Paternoster vorgekommen war, das sich inmitten der Patrizierhäuser erhob. Hier war das Gebet kein Paternoster; hier war es ein Kyrie eleison, ein Jauchzen und Lobet den Herrn, als wären die triumphierenden Noten eines ganzen Chorals Stein geworden und im Augenblick ihres Aufsteigens erstarrt. Ich drehte mich zu Jana um.
»Wir sind in Florenz«, sagte sie und zuckte mit den Schultern.
Von der Loggia führte eine Tür mit verstellbaren Lamellen in einen vergleichsweise kleinen Raum. Ein Bett mit hohem Fußund noch höherem Kopfteil stand frei in der Mitte des Raums auf einem Podest, in das Truhen eingearbeitet waren. Die Laken waren weiß, der Boden aus gewachstem Holz, das einen leisen Honigduft von sich gab, und die Nachmittagssonne hatte das Zimmer angenehm erwärmt. Ich sah Janas und meine Kleidertruhen in einer Ecke stehen. Das Bett war breit genug für zwei. Ich folgte Janas Hand. Wir liebten uns auf den frischen Laken mit der Heftigkeit zweier Jungvermählter und einer Inbrunst, die wir seit unserer Ankunft in Venedig nicht mehr gekannt hatten, und weder sie noch ich machten uns Gedanken darüber, dass es Karfreitag war und wir eine Todsünde begingen.