Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 7

2.

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Während ich durch die Gasse hastete, versuchte ich zu erraten, durch welches Tor Jana wahrscheinlich die Stadt betreten würde. Keuchend mühte ich mich ab, mich an Janas Anordnungen gestern Abend zu erinnern. Benozzo Cerchis Gut lag im Norden, also würde sie auch durch eines der nördlichen Tore wieder hereinkommen. Wie viele Tore gab es auf der nördlichen Seite der Mauer? Mein Schwiegersohn Johann Kleinschmidt hätte es gewusst. Ich bemühte mich, Sorge um ihn zu empfinden, doch die Sorge um Jana drängte alles andere beiseite. Wenn überhaupt, fühlte ich Ärger, weil er mir nicht helfen konnte. Ich musste stehen bleiben und mich an einer Mauer abstützen; wenigstens führte die Gasse nach Norden.

Eine größere Gruppe arbeitete sich plötzlich in entgegengesetzter Richtung die Gasse herab. Die Menschen wichen ihnen aus. Es war ein gutes Dutzend Männer, das einen weiteren Mann vor sich hertrieb. Dieser taumelte und hinkte und bewegte sich mit verzerrten Gesichtszügen voran. Er trug nur ein langes Hemd; seine Füße darunter waren bloß. In der Höhe der Oberschenkel klatschte das Hemd dunkelrot und nass auf seine Beine, als er vorwärts schwankte. Neben mir blieb jemand stehen und gaffte die Gruppe an.

»Eh, Franceschino, sei un cazzo!«, grölte er begeistert. Ich starrte dem Unglücklichen, als sie ihn an mir vorbeitrieben, ins Gesicht. Es war grau und nass vor Tränen. Etliche der Männer, die eben noch um ihr Leben gerannt waren, schlossen sich dem Zug an und heulten vor Spott und Freude wie die Wölfe. Ich hatte nur einen kurzen Blick mit jenem Unseligen gewechselt, aber es hatte mir genügt zu erkennen, dass er um seinen nahen Tod wusste und mich wortlos anflehte, ihm zu helfen. Ich fühlte mit den Händen nach der Mauer und hielt mich weiter daran fest, bis mir mein Herzschlag nicht mehr wehtat. Schließlich stieß ich mich ab und marschierte schwerfällig weiter. Nach ein paar Schritten ging es leichter. Ich spürte mein eigenes Hemd, das mir nass vor Schweiß am Körper klebte. Der Festgenommene war derjenige gewesen, der wie ein Rasender auf Giulianos Leichnam eingestochen hatte. Wo immer sie ihn gefunden hatten, jetzt führten sie ihn zum Palazzo della Signoria, der fest in der Hand der Medici war. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was sie mit dem Mann dort anstellen würden. Die Medici-Anhänger rächten das Attentat auf ihren Liebling Giuliano und feierten das Überleben ihres Idols Lorenzo. Selbst mir war klar, dass die Revolte des alten Pazzi spätestens auf dem Platz vor dem Palast zusammengebrochen war. Nun begann das Strafgericht. Als ich über einen abgerissenen Zweig stolperte, dessen frühlingsgrünes Laub zerrissen und in den Dreck der Gasse getreten war, fiel mir ein, dass wir Christenmenschen heute eigentlich den Triumph unseres Erlösers über den Tod feierten.

Ich brauchte Verstärkung, um Jana mit einem Aufgebot beim Tor abfangen zu können. Zum wiederholten Mal verfluchte ich Johann Kleinschmidt und dass ich ihn aus den Augen verloren hatte. Ich hastete durch ein paar enge, unbelebte Gassen, in die ich noch vor dem Domplatz abgebogen war, um diesen zu umgehen. Meine Beine waren hart und schwer wie Steine. Auf meiner Reise mit Jana war ich zwar dünner geworden, aber nicht jünger; ich fluchte auf die Steifheit meiner Gelenke. Schließlich platzte ich in eine breitere Gasse, durch die das Gebrüll vom Palast herauf zu hören war. Über die Hausdächer zur Rechten erhob sich der Zinnenkranz eines gedrungenen Festungsbaus mit einem kurzen Turm; ihn hatte ich schon von der Loggia unseres Hauses aus erblickt. Ich rannte in die Gegenrichtung und stolperte auf die südöstliche Ecke des Domplatzes hinaus. Der Stadtpalast, in dem Jana uns eingemietet hatte, lag nur ein paar Schritte weiter. Ich sprang zu den geschlossenen Torflügeln des Hauses hinüber wie ein Dieb und hämmerte mit letzter Kraft dagegen.

Ein bleiches Gesicht erschien in der kleinen Klappe des einen Flügels und starrte zu mir heraus; einen Augenblick später riss jemand das Mannloch auf, und ich fiel fast in den Innenhof hinein. Ein paar von den Dienstboten standen darin und sahen mich ungläubig an. Der Springbrunnen plätscherte so friedlich, als würden sich die Florentiner draußen nicht gegenseitig totschlagen. Neben dem Springbrunnen auf einem Mauervorsprung saß mein Schwiegersohn.

»Wir haben Euch überall gesucht…«, sprudelte er hervor und sprang auf. Die Männer, die sein »Gefolge« gebildet hatten, sahen sich verlegen an und wichen meinen Blicken aus. »… nachdem in der Kirche … ich meine, um Gottes willen, nach dem Mord an Giuliano und nach Lorenzos Flucht … diese ganze Panik … ich konnte Euch nirgends mehr sehen … ich fürchtete das Schlimmste …«

»Halt den Mund«, keuchte ich. »Wir müssen uns sofort um Jana kümmern.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie kann jeden Moment zur Stadt hereinkommen und weiß nicht, was hier los ist! Wir müssen sie abholen und sicher hierher geleiten.«

»Abholen? Aber … in der Stadt ist der Teufel los!«

Ich bemühte mich, wieder zu Atem zu kommen. »Was meinst du, weshalb ich mir Sorgen um sie mache? Sag den Männern, sie sollen sich alle sofort mit irgendetwas bewaffnen. Wir müssen zum Tor.« Ich tat ein paar aufgeregte Schritte im Innenhof herum. »Welches Tor wird sie nehmen, wenn sie von Cerchi kommt? Schnell!«

Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Von Cerchis Landhaus? Wenn sie in die Stadt herein will? Vermutlich … ich weiß nicht … am günstigsten liegt die Porta San Gallo …«

»Wo ist das?«

»Am Canto di Balla vorbei … nach der Baustelle von Santissima Annunziata … und dem Haus der Findelkinder …«

»Du musst mich hinführen. Los, sag den Männern, was ich von ihnen will!«

»Aber … ich … mein Gott, nein, wir müssen sofort …«

»Was?!«

»Die ganze Stadt ist in Aufruhr! Wir müssen Schutz suchen. Hier können wir auch nicht bleiben. Nur der Fondaco dei Tedeschi wird uns Schutz gewähren. Nach diesem Anschlag … wer weiß, wie die Geschichte ausgeht …«

»Ich weiß, wie sie ausgegangen ist«, unterbrach ich ihn grob.

»Jacopo de’ Pazzi ist vor dem Palast zurückgeschlagen worden. Einen der Attentäter hat man blutend an mir vorbeigeschleift. Der Aufstand ist erledigt; Lorenzo de’ Medicis Leute haben die Stadt im Griff.«

»Das ganze Gebiet von Santissima Annunziata gehört Lorenzo … sie werden alles abgeriegelt haben …«

»Dann umgehen wir das Gebiet. Du kennst dich doch aus in Florenz.«

»Ich muss Euch was gestehen …«, sagte er unglücklich.

»Gerade jetzt? Sag den Männern endlich …«

»… ich habe Euch gar nicht gesucht. Ich war so erschrocken. Als ich Euch im Dom aus den Augen verlor, bin ich auf dem schnellsten Weg hierher gekommen und habe ich mich versteckt.«

Ich starrte ihn an. Sein Gesicht verzog sich.

»Die Stadt hat Giuliano geliebt«, rief er erregt. »Sie wollen Rache für seinen Tod. Sie werden jeden verdächtigen, der nicht von hier und ein ausgewiesener Medici-Anhänger ist … jeder Fremde ist für sie ein potenzieller Anhänger der Pazzi … alle Fernkaufleute werden sich im Fondaco verstecken … wir sollten lieber dorthin …«

»Erklär den Männern, was ich von ihnen will«, herrschte ich ihn an. »Sie sollen mich führen. Du bleibst hier und bewachst das Haus und passt auf die Frauen auf.«

Er schluckte. Ich stürmte auf den Treppenaufgang zu, bis mir einfiel, dass sich in unserem Gepäck keinerlei Waffen befanden und ich nicht wusste, wo ich in diesem Haus nach Schwertern oder Spießen hätte suchen sollen; und wie ich sie hätte verwenden sollen, wenn ich sie gefunden hätte. Meine Waffe war immer mein Verstand gewesen; in den letzten Jahren eine stumpfe Klinge. Ich bemerkte, dass ich begann, mich in eine fiebrige Panik hineinzusteigern, und versuchte durchzuatmen. Johann Kleinschmidt sah mich entsetzt und mit großen Augen an.

»Fang schon an!«, brüllte ich. »Oder ich ersäufe dich hier in diesem Springbrunnen!«

Fünf Männer machten sich mit mir auf den Weg, unter ihnen der majordomus und zwei der fein herausgeputzten »Gefolgsleute« meines Schwiegersohns. Ich fühlte eine Verachtung für ihn, die mir im Hals stecken blieb; ich konnte nur hoffen, er würde sich nicht unter den Röcken der Köchinnen und Küchenmädchen verkriechen, wenn jemand an das Tor pochte. Meine Gefährten trugen Küchenmesser in den Gürteln. Ich selbst war waffenlos. Meine Lunge brannte, während ich neben ihnen herrannte. Wir umgingen einige Gebäude, durchquerten ein Gassenkarree und kamen weit hinter Santissima Annunziata wieder auf die Gasse hinaus, die zur Porta San Gallo führte. Ich spürte, wie sich meine rechte Seite verkrampfte. Der majordomus sah mich besorgt an und verlangsamte seine Schritte. Ich winkte ihn weiter. »Mach, mach!«, stieß ich hervor, ohne dass er mich verstanden hätte. »Ich komme schon mit.«

Es war umsonst. Als wir das Tor erreichten, war es geschlossen. Ein Kordon von Stadtwachen schützte es nach innen, weitere Männer spähten vom Torturm herunter. Ich sah gespannte Armbrüste in ihren Fäusten. Der majordomus stellte einem Offizier ein paar Fragen, während ich schmerzhaft nach Luft rang. Ich sah den Mann auf alle Fragen den Kopf schütteln. Jana war nicht hier gewesen, niemand hatte etwas von ihr oder ihrem Gefolge gesehen, und wenn sie jetzt noch kam, würde sie nicht mehr eingelassen. Florenz war eine geschlossene Stadt.

Johann Kleinschmidt spähte selbst durch die Klappe und öffnete uns das mit zusätzlichen Riegeln verrammelte Tor, als wir nach unserer erfolglosen Mission dagegenschlugen. Trotz oder gerade wegen seiner Furchtsamkeit hatte er den Innenhof in eine verteidigungsbereite Festung verwandelt: Möbelstücke und Truhen verbarrikadierten den Treppenaufgang, und bis Eindringlinge sie beiseite geräumt hätten, wären sie von den beiden Stockwerken mit allen möglichen Wurfgeschossen eingedeckt worden. Ich nickte widerwillig zu Kleinschmidts Umsicht und erklärte ihm die Lage.

Danach warteten wir. Kleinschmidt fragte mich aus, was ich gesehen hatte, und gab zu meiner teilnahmslosen Schilderung seine üblichen unwillkommenen Informationen über Gebäude und Straßen ab. Die weiten Bogenöffnungen der Loggia im Obergeschoss ließen den Lärm herein, den ein entfesselter Pöbel veranstaltet, wenn er auf der Jagd ist. Ich starrte zum Dom hinüber, fühlte die Kälte der steinernen Brüstung der Loggia an meinen Händen und presste sie fest dagegen, um ihr Zittern zu beenden. Es gelang mir ebenso wenig, wie ich es vermochte, das vielfältige Toben der Gewalt in den Gassen der Stadt aus meinen Ohren zu verbannen.

In der Dämmerung loderten da und dort die Funkenspiralen auf, die verbrennendes Mobiliar in die Höhe sandte. Ich hoffte, dass die instinktive Furcht des Städters vor einer Feuersbrunst die Plünderer davon abhalten würde, ganze Häuser anzustecken, aber eigentlich war es mir egal. Ich fluchte auf das finstere Schicksal, das uns nach Florenz verschlagen hatte, und auf meine Sturheit, dass ich Jana hatte allein zu Benozzo Cerchi fahren lassen. Jana, deren Liebe mir in manchen Augenblicken mehr wert war als meine Familie und mein eigenes Geschick. Doch das finstere Schicksal war in Wirklichkeit Janas hartnäckige Jagd nach einem ganz besonders lukrativen Geschäft, meine Sturheit die beleidigte Reaktion darauf, dass Jana eine unserer Abmachungen gebrochen hatte; und von meiner Liebe, wie stark ich sie auch zuweilen fühlen mochte, wusste ich nicht mehr, ob sie noch immer von Jana erwidert wurde. Ich hörte schrilles, lang anhaltendes Heulen aus einer nahe gelegenen Gasse, zwischen deren Häusern ebenfalls Funken nach oben stoben, und fühlte Schwäche angesichts des Gedankens, dass dort jemand in den Scheiterhaufen seiner eigenen Existenz gestoßen wurde.

Ich zog mich in die Schlafkammer in der Loggia zurück und schloss die Fensterläden. Ich hätte gebetet, aber mir war zu übel dazu.

Eine Hand an meiner Schulter rüttelte mich aus dem unruhigen Schlaf, der mich überfallen haben musste. Ich starrte in Johann Kleinschmidts Gesicht und wälzte mich von der Decke des unaufgeschlagenen Betts herunter. Kalter Schweiß klebte meine Kleidung an meinen Körper.

»Die Männer unten haben jemanden eingelassen, der behauptet, zu Euch zu gehören«, sagte Kleinschmidt halblaut.

Ich folgte ihm stolpernd zum Innenhof hinunter. Von draußen klang kein Geräusch mehr herein; die Nachtstille der Stadt wirkte nach dem Lärm des Tages mehr erschreckend als beruhigend. Der majordomus half mir über die Barrikade. Beim Brunnen saß ein Mann und hielt den Kopf in den Händen; zwei der Dienstboten beleuchteten ihn mit Fackeln. Der Mann trug nur ein schmutziges Hemd, eine nasse Hose und seine Stiefel. Als ich mich näherte, hob er seinen Kopf.

»Gott sei Dank, Herr Bernward«, stieß er hervor. Sein Gesicht war schmutzig und voll blutiger Flecken. Ich sah, dass seine Hände aufgerissen waren.

»Stepan Tredittore. Wo um alles in der Welt ist Jana?«

»Man hat sie verhaftet.«

Ich fühlte, wie mein Herz aussetzte. In den fehlenden Schlag schwang sich die Glocke vom campanile des Doms und dröhnte die Zeit: Mitternacht.

Eine Messe für die Medici

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