Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 12
4.
ОглавлениеAm Samstag weckte uns der Widerschein der Morgensonne auf dem weißen Marmor des Doms, kurz bevor die Glokken des campanile mit Macht begannen, den Tag einzuläuten. Das dröhnende Schwingen und die blendende Helle, die mir entgegenschlugen, als ich die Fensterläden aufstieß, waren gleichermaßen betäubend. Ich hatte nackt geschlafen, wie Jana es mich in den letzten Jahren gelehrt hatte, und ich fröstelte, als ich vor der Morgenkühle zurücktrat. Als ich mich umdrehte, war das Schlafzimmer wie erleuchtet durch die Sonnenreflexion des mächtigen Dombaus direkt vor uns. Jana kniff die Augen zusammen und hielt sich eine Hand vor das Gesicht. Die Haube, die sie sich zum Schutz ihrer Frisur vor dem Schlafengehen aufgesetzt hatte, war verrutscht und hatte ihrer Bestimmung keinerlei Genüge getan.
»Wach auf«, sagte ich. »Genug geschlafen.«
»Mach die Läden zu«, murmelte sie. »Es ist so hell.«
Ich griff nach meinem Hemd, das durch unsere nächtlichen Aktivitäten irgendwie den Weg bis auf den Boden vor dem Fenster gefunden hatte. »Ich kann nichts recht machen«, seufzte ich, während ich es überstreifte.
»Doch, du kannst. Sag dem Gesinde, sie sollen etwas zu essen zubereiten. Ich bin so hungrig wie ein Pferd. Haben wir gestern Abend überhaupt noch etwas zu uns genommen?«
Ich kleidete mich fertig an und ließ Jana mit ihrer Toilette im Schlafzimmer allein. Durch den Innenhof zog bereits der Duft einer Getreidesuppe. Ich hatte versäumt, mir in der Wasserschüssel im Schlafzimmer das Gesicht zu waschen. Da sich Jana vermutlich im Augenblick säuberte, war mir der Rückweg versperrt. Kurz entschlossen hielt ich beide Hände unter den Strahl des Springbrunnens, klatschte mir das Wasser ins Gesicht und spülte mir den Mund aus. In der Küche, in die ich auf der Suche nach einem Stück Tuch zum Abtrocknen tappte, hing Stepan Tredittore herum und trank missmutig Wasser aus einem Tonbecher. Der Wein wurde offensichtlich unter Verschluss gehalten: Es war noch Fastenzeit. Das florentinische Gesinde, das wir mit dem Haus gemietet hatten, warf ihm schiefe Seitenblicke zu. Er hatte sich unter ihnen schon beliebt gemacht. Eine ältere Frau fragte mich, ob sie die Suppe auftragen solle, was ich mit einigen Mühen verstand; ich bat sie ebenso mühsam, auf Jana zu warten. Es wurde eine lange Wartezeit, und ich lächelte trotz meines knurrenden Magens beim Gedanken daran, wie sie versuchte, Form in ihr langes, zerzaustes Haar zu bringen.
Nach der Suppe, die von Wasser und Brot begleitet wurde und Jana ein leises Seufzen entlockte – Fastentage waren nicht ihre Stärke –, übergab sie Stepan Tredittore fünf gefaltete und versiegelte Pergamente. Er nahm sie erstaunt entgegen und fächerte sie vor seinen Augen auf, um die Aufschriften zu lesen.
»Bitte sorgt dafür, dass diese Schreiben an die jeweiligen Empfänger gehen«, sagte sie knapp.
»Ich wollte die Messe besuchen.«
»Es war bereits eine Morgenmesse. Habt Ihr die versäumt?«
»Nun, ich plante, Euch zu begleiten, wenn Ihr geht.«
»Herr Bernward und ich sind die Herrschaft«, versetzte sie kalt.
»Ihr hättet mit dem Gesinde in die Morgenandacht gehen können – oder gar nicht, wie es Euch beliebt.«
Er lief puterrot an und legte die fünf Briefe so vorsichtig auf den Tisch, als wären sie rohe Eier. Sein Blick fiel auf Janas Zofe, die sich hinter Janas Stuhl hielt, die Augen auf den Boden gerichtet. Sein Gesicht wurde noch dunkler, als ihm bewusst wurde, dass diese Demütigung vor den Augen des Mädchens erfolet war. Ich hielt den Atem an und wartete darauf, dass er sich widersetzte. So hart hatte Jana ihn bisher noch nicht angepackt. Offenbar hatte sie beschlossen, hier, endlich an ihrem Ziel angelangt, entschlossener als während der Reise aufzutreten.
»Was ist?«, fragte Jana spitz. »Gefällt Euch der Auftrag nicht? Ihr könnt in Florenz spazieren gehen. Wenn Ihr nebenbei diese Briefe abliefert, ist alles in Ordnung.«
»Spazieren gehen?«, würgte er. Fast fielen ihm die Augen heraus.
»Nennt es, wie Ihr wollt.«
Er sah mich an, als erwarte er Hilfe. Seine Schultern sanken herab, während widerstreitende Gefühle über sein Gesicht huschten. Schließlich stand er ruckartig auf, nahm die Briefe an sich, verbeugte sich vor Jana und mir und schritt steifbeinig davon. Janas Zofe räusperte sich und huschte an seinen leeren Platz, um die halb gegessene Suppe wegzuräumen.
»Ich dachte einen Augenblick, er wirft dir die Schreiben vor die Füße«, sagte ich. Jana drehte sich zu mir um. Ihre Augen blitzten.
»Das konnte er nicht. Wenigstens nicht vor Zeugen. Er ist immer noch mein Dienstbote, ganz gleich, wie er sich vorkommt oder was er für Anweisungen von meinen Vettern erhalten hat. Wenn er sich mir derart widersetzt hätte, hätte ich ihn ohne weiteres den Behörden anzeigen und eine Strafe fordern können. Dann wäre er mit Ruten ausgestrichen oder auf den Esel gesetzt und danach ein paar Tage in den Bau geworfen worden. Abgesehen von der Schande, hätte er dann nicht verfolgen und notieren können, wie ich mit meinen Geschäften hier Schiffbruch erleide. Und das war ihm klar.«
»Jana«, sagte ich ruhig, »die Behörden hätten dir keine Sekunde lang zugehört. Du hast dich in die Stadt hereingeschmuggelt. Was die Behörden angeht, bist du gar nicht da.«
»Ich weiß«, sagte sie und funkelte mich an. »Und wenn er nicht so ein aufgeblasener Idiot wäre, würde ihm das auch bewusst. Aber so weit zu denken, lässt seine Arroganz nicht zu.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Willst du mich jetzt vielleicht dafür maßregeln, dass ich diesen kleinen Widerling gedemütigt habe?«
»Nein, aber …«
»Was ›aber‹?«
»Wenn er weiter gedacht hätte, als du ihm zubilligst, wärst du die Gedemütigte gewesen. War dir das nicht klar? Wenn er diese Spiegelfechterei gewonnen hätte, wäre er dir in Zukunft auf der Nase herumgetanzt.«
»Man muss eben manchmal etwas riskieren«, sagte sie mit einem deutlichen Seitenblick zu mir. Ich verzog das Gesicht. Jana stieß die Luft aus. »Es tut mir Leid«, murmelte sie.
Ich sagte: »Ist schon gut«, aber das war es nicht. Meine fröhliche Stimmung war verflogen. Janas ebenfalls; sie rührte mit ihrem Löffel in der Suppenschale herum und warf ihn schließlich auf den Tisch. Sie stand auf. »Wichtig ist, dass die Briefe so schnell wie möglich ihre Empfänger erreichen, sonst nichts«, brummte sie.
»An wen sind sie gerichtet?«, fragte ich ohne wirkliches Interesse.
»An ein paar wichtige Männer hier in der Stadt. Es sind nur ein paar Zeilen, mit denen ich mich empfehle. Ich habe sie geschrieben, während du hier auf mich gewartet hast.«
Ich sah sie an.
»Warum ziehst du so ein beleidigtes Gesicht?«, stieß sie hervor.
»Hast du gedacht, ich vertrödle meine Zeit hier? Oder wäre es dir lieber gewesen, ich hätte sie gestern Abend noch verfasst?«
Ich schwieg. Wenn ich von ihrer Begeisterung gestern vielleicht darüber getäuscht worden war, welchen Zweck unser Aufenthalt in Florenz tatsächlich hatte, dann hatten ihre Worte mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Es gab keinen Grund für mich, verletzt zu sein. Unter anderen Umständen hätte sie mich womöglich gefragt, ob ich ihr beim Abfassen der Briefe behilflich sein könnte. Sicherlich hatte sie sie in Latein geschrieben. Sie hatte mich nicht gefragt, weil sie nicht mehr genügend Vertrauen zu mir hatte, um mich über ihre Absichten aufzuklären.
Ich war verletzt. Ich stand auf und ging nach draußen, kurz nachdem Jana den Raum verlassen hatte. Die Getreidesuppe lag wie ein See aus Blei in meinem Magen.
Es wurde Nachmittag, bis Jana ihre Unterlagen aus den Reisetruhen genommen und sortiert und ihre geschäftlichen Strategien geplant hatte. Ich streifte währenddessen durch das Haus, um nicht sehen zu müssen, wie ihr normalerweise eifrig glühendes Gesicht seit Venedig einen harten Zug bekommen hatte, wenn sie sich mit ihren Geschäften befasste. Irgendwann gesellte sie sich zu mir, als ich vor dem Springbrunnen stand und gelangweilt die Hände unter den Wasserstrahl hielt, um ihn umzuleiten. Sie massierte sich den Rücken.
»Ich muss ein wenig hinaus«, sagte sie. »Den ganzen Winter über habe ich mich nach der Wärme gesehnt. Auf der Reise bekam ich auch nur Staub zu schlucken. Lass uns auf den Platz hinausgehen.«
Ich drehte mich um und sah, dass sie sich zurechtgeputzt hatte. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit einem weit heruntergezogenen Kragen, dessen Oberteil wie angegossen saß und dessen Gürtel locker auf ihren schlanken Hüften lag. Der lange Rock war mit einem strahlend roten Saum abgeschlossen; vom Gürtel baumelte ihre schönste Börse an einer langen Kette. Die ebenfalls dunkelblaue Kappe mit der steif zurückgeschlagenen Krempe passte zu ihrem honigfarbenen Haar und die Brosche darauf zu der feinen Perlenkette um ihren Hals.
»Das Kleid hat schon zu lange in der Truhe gelegen«, sagte sie schulterzuckend.
Ich begleitete sie überrascht hinaus. Der Domplatz wimmelte vor Leuten, die auf und ab schlenderten oder auf den hohen Simsen vor den Häusern saßen, und Jana stolzierte an meinem Arm an ihnen vorbei, als gelte es unter allen Umständen, Eindruck zu machen. Ich sah, wie einige ältere Männer in feinen Kleidern die Köpfe zusammensteckten. Wenn einer von ihnen Geschäftsmann war und Jana in den nächsten Tagen an ihn herantrat, würde er sich unter Garantie an diesen Auftritt erinnern. Ich kam mir plötzlich vor wie ein zerzauster Bär, der neben einer jungen Tänzerin hergeführt wird, damit der Kontrast ihre Anmut unterstreiche.
Während Jana das Defilee der erstaunten Augen und des Getuschels abnahm, hatte ich Muße, die Flanierer um mich herum zu betrachten. Die Männer waren in Mäntel gekleidet, die bis zu den Waden reichten, mit langen Ärmeln und aus schwerer Wolle, die der frühlingshaften Temperatur nicht entsprach. Andererseits waren die Florentiner an größere Hitze gewöhnt – vielleicht empfanden sie die Luft, die mir angenehm erschien, bereits als kalt. Unter den Mänteln, die immer wieder geöffnet wurden, um mit der Kleidung zu prunken, trugen sie kurze Röcke mit Gürteln um die Leibesmitte, lange Strümpfe, die bis unter den Rock reichten, oder die Beinlinge von eng anliegenden Hosen. Bei allem herrschte die Farbe Rosa vor; so, wie die Männer in Venedig bevorzugt Schwarz getragen hatten. Mir gefielen beide Farben nicht. Die Florentiner, alte wie junge Männer, hatten die Gesichter glatt rasiert. Das Haar um die bläulichen Wangen war zumeist schulterlang, und viele hatten sich hohe, kegelförmige Hüte aufgesetzt, deren Krempe vorn heruntergezogen war und hinten hochgezogen. Ein paar ältere Männer trugen eine Art ausgestopfte Rolle auf dem Kopf, von deren einer Seite ein Tuch auf die Schulter herabfiel und um den Hals gewunden wurde. Selbst mir, nicht gerade ein Kenner der vorherrschenden Mode, schien diese Kopfbedeckung altmodisch.
Die Frauen der Patrizier und Kaufleute auf dem Platz waren deutlich in der Minderzahl. Sie schienen die Nachmittagsmesse besucht zu haben und nutzten jetzt die seltene Gelegenheit, den goldenen Käfigen ihrer palazzi entkommen zu sein. Die meisten von ihnen waren blond. Das war es, was mir zuerst auffiel. Noch nicht einmal jenseits der Alpen hatte ich so viele blonde Frauen auf einmal gesehen. Nach einer Weile und nach einem prüfenden Blick auf Janas honigfarbene Haartracht wurde mir klar, dass die meisten ihre Haare gefärbt hatten oder fantasievolle Toupets trugen. Die Frisuren waren zu Hörnern gedreht, in Wellen erstarrt, in Kränzen über den Ohren geflochten, mit silbern- und goldfunkelnden Bändern zu wahren Landschaften getrimmt, aus denen Geschmeide und farbige Steine tropften. Die Kopfbedeckungen der unverheirateten jungen Mädchen waren so sparsam, dass sie mehr einem zusätzlichen Schmuckstück glichen als einer züchtigen Verhüllung des Haupthaars; von den verheirateten Frauen machten nur die älteren überhaupt Anstalten, sich das Haar zu bedecken. Einige allerdings trugen weite Strohhüte, die den Teint vor der Sonneneinstrahlung schützen sollten – sie trugen sie jedoch in den Händen. Auf manchen Köpfen hätte sich für sie auch keinerlei Platz gefunden. Im Gegensatz zu dieser freimütigen Zurschaustellung des Haupthaars waren die Gesichter der Frauen und Mädchen bar jeden Härchens: Die Augenbrauen waren gezupft, und selbst die Stirnen waren hoch ausrasiert. Jana schien dafür nicht viel übrig zu haben, was mich erleichterte. Sie verzog das Gesicht, als sie in einige völlig reglos scheinende Frauenantlitze blickte, in denen die heftig rot geschminkten Wangen die einzigen Gesichtskonturen bildeten und die stark mit Kohle umrandeten Augen wie zwei dunkle Löcher im blassen Teint wirkten.
Jana versteifte sich plötzlich und blieb stehen. Ein Mann kam in Begleitung zweier Frauen aus dem vom Nachmittagslicht hell erleuchteten südlichen Eingang des Doms gleich hinter dem Turm. Wir standen so dicht davor, dass er uns fast auf die Füße trat. Er war mittelgroß, mit kurz geschorenen Haaren auf einem eckigen Kopf, schweren Augenlidern und hochgezogenen Augenbrauen, die seine Stirn in tiefe Querfalten legten und ihm ein spöttisches Aussehen gaben. Seine Ohren waren erstaunlich groß und standen selbstbewusst vom Kopf ab. Die gefurchten Gesichtszüge ließen ihn älter wirken, als er war, aber ich sah auf seine Hände: Sie waren nicht welker als meine eigenen. Er war fein gekleidet: rosenfarbener Brokat unter einer Schaube mit einem schweren Pelzkragen.
»Ser Antonio Pratini«, sagte Jana sarkastisch. »Treiben Euch Eure Sünden zum Kirchenbesuch?«
Pratini blieb überrascht stehen und musterte uns. Schließlich neigte er den Kopf und begrüßte uns steif. Ich war über seine Sprache so erstaunt, dass ich ein paar Momente benötigte, um den Sinn seiner Worte zu begreifen: Er sprach mit dem deutlichen Akzent meiner früheren Heimat Augsburg.
»Monna Jana Dlugosz«, sagte er, ohne zu lächeln. »Ich bin nicht erstaunt, Euch in Florenz wiederzusehen.«
»Hier zieht es eben alle guten Kaufleute her«, erwiderte Jana mit bemühter Leichtigkeit. »Ihr seid ja auch hier.«
»Ein Kompliment, in der Tat. Aus Eurem Munde bedeutet es doppelt viel. Darf ich Euch meine Schwester Beatrice Federighi und meine Tochter Smeralda vorstellen?«
Die beiden Frauen senkten die Köpfe, als sie ihre Namen hörten. Beatrice Federighi hatte zu ihrem Vorteil keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem Bruder; sie war eine schlanke, sich stolz haltende Frau mit strahlend bernsteinfarbenen Augen zwischen dichten dunklen Wimpern, einer geraden Nase und zwei vollen Lippen. Ihre Brauen waren bis auf einen dünnen Strich ausgezupft und wölbten sich selbstbewusst. Wenn Antonio Pratini das älteste Kind der Familie Pratini gewesen war, war sie mit Sicherheit das jüngste; sie musste mindestens zehn Jahre jünger sein als ihr Bruder. Sie hob ihren Kopf wieder und lächelte Jana und mich unbefangen an. Smeralda Pratini war unscheinbar, noch keine achtzehn Jahre und entweder zu gelangweilt oder zu aufgeblasen, um mehr zu tun, als kurz und unhöflich zu nicken.
»Ihr müsst Peter Bernward sein«, sagte Pratini und kam Janas Vorstellung zuvor. Er betrachtete mich neugierig. Ich fühlte mich unwohl unter seiner Musterung und nickte. »Also, Monna Jana, welche Geschäfte habt Ihr geplant?«
»Ihr müsst Euch schon Eurer Spione bedienen, wenn Ihr mir in die Karten schauen wollt«, erwiderte Jana gelassen. Pratini lächelte und sagte etwas auf Florentinisch. Jana sah ihn an, ohne das Gesicht zu verziehen. Sein Lächeln wurde breiter.
»Eure Sprachkenntnisse haben sich seit Venedig nicht verbessert. Ich fragte, ob Ihr eine angenehme Reise hattet.«
»In Venedig reichten mir meine Sprachkenntnisse.«
»Ah, aber das ist hier ganz anders. Venedig ist schon zu lange im Handel mit der ganzen Welt begriffen, als dass nicht noch der letzte Bettler mindestens drei oder vier Zungen beherrscht. Hier in Florenz wird erwartet, dass man unsere Sprache spricht, wenn man mit uns handeln will.«
Jana zuckte mit den Schultern. »Ich habe einen Dolmetscher.«
»Gut. Es wäre mir sonst eine Ehre gewesen, Euch einen zu besorgen.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Ich wandte mich von ihrem Geplänkel ab und begegnete dem Blick Beatrice Federighis. Sie rollte mit den Augen, um mir zu verstehen zu geben, dass das Gespräch sie amüsierte, zuckte jedoch gleichzeitig mit den Schultern zum Zeichen, dass sie es nicht verstand.
»Sprecht Ihr Latein?«, fragte ich sie mühsam auf Florentinisch. Immerhin sah sie aus wie die Frau eines wohlhabenden Mannes, die die Muße hatte, die Sprache ihrer Vorfahren zu studieren. Ihr Gesicht hellte sich auf.
»Ja, in der Tat«, sagte sie. »Ein wenig holprig vielleicht, weil ich es noch nie gesprochen habe, sondern nur gelesen.«
»Meine Kenntnisse sind bestimmt nicht viel besser«, erklärte ich höflich. »Aber ich bin erstaunt über die Sprachbegabung Eures Bruders. Er redet sogar mit einem Anflug des Dialektes der Stadt, in der ich geboren bin.«
»Woher stammt Ihr?«
»Aus Augsburg.«
»Antonio hat gute Verbindungen zu einem mächtigen Handelshaus dort, dem Haus Fugger. Er sagt, wenn man mit den Fuggern in ihrem eigenen Land Geschäfte macht, ist es ratsam, ihre Sprache zu sprechen.«
»Es ist wie mit den Florentinern«, sagte ich lächelnd.
»Das hat er gerade zu Eurer Gefährtin gesagt, nicht wahr? Er tut es immer, wenn er hier jemanden trifft, der unsere Sprache nicht beherrscht.«
»Jedenfalls gibt er sich sehr viel Mühe, dem Hause Fugger Ehre anzutun. Dabei gibt es unter ihren Vertretern doch sicherlich welche, die Florentinisch sprechen.« Sogar mein verklemmter Schwiegersohn beherrscht es, fügte ich in Gedanken hinzu.
»So viel ich weiß, zieht er es vor, mit Jakob Fugger direkt zu verhandeln; und Antonio sagt stets, man tut ihm nicht zu viel Ehre an, wenn man dabei seine Sprache verwendet.«
»Wenn sich Bescheidenheit mit Geschäftssinn verbindet, macht es sich allemal bezahlt«, sagte ich und wusste selbst nicht, ob ich es ehrlich oder zynisch meinte.
»Gefällt Euch Florenz?«
Ich sah sie überrascht an, und sie lächelte halb verlegen. »Sagt bloß, es hat Euch noch niemand diese Frage gestellt?«
»Nein.«
»Dann seid Ihr noch nicht mit vielen Florentinern zusammengetroffen. In der Regel ist das die erste Frage, die man einem Neuankömmling nach dem ›Wie geht es Euch?‹ stellt. Manchmal sogar noch vorher. Nun, und wie gefällt es Euch?«
»Der Dom hat mich überwältigt«, gab ich zu.
»Und sonst?«
Ich zuckte mit den Schultern. Beatrice lachte und hielt sich dabei wie beschämt die Hand vor den Mund. »Manchmal«, sagte sie, »sehe ich die palazzi an und denke, es sind doch nur Häuser, und hinter den Fresken, dem Stuck und dem Marmor spielen sich die gleichen kleinlichen Dinge wie Eifersucht, Gier und Neid ab wie in der erbärmlichsten Pächterhütte; und die Kirchen sind so prunkvoll, dass man nicht weiß, ob die Gebete zum Herrn nicht schon am Gold des Chorhimmels hängen bleiben.«
»Ich muss gestehen, dass meine Gedanken den Euren gleichen.«
»Dann wieder, wenn ich an einem klaren, frühen Morgen zur Andacht gehe und die Sonne färbt den Stein der Häuser goldfarben und der Dom erhebt sich aus den Morgenschatten wie ein Jubelgesang, denke ich ganz anders.«
Ich starrte sie an und fühlte eine plötzliche Verbundenheit mit ihr, die mich nicht einmal erstaunte. Ihre Worte hätten die meinen sein können und ihre Gedanken ebenfalls.
»Es liegt wohl daran, dass ich Florenz liebe«, sagte sie.
Die Müßiggänger in unserer Nähe begannen, sich plötzlich etwas zuzurufen; die meisten drehten ihre Köpfe herum oder beschleunigten ihre Schritte in Richtung des kleinen Platzes, der zwischen der Fassade des Doms und dem Baptisterium lag.
»Was ist denn jetzt los?«, fragte Jana.
Eine kleine Gruppe Männer blieb bei dem frei stehenden Turm des Doms stehen. In ihrer Mitte befand sich ein hoch gewachsener junger Mann mit einem prächtigen Überrock. Selbst von der Ferne konnte man sein bleiches Gesicht erkennen und dass er vorsichtig ging, als sei er krank oder genese von einer Verletzung.
»Eh, Giuliano«, rief eine Männerstimme, und ein paar andere schlossen sich ihm an: »Giuliano, com’ stai?«
»Das ist Giuliano de’ Medici, Ser Lorenzos jüngerer Bruder«, erklärte Pratini. »Die Leute freuen sich, ihn zu sehen. Er ist seit zwei Wochen nicht mehr außer Haus gewesen; eine Turnierverletzung. Scheinbar geht es ihm wieder besser.«
»Als wenn man bei uns zu Hause einen Herzog begrüßte«, sagte Jana missmutig.
»Giuliano ist der beliebteste Mann in der Stadt; und wenn Ihr von einem Herzog sprecht, liegt Ihr gar nicht so falsch. Die Stadt wird zwar von der signoria regiert; aber Ihr braucht nicht zu fragen, bei wem sich die signoria Rat holt.«
»Ich glaube, wir setzen unseren Weg jetzt fort«, sagte Jana nach einem letzten desinteressierten Blick auf Giuliano, der von einer dichter werdenden Menschentraube umlagert wurde und Hände schüttelte. Sie nickte Pratini und seinen beiden Begleiterinnen zu und trat sofort beiseite, damit sie niemand mehr aufhalten konnte.
»Eure Gefährtin hat mir in Venedig das Fell über die Ohren gezogen«, sagte Pratini statt eines Abschieds leise zu mir. »Zu diesem Schachzug kann ich nur gratulieren. Hier in Florenz wird es nicht ganz so einfach werden.«
»Ich weiß, dass Ihr in Eurer Heimatstadt alle Vorteile auf Eurer Seite habt.«
»Ah, Ser Bernward, die Vorteile und Nachteile sind hier so verteilt, dass Ihr sie nicht einmal ansatzweise versteht.«
Ich beschloss, seine Worte nicht als Drohung zu nehmen. »In einer fremden Stadt dauert es immer eine Weile, bis man die Verhältnisse durchschaut hat.« Ich dachte gleichzeitig missmutig daran, dass ich noch nicht einmal erkannt hatte, was Jana vorhatte.
Er lächelte fein über meine Schulter hinweg zu Jana hinüber und neigte den Kopf. »Nun, Monna Jana, auf gute Geschäfte.«
»Ganz bestimmt«, versetzte Jana.
»Empfehlt mich Eurem Gemahl«, sagte ich zu Pratinis Schwester. Sie zuckte mit den Schultern, aber ihr Gesicht wurde ernster.
»Er ist seit einem Jahr tot.«
»Ich bedauere.«
»Ja, ich auch«, erwiderte sie. Es hörte sich zu beiläufig an, um nicht absolut ehrlich gemeint zu sein.
Bei unserer Rückkehr händigte der majordomus, den Jana über Piero Vespucci angestellt hatte, ihr mit einem Schwall Florentinisch ein dünnes, gefaltetes Pergament aus. Jana brach stirnrunzelnd das Siegel auf und las den Inhalt. Es waren nur wenige Zeilen, und die Art und Weise, wie sie die Lippen beim Lesen bewegte, sagte mir, dass das Schreiben nicht in einer Sprache abgefasst war, die sie so gut verstand wie meine oder ihre Muttersprache. Ihre Augenbrauen zogen sich plötzlich in die Höhe.
»Gute oder schlechte Nachrichten?«, fragte ich. Sie hielt mir das Pergament entgegen. Ihre Augen blitzten triumphierend. »Lies selbst«, sagte sie beinahe atemlos und bemühte sich, nicht zu siegessicher zu lächeln.
Es war eine Einladung für den Ostersonntag auf das Landgut eines Mannes namens Benozzo Cerchi, der sich in seinem in fehlerfreiem Latein geschriebenen Brief als einflussreicher Angehöriger der Zunft Por Santa Maria bezeichnete. Ich las den Brief zu Ende und gab ihn ihr zurück.
»Ser Benozzo Cerchi«, sagte Jana, »ist einer der Männer, denen ich heute Morgen meine Empfehlung gesandt habe. Ihm gehören mehrere Goldschmiede-Werkstätten.«
»Das ging aber schnell. Woher kennst du ihn?«
»Er wurde mir in Venedig genannt. Na, was sagst du nun? So rasch habe nicht einmal ich mit einer Antwort gerechnet. Wir müssen den majordomus fragen, wo wir eine Kutsche mieten können, um zu Cerchis Landhaus hinauszukommen.«
»Jana, wir wollten morgen zusammen in die Messe gehen …«
»Hast du nicht gelesen? Er schreibt, es wären außer uns noch weitere Händler und Kaufleute eingeladen und es würde eine Ostermesse in der Kapelle auf seinem Gut zelebriert.« Sie strich mir lächelnd über die Wange. »Freu dich doch; ich weiß genau, dass du in jede Messe, die wir seit unserem Wiedersehen in Ulm besucht haben, nur meinetwegen gegangen bist. So bleibt dir eine erspart.«
»Darum geht es nicht. Wir haben vereinbart, dass wir die Ostermesse im Dom mit meinem Schwiegersohn besuchen.« Sie sah mich betroffen an und ließ die Hand mit dem Brief sinken. »Du musst Cerchi absagen.«
»Ich kann diese Einladung nicht absagen. Kannst du dir nicht vorstellen, wie wichtig sie ist? Ich hatte alle möglichen Befürchtungen, wie es mir hier ergehen würde, und nun antwortet einer schon nach ein paar Stunden.«
»Aber Johann Kleinschmidt …«
»Johann Kleinschmidt!« Sie warf die Hände mit einer abschätzigen Bewegung in die Luft. »Es war ihm ohnehin peinlich, dass du ihm diesen Messebesuch aufgezwungen hast. Wenn du ihn wieder auslädst, tust du ihm einen Gefallen.«
»Es geht nicht darum, ob ich ihm einen Gefallen tue. Ich will ihn kennen lernen.«
»Das kannst du doch auch noch ein oder zwei Tage später.«
»Jana, was soll das? Wir waren beide damit einverstanden, dass er uns zur Ostermesse begleitet.«
»Wir waren damit einverstanden? Du hast ihn eingeladen, und ich habe genickt. Hätte ich dir vielleicht widersprechen sollen? Außerdem wusste ich gestern noch nicht, dass ich heute eine geschäftliche Einladung erhalten würde.«
»Na also. Kleinschmidt war eher dran. Cerchi muss sich eben gedulden.«
»Es geht nicht darum, ob Cerchi sich geduldet. Ich will mich nicht gedulden.« Sie sah mich mit funkelnden Augen an, wie sie es immer tat, wenn sie mich mit meinen eigenen Argumenten schlug.
»Gut, gut«, seufzte ich. »Dann folgst du deiner Einladung, und ich leiste meinem Schwiegersohn Gesellschaft. Er empfindet unsere Beziehung ohnehin als widernatürlich, da kommt es auf eine Seltsamkeit mehr nicht an.«
»Du musst mich begleiten. Ich kann doch nicht ohne einen männlichen Begleiter zu ihm hinausfahren. Da bekomme ich ja den Ruf einer sittenlosen Frau!«
Ich spürte, wie plötzlicher Zorn in mir hochkochte. Mühsam versuchte ich, ihn hinunterzuschlucken, doch er blieb mir in der Kehle sitzen.
»Ich habe bereits nachgegeben«, sagte ich heiser. »Übertreib es nicht.«
»Was heißt hier übertreiben? Willst du vielleicht, dass ich ganz allein zu ihm hinausfahre? Wer hat denn gejammert, wie gefährlich das Pflaster hier in Florenz ist, seitdem wir in Prato angekommen sind?«
»Miete dir doch eine Leibwache!«, explodierte ich. »Oder nimm den schönen Stepan Tredittore mit hinaus. Du kannst es ja ohnehin nicht abwarten, ihm zu zeigen, wie gut du Geschäfte machen kannst.«
»Genau, das kann ich nicht!«, stieß sie hervor. »Du bist wie all die anderen! Solange deine Bequemlichkeit nicht angekratzt wird und du den gelassenen Schöngeist spielen kannst, der seinem Weib wohlwollend ihren Zeitvertreib lässt, hast du keine Probleme. Aber wenn es mir wirklich um etwas geht, dann stellst du dich stur.«
Ich sah die Tränen in ihren Augen glitzern.
»Jana, beruhige dich…«
»Damals in Landshut, als ich zu Fuß zu dir hinausgelaufen bin, da habe ich auch nicht daran gedacht, wie gefährlich es für mich sein könnte. Und du stellst dich an, weil du deinem stotternden Schwiegersohn mitteilen musst, dass dir etwas dazwischengekommen ist.«
»Das ist doch etwas ganz anderes …«
»Ist es nicht. Du meinst, ich spiele hier bloß, stimmt’s? Ich habe eine meiner Launen! Ist dir nicht klar, dass sie mir zu Hause alles wegnehmen wollen, wofür ich jemals gearbeitet habe? Worauf ich gehofft habe, seit ich den Mädchenkleidern entwachsen war? Aber nein, daran denkst du nicht!«
»Jana…«
»Lass mich in Ruhe!« Sie wandte sich ab und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ich suchte bestürzt nach Worten. Jana machte einen hastigen Schritt auf die Treppe zu den Obergeschossen zu, dann bremste sie abrupt und hob den Kopf. »Ich nehme Tredittore mit. Das war ein guter Vorschlag von dir. Außerdem Julia und was ich von Vespuccis Gesinde brauche, damit ich einigermaßen beeindruckend dort auftreten kann. Wenn ich zurückkomme, kannst du mir ja erzählen, was dein Schwiegersohn an Weisheiten von sich gegeben hat.« Sie stieg ohne Eile die Stufen hinauf. Ihr Rücken war viel zu gerade. Sie drehte sich nicht um. Ich war betroffen über die Kälte in ihren Worten, aber noch betroffener über die Mühe, die es sie gekostet hatte, diese Kälte zu erzeugen. Ich stand wie ein Narr im Innenhof des prächtigen Hauses, in den das Sonnenlicht auf dem plätschernden Brunnen fröhliche Kringel malte, und starrte die nun leeren Treppenstufen an.
Der majordomus hatte sich alle Mühe gegeben, ein anständiges Abendessen zubereiten zu lassen. Wie es schien, erachtete er die Fastenzeit nun als beendet. Seine Mühen waren an uns verschwendet, obwohl unsere Mägen knurrten. Ein Fasan, den man gerupft und gebraten und anschließend wieder in seinen Federschmuck gekleidet hatte, stellte den Mittelpunkt des Mahls dar, begleitet von zwei verschiedenen Suppen, von denen die eine aus den Innereien des Fasans zubereitet war, die andere eine Art Fischbrühe darstellte, die besser schmeckte, als sie roch. Die süßen Mandelschnitten, die wir zu Anfang gereicht bekamen, blieben auf dem Tisch stehen, desgleichen die Pastete und das Brot, das man dazu benutzen sollte, Löffel und Messer sauber zu wischen. Ohne dass jemand ihn dazu beauftragt hätte, hatte der majordomus einen Krug mit Rotwein auf den Tisch gestellt. Ich saß zwischen Jana, die außer einigen eisig höflichen Worten nicht sprach, und dem ebenso wortkargen Tredittore, dessen anbiederndes Augenrollen bezüglich Janas Schweigen ich geflissentlich übersah, und sprach dem Wein zu stark zu. Schließlich starrte ich mit erhitztem Kopf in die kaum berührten Überreste des Essens und wünschte mir, das Schwanken des Tisches möge aufhören. Als Jana sich erhob und ganz besonders mir eine gute Nachtruhe wünschte, wusste ich, dass mein Schlafplatz heute nicht in dem kleinen Zimmer in der Loggia sein würde. Ich stand auf, warf aus Versehen den Stuhl um, auf dem ich gesessen hatte, und musste die Demütigung erdulden, mich am Tisch festhalten zu müssen, damit ich nicht dem Stuhl auf den Boden nachfolgte. Während Jana mit ihrer Zofe zusammen die Treppe hinaufschritt und dabei eine Haltung bewahrte, die der Königin von Saba angemessen gewesen wäre, stakte ich mit unsicheren Schritten zum Eingangstor des Hauses und ließ mich selbst hinaus. Ich hatte das dringende Bedürfnis nach frischer Luft.
Die Dämmerung schuf noch ein paar zwielichtige Stellen zwischen den Häusern, aber die Schatten der Nacht wurden bereits dichter und übergossen das Pflaster mit Dunkelheit. Drüben beim Palast der signoria, von dem ich vage wusste, wo er lag, würden jetzt die Fackeln entzündet werden. Es würde noch einige Zeit dauern, bis die Nachtpatrouillen auch den Domplatz erreichten und dort für Licht sorgten. Über dem unverkennbaren Essens- und Kloakenduft einer großen Stadt roch ich einen Hauch von Frühling oder bildete es mir ein. Als ich mich umdrehte, stand der majordomus im offenen Türflügel und wartete darauf, dass ich wieder hereinkam. Plötzlich hatte ich Lust, meinen betrunkenen Kopf zu lüften, anstatt allein in einem der weitläufigen Zimmer darüber nachzugrübeln, was aus Jana und mir in den letzten Tagen geworden war.
»Ich gehe einmal um den Dom herum. Es dauert nicht lange. Seht zu, dass noch jemand wach ist, um mir aufzusperren«, sagte ich auf Latein. Er verzog das Gesicht und machte mir mit einem Wortschwall und vielen Gesten klar, dass nach Sonnenuntergang für alle außer den Beamten der signoria und der Nachtwache Ausgangsverbot herrschte. Er teilte mir nichts Neues mit, aber ich fühlte mich danach, ein Gesetz zu übertreten. Schließlich gab er nach und nickte zu meiner Aufforderung; seinem Gesicht war anzusehen, dass er meinen Einfall für die pure Narretei hielt.
Ich wandte mich nach Norden, um die Ecke von Vespuccis Haus herum. Zu meiner Linken wuchs die Apsis des Doms in die Höhe, jetzt, in der Dunkelheit und der Enge des Platzes, eher erdrückend als ätherisch schwebend. Ich bemühte mich, die Gefühle, die ich augenblicklich für Jana hegte, nicht an mich heranzulassen und stattdessen die Luft zu genießen, die meinem Kopf gut tat.
An der Nordostecke des Platzes wandte ich mich nach links. Das Baptisterium war ein stumpfer Klotz auf dem helleren Grau des Pflasters, der frei stehende Turm des Doms ein unangenehm ragender Schatten. Als Kind hatte ich des Öfteren zu hohen Türmen hinaufgesehen und den wohligen Schwindel verspürt, wenn sie vor den ziehenden Wolken mit majestätischer Langsamkeit umzustürzen schienen. Ich hielt vor dem einzeln stehenden campanile des Doms, in seiner Schlankheit ungewohnt, und legte den Kopf in den Nacken. Der Turm zeichnete sich klar gegen den dunkler werdenden Abendhimmel ab, und obwohl keine Wolken zogen, hatte ich das Gefühl, dass er auf mich herabstürzte. Es mochte daran liegen, dass ich mit dem Gedanken spielte, morgen nach dem Hochamt im Dom meine Siebensachen zu packen und die Stadt und Jana für immer zu verlassen.
Das Klopfen an der Tür des Zimmers, in das ich mich zum Schlaf zurückgezogen hatte, weckte mich und machte mir den bleiernen Geschmack von schalem Wein in meinem Mund bewusst. Ich dachte, es sei Jana, die kam, um sich von mir zu verabschieden, bis mir einfiel, dass ich die Geräusche ihrer Abreise zu Benozzo Cerchis Landgut am frühen Morgen bereits gehört hatte. Sie hatte sich nicht von mir verabschiedet. Wie es schien, war ich über meinem Schmerz und meiner Wut darüber wieder eingeschlafen. Ich blinzelte; ich konnte das helle Sonnenlicht, das jetzt durchs Fenster drang, nicht länger ignorieren. »Was ist denn?«, krächzte ich ungnädig.
Johann Kleinschmidt schlüpfte zur Tür herein und wandte sich sofort schamhaft einer der Kleidertruhen zu, als ich mich erstaunt aufrichtete und das Laken von meinem nackten Oberkörper rutschte.
»Ah … guten Morgen …«, stammelte er. »Ich wollte Euch abholen.«
»Abholen? Jetzt schon? Wozu?«
»Auf dem Mercato Vecchio wird heute Mittag ein Singspiel aufgeführt«, informierte er die Kleidertruhe. »Ser Giuliano de’ Medici hat die Libretti dazu gemacht … Ich dachte, Ihr würdet es gerne hören. Es ist sehr feierlich. Der Platz ist geschmückt … Immerhin ist doch Ostersonntag.«
»Wir wollten doch zusammen in die Messe gehen.«
»Ich habe noch mal darüber nachgedacht. Die Messe ist immer so getragen und düster, und ich hatte das Gefühl, wir sollten vielleicht etwas Fröhlicheres … Und jetzt erst recht, weil doch Eure … äh …« Wie es den Anschein hatte, war er vom Gesinde bereits erschöpfend darüber aufgeklärt worden, dass das Haus von seiner Herrin verlassen worden war.
»Wirf mir das Hemd dort auf der Truhe herüber«, sagte ich ungeduldig. »Damit wir uns wenigstens ins Gesicht sehen können, wenn wir miteinander sprechen.«
Er angelte danach und warf es mir über die Schulter zu. Ich kroch aus dem Bett, streifte es über und stapfte zu ihm hinüber. Er drehte sich um und starrte mich an.
»Was ist? Ist mir über Nacht eine zweite Nase gewachsen?«
»Nein, aber …«, er hob vorsichtig eine Hand und zupfte mir etwas aus dem Haar. Aus irgendeinem Grund besänftigte mich seine scheuvertraute Geste. Er hielt mir einen welken Halm aus der mit Farnen und Heu gestopften Matratze unter die Nase.
»Ich werde unten warten, bis Ihr Euch angekleidet habt.«
»Einen Moment. Ich freue mich darüber, dass du dir solche Gedanken machst, aber …«
»… aber?«
»Ich möchte die Messe besuchen.«
Er riss die Augen auf. »Tatsächlich? Ich dachte, dass Ihr und die Kirche … und der Dom wird so voll sein wie noch nie. Wer etwas in Florenz bedeutet, besucht die Messe.«
»Umso mehr ein Grund für dich, dorthin zu gehen und die Präsenz deines Hauses zu demonstrieren.«
Er zuckte mit den Schultern, offenbar nicht besonders erfreut darüber, dass ich seinen Plan vereiteln wollte. »Man wird uns erdrücken«, sagte er düster.
»Ich bin groß und breit. Mich erdrückt so leicht niemand.«
»Na ja, nun … aber ich …«
»Erzähl mir nicht, du scheust dich davor hinzugehen.«
Kleinschmidt druckste herum. »Seit gestern Abend sind ein paar Leute von den Fuggern in der Stadt«, sprudelte er dann plötzlich heraus. »Sie treten mit einem Pomp auf, der seinesgleichen sucht. Wenn man mich dagegen sieht, wird man glauben, das Haus Hochstetter sei bankrott gegangen. Ich …«
»Du schämst dich.«
Er wand sich. »Ich habe keine angemessene Begleitung«, murmelte er, »nur einen Schreiber; man hat mir nicht einmal ein Konto für Almosen eingerichtet. Die Florentiner Kaufleute halten sich ganze Scharen von Künstlern, Philosophen und Dichtern, und ich kann mir gerade mal leisten, eine winzige Terrakottabüste in Auftrag zu geben, die im Leben nicht fertig wird, obwohl ich der einzige Auftraggeber bin, weil nämlich der einzige Bildhauer, den ich für seine Arbeit bezahlen kann, so erbärmlich schlecht ist …«
»Los, wir gehen in die Messe«, entschied ich. »Wir nehmen zwei oder drei von den Dienstboten mit, die am wenigsten wie Vogelscheuchen aussehen, damit es nach Gefolge wirkt. Wenn dich jemand anspricht, erklärst du, ich sei ein Mitglied der Familie Joachim Hochstetters, das persönlich nach Florenz gekommen ist, um dich auszuzeichnen.«
»Das sollten wir nicht tun …«
»Unfug. Komm mit hinunter. Du musst den Leuten erklären, was ich vorhabe. Mich verstehen sie nicht.«
Kleinschmidt seufzte und gab auf. »Aber wir halten uns möglichst im Hintergrund.«
»Kardinal Riario ist mein Freund. Wenn ich auf dich zeige, wird er dich nach der Messe persönlich begrüßen.«
»Nur das nicht …«, stöhnte Kleinschmidt. »Wir sollten wirklich zur Piazza gehen und auf das Singspiel warten. Wer weiß, was sonst noch alles passiert …«