Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 6

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Die Glocken riefen mit ohrenbetäubender Stärke zum Osterhochamt in den Dom. Aufdringlicher als sie war nur noch das Flirren des Geschmeides und das Wabern der Parfümwolken, die einem in die Nase stiegen, wenn man inmitten der Menschenmasse stand.

Ich hätte auf meinen Schwiegersohn hören sollen, der gesagt hatte, die Gläubigen würden uns erdrücken. Wir hatten das Haus gute zwei Stunden nach dem Mittag verlassen, und obwohl wir so eine Stunde zu früh für die Messe an diesem Ostersonntag waren, drängten sich die Menschen dicht an dicht. Gestern mit Jana auf dem Domplatz hatte ich geglaubt, die Florentiner hätten ihre edelsten Gewänder getragen; jetzt wurde ich davon überzeugt, dass es tatsächlich noch Steigerungen gab.

Brokat schimmerte auf fließender Seide, Perlen und Diademe schienen wie Bäche aus funkelndem Gestein aus den fantastischen Frisuren der Frauen zu strömen, und die Schwerter, die in goldverbrämten Scheiden von den stoffschweren Hüften der Männer hingen, hätten weniger einen Söldnertrupp in die Flucht schlagen als vielmehr seine Dienste für mindestens ein ganzes Jahr kaufen können. Es war ein bunter, ein schillernder, ein von Pretiosen und Schmuck blitzender Strom, der sich in das Innere der Kirche hineinwälzte, als die Türen endlich geöffnet wurden. Im Kirchenschiff roch es nach Weihrauch und viel mehr noch nach Duftflacons und den ölgetränkten Tüchlein, mit denen Männer und Frauen gleichermaßen herumwedelten.

Nicht einmal die in großer Zahl erschienenen Bettler und Krüppel, die sich an den Wänden entlang aufreihten und ihre kaputten Gliedmaßen zur Schau stellten, konnten langfristig dagegen anstinken.

»Wenn das Jana sehen könnte …«, raunte ich meinem Schwiegersohn zu und fühlte erneut einen ärgerlichen Stich darüber, dass sie die Einladung des Patriziers Benozzo Cerchi auf sein Landhaus dem Besuch der Ostermesse vorgezogen hatte.

Mein Schwiegersohn Johann Kleinschmidt seufzte und machte ein unzufriedenes Gesicht. Seine Augen huschten hin und her, als seien sie schon jetzt auf der Suche nach seinen gefürchteten Geschäftskonkurrenten aus dem Hause Fugger. Er hatte uns durch ein Seitenportal an der Nordwand in die Kirche geführt. Schon hier hatten sich zwei Männer grob hinausgedrängt, als wir hineinwollten – als ob es ihnen im Inneren des Doms plötzlich zu eng geworden wäre. Ich legte den Kopf in den Nacken, um in die gewaltige Öffnung der Kuppel hinaufzustarren, die sich gleich nach dem Seitenportal ausdehnte.

»Lasst uns in der Nähe des Portals bleiben, da ist das Gedränge nicht so groß«, flüsterte Kleinschmidt. Ich ignorierte ihn und machte unserem Gefolge ein Zeichen, tiefer in die Kirche vorzudringen. Die drei Männer aus dem Gesinde, die Kleinschmidts Entourage darstellen sollten – mit noch nassem Haar und rot aufgescheuerten Gesichtern von der ungewohnt gründlichen Rasur –, bewegten sich ungelenk. Die unerwartete Ehre und Sauberkeit, die der überraschende Einsatz als Kleinschmidts »Ehrengarde« ihnen beschert hatte, ließ sie mit tapsiger Würde einhertreten. Sie hätten schlechter aussehen können. Sie drehten sich zu Kleinschmidt um, der sich von ihnen mit gottergebenem Gesicht in die Mitte nehmen ließ. Ich nickte ihnen lobend zu.

Trotz aller Entschlossenheit kamen wir nicht weit. Niemand dachte daran, zur Seite zu weichen. Der Platz, den ich uns erkämpfte, war dennoch nicht der schlechteste. Am Eingang zum Chor befand sich eine Holzbalustrade, vor der etliche Personen standen und sich unterhielten, und zwischen ihnen und der Menge der Gottesdienstbesucher bestand eine breite Gasse, die sich quer von Nord nach Süd durch den Boden unter der Kuppel zog. Wir kamen hinter den Rücken derer zum Stehen, die die Letzten vor dem freien Stück Raum waren. Ich schob Kleinschmidt wie ein Kind nach vorn und stellte mich hinter ihm auf, sodass ich mühelos über ihn und seine Vordermänner hinwegschauen konnte. Einige drehten sich um und starrten uns an; ich verbeugte mich und trat Kleinschmidt auf die Zehen, der murmelnd die Lüge vom Abgesandten des Handelshauses Hochstetter über mich verbreitete. Das Interesse der Angesprochenen war nicht sonderlich groß.

Einer der Dienstboten stieß mich sanft in die Seite und zeigte auf eine Gruppe von Männern, die vorn an der südlichen Öffnung der Holzbalustrade stand. »Ser Lorenzo!«, zischte er.

Lorenzo de’ Medici stand zwischen zwei Männern, die schlichte Priesterkleidung und Tonsuren trugen. Er schien sich zu langweilen und der stockenden Unterhaltung, die die beiden Geistlichen mit ihm führten, nur mit halbem Ohr zu lauschen. Als er sich umdrehte, um die Menge zu mustern, sah ich ein blasses, fleckiges Gesicht, von lockigem, schulterlangem dunklen Haar eingerahmt, in dem zwei prüfend zusammengekniffene Augen und eine lange, platte Nase auffielen. Er hatte breite Kinnbacken, die seinen Unterkiefer vorschoben, und wirkte in seiner zweifarbigen, links schwarzen, rechts rosenroten Schaube doppelt so massiv und kräftig wie die Priester. Er schien auf etwas zu warten. Ein paar Männer in seiner Nähe, ebenso prächtig gekleidet wie er, doch einige Jahre älter, folgten seinen Blicken. Ich beugte mich zu Kleinschmidt und bemerkte, dass er den Herrn des Hauses Medici wie gebannt anstarrte.

»Kennst du ihn näher?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf, ohne die Blicke von ihm abzuwenden. Unwillkürlich sah ich mich nach der Ehrfurcht gebietenden Gestalt des Mannes um, den Kleinschmidt mir als Lorenzos erbitterten Gegner geschildert hatte: Jacopo de’ Pazzi, der knorrige, weißhaarige alte Aristokrat und Herr der Familie Pazzi, die die Finanzverwaltung des Heiligen Stuhls aus den Händen der Medici gerissen hatte. Ich konnte ihn nirgends sehen. Vermutlich zog er den Besuch der Messe in der Franziskanerbasilika Santa Croce dem Zusammentreffen mit seinem Feind vor dem Altar Santa Maria del Fiores vor.

Hinter uns stockte das Raunen der Kirchenbesucher plötzlich, um dann lauter zu werden und in vereinzelte fröhliche Rufe auszubrechen. Ich drehte mich um und sah aus dem Augenwinkel, dass Lorenzo de’ Medici sich aufrichtete und das Kirchenschiff entlangspähte. Es kam Bewegung in die Menge. Sie drängte auseinander, als stünde dort vorn ein Moses, der die Fluten des Roten Meers teilte. Ich sah das Licht, das vom geöffneten Hauptportal in die Kirche drang. Kleinschmidt reckte den Hals und sagte dann voller Spannung: »Giuliano!«

»Ser Lorenzos Bruder?«

Er nickte.

Giuliano de’ Medici schritt langsam durch die Gasse zum Chor, Arm in Arm mit einem kleinen Mann, der ein zynisch überlegenes Gesicht machte und damit das Wohlwollen abzuwehren schien, das über seinen Kopf hinweg auf Giuliano de’ Medici zuschwappte. Der junge Mann war noch immer so bleich wie gestern, als Jana und ich ihn von weitem gesehen hatten, ein großer, schlanker Adonis mit halblangem Haar, der die gesamte Schönheit der Familie, falls es so etwas gab, geerbt zu haben schien. Der kleinere Mann redete auf ihn ein und schien ihn aufheitern zu wollen, denn Giuliano lachte und reagierte sowohl auf seine Worte als auch auf die freundlichen Gesten der Messbesucher mit einem fröhlichen Lächeln. Der zweite Mann in seiner Begleitung wirkte wie ein Angehöriger des Gossenpöbels, der zufällig in ein teures Gewand geschlüpft ist, grob und untersetzt, mit kurzen, muskulösen Beinen in einer engen Hose. Vielleicht war er ein Leibwächter. Als ich sie die Gasse heraufschreiten sah, erkannte ich in den beiden Männern in Giulianos Begleitung diejenigen, die sich bei unserem Eintreten vorhin so hastig durch das Seitenportal gedrängt hatten. Sie schritten an uns vorbei und durchquerten den freien Raum zur Holzbalustrade. Lorenzo entspannte sich; er lächelte breit und winkte seinem Bruder zu, der mit einem ebenso breiten Lächeln zurückwinkte. In diesem Moment, mit den identischen Gesten, sahen sie trotz ihres unterschiedlichen Körperbaus aus wie die Brüder, die sie waren. Keiner machte irgendwelche Anstrengungen, die gegenseitige Zuneigung, die sie offensichtlich verband, zu verbergen.

Der Chor setzte ein, zusammen mit dem Schellen von Silberglöckchen und dem Rasseln der Weihrauchbehälter, die vorn am Altar geschwungen wurden. Giuliano de’ Medici trat an die nördliche Öffnung der Holzbalustrade. Die Stimmen des Chors schwangen sich empor, als eine Gruppe von Männern in strahlend weißem Ornat aus der Sakristei kam und zum Altar schritt. Ein dunkelroter Farbtupfer unter ihnen war Kardinal Raffaelle Riario, den ich mehr an seinem Kardinalsmantel erkannte als an seinem gesenkten Gesicht. Einer der weiß gekleideten Priester blieb am Altar stehen und faltete die Hände; die anderen, mit ihnen der Kardinal, setzten sich auf die Bänke an der Seitenwand des Altarraums. Der Chor, unsichtbar hinter den blumengeschmückten Stellwänden im Chorraum, verstummte nach einem letzten Jubilieren.

Die gebannte Erwartung des Messbeginns ließ die Kirchenbesucher schweigen, wie sie es stets vermochte. Das immer gleiche Ritual, von den meisten unverstanden, von nuschelnden oder leidenschaftlichen Priestern vorgetragen, in vom vielen Gebrauch abgeschliffenem Latein – während der Zeit meiner weitesten Distanz von der Kirche hatte ich dafür nur schmerzvolle Verachtung verspürt. Hier, in diesem mehr als prachtvollen Gotteshaus, in dieser stein- und goldgewordenen Hingebung an die höhere Macht Gottes, spürte jedoch auch ich eine seltsame Berührung. Vielleicht hätte ich schon eher nach Florenz kommen sollen, um meine Verbindung zu Gott wieder zu suchen. Der Weihrauch wallte duftend in die Höhe und setzte sich kurzfristig gegen die Parfümwolken der Patrizier durch; in der Kuppel schienen die letzten Töne des Chorals zu verklingen. Die Gemeinde schwieg und gab nur die Geräusche von sich, die sich nicht vermeiden ließen: das Klirren von Armreifen, das Rascheln von Seide und das Scharren von Schuhsohlen auf dem Mosaikboden. Der Priester sah auf und hob beide Arme.

Vor der Holzbalustrade verschwanden Lorenzo und Giuliano de’ Medici plötzlich unter einem Gewimmel von Leibern. Noch bevor der Priester reagieren konnte, noch bevor die Kirchenbesucher einen Laut ausstießen, noch bevor ich spürte, wie sich Kleinschmidts Hand auf einmal in mein Wams krallte, gellten Schreie auf, und Männer taumelten vorn bei der Holzbalustrade zurück oder stürzten zu Boden. Jemand schrie aus Leibeskräften: »Prendi, traditore!« Ich sah einen der beiden Priester in Lorenzos Begleitung zurückprallen und über seine eigenen Füße stolpern. Das Gewühl aus aufgeregten Körpern löste sich plötzlich in einer ziellosen Rauferei auf.

Die Bewegung der Menschen glich der vorherigen bei Giuliano de’ Medicis Eintreten: Sie wichen krampfhaft zurück. Die Reaktion setzte noch vor dem Schrecken ein; dann erhob sich ein wüstes Kreischen und Geschrei, und ich wurde zur Seite und fast zu Boden gestoßen. Ich hielt mich an jemandem fest und starrte in Kleinschmidts totenblasses Gesicht. Die Messbesucher wandten sich zur Flucht, stießen und drängten und rissen uns mit sich, bis ich mich mit rudernden Armen freimachte und plötzlich allein vor der Holzbalustrade befand.

Giuliano de’ Medici stand dem muskulösen Mann aus seiner Begleitung gegenüber, der ihn scheinbar mit seinem Körper zu decken versuchte. Giuliano starrte ihn befremdet an. Dann trat der muskulöse Mann zurück und zog ein kurzes Schwert aus dem Körper Giulianos, und dieser brach zusammen. Der kleine Mann, der ihn beim Hereinkommen gestützt hatte, riss einen Dolch aus dem Gürtel und sprang zu dem Attentäter hinüber, sein Gesicht eine verzerrte Grimasse aus bleckenden Zähnen. Er stieß den Mann mit dem Schwert beiseite und fiel in seiner Hast über Giulianos zusammengekrümmten Körper.

Jemand packte meinen Arm und riss mich herum.

»Mein Gott, schnell, wir müssen hier heraus!«, schrie Johann Kleinschmidt. Ich schüttelte ihn ab. Der kleinere der beiden Männer aus Giulianos Begleitung rappelte sich auf und begann, mit seinem Dolch auf den am Boden liegenden Körper einzustoßen wie ein Rasender. Der Mann mit dem Schwert wandte sich um und stürzte auf die Gruppe um Lorenzo de’ Medici zu. Das Häufchen älterer Männer aus Lorenzos Begleitung floh von der Balustrade in unsere Richtung und rannte uns fast um.

»Was wollt Ihr hier noch?«, schrie Kleinschmidt. »Schnell!«

Der Priester, der zu Boden gestürzt war, versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Aus seiner Hand fiel ein Messer auf die Fliesen. Giulianos Bruder stand mit dem Rücken zur Balustrade, seinen kurzen Mantel um den linken Arm gewickelt, und fine einen Dolchstoß des zweiten Priesters ab. Lorenzo blutete stark aus einer Halswunde; mit der Rechten schwang er ein zierliches Schmuckschwert, aber der zweite Priester duckte sich und drang wieder auf ihn ein. Der erste Priester bückte sich nach seinem Dolch; der einzige Mann aus Lorenzos Begleitung, der nicht das Weite gesucht hatte, stürzte sich auf ihn und warf ihn wieder zu Boden. Lorenzo sprang über die Balustrade und floh durch den Chor. Aus dem südlichen Seitenschiff hasteten jetzt weitere Männer in den Chorraum, stießen die ineinander verkeilten, hinausdrängenden Messbesucher rücksichtslos zur Seite und zogen im Laufen ihre Schwerter. Lorenzos Gefährte versetzte dem Priester einen Tritt und sah sich nach Lorenzo um. Sein Blick fiel auf den muskulösen Mann mit dem Schwert, der Giuliano niedergestochen hatte; dieser schwang sich soeben über die Balustrade und rannte Lorenzo hinterher. Die in den Chorraum stürmenden Männer waren noch zu weit entfernt; Lorenzos Gefährte ließ von dem Priester ab und sprang ebenfalls über die Brüstung, dem Mann mit dem Schwert in den Weg. Als dieser ihm auswich, eilte er ihm nach, versuchte ihn mit beiden Armen zu umfangen, kam ins Stolpern und stürzte.

Ich wurde angerempelt und zur Seite gestoßen. Ein zweiter Trupp Bewaffneter eilte zu der Stelle, an der der blutüberströmte Giuliano lag und von dem kleinen Mann noch immer mit dem Dolch zerfetzt wurde. Aber jetzt quollen die Sängerknaben hinter den Stellwänden hervor und liefen kreischend im Chorraum herum. Als der kleine Mann die Männer sah, die sich fluchend durch die Knaben arbeiteten, sprang er humpelnd davon.

Auf der anderen Seite des Altars mühte sich der muskulöse Mann, sein Schwert aus dem Genick des Mannes zu ziehen, der ihn aufzuhalten versucht hatte. Er blickte sich wie rasend um, riss sein Schwert mit einer gewaltigen Anstrengung an sich, versetzte dem zuckenden Körper zu seinen Füßen einen Tritt und sprang zur Sakristeitüre hinüber, aber diese schwang soeben hinter Lorenzo de’ Medici zu. Er wandte sich zum Altarraum um. Der Priester, noch immer hinter dem Altar, hob entsetzt die Hände vors Gesicht und rannte dann mit wedelnden Armen in den Chorraum, in die Arme der Bewaffneten, die versuchten, den Attentäter einzufangen. Die weiß gekleideten Würdenträger, die bis jetzt wie gelähmt vor Schreck dem Geschehen zugeschaut hatten, sprangen ebenfalls auf und drängten in den Chorraum hinaus. Kardinal Riario hastete ihnen hinterher, verlor seinen weiten Kardinalshut, trat auf seine Robe und fiel auf den Boden.

»O mein Gott, da kommen sie«, keuchte Kleinschmidt. Ich fuhr herum. Die Gläubigen hatten sich von ihrer Fluchtrichtung zum Hauptportal hinaus abgewandt und rannten nun auf uns zu, zum Chorraum, zu den Seitenportalen, in Sicherheit. Plötzlich fanden wir uns in einem um sich schlagenden Gewühl an Gliedmaßen und Körpern wieder, Frauen und Männer gleichermaßen, denen Geschmeide vom Kopf rutschte, Ketten zerrissen, die ihre Perlen wie einen Hagelschlag um sich verteilten, die falsche Haarteile, Tücher, Schals und Handschuhe verloren und sich den Weg zum Portal freikrallten. Sie nahmen mir den Blick auf das weitere Geschehen, sie nahmen mir den Atem, sie trennten mich endgültig von meinem Schwiegersohn und schwemmten mich nach draußen.

Männer schrien nach ihren Frauen, Frauen nach ihren Kindern; nicht wenige schrien einfach um Hilfe oder flehten in ihrer Panik zu Gott. Die Menge platzte aus dem Seitenportal und rannte nach allen Richtungen auseinander. Ich taumelte zwischen ihnen und versuchte, nicht zu stolpern. Ich erwartete, dass Johann Kleinschmidt im nächsten Moment wieder neben mir auftauchen würde, aber ich konnte ihn nirgends entdecken. Wenn ich die Sprache beherrscht hätte, hätte ich nach ihm fragen können. So eilte ich ratlos in die verschiedensten Richtungen, um ihn inmitten des aufgeregten Volks zu erspähen. Über dem Platz hingen Staub und das entsetzte Geschnatter von tausend erregten Kehlen. Als nur wenige Straßenzüge entfernt plötzlich Glocken mit einem panischen Sturmgeläut einsetzten, zuckten alle zusammen und sahen in die Richtung, aus der der Lärm kam. Im nächsten Moment eilten fast alle auf das Läuten zu, lauter brüllend als zuvor. Ich blieb zwischen den Davonlaufenden zurück, verwirrt und mit zuckenden Beinmuskeln, atemlos und ratlos und noch immer voller Erregung über den Vorfall. Weitere Menschen, diesmal schlechter gekleidet – Handwerker, Arbeiter, Gassenpöbel –, rannten schreiend und armwedelnd an mir vorbei in jene Gasse hinein, die nach Süden führte. Mein Schwiegersohn blieb verschwunden. Ich setzte mich keuchend ebenfalls nach Süden in Bewegung, ohne daran zu denken, dass die vernünftigste Richtung, in die ich hätte rennen sollen, Norden war.

Wir eilten durch eine lang gezogene, verwinkelte Gasse, in der es nach Häuten, offenen Feuerstellen, nach süßem und saurem Gebackenen und nach Fisch roch. An ihrem Ende öffnete sich ein weiter Platz, über den das Läuten mit wütender Heftigkeit erscholl. Über die Köpfe und Rücken, über drohende Arme und geschüttelte Fäuste hinweg erhob sich ein strahlend goldfarbener Bau; ich erinnerte mich, dass Kleinschmidt mir den schlanken Turm gezeigt und erklärt hatte, dies sei der Palast der signoria. Im breit ummauerten Kranz des Turms schwang die Glocke. Ich hörte von dort das Klirren von Ketten, die über Treppenstufen gezogen wurden, das Aufeinanderschlagen von Waffen und das heisere Gebrüll: »Popolo e libertà!« Es war eine Belagerung; nein, es war ein Sturm. Die Besatzung des Palazzo della Signoria versuchte die Tore zu schließen, während die Belagerer dagegendonnerten. »Popolo e libertà, uccidiamone i traditori!« Die Neuankommenden mischten sich zum Vorteil beider Seiten in den Kampf ein. Ein Mann schrie schrill auf und begann danach, abgehackt zu kreischen, als werde er in Stücke gerissen. Ich vernahm es, und aus keinem anderen Grund wich plötzlich die Erregung von mir und ließ mich stattdessen voller Angst um mein Leben zurück.

Zu dem Brüllen des ersten Verletzten gesellten sich weitere Schmerzensschreie. Ich sah dem Gemetzel über den Platz hinweg zu, ohne mich von der Stelle rühren zu können. Ich war Untersuchungsbeamter eines Bischofs gewesen und hatte in dieser Zeit genügend Tod und Gewalt erlebt; ich hatte die beiläufigen Toten eines Krieges gesehen, in dem ich um den Frieden verhandelte – aber diese kreischende Wut, mit der Bürger und Bewaffnete übereinander herfielen, lähmte mich. Es war offensichtlich die Befreiung von der lastenden Anspannung der vergangenen Jahre und Monate, in denen die Bemühungen des Papstes, die Republik zu schwächen, die Stadt in immer mehr feindliche Lager gespalten hatte. Es war das Überschwappen der Gewalt hinter die Mauern der reichsten Stadt Italiens. Es war die nackte Lust daran, seinem Gegner endlich die Augen herauszureißen. Wehe denen, die unvorbereitet zwischen die Parteien dieses Aufstands gerieten.

Und Jana und ihr Gefolge befanden sich auf dem Weg vom Landgut des Benozzo Cerchi zurück in die Stadt!

Ich keuchte vor Schreck und vergaß meinen Schwiegersohn. Ich wandte mich um; ich musste Jana am Stadttor abfangen.

Eine Hundertschaft brüllenden Pöbels stürmte den Platz, tobend und bis an die Zähne bewaffnet, angeführt von einem guten Dutzend Reiter. An ihrer Spitze bäumte sich ein Pferd auf, ein Mann fuchtelte mit einem Schwert, langes weißes Haar unter einem antiquierten Helm und den hageren Körper von einem Brustpanzer umschlossen. Jacopo de’ Pazzi, und er brüllte: »Pazzi, Pazzi, popolo e libertà!«

Kampfgeschrei erfüllte den Platz. Jacopo de’ Pazzi trieb seine kleine Armee voran; sie strömte an ihm vorbei, während er sein Pferd wieder und wieder in die Höhe steigen ließ und Kommandos hervorstieß. Seine berittenen Anhänger galoppierten auf den Eingang des Palasts zu. Ich drückte mich in einen Hauseingang. Niemand nahm von mir und den anderen Unglücklichen Notiz, die sich gleich mir in Eingangstoren oder Nischen verbargen und versuchten, nicht unter die Füße dieser Privatarmee zu geraten. Ich starrte mit weit aufgerissenen Augen und hörte mein Herz schlagen. Die Leute Pazzis kannten nur ein Ziel – den Palast; und ich wusste, wer ihnen auf dem Weg dorthin in die Quere kam, den würden sie in Stücke reißen. Sie rannten an mir vorüber, Männer in zerlumpten Wämsern zumeist, mit schmutzigen Gesichtern und fauligen Zähnen in den brüllend aufgerissenen Mäulern. Einer der Laufenden machte plötzlich einen Satz nach hinten und prallte auf den Boden, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Von einer Stelle des Pflasters stoben Funken auf, etwas wirbelte durch die Luft davon – Jacopo de’ Pazzi brüllte auf und deutete mit seinem Schwert auf den Turmkranz des Palastes. Ich sah zwei Männer dort oben, klein aus der Distanz, die abwechselnd mit Armbrüsten herunter in die Menge schossen. Aus den Gassenmündungen brachen weitere bewaffnete Männer hervor und mischten sich in den Kampf. Sie bewegten sich geordneter als der Haufen, der hinter dem alten Pazzi hergestürmt war, und ihr Eingreifen brachte die Pöbelarmee mit einem gewaltigen Aufprall von Körpern und Klingen zum Stehen. Die Vorwärtsbewegung löste sich plötzlich in Dutzende von Einzelkämpfen auf, aus der gezielten Woge gegen den Eingang des Palastes wurde ein gewalttätiges Wimmeln, das nicht mehr von der Stelle kam. Pazzi ließ sein Pferd herumtanzen und fluchte und brüllte, bis seine Stimme sich überschlug. Er wirbelte sein Schwert über dem Kopf herum und versuchte, seine Reihen zu ordnen, aber seine Männer hatten sich längst in Kämpfen Mann gegen Mann verzettelt. Die Ersten gingen bereits zu Boden und lagen dort still oder wanden sich vor Schmerz. Es kamen immer noch mehr bewaffnete Medici-Anhänger auf den Platz gerannt und fielen über den Pöbel her. Schon wandten sich Gruppen zu einem halben Dutzend und mehr zur Flucht; vereinzelte wurden wieder eingefangen und gingen schreiend unter einer hackenden, stechenden und prügelnden Traube zu Boden. Der alte Pazzi sah sich wild um; seine Reiter sprengten auf ihn zu und stießen zur Seite, was sich von ihren Kämpfern noch auf den Beinen hielt. Sie bildeten einen Ring um ihn, er schüttelte den Kopf, und ihre Gruppe setzte sich in Bewegung, fort vom Platz, fort vom Eingang des Palastes, dessen Besatzung jetzt einen Ausfall wagte. Einer der Männer auf dem Turmkranz legte die Armbrust erneut an, und ich glaubte fast, das Sirren des Bolzens zu vernehmen und den dumpfen Aufschlag, mit dem er sich in die Hinterhand eines der flüchtenden Pferde bohrte. Das Pferd wieherte schrill und brach aus, sein Reiter brachte es wieder unter Kontrolle, und die Männer stoben davon, durch die Reste ihrer geschlagenen Hundertschaft, die mit allen Kräften zu fliehen versuchten, verließen den Platz ihrer Niederlage, während sich in ihrem Rücken ein weiteres Kampfgebrüll erhob, das eindeutig den Sieg der Medici-Seite beschrie. Ich löste mich von der Wand und floh um die Ecke herum, verfolgt von Geheul und Geschrei und dem siegestrunkenen: »Palle, palle, vivano le palle!«

Eine Messe für die Medici

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