Читать книгу Eine Messe für die Medici - Richard Dübell - Страница 14
1.
ОглавлениеDie Dienstboten packten unter der nervösen Aufsicht Johann Kleinschmidts das Nötigste ein. Mein Schwiegersohn hatte sofort nach Tredittores Botschaft damit begonnen, mich zum Verlassen des Gebäudes zu bewegen.
»Wenn sie Jana verhaftet haben«, sprudelte er hervor, »kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie hierher kommen. Sie werden eine Gegenüberstellung Janas mit dem Gesinde vornehmen und dann jeden verhaften, der sich im Haus aufhält. Ihr könnt zu mir in den Fondaco übersiedeln.« Tredittore gab ihm Recht, und ich beugte mich den beiden; weniger aus Überzeugung denn aus Müdigkeit und Entsetzen über Tredittores Nachricht. Ich war mehr daran interessiert, was Jana im Einzelnen zugestoßen war und wie ich ihr helfen könnte, denn daran, was mit mir und den Bewohnern dieses Hauses geschehen würde.
Tredittore säuberte sich Hände und Gesicht im Brunnen und erzählte, dass am frühen Abend eine berittene Abteilung schwer bewaffneter Männer unter Führung mehrerer in prächtige Höflingskleider gewandeter Jünglinge auf Cerchis Anwesen, das auf halber Höhe nach Fiesole lag, galoppiert und sofort an den überrumpelten Dienstboten vorbei ins Haupthaus gestürmt sei.
»Sie zerrten sie alle grob heraus: Monna Jana, Cerchi, seine Familie und ein halbes Dutzend von Cerchis Geschäftspartnern. Sie reihten sie im Hof auf, und der Anführer des Haufens brüllte eine ganze Litanei von Beschuldigungen. Ich verstand so viel, dass man sie alle der Mitwirkung an einem Anschlag auf Lorenzo und Giuliano de’ Medici beschuldigte.« Er seufzte. »Was ist überhaupt passiert?«
»Die beiden Brüder sind während des Hochamts im Dom überfallen worden. Giuliano ist tot, Lorenzo verletzt. Los, erzählt weiter!« Tredittore sah mich überrascht an. Sein Gesicht wechselte die Farbe.
»Cerchi fing an zu jammern und warf sich in den Staub. Außer einem Tritt brachte es ihm allerdings nichts ein. Sie fesselten alle und zwangen sie, einen Karren zu besteigen, der mittlerweile durchs Hoftor hereingerumpelt war.«
»Was hat Jana bei all dem gesagt?«, unterbrach ich ihn.
»Nichts. Ich nehme an, sie verstand nicht die Hälfte von dem, was gesprochen wurde.«
Johann Kleinschmidt trabte herbei und keuchte: »Wir sind soweit. Brechen wir auf.«
»Gleich«, sagte ich störrisch, ohne ihn anzusehen. »Wie seid Ihr bis hierher gekommen?«
Tredittore wies auf seine Hose und seine ruinierten Stiefel. »Ich bin bis zur Porta al Prato gelaufen, nachdem ich festgestellt hatte, dass die Stadttore geschlossen waren. Gleich daneben, am Flussufer, ist doch der Schindanger. Ich hoffte, dass dort keine Stadtwachen sein würden. Ich stieg in den Fluss und watete am Ufer entlang, bis ich zu einem kleinen Tor beim Wehr kam. Es war nicht verschlossen und auch nicht bewacht. In der Aufregung hat man es wohl vergessen.«
»Ein langer Weg, und nicht ungefährlich«, knurrte ich.
»Ich hatte auch die ganze Zeit über eine Heidenangst«, gestand er mit überraschender Ehrlichkeit.
»Es wäre besser gewesen, Ihr wärt bei Jana geblieben, zum Teufel noch mal.«
Er senkte den Kopf und zupfte umständlich an seiner nassen Hose herum, ohne etwas zu erwidern.
»Können wir nun aufbrechen?«, drängte Kleinschmidt. Ich fuhr zu ihm herum. »Ja, zum Teufel, wir können aufbrechen!«, schrie ich ihn an. »Damit ihr alle eure kostbaren Hintern in Sicherheit bringen könnt!«
Kleinschmidt zuckte zusammen und wich zurück. Ich stapfte an ihm vorbei; wenn ich ihn oder Tredittore noch länger hätte ansehen müssen, hätte ich sie an den Hälsen gepackt und mit den Köpfen zusammengeschlagen.
– Sie sind beide nicht schuld daran.
Nein, dachte ich schäumend, nein. Sie sind beide nicht schuld daran.
Du selbst hast Jana im Stich gelassen.
Wir schlichen mit dem Teil unseres Gepäcks, der sich von unserer kleinen Gruppe transportieren ließ, durch die Stadt wie Plünderer. Ich hatte die Dienstboten nach Hause geschickt, und so waren wir nur zu fünft: Kleinschmidt, Tredittore, die in Venedig gemieteten Rossknechte und ich. Kleinschmidt führte uns an, auf verschlungenen Wegen durch kleine Gassen, um den Nachtpatrouillen zu entgehen. Er war so nervös, dass er lauter keuchte als die Rossknechte, obwohl diese eine schwere Truhe und einen Sack schleppten, und Tredittore immer wieder flehentliche Blicke zuwarf, weil dessen nasse Stiefel bei jedem Schritt quietschten. Als wir den schmucklosen Bau des Fondaco endlich erreichten, war er sicherlich am meisten darüber erstaunt, dass man uns nicht aufgegriffen hatte.
Bis auf meinen immer wieder aufflackernden Ärger auf meinen Schwiegersohn, dem ich die Schuld daran zuschob, dass ich Jana nicht begleitet hatte, und auf Stepan Tredittore befassten sich meine Gedanken ausschließlich mit Jana. Ich fragte mich, ob sie tatsächlich etwas mit dem Aufstand gegen die Medici zu tun haben konnte, verwarf den Einfall und griff ihn im nächsten Moment wieder auf. Hatte sie nicht nach der Hinrichtung in Prato ihre Verachtung gegenüber dem herrschenden Mann in Florenz ausgedrückt? Hatte sie nicht gesagt, dass sie um jeden Preis einen überragenden geschäftlichen Erfolg in Florenz anstrebte? Ich fragte mich, ob man es als weniger als einen alles in den Schatten stellenden Erfolg messen konnte, mit denjenigen in inniger Geschäftsverbindung zu stehen, welche die Macht der alles beherrschenden Familie in den italienischen Republiken gebrochen hatten.
Sie hatte nicht gesagt, auf dem Weg zum Erfolg sei ihr jedes Mittel recht.
Doch ich kannte ihre Entschlossenheit. Sie war nicht skrupellos und hätte ganz gewiss keine Mörder unterstützt – aber man musste ihr ja nicht gesagt haben, dass man den Sturz der Medici mit Gewalt vornehmen wollte.
Und wie anders hätte der Sturz dieser mächtigen Familie sonst vor sich gehen sollen?
Vielleicht hatte ihr verzweifeltes Verlangen sie blind gemacht gegenüber den Untertönen eines lockenden Angebots? Doch dies zu denken hieße, sie zu unterschätzen, und was immer ich sonst noch über die Frau gelernt hatte, die ich liebte, dies eine gehörte gewiss dazu: sie niemals zu unterschätzen.
Was hatte sie getan? Und wer hatte sie angezeigt? War Cerchi in den Aufstand verwickelt, und hatte es gereicht, dass sie sich auf seinem Hof befand?
Der Weg zum Fondaco dei Tedeschi war ein Albtraum und die Stunden bis zum Morgen noch schlimmer.
Am Montag duckte sich die Stadt unter dem Eindruck des blutigen Ostersonntags. Selbst die Kirchenglocken, die seit dem ersten Anflug des Morgengrauens ohne Unterlass die Trauer über den Tod Giulianos verkündeten, taten dies dumpf und wie erschrocken über die Eruption von Gewalt, die Florenz gestern erlebt hatte. Der Himmel war bleiweiß und schon kurz nach dem Sonnenaufgang drückend.
Ich saß auf dem Rand meines Lagers und zog mir hastig mein Hemd über. Stepan Tredittore schauderte im Fieber auf dem anderen Lager in der kleinen Kammer (mein Schwiegersohn hatte zwei Kammern im Fondaco bewohnt. Er teilte sich jetzt die andere mit seinem Schreiber). Nicht lange nach unserer Ankunft war Tredittore das erste Mal laut polternd hinausgerannt. Als er nach langer Zeit wiederkam, war er blass und roch nach Erbrochenem und Darmkrämpfen. Wie sich herausstellte, hatte er verschwiegen, dass er sich auf dem Schindanger in eine Pfütze geworfen hatte, als er sich einbildete, dass auf der Mauerkrone der Stadt eine Abteilung Stadtknechte auftauchte. Scheinbar hatte er in der Aufregung etwas von der verseuchten Flüssigkeit hinuntergeschluckt. Er versicherte mir, dass es ihm nach seinem Anfall schon wieder besser ginge, und schluckte verzweifelt, als ihm gleich darauf die Galle hochkam. Ich bemühte mich vergeblich, mehr als vages Mitleid mit ihm zu empfinden.
Johann Kleinschmidt gaffte mich an, als ich ihn bat, mich zum Gefängnis zu begleiten.
»In die Höhle des Löwen?«, stieß er hervor.
»Ich muss mit Jana sprechen.«
»Sie werden Euch in die gegenüberliegende Zelle sperren.«
»Nach dem zu urteilen, was gestern hier geschehen ist, wird das Gefängnis nicht nur von Insassen überquellen, sondern auch von denen, die nach den Insassen fragen. Glaubst du, da werde ich auffallen?«
»Sie werden nach Euch Ausschau halten. Eure … äh … also, Jana hat ihnen bestimmt gesagt, dass sie mit Euch in der Stadt ist.«
»Warum sollte sie das tun? Hältst du sie für verrückt? Wenn sie herausbekommen hat, dass ich nicht verhaftet worden bin, wird sie kein Wort über mich verlieren.«
»Sie braucht sich doch nur nach Euch zu erkundigen. Nur eine Frage … und wenn sie nur fragt, ob es Euch gut geht.«
Ich schwieg verdrossen.
»Wollt Ihr denn wirklich mit Gewalt eingesperrt werden?«
»Nein, ich will mit Gewalt frei bleiben. Nur so kann ich daran arbeiten, dass sie freigelassen wird. Ich muss mit ihr sprechen und ihr wenigstens Mut machen.«
Er seufzte. »Ich nehme an, Ihr wollt mich als Übersetzer mitnehmen.«
»Ich hätte Tredittore mitgenommen, doch der kotzt sich die Eingeweide aus dem Leib«, sagte ich roh. Er zuckte zusammen und errötete.
»Nein …«, murmelte er, »nein, das ist nicht richtig, das ist schon meine Aufgabe …« Er schluckte tapfer und stülpte sich seinen Hut auf den Kopf. »Gehen wir.«
Auf der freien Fläche hinter dem verschlossenen Eingangstor zum Fondaco stand ein gutes Dutzend Männer zusammen. Kleinschmidt zögerte, als er sie sah, dann straffte er sich und schritt auf sie zu. Die Männer waren in ein halblautes Gespräch vertieft; als sie unsere Schritte hörten, blickten sie auf. Kleinschmidt räusperte sich.
»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er höflich. Er nickte einem der Männer zu. »Zunftrektor.«
Der Zunftrektor trat aus dem Kreis seiner Gefährten und baute sich nach einem Seitenblick zu Johann Kleinschmidt vor mir auf. »Ich bin Zunftrektor Ferdinand Boehl von der Tuchmachergilde in Bamberg. Ich leite das Fondaco, weil die Tuchmachergilde in Florenz die einflussreichste ist. Und wer seid Ihr? Der Teufel hol mich, wenn ich Euch schon mal gesehen habe.« Er besaß den auffälligen Dialekt und den spröden Charme seiner Landsleute sowie die vierschrötige Figur eines Steinmetzen. Sein Kinn war eine Klippe in der Landschaft seines Gesichts.
»Mein Name ist Peter Bernward. Ich bin freier Kaufmann aus Landshut. Mein Schwiegersohn hier hat mir nach den Vorfällen gestern eine sichere Bleibe angeboten.«
Er lachte rau und ohne Amüsement. »Das hab ich gern. Die freien Kaufleute, die die Preise drücken, wie es ihnen gefällt – und wenn es brenzlig wird, wo flüchten sie dann hin?«
»Ich bin nicht in Geschäften hier«, erwiderte ich steif.
Boehl musterte mich, dann zuckte er mit den Schultern. »Hier geht im Moment alles drunter und drüber. Wenn die Zunftgenossen nicht zusammenhalten … Wir halten gerade Kriegsrat, welche Abordnung wir zum Gefängnis hinüberschicken.«
Ich begriff, dass seine ruppige Art nicht bedeutete, dass er ärgerlich auf mich war. Im Wesentlichen begriff ich aber nur, was seine letzten Worte zu bedeuten hatten.
»Ins Gefängnis?«, rief ich. Kleinschmidt legte mir die Hand auf den Arm. Ich schüttelte sie ab.
»Kann sein, dass sie in der Aufregung gestern jemand aus der Zunftniederlassung verhaftet haben«, erklärte Boehl. »Für uns gelten aber nicht die florentinischen Gesetze, sondern diejenigen der Stadt, aus der der Zunftgenosse kommt. Das ist so Brauch.« Er grinste freudlos. »Wenn sie einen von uns erwischt haben, holen wir ihn wieder raus – schneller, als ein Stein von der Brücke ins Wasser fällt.«
Ich holte begeistert Atem, doch Johann Kleinschmidt stieß mich nachdrücklich in die Rippen. Ich starrte ihn befremdet an, als er mich zur Seite drängte. Boehl stapfte zu seiner Beratung zurück, ohne mir noch einen Blick zu gönnen.
»Was ist los?«, zischte ich. »Boehl kann Jana rausholen. Wir müssen ihn nur darum bitten.«
»Er wird es nicht tun«, erklärte er halblaut.
»Und warum nicht, zum Teufel?«
»Ihr habt ja gesehen, was er von denen hält, die sich nicht einer Zunft angeschlossen haben. Und Jana hat sich noch dazu in die Stadt hineingeschlichen, ohne ihre Geschäfte hier anzumelden und den Zunftpfennig zu bezahlen.«
»Ich kann ihn ja wenigstens darum bitten!«
»Damit er Euch an die Behörden verrät? Wenn wirklich einer der Bediensteten oder der Kaufleute von hier gestern geschnappt worden ist, und man will ihn nicht freilassen, was glaubt Ihr, wird Boehl tun? Er tauscht Euch im nächsten Augenblick gegen seinen Zunftgenossen ein.«
Ich ballte die Fäuste. »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er kläglich. »Unter diesen Umständen halte ich es noch weniger für geraten, wenn wir beide allein zum Gefängnis gehen.«
Boehl löste seine Versammlung auf. Vier Männer blieben stehen und sahen sich an, während ein fünfter zu einer Baracke neben dem Tor schritt und darin verschwand. Boehl sammelte die restlichen Männer um sich, nickte uns im Vorübergehen zu und stapfte in den Hauptbau hinein. Ich sah ihm hilflos hinterher. »Wir warten, bis sie wieder zurück sind, dann suchen wir den Kerker auf«, entschied ich zähneknirschend.
Der fünfte Mann tauchte mit zwei Spießträgern wieder aus der Baracke auf; offenbar stellten sie den Geleitschutz für das kleine Kontingent dar. Die Bewaffneten öffneten das Tor und ließen den Kaufleuten den Vortritt. Einer griff sich an die bloße Stirn und sagte laut: »Ich habe mein Barett vergessen.« Er war ein langer, schmalschultriger Mann mit lichter werdendem Haar und einem freundlichen Jungengesicht, und er sprach den weichen Dialekt der oberbayerischen Gegend. Seine Sprechweise überraschte mich; mit seiner eleganten Kleidung, mit der er zwischen den anderen Männern wie ein Patrizier zwischen Dienstboten wirkte, hatte er wie ein reicher Florentiner ausgesehen. Ohne Eile drehte er sich um und stapfte zu uns herüber.
»Bei der Hitze braucht Ihr doch kein Barett!«, rief ihm einer der anderen hinterher.
»Bei der Hitze nicht, aber bei dem Gewitter, das heute sicherlich noch kommt …« Er wies in den Himmel, ohne sich umzudrehen. »Ich hole Euch wieder ein. Geht nur schon los.«
Die restlichen Männer brummten etwas und setzten sich in Marsch, während ihr vergesslicher Gefährte an uns vorbei in den Eingang des Hauptbaus trat. Kleinschmidt blickte ihm geistesabwesend hinterher.
»Wer ist das?«, fragte ich.
»Ich kenne ihn nicht dem Namen nach. Ich glaube, er gehört nicht zur ständigen Besetzung des Fondaco. Er war jedoch schon hier, als ich ankam.«
»Jedenfalls ist er sehr zerstreut. Er hat sein Barett im Gürtel stecken.«
Kleinschmidt sah mich verwirrt an. Ich richtete meine Blicke auf den Haupteingang. Wie ich vermutet hatte, schaute der barhäuptige Kopf des Mannes gleich wieder daraus hervor. Er winkte uns zu. »Nun kommt schon«, raunte er und grinste.
»Was wollt Ihr?«
»Habt Ihr einen Bekannten im Gefängnis sitzen, oder vermisst Ihr jemanden?«
»Wieso fragt Ihr das?«
»Weil ich den Eindruck hatte, Euer Ziel sei auch das Loch gewesen.«
»Nein, mitnichten …«, begann Johann Kleinschmidt.
»Ihr habt Recht«, unterbrach ich ihn. »Könnt Ihr etwas für uns tun?«
»Geht mit mir zum Tor hinaus und begebt Euch dann auf einem anderen Weg zum Gefängnistor. Versucht nicht allzu spät nach uns anzukommen. Ich werde als Letzter hineingehen. Marschiert mir einfach nach. Wenn Ihr mal drin seid, ist es leichter.«
»Auf eine andere Art und Weise kommen wir nicht hinein?«
»Hinein schon, doch vielleicht nicht mehr raus«, erklärte er gut gelaunt. »Nun müssen wir aber los.« Er zog sein Barett aus dem Gürtel und setzte es sich achtlos auf den Kopf.
»Das sollten wir nicht tun«, flüsterte Kleinschmidt, während wir hinter unserem neu gewonnenen Verbündeten zum Tor hinaustrotteten. »Wer weiß, ob man ihm trauen kann.«
Ich sagte nichts zu seinen Worten. Es gab so viel, was wir in den letzten Tagen nicht hätten tun sollen.
Das Gefängnis war schwer bewacht; ein massiver, hässlicher Bau, nur wenige Gassen vom Fondaco entfernt, den wir erreichten, als die Delegation von Ferdinand Boehl gerade durch die Eingangstür schlüpfte. Johann Kleinschmidt hatte in seiner Gründlichkeit einen beachtlichen Umweg gemacht – selbst meine noch immer mangelhafte Orientierung sagte mir, dass wir das Gefängnis einmal umrundet hatten und uns nun von Süden her näherten statt von Norden, wo die Zunftniederlassung lag. Unser namenloser Helfer bildete den Abschluss und sah sich suchend um. Als er uns erblickte, zögerte er, bis die anderen im Eingang verschwunden waren, und winkte uns dann heran. Die Wachen warfen ihm einen misstrauischen Seitenblick zu; er zuckte mit den Schultern und setzte ein entschuldigendes Grinsen auf. Sie ließen uns passieren. Wir traten in einen breiten, dunklen Gang, und ich spürte, wie sich mein Herzschlag plötzlich beschleunigte. »Das war in letzter Sekunde«, raunte unser Helfer mir zu. »Wenn wir einmal drin gewesen wären, hättet Ihr wieder umkehren müssen.«
Kleinschmidt presste die Lippen zusammen und machte ein schuldbewusstes Gesicht.
»Wie geht es jetzt weiter?«, stieß ich hervor.
»Ich nehme an, sie führen uns zu den Gefangenen in das Loch und zeigen sie uns.« Er breitete die Hände aus. »Ich mache das auch zum ersten Mal.«
Weiter vorn kam die Gruppe aus dem Fondaco zum Stehen. Wir schlossen auf, während ein Offizier der Gefängniswache sich an einer schweren Tür zu schaffen machte. Die Kaufleute sahen uns erstaunt an. Kleinschmidt setzte zum Sprechen an, aber ich gab ihm einen Rippenstoß.
»Kriegen wir die Gefangenen nun zu sehen, oder was ist?«, sagte ich betont forsch und mit feuchten Handflächen. Der Offizier drehte den Schlüssel um und drückte die Tür auf. »Na endlich. Wenn hier alles so lange dauert, frage ich mich, wie sie überhaupt jemanden einsperren konnten.«
Die Kaufleute aus dem Fondaco blickten sich an und schüttelten dann die Köpfe. Ich bemühte mich, sie herausfordernd anzusehen; endlich beschlossen sie, Kleinschmidt und mich zu ignorieren. Ich atmete auf, nahm meinen Schwiegersohn beim Arm und folgte ihnen durch die schwere Tür in einen weiteren, kurzen Gang, den ein Talglicht mehr verräucherte als erhellte. Drei Männer, einer davon in ledernem Waffenzeug, blickten auf. Der Offizier wechselte mit ihnen ein paar Worte und sperrte eine zweite Tür am Ende des Ganges auf. Ich fühlte meinen Herzschlag nun bis zum Hals.
Das Kerkerloch war ein geräumiger Saal mit einem unverputzten Gewölbe aus fleckigem Stein. Vielleicht ein Dutzend Menschen saßen und standen darin herum; es roch nach schimmligem Stroh, Urin und anderen Ausscheidungen. Ich musste die Zähne zusammenbeißen beim Gedanken daran, dass Jana hier die Nacht verbracht hatte. Ich versuchte, sie unter den Gefangenen auszumachen, die sich bei unserem Eintreten unwillkürlich zusammendrängten, aber es war zu zwielichtig. Ein paar kleine, hoch oben sitzende Fenster, durch die nicht einmal ein Kind hätte entkommen können, verwandelten die Finsternis des Raums in weniger als eine Dämmerung. Kleinschmidt zog mich um einen offenen Kübel herum, den ich beinahe umgestoßen hätte. Aus dem Kübel drang der beißende Geruch von Fäkalien. Ich musste an mich halten, um nicht laut Janas Namen zu rufen.
»Ich hätte gedacht, es wären mehr«, murmelte einer der Kaufleute leise.
»Das sind wahrscheinlich nur die Nicht-Florentiner«, erwiderte einer der anderen. »Ich denke, sie haben schon damit gerechnet, dass sie den einen oder anderen verhaftet haben, für den sich jemand einsetzen würde, und haben die Gruppen voneinander getrennt.«
»Ein paar sind verletzt.«
»Da hinten ist einer gar nicht aufgestanden. Wenn er tot ist, hoffe ich nur, es ist keiner von der Zunft.«
Ihre Worte machten mich schwach. Ich stellte mir die Stunden vor, die hinter Jana lagen.
– Warum habe ich nicht verhindert, dass du hier eingesperrt wurdest?
»Bitte kommt näher«, sagte einer der Kaufleute laut zu den Gefangenen. Die Gruppe schlurfte nach vorn. Einer der drei Männer aus dem Gang, die uns gefolgt waren, reichte eine Fackel weiter. Der Offizier nahm sie entgegen und hielt sie in die Höhe. Der Wächter mit dem Lederwams schlenderte zu dem Liegengebliebenen hinüber und stieß ihn mit dem Fuß an. Dann schüttelte er gleichmütig den Kopf, fasste den Mann an den Füßen und schleifte ihn zur Tür hinaus. Ich wandte mich davon ab und hätte im gleichen Moment aufschreien mögen, als ich Julia erblickte – und gleich neben ihr Jana. Beide blinzelten in das Fackellicht. Sie waren die einzigen Frauen. Ich spürte, wie mir das Blut heiß ins Gesicht schoss vor Erleichterung. Soweit ich sehen konnte, waren beide unverletzt; Julia war blass und zerzaust, aber Jana wirkte nicht anders als nach einem anstrengenden Tag voller Geschäftsverhandlungen. Der Offizier machte eine herrische Bewegung, und die Gefangenen taten einen weiteren Schritt auf uns zu und nahmen mir den Blick auf die Frauen, die sich misstrauisch im Hintergrund hielten. Als er etwas bellte, übersetzte einer der Kaufleute: »Bitte sprecht nicht, bevor Ihr gefragt werdet. Wir wollen das Ganze nicht unnötig komplizieren. Folgt den Anweisungen des capitano.«
Ich wechselte einen Blick mit Johann Kleinschmidt, der sich offensichtlich bemühte, nicht zu auffällig in Janas Richtung zu schauen. Der Hauptmann der Gefängniswache ratterte einen Namen, und einer der Gefangenen richtete sich hoffnungsvoll auf. Die anderen traten einen Schritt beiseite. Die Männer aus dem Fondaco konsultierten eine Liste und schüttelten die Köpfe; der Gefangene verzog das Gesicht und ließ die Schultern hängen. Ich erhaschte wieder einen Blick auf Jana, die sich mit gesenktem Kopf mit Julia unterhielt und weder Kleinschmidt noch mich bis jetzt erblickt hatte. Ich dachte aufgeregt: Jana, sieh her zu mir. Ich hole dich hier raus. Der Offizier nannte einen weiteren Namen. Unser Verbündeter schlenderte heran und sagte wie beiläufig: »Wenn ich den Namen Peter Bernward trüge, würde ich alles tun, um den beiden Burschen da nicht aufzufallen.« Zwischen seinen Brauen stand eine Sorgenfalte. Ich starrte ihn verständnislos an. Er deutete mit dem Daumen unauffällig auf die zwei Männer, die mit der Wache hereingekommen waren und sich in der Nähe des Eingangs zum Kerkerraum aufhielten und unsere Gruppe aufmerksam musterten.
»Was!?«, zischte ich. Kleinschmidt wandte sich um und riss überrascht die Augen auf.
»Die Gefangene Jana Dlugosz hat ihren Gefährten Peter Bernward als Zeugen ihrer Unschuld angegeben«, flüsterte unser Verbündeter schnell. »Die zwei da sind Gerichtsdiener und warten darauf, dass Bernward hier erscheint, um auch ihn zu verhaften.«
Ich betrachtete die Männer neben der Tür und fühlte, wie meine Erregung langsam einer eiskalten Ernüchterung wich.
»Starrt um Gottes willen nicht so auffällig hin«, stieß er hervor und schüttelte dabei gleichzeitig mit den anderen Kaufleuten den Kopf, als der Offizier wieder einen Namen nannte.
»Was soll ich tun?«, flüsterte ich schwach.
»Ihr dürft Euch auf keinen Fall zu erkennen geben«, sagte Kleinschmidt eindringlich.
»Ich gebe Eurem Begleiter unumwunden Recht. Ich hätte Euch nicht hierher bringen dürfen.«
Der Hauptmann würgte einen weiteren Namen hervor: »Gianna Delugosch ‘?«
»Verdammt!«, zischte unser Verbündeter.
Ich sah auf und begegnete Janas Blick. Ihr Gesicht leuchtete auf, als sie mich erkannte. Die Kaufleute aus dem Fondaco schüttelten wieder mit bedauernder Miene die Köpfe. Jana achtete nicht auf sie. Sie hob die Hand, um mir zuzuwinken.
»O Mist, da kommen sie schon«, keuchte Kleinschmidt. Ich fuhr herum und sah den Gerichtsdienern in die Gesichter. Wie im Traum hörte ich einen von ihnen etwas sagen.
»Er fragt, ob Euer Name Peter Bernward ist«, übersetzte unser Verbündeter und tat befremdet. Im Fackellicht glänzten jetzt ein paar Schweißperlen auf seiner Oberlippe.
»Wer, ich?«, hörte ich mich sagen.
Die Aufmerksamkeit im Kerker richtete sich jetzt auf uns. Ich wagte nicht, nochmals zu Jana hinüberzusehen. Meine Gedanken wirbelten umher; ich hätte in keiner Sprache der Welt eine vernünftige Antwort geben können.
»Sono Giovanni Kleinschmidt di Fondaco dei Tedeschi«, stotterte mein Schwiegersohn. »È mio papa.« Er wandte sich mit verzerrten Gesichtszügen zu mir um. »Ich habe ihnen gesagt, Ihr wärt mein Vater«, keuchte er.
Die Gerichtsdiener starrten ungläubig von mir zu ihm. Einer von ihnen bellte: »È vero?«
»Si.«
»Il nome?«
Ich verstand ihn auch ohne Übersetzung. »Sebastian Kleinschmidt«, hauchte ich.
Ich fühlte Janas Blicke in meinem Nacken. Ich konnte mich nicht dazu bringen, ihnen zu begegnen. Das schlechte Licht im Kerker verbarg, dass mein Gesicht dunkelrot vor Scham anlief. Ich spürte die Hand meines Schwiegersohns an meinem Arm und war ihm dankbar dafür. Der Gerichtsdiener wandte sich an die anderen Kaufleute und fragte sie, ob sie meine und Kleinschmidts Aussage bestätigen konnten.
Ich las den Ärger in ihren Augen über diese Komplikation ihrer heiklen Mission. Ich wusste, dass sie es nur aus dem Bemühen taten, weitere Schwierigkeiten zu vermeiden, als sie nickten. Ihr Sprecher schoss einen wütenden Seitenblick auf mich ab und sagte:
»È vero!«
Die Gerichtsdiener wandten sich unbefriedigt ab und bezogen wieder ihren Posten neben der Tür. Sie steckten die Köpfe zusammen und warfen mir verstohlene Blicke zu. Ich drückte meine Knie durch und versuchte, nicht zu schwanken.
»Sie sind noch nicht überzeugt«, raunte unser Verbündeter verzweifelt. »Dreht Euch wieder um und verfolgt die Prozedur, sonst fallt Ihr noch mehr auf.«
Ich drehte mich um und starrte zu Jana und ihrer Zofe hinüber. Julia gab meinen Blick mit unverhohlenem Entsetzen zurück. Noch schlimmer war Janas gesenkter Kopf. Ihr Haar verbarg ihr Gesicht, aber ich sah, wie sie die Fäuste ballte.
»Gianna Delugosch’?«, fragte der Offizier nochmals.
Ich sah in Julias Augen und hasste mich dafür: Ich schüttelte zusammen mit den Männern aus dem Fondaco den Kopf.
Vielleicht hätten sie mich am Ende doch nicht gehen lassen, aber einer der Gefangenen rettete mich. Als sein Name genannt wurde, nickten die Kaufleute aus dem Fondaco, und der Offizier winkte ihm ärgerlich zu, dass er gehen könne. Der Mann eilte erleichtert auf uns zu und schüttelte uns allen dankbar die Hand. Bei mir begann er damit; wahrscheinlich, weil ich ein ganzes Stück größer war als die anderen. Ich war mir sicher, dass er in seiner übergroßen Freude kein einziges Gesicht erkannte. Die Gerichtsdiener überzeugte es, dass ich doch irgendwie zum Fondaco gehörte. Wenn ich etwas im Magen gehabt hätte, hätte ich ebenso gekotzt wie Stepan Tredittore.
Wir wurden hinausgeführt, ohne dass ich Jana noch einmal in die Augen hätte sehen können. Julia hatte zu schluchzen begonnen und war von ihr angefahren worden. Das war ihre einzige Reaktion außer ihren geballten Fäusten. Die Kerkertür fiel wieder zu und sperrte sie zusammen mit den anderen Unglücklichen ein.