Читать книгу Ich muss fast nichts und darf fast alles! - Richard Kaan - Страница 11
Zeit haben, Zeit nehmen
ОглавлениеUm mich zum Schreiben dieses Buches zurückzuziehen, siedelte ich aufs Land. Genauer gesagt in ein entzückendes kleines Bauernhaus mit dem Vulgo-Namen: „Simmerl am Berg“. Das liegt in der Oststeiermark, nahe Birkfeld. Eines Tages fuhr ich in den Ort, um Mittag zu essen, und auf der Heimfahrt wollte ich noch die mir wenig bekannte Umgebung erkunden. Unversehens landete ich im Hof einer Tischlerei, in welcher offensichtlich alte Bauernmöbel restauriert wurden. In der Werkstatt diskutierte ein Tischler gerade mit einer älteren Dame, während aus dem Radio lauthals Elvis plärrte. Ich wurde trotzdem verstanden und bekam Erlaubnis mich umzuschauen. Und „man würde mir jemanden schicken, der mir alles zeigen könne“, sagte die Frau, welche damit klarstellte, dass sie die Chefin sei. Ich sah mir also Unmengen von halbfertig restaurierten Kästen, Kommoden, Stühlen und Tischen an, alle von beeindruckender Qualität. Dann kam Franz, der Seniorchef, taxierte mich kurz mit Kennerblick, erkannte sofort in mir keinen potenziellen Käufer, sondern nur einen Neugierigen. Dennoch fragte er mich: „Haben Sie Zeit?“, und nochmals, „viel Zeit?“ Das traf mich einigermaßen unvorbereitet, denn ich wollte bloß einen kurzen Blick auf diese Art von Möbeln werfen. Möbel, in denen ich aufgewachsen war. „Ja“, sagte ich, „gerne.“ Und dann führte mich Franz durch sein unvorstellbar großes Lager. Vorbei an Hunderten bereits restaurierten Einrichtungsgegenständen; manche davon groß, klein, poliert oder roh, andere bemalt oder blank. Auf über 1 000 m2 verteilt, in einem Vierkanthof, der offensichtlich über mehrere Jahrhunderte sozusagen gewachsen war. Stück um Stück erweitert, jeweils dem herrschenden Baustil folgend. „Der Tisch stammt von 1804“, wusste Franz, „und dieser Bauernkasten aus dem Weinviertel, spätes 19. Jahrhundert“. Seine Kenntnisse waren unglaublich. Zwischendurch erzählte ich ihm, warum ich in seiner Gegend war, auch, dass ich gerade an einem Buch arbeitete. Dann, ja dann legte Franz erst richtig los. Nein, nicht mit seinem Wissen über altes Holz und dessen Bearbeitung, das ich ins Buch einbauen könnte, sondern mit riesigem Stolz über seinen Enkel erzählend, der gerade mehrere Praktika bei großen deutschen Medien absolvierte. Es war toll, ihm, dem so stolzen Opa, bei den Erzählungen ob der schriftstellerischen Großtaten des Sprösslings zuzuhören. Und so verging wunderbar die Zeit; viel Zeit, die ich ursprünglich vorhatte, ganz anders zu verwenden. Doch es war gut so.
Für die einen von uns möge das Schreiben, eventuell sogar das Buchschreiben ein Beruf sein, manchmal sogar eine Berufung, oft ist es aber nur ein Zeitvertreib. Andere von uns frönen hingegen ganz unterschiedlichen Hobbys. Vorteilhaft ist immer, wenn die Beschäftigung schon in jüngeren Jahren begonnen wurde, allerdings ist es auch nicht wirklich ein Hindernis, damit erst später anzufangen.