Читать книгу Ich muss fast nichts und darf fast alles! - Richard Kaan - Страница 14
Die große weite Welt ganz nah
Оглавление„Guten Tag, ich bin Ros“, sagte die Dame, die uns flotten Schrittes entgegenkam. Kurzes, dunkles Haar, businessmäßig gekleidet, nur ein Hauch von Make-up. Wir waren erleichtert, mit der Hafen-Fähre zeitgerecht angekommen zu sein, da wir wussten, dass Ros sich extra frei genommen hatte, um uns abzuholen. Ungefähr zehn Schritte hinter ihr sahen wir einen kleineren, dunkelhäutigen Mann. „Wird vermutlich ihr Chauffeur sein“, dachte ich, nachdem Ros uns nicht vorgestellt hatte, und kümmerte mich nach nur einer formlosen Begrüßung nicht weiter um ihn.
Der erste Kontakt mit Ros ergab sich fast ein Jahr zuvor, als sie uns auf einer Haustausch-Plattform gefunden hatte. Wir verständigten uns später mit diversen Mails und Skype-Videotelefonaten darüber, dass wir unsere Häuser für mehrere Wochen tauschen würden. Ros aus Sydney, wir aus Graz. „Graz, in the middle of nowhere?“, wie ich anfangs gedacht hatte, als mir das Haustauschen erstmals empfohlen worden war. Doch die steirische Kulturhauptstadt liegt im Herzen Europas, sowohl Wien als auch Prag, Salzburg, Venedig oder Florenz sind nur wenige Auto- bzw. Zugstunden entfernt. „Home Exchange“ als tolle Alternative zum Wohnen in Hotels, Pensionen sowie Bed-and-Breakfast-Zimmern.
Der Grund dafür nach Down Under zu reisen, war unsere Tochter, die vor einiger Zeit beschlossen hatte, nach ihrem Studium zumindest ein Jahr dort zu verbringen. Ich begab mich also ins Netz, fand diverse Plattformen, die eben diese ziemlich unkomplizierte Art des „woanders Wohnens“ anboten. Es fließt kein Geld, man tauscht (meist zeitgleich) seine Wohnung oder sein Haus, mitsamt Auto und Haustieren. Eine prima Variante wie sich später herausstellte, denn in den letzten zehn Jahren haben wir es über 30 Mal gemacht. Und mit viel mehr Interessenten getauscht, als ich anfangs vermutet hatte. Aus Australien, Frankreich, England, Deutschland, Argentinien, Brasilien, den USA und so weiter …
Ros führte uns fröhlich plappernd zu ihrem Auto, der ältere Herr schwang sich tatsächlich hinters Steuer. Er brachte uns zu einem tollen Haus hoch über dem berühmten Hafen von Sydney, sprach kein Wort, kam aber mit ins Haus. Nachdem Ros an unserem Verhalten erkannt hatte, dass wir nichts gegen den „Herrn Chauffeur“ hatten, stellte sie ihn beiläufig vor: „… übrigens, das ist John, mein Mann.“ Dann entschwand sie in die Küche, um uns die von ihr vorbereiteten Happen zu kredenzen. Wir begannen ein Gespräch mit John, der rasch auftaute und erklärte, warum er sich bisher so zurückhaltend benommen hatte: „Ich bin Aborigine, genauer gesagt, Halb-Aborigine. Mein Vater kam aus Irland, meine Mutter aus dem Norden von Australien. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass selbst heute noch viele Weiße größte Vorbehalte uns gegenüber haben, daher sind wir vorsichtig geworden, was Unbekannte betrifft.“ Huch, das kam überraschend! Wir, Europäer mit so gut wie keiner Erfahrung, was Australien und dessen Umgang mit seinen Ureinwohnern betraf, fühlten uns plötzlich unwohl, geradezu ertappt. Obwohl wir keinerlei Vorurteile gegen ihn hatten. Später sollten wir lernen, dass das Leben indigener Einwohner Australiens selbst heute noch so ganz anders verläuft als jenes der Weißen. Und gelegentlich nicht so, wie wir uns das vorstellen würden oder wollen. Heute sind wir mit Ros und John bestens befreundet, besuchen einander regelmäßig und haben sogar einmal Weihnachten gemeinsam gefeiert.
Auch andere bleibende Verbindungen, selbst ein neu-entdeckter Familienzweig, haben sich für uns aus dieser besonderen Art und Weise des Reisens ergeben, aber das dürfte eher selten passieren.
Das Besondere am Haustausch ist: Man fährt nicht „auf Urlaub“, nein, man wohnt woanders. Eine Zeit lang eben. Man trifft die Nachbarn der Tauschenden, geht zum gleichen Bäcker oder Fleischer und hat darüber hinaus manches Mal die Möglichkeit, Teile von deren Sozialleben zu übernehmen. Auch Konzert-Abo-Karten werden zuweilen konsumiert oder wechselseitig Bus- und Bahntickets verwendet. Und, sollte einer der beiden oder beide Tauschpartner Tiere haben, so wird auch für diese gesorgt. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, günstig zu reisen, denn, abgesehen vom Transport dorthin braucht man in der Regel im anderen Land kaum mehr Geld als zu Hause. Je nach Wechselkurs manchmal sogar weniger.
Für all jene, denen selbst diese Reisemethode des Haustausches noch zu „normal“ erscheint, habe ich ein nettes Beispiel, wie man es auch machen kann: