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Sand, nichts als Sand

1

Öl und Verwesung, danach stank der Hafen von Tripolis, als das Schiff dort einlief. Luise füllte ihre Lungen dennoch bis zum Äußersten und deutete mit den Fingern zum Horizont.

»Sieh doch!« rief sie. Nicht nur das Blau des Himmels schien hier kräftiger zu sein, auch das Ocker der Häuser und das Grün der Palmen - alles leuchtete. Die Luft war heiß und flirrend. Ein kleiner, dicker Italiener holte sie ab und fuhr mit ihnen zu seinem Hotel, das im Inneren der alten Stadtmauern lag, in dem Bereich der Stadt, den man Medina nannte. Tripolitanien, der nordöstliche Teil des späteren Libyen, stand zu dieser Zeit unter italienischer Kommandantur, und so kam es, dass die ersten Erfahrungen mit der afrikanischen Küche für Luise und Franz noch auf sich warten ließen, denn am Abend servierte man ihnen Lasagne und einen schweren Chianti, der Luises Sinne benebelte und sie in übermütige Stimmung versetzte. Kaum war sie mit Franz im Hotelzimmer, vergrub sie die Nase in seinen Haaren.

Am nächsten Morgen blinzelte Luise verschlafen in die Sonne, die zwischen den Vorhängen herein drang.

»Ich bin schwanger«, sagte sie.

Franz strich ihr sanft über das verwuschelte Haar. »Träumst du noch, mein Schatz?«

»Nein, Franz, es stimmt: Ich bin schwanger! Heute Nacht ist es passiert!«

»Liebste, niemand kann das wissen nach so kurzer Zeit, nicht einmal du.«

Sie drückte ihr Gesicht noch einmal in die Federn und brummte wie ein Maikäfer auf einer Frühlingswiese, bevor sie das Kissen nahm und ihren Mann damit bewarf.

»Ich weiß es aber«, stellte sie klar. »Du wirst Papa.« Sie setzte sich auf und sah ihn neugierig an. »Wie findest du das?«

»Wenn es stimmt, bin ich der glücklichste Mann der Welt.«

»Ich dachte, das bist du sowieso schon.«

Als Antwort landete das Kissen mit Wucht auf ihrem Gesicht. Sie kippte lachend hintenüber, und im nächsten Moment war Franz über ihr.

»Lass uns sichergehen«, sagte er, »dass du auch wirklich schwanger bist…«

2

Das Gepäck wurde auf vier Kamele verteilt, und auf dem fünften saß Abdel Aziz, ein Araber, der Franz und Luise nach Südosten in die Wüste führen sollte. Er hatte ein schmales, helles Gesicht und lange, dünne Arme, denen man nicht ansah, wie kräftig sie waren. Er bot den beiden ebenfalls Kamele an. Aber sie hatten den Wagen ja nicht den weiten Weg hierher gebracht, um ihn jetzt in Tripolis stehen zu lassen. Abdel Aziz versuchte Franz klar zu machen, dass ein Auto kein geeignetes Fahrzeug für die Wüste war. Aber Franz war anderer Meinung, und so fuhren sie schließlich mit dem Mercedes im Schritt-Tempo neben den Kamelen her. Abdel Aziz schüttelte den Kopf, so etwas hatte er noch nicht gesehen.

»Ich trinke ab sofort keinen Wein mehr«, verkündete Luise. Sie wollte nichts tun, was das Baby gefährden konnte. Franz war zwiegespalten. Ein Kind, das wünschte er sich sehr. Aber ausgerechnet jetzt? Wenn sie Recht hatte mit ihrer Vermutung - und das hielt er durchaus für möglich, denn sie war der intuitivste Mensch, den er kannte - dann würde der zeitliche Rahmen ihrer Reise schon jetzt klar begrenzt sein. Er wollte nicht, dass seine Frau in der zweiten Hälfte einer Schwangerschaft noch auf Reisen war. Also würden sie im März schon wieder zu Hause sein müssen, und das war reichlich wenig Zeit für eine ernsthafte Forschungsreise.

Am ersten Tag waren sie auf Wegen unterwegs, welche die Bezeichnung befestigt noch halbwegs verdient hatten. Ab und zu gab es auch kleine Ortschaften, in denen verschleierte Frauen und neugierige Kinder sie anstarrten. Manche Männer kannten Abdel Aziz und grüßten ihn freundlich, andere glotzten nur finster. Vor allem das Auto erregte Aufsehen. Kinder liefen nebenher, um es sich genauer anzusehen, und berührten es mit den Händen.

»Ich heiße Luise«, sagte sie zu einem Mädchen. »Und du?«

»Sie kann dich nicht verstehen«, meinte Franz.

»Das weiß ich, Schlaumeier«, erwiderte Luise. »Aber fängt Verständigung nicht immer an mit einem ersten Satz?«

»Jamina«, sagte das Mädchen auf einmal. Franz, und mehr noch Luise, starrten die Kleine staunend an, die jetzt stehen blieb und ihnen hinterher winkte.

Am zweiten Tag wurden die Wege holpriger. Sie waren müde von der Nacht im Zelt, das Abdel Aziz für sie errichtet hatte. Der steinige Untergrund war leicht abschüssig gewesen, und so hatten sie sich am Morgen mitsamt ihren Decken in einer Ecke des Zeltes wiedergefunden.

»Die letzten Anzeichen der Zivilisation verschwinden«, sagte Franz. Sie hatten schon seit Stunden keinen Menschen mehr gesehen. Auch die Pflanzenwelt, die im Landesinneren von Anfang an nicht sehr üppig gewesen war, wurde immer karger.

Am dritten Tag wurde Luise krank. Sie bekam Halsschmerzen, musste ständig niesen, der Kopf tat ihr weh. Franz schlug schon zur Mittagszeit vor, das Zelt aufzuschlagen, aber das wollte sie nicht.

»Es ist nur eine Grippe«, krächzte sie leise. »Die kriegt mich nicht kaputt.«

Am vierten Tag fing die Erkältung an abzuklingen. Dafür rebellierten bei Luise nun Magen und Darm. War sie wirklich robust genug für diese Reise? War es leichtfertig von ihm, sie mitgenommen zu haben?

»Mach dir mal keine Sorgen«, sagte sie, »das ist nur Montezumas Rache.«

»So nennt man das in Lateinamerika«, korrigierte Franz. »In Afrika spricht man vom Fluch des Pharao.«

Luise lächelte, obwohl sie kaum die Kraft dazu hatte. »Du bist so ein Besserwisser«, sagte sie. »Das wird ein verdammt kluges Kind.«

In der Nacht litt Luise unter Schüttelfrost, und am nächsten Morgen verfügte Franz - gegen ihren Protest - einen Ruhetag. Abdel Aziz wurde unruhig. Mit ein paar Brocken Italienisch verständigte er sich mit Franz darauf, dass er mehr Geld bekommen sollte als ursprünglich abgemacht, wenn die Reise länger dauern würde als geplant. Allzu viel Zeit dürfe man sich ohnehin nicht lassen, gab er zu verstehen und klopfte auf die Wasserschläuche. Jetzt waren die noch prall gefüllt - aber der nächste Brunnen war auch noch einige Tagesreisen entfernt.

Ein paar Tage später wurde der Sand immer weicher und tiefer, und damit für die Autoreifen zu einem Problem. Abdel Aziz hatte bereits ein Drittel der Luft entweichen lassen, weil das Fahrzeug dann besser zu manövrieren war. Trotzdem blieb Franz damit immer wieder stecken. Abdel Aziz band dann stets mit stoischer Geduld ein Kamel an den Wagen und zog ihn wieder heraus.

An einem besonders heißen Nachmittag erklommen sie einen felsigen Hügel, und auf dem Kamm bot sich ein Anblick, der ihnen den Atem raubte: Da waren sie endlich, die Sanddünen der Sahara, die ihre weit geschwungenen Bögen in die Wüste malten!

Am nächsten Morgen schlich Luise schon bei Sonnenaufgang aus dem Zelt. Sie war hingerissen von den Formationen der Dünen, und der Pinsel flog nur so über die Leinwand. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie den blau verschleierten Mann entdeckte, der auf einem schneeweißen Kamel saß und vom höchsten Dünenkamm zu ihr hinunter blickte.

»Franz«, rief sie mit gedämpfter Stimme. Er trat aus dem Zelt und sah ihn auch.

»Ein blauer Ritter der Wüste«, sagte Franz. »Ein targi

»Sollten wir Angst haben?« wollte Luise wissen.

»Früher haben manche von ihnen von Überfällen gelebt. Aber das ist lange her. Glaube ich.« Sie drehten sich beide um, weil hinter ihnen ein Geräusch zu hören war. Aber es handelte sich nur um Abdel Aziz, der sich inzwischen auch aus seinen Decken geschält hatte. Sie wandten sich dem Tuareg wieder zu, aber er war verschwunden. Als wäre er nie da gewesen.

3

Wer mehrere Wochen in der Wüste unterwegs ist, ohne einen einzigen Strauch weit und breit, der glaubt nicht mehr daran, dass hinter der nächsten Düne glitzerndes Wasser darauf warten könnte, seine müden Augen zu blenden. Geschichten von Seen und Palmengärten mit zwitschernden Vögeln hält er für Märchen. Und doch gibt es diese Orte, mitten im Nichts aus Sand und Fels. Luise eilte aus dem Wagen, rannte auf das Wasser zu und lief hinein, mit ihren staubigen Kleidern. Sie griff nach ihrem Strohhut und warf ihn von sich. Er landete am Ufer des Teiches, wo er Franz vor die Füße rollte. Der wollte wissen, ob Abdel Aziz das Wasser für unbedenklich hielt. Der Araber formte als Antwort seine Hände zu einer Schale, tauchte sie hinein und trank einen kräftigen Schluck.

Abdel Aziz lud das Gepäck von den Kamelen und errichtete ein letztes Mal das Zelt, bevor Franz ihn bezahlte. Die Anreise war beendet. Hier würden sie nun bleiben. Sie gaben ihrem Reiseführer die Hand, er wünschte ihnen viel Glück, bestieg das Leitkamel, und so trat seine kleine Karawane die Heimkehr an nach Tripolitanien. Der Araber hatte sich in den vergangenen Wochen nicht anmerken lassen, dass er seine Kunden für ganz und gar wahnsinnig hielt. Alleine mitten in der Wüste, mit einem Auto, aber ohne jede Erfahrung? Diese Leute waren reich! Warum taten sie sowas? Sie konnten andere für sich arbeiten lassen, den ganzen Tag die Füße hoch legen und das Leben genießen. Stattdessen ließen sie sich hier aussetzen, im Nirgendwo, und setzten leichtfertig ihr Leben aufs Spiel! Aber er musste das ja nicht verstehen. Er hatte dadurch ein kleines Vermögen verdient, mit dem er seine Familie ein gutes halbes Jahr lang würde ernähren können - was wollte er mehr? Luise sah Abdel Aziz und den Kamelen nach, bis sie verschwunden waren. Ein bisschen mulmig war ihr jetzt schon zumute. Nun gab es niemanden mehr, der sich auskannte. Keinen, der ihnen beistehen konnte, wenn Besucher hinter den Dünen auftauchten. Franz legte eine schmale Metallkassette auf den Kühler des Wagens und öffnete die Verschlüsse. Darin lag eine Pistole, mit einem langen, schmalen Lauf und einem breiten, rotbraunen Holzgriff.

»Die hat dein Vater mir gegeben«, sagte er. »Damit ich dich beschützen kann.«

Luise lächelte. »Kannst du überhaupt damit umgehen?«

»Natürlich nicht.«

»Aber ich.« Luise griff nach der Waffe. »Seine Smith & Wesson Straightline. Wenn er die hergibt, macht er sich wirklich Sorgen.«

»Wir werden sie nicht brauchen«, sagte Franz. »Aber man schläft ruhiger.

»Wir haben genug Verpflegung«, erwiderte Luise, »eine gute Landkarte und ausreichend Benzin.« Sie schloss die Arme um ihn und hielt ihn fest. Lange standen sie so da. Und wussten nicht, dass sie von aufmerksamen Augen beobachtet wurden…

Azahrú

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