Читать книгу Das Ketzerdorf - In Ketten - Richard Rost - Страница 13
6
ОглавлениеDillingen, Sankt Sebastian5 1578
»Beim Grafen von Waldburg scheint ein ganzes Heer von Hexen ihr Unwesen zu treiben. Seine Eminenz hat für insgesamt neun Weibspersonen die Hinrichtungen erwirkt, und stellt euch vor, dreizehn weitere sind noch inhaftiert, wobei sich eine mit einem Scherben die Adern aufgeritzt hat und verblutet ist. In Isny und Wangen laufen die ersten Examinationen durch den Ravensburger Henker.«
Die Zuhörerschaft nickte interessiert. Paschalis gab sich teilnahmslos. Er verachtete den Wichtigtuer Coelestis, der regelmäßig das Mittagessen im Refektorium benutzte, um mit lauter Stimme seine hässlichen Neuigkeiten herauszuposaunen. Was für ein Unterschied zu den Essenszeiten bei den Benediktinern in San Paolo fuori le mura, wo Stillschweigen herrschte und aus der heiligen Schrift vorgelesen wurde. Nicht nur das Gesagte der geschwätzigen Dominikaner, sondern auch der Lärm schmerzte ihn.
Wenigstens lassen mich die Weißröcke in Frieden, dachte er sich. Er stand bereits fünf Jahre in den Diensten des Kardinals. Die Nähe zu ihm schützte ihn. Seines Körpers hatte sich niemand mehr bemächtigt. Tiziana di Santa Fiora, die berühmteste Kurtisane Roms, hatte ihn nach seiner Flucht aus dem Kloster aufgenommen, und sie hatte ihn gelehrt, den eigenen Leib zu genießen. Es hatte ihm alles bedeutet, wenn sie ihn zu sich in ihr Bett gerufen hatte und ihn teilhaben ließ an ihrer Lust. Sicherlich hatte sie ihn für ihre Zwecke benutzt, aber niemals hätte er ohne sie erkannt, welch ausdauernde Fähigkeiten ein Mann zu erlernen imstande war. Er war immer wieder versucht, sich einzugestehen, dass sie ihm fehlte, doch ihre schändlichen Taten verhinderten es. Sie hatte ihren Vater ermorden lassen, für ihren eigenen Vorteil den Mörder verraten und sogar die Unterschrift des Papstes gefälscht. Diese letzte Intrige war es gewesen, die dem Kardinal den Weg in die deutschen Lande geebnet hatte, wo er Ketzer und Hexen mit Feuer und Schwert bekämpfte. Paschalis war ihm treu ergeben, als Büßer wollte er mindestens doppelt so lange enthaltsam leben, wie er bei der Santafiora der Lust gefrönt hatte. Er unterdrückte seinen Trieb, auch wenn es ihm manchmal schwerfiel. Die Beschäftigung mit dem Verfassen von Klageschriften und Anträgen zu peinlichen Befragungen und Hinrichtungen hatte ihn anfangs nachdenklich gestimmt. Inzwischen war es ihm gleichgültig geworden. Das Schlimmste für ihn waren Gewaltanwendungen jeglicher Art. Ihm drehte sich dabei stets der Magen um. Nach der ersten Hinrichtung, zu der er den Kardinal persönlich begleitet hatte, hatte er flehentlich auf seine Tafel geschrieben: »Bitte, bitte keine weiteren Hinrichtungen.«
Der Kardinal sah es ihm nach und ließ ihn im Skriptorium malen und zeichnen, anstatt ihn auf »blutige Reisen« mitzunehmen, wie er es nannte. Dort war Paschalis zufrieden mit sich und der Welt. Was ihm wirklich fehlte, war etwas anderes: die warme Sonne Roms, die frische Brise vom Meer und die Küche der Santafiora.
5 20. Januar