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ОглавлениеAugsburg, Dezember 1578
»… dass du mich recht bald wieder in deine starken Arme nehmen wirst …«, der Obergsell schlug sich mit seiner rechten Hand unter dem höhnischen Gelächter der anderen Gesellen auf den Schenkel, in der linken hielt er prahlerisch einen Brief, aus dem er immer wieder vorlas. Raymund stand zögernd in der Tür und beobachtete die Szene. Sie hatten ihn nicht kommen sehen.
»… möge Gott dich beschützen und mir erhalten, mein geliebter Schatz …« Lustvoll hob Greisinger die Stimme und versuchte, im hohen Register eine Frauenstimme zu imitieren.
Raymund durchlief es heiß.
»Geliebter Schatz, öha, da hat doch der Hundsfott irgendwo eine kleine Hure liegen.«
Wieder war das Gelächter um den Tisch in der Werkstatt groß.
Jetzt war sich Raymund sicher, dass der Greisinger Helenas Brief abgefangen und darauf gewartet hatte, dass Jos und er in der Stadt unterwegs waren, um ihn den anderen vorzulesen.
»In Liebe, deine Helena«, flötete der Obergsell, als Raymund bereits hinter ihm stand.
»Das ist meine Schwester und es geht euch überhaupt nichts an!«
Das höhnische Lachen verstummte mit einem Schlag, als Raymund dem Obergsell den Brief aus der Hand riss.
»Das werd ich dem Meister sagen, dass du meine Briefe aufmachst und anderen vorliest. Schämen solltest du dich, du Drecks…!«
»Na, na! Spar dir deine Kraft für die Arbeit, Rotschopf, und lass den Meister lieber aus dem Spiel, sonst erfährt er von mir ganz andere Dinge über dich. Ich werde ja wohl noch einen kleinen Spaß machen dürfen, wenn mein Lehrbub sich mit einer Hübschlerin abgibt.« Der Obergsell grinste Raymund hämisch an und entblößte dabei seine Zahnlücke. Die anderen zogen sich langsam aus der peinlichen Situation zurück.
»Nimm dieses Wort nie wieder in den Mund, wenn du von meiner Schwester sprichst, Greisinger! Ich brech dir sämtliche Knochen, dass du’s weißt.«
»Dass ich nicht lache, Schwächling! Komm mir nicht frech, für dich immer noch Obergsell! Und ein bisschen mehr Respekt vor den Autoritäten. Eure dummen Leibeigenen und Bauern kannst du bei deiner sauberen Verwandtschaft hinter den Wäldern befehligen. Hier in der Stadt weht ein anderer Wind, lass dir das ein für alle Mal gesagt sein!«
Raymund biss sich auf die Lippen, am liebsten hätte er dem Obergsell ins Gesicht geschlagen. Dabei konnte er froh sein, wenn er für seine trotzige Antwort nicht noch eine Tracht Prügel bezog. Eines Tages würde er dem Greisinger alles heimzahlen mit Zins und Zinseszins! In diesem Augenblick packte ihn das schlechte Gewissen und es kam ihm in den Sinn, dass diese Rachegedanken all dem widersprachen, was ihm in seinem Elternhaus beigebracht worden war. Er musste noch viel an sich arbeiten. Versöhnung, Sanftmut! Es gab für ihn nur einen Weg. Er musste besser werden als alle anderen, das würde ihm Respekt verschaffen. Der Gedanke an Helena spornte ihn an und er war sich sicher, dass er den Greisinger bald einholen würde.
Er ging hinauf in seine Kammer, las den Brief mehrmals, küsste ihn und verwahrte ihn gut in seiner Kiste; den Schlüssel trug er stets bei sich.
»Mein Mädchen, ich liebe dich auch und habe so große Sehnsucht nach dir!«, flüsterte er und warf sich auf sein Bett.