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Kapitel 7

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Los Angeles, Kalifornien | 09:30 Uhr

Al-Khatib Hakam zählte neunzehn Lenze, als er an der Universität Columbia seinen Abschluss mit Auszeichnung machte. Mit seinen eins siebzig war er gertenschlank, hatte ein knabenhaftes Gesicht und im Gegensatz dazu den Verstand eines Akademikers. In seiner zurückhaltenden Art blieb er in der Regel Herr seiner Gefühle und redete wenig, hätte aber in Hinblick auf seine Haltung und sein Selbstbewusstsein beim Gehen doppelt so kräftig gebaut sein können wie in Wirklichkeit.

Zudem war er als amerikanischer Staatsbürger geboren und stammte aus Dearborn in Michigan.

Und gehörte al-Qaida an.

In dieser Stadt war er nicht unter nennenswerten Repressalien aufgewachsen, da überwiegend Menschen arabischer Herkunft in der Gemeinde gelebt hatten. An der Universität Columbia aufgenommen zu werden hatte sich indes selbst für ein emanzipiertes Wunderkind als schwierig erwiesen, dessen Leben im Alter von siebzehn auf dramatische Weise verändert worden war.

Weniger als eine Woche nach seinem Geburtstag, als er an der südöstlichen Ecke der 42. Straße in New York stand, wo sie sich mit der Madison Avenue kreuzte, erfuhr al-Khatib Hakam eine religiöse Wiedererweckung. Er beobachtete, wie sich ein Straßenverkäufer auf der anderen Seite, ebenfalls Araber, eine kurze Pause bei seiner Tätigkeit gönnte, um Gott zu huldigen. Er kniete auf einem Gebetsteppich nieder und streckte andächtig seine Hände vor sich aus. Seine Augen blieben geschlossen, und er bewegte stumm den Mund, während er sich abwechselnd nach vorn beugte und wieder aufrichtete.

In einer Stadt, wo es vor Menschen wimmelte, sodass kaum ein Zoll Platz auf dem Gehsteig blieb, sah al-Khatib Hakam mit an, wie drei stämmige Männer den betenden Araber umstellten, stichelten und sich mokierten, bevor ihn einer am Kragen seines Hemds hochzog. Aus der Ferne hörte der Junge rüde Beschimpfungen, die auf die Religion des Mannes und seine Dreistigkeit abzielten, wenige Meilen von Ground Zero entfernt zu seinem Gott zu sprechen. Von »Respektlosigkeit« war die Rede, woraufhin gleich eine rassistische Verunglimpfung und eine Tirade von Kraftausdrücken folgten.

Als sei das nicht schlimm genug gewesen, schien sich sonst niemand daran zu stoßen. Schnittig gekleidete Passanten aus allen gesellschaftlichen Schichten ignorierten den Vorfall gänzlich, als ob es der Norm entsprechen würde, sich Begebenheiten gegenüber blind zu stellen, die sie nicht betrafen.

Just hier geschah es, dass sich eine Tür vor al-Khatib Hakam auftat, wohinter faszinierende Weisheiten offenbar wurden, die ihm Erkenntnis schenkten: Obgleich er gebürtiger Amerikaner war, konnte er durch das Stigma seines Volkes bedingt nie ein echter Amerikaner sein.

Als der arabische Junge dann eine Hand hob und sie von allen Seiten betrachtete, bemerkte er, dass die Innenfläche heller war als der Rest seiner Haut – weiß so oder so, aber anders. Er nahm sie wieder herunter, da waren die Männer verschwunden. Der Verkäufer jedoch kniete weiter dort und weinte, indem er sich den Teppich ins Gesicht drückte wie ein wehleidiges Kind. In diesem Moment, da die Zeit stillzustehen schien, dämmerte Hakam etwas.

Monate vergingen, ohne dass er diesen Akt der Diskriminierung vergessen konnte, während langsam ein Docht in ihm herunterbrannte und die Flamme auf jene Zeitbombe zuwanderte, zu der er geworden war. Er sehnte sich nach mehr, als ihm die akademische Welt zu bieten hatte – etwas, das ihn vollkommen machen, ihm Verantwortung und den letzten Schliff geben würde.

Was er fand, war der Glaube.

In New York City gab es viele Moscheen. Seine wahre Berufung entdeckte Hakam allerdings im islamischen Fundamentalismus und der begleitenden Sprache. Die Worte des Imam klangen nach und beflügelten. Sie trieben den jungen Mann in eine Besessenheit, die ihn nicht losließ, denn er wollte unbedingt erfahren, welches Los Allah für ihn vorgesehen habe. Und wie viele andere seiner Art wurde er zum Gotteskrieger gesalbt, eine durch nichts zu übertreffende Ehre. So erfuhr al-Khatib Hakam seine Vollendung.

Sein Mantra: Allahu akbar. Gott ist groß.

In den darauffolgenden Jahren bewies der junge Mann Talent im Erlernen von Fremdsprachen und erbrachte überragende Leistungen im Fach Internationale Beziehungen. Zu dem Zeitpunkt, als er die Universität verließ, beherrschte er neun Sprachen fließend. Mit einundzwanzig hielt er einen hohen Posten bei ISIS, und seine Intelligenz zahlte sich an der amerikanischen Front aus.

Nun sollte sein Schicksal als Krieger seinen Lauf nehmen.

Während er sich über die Kante der randvollen Badewanne beugte, rasierte sich Hakam sorgfältig Brust, Arme und Gesicht, um sich fürs Paradies vorzubereiten und zu säubern. Nachdem er sich die Wangen mit einem Tuch abgetupft hatte, besprengte er sie mit Rosenwasser und hielt die Augen geschlossen, während er still betete und sich den Oberkörper in sanften Kreisbewegungen mit dem Duftöl einrieb.

Sechs Monate zuvor hatte er sich mit Yorgi Pertschenko in einem Land getroffen, wo es dauerhaft kalt war, trüb und deprimierend. Dass ein Russe und ein Araber einander gegenübersaßen, erschien angesichts des Afghanistankriegs unwirklich, doch Ersterem war eine Summe von dreißig Millionen Dollar geboten worden, die Letzterer mit Öl auf dem Schwarzmarkt verdient hatte, also spielte es keine Rolle, ob der Kunde al-Qaida angehörte oder nicht. Bei einem solchen Geldbetrag konnte man jedwede Vorurteile außer Acht lassen. Pertschenko hatte die Auseinandersetzungen in Afghanistan Knall auf Fall als vage Erinnerung in seinen Hinterkopf verbannt.

Ein halbes Jahr nach jenem Handel in Russland fand sich der Terrorist nun jedoch in Rom wieder, wo er sich um Druckmittel zur Einleitung der nächsten Phase seines Unterfangens bemühte, indem er eine Einheimische und ihre Kinder in seine Gewalt brachte. Er ließ sie nach Perugia entführen und in einer verlassenen Lagerhalle verstecken, die in Sichtweite der Moschee Ponte Felico stand.

Nach seinem kurzen Aufenthalt in Italien kehrte Hakam in die Vereinigten Staaten zurück. Kürzlich war ihm durch seine Kontakte zu Ohren gekommen, dass die Gruppe an der mexikanischen Grenze zu Arizona nicht ins Land gelangt sei. Den beiden anderen war es aber gelungen, was er für sich genommen als erfreuliche Nachricht auffasste.

Nachdem er ein frisch gebügeltes Hemd übergestreift hatte, machte er sich weiter vor dem Spiegel zurecht. Bewegte er seine rechte Hand beim Zuknöpfen, tat es sein Abbild mit links. Zog er den linken Mundwinkel zum Ansatz eines Lächelns hoch, geschah es vor ihm wiederum spiegelverkehrt. Alles – Bewegungen, Marotten und sein Mienenspiel – spielte sich zeitgleich andersherum ab. Als er einen letzten Blick auf sein Äußeres warf, kam er sich selbst jugendlich unschuldig vor.

Perugia, Italien | 09:30 Uhr

Die vielen Schatten ringsum – es waren nicht ihre eigenen – schienen in diesem Raum, wo es stickig war vor Staub in der Luft und grabähnlicher Feuchtigkeit, immerzu an- und abzuschwellen. Irgendwo tropfte Wasser aus einem Rohr oder undichten Hahn und bildete übelriechende Pfützen voller Bakterien, über die Vittoria Pastore gar nicht erst nachdenken wollte.

Drei Tage lang steckte sie nun schon mit ihren Kindern hier drin. Kaltblaues Licht fiel durch dünne Schlitze zwischen den Brettern vor den Fenstern. Die Wände bestanden aus Wellblech, das mit einem Stahlrahmen vernietet war, und die massive Tür verfügte über eine Klappe an der Unterseite, durch die sie Nahrung, Wasser und gelegentlich eine saubere Decke gereicht bekamen.

Vittoria blieb die ganze Zeit über stark, während sie gemeinsam mit ihren Töchtern auf einer Pritsche kauerte und sanft ihre Köpfe streichelte, wobei sie sich jeden Tag fragte, ob dies ihr letzter sein würde.

Basilio hingegen lehnte diese Bemutterung ab, weil er sich für zu alt und männlich hielt, als dass man ihn – auch wenn er erst fünfzehn war – hätscheln müsse.

Dennoch war sie stolz auf ihn.

Wenn sie nicht gerade die Wand gegenüber anstarrte, beobachtete sie, wie der Junge im Raum hin und her ging, wobei ihr eine bestechende Ähnlichkeit zu seinem Vater auffiel, etwa seine aufrechte Schulterhaltung, die Zuversicht und Kraft ausdrückte, die Gangart eines Leitwolfs.

Schliefen die Mädchen, legte sie sie behutsam hin, um sie nicht zu wecken, und versuchte dann gemeinsam mit Basilio, etwas von ihren Entführern zu sehen, indem sie durch die Schlitze an den Fenstern schauten.

Im Laufe ihrer ersten drei Tage als Gefangene gelangten sie zu dem Schluss, dass es sich um sechs Geiselnehmer handelte, alle mit den gleichen Gesichtern und Stimmen, ausschließlich Arabisch sprechend. Sie trugen ähnliche Kleidung, eine Militärhose und einen Kapuzenpullover – beides schwarz –, um ihre Züge zu verbergen, sowie Schusswaffen, die technisch hochentwickelt aussahen.

Schlechte Aussichten.

Basilio griff nach dem Stoff des Shirts seiner Mutter und zupfte, um ihre Aufmerksamkeit einzufordern. »Wir sind jetzt drei Tage hier«, flüsterte er. »Niemand rettet uns. Überhaupt weiß kein Mensch, dass wir hier sind.«

Der Junge war im Gegensatz zu seinem Vater ein ungeduldiger Mensch.

»Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, Basilio? Es mit Soldaten aufnehmen, die bis an die Zähne bewaffnet sind?«

»Willst du lieber warten und nichts tun, bis sie uns abschlachten?«

»Basilio.« Sie streckte sich nach ihm aus und legte ihm eine warme Hand an eine Wange. »Dein Vater erfährt davon, und dann … dann wird alles gut.«

»Papa ist in Amerika, und wir sind … wo auch immer das hier ist. Wir wissen beide genau, dass Papa nichts unternehmen kann.«

Vittoria sah ein, dass der Junge recht hatte. Ihr Ehemann befand sich auf der anderen Seite des Erdballs, um den Papst von einem Glaubenstreffen zum nächsten zu fliegen – und wie von Basilio auf den Punkt gebracht, wussten weder sie beide noch sein Vater, wo sie waren. Wie also sollte jemand sie ausfindig machen, wenn sie ihren Aufenthaltsort nicht einmal selbst kannten?

»Wir müssen eine Möglichkeit finden, von hier wegzukommen«, fuhr der Knabe fort. »Vielleicht können wir, wenn die Wachen einschlafen …«

Vittoria würde nicht zulassen, dass sich Basilio vor lauter Heldenmut in Gefahr brachte. »Nein!« Es klang strenger als beabsichtigt. »Einer von ihnen bleibt immer wach, wie du weißt. Es gibt kein Entkommen, Basilio. Die Wände halten fest zusammen.«

Er baute sich großspurig mit machohaft geschwellter Brust vor ihr auf. »Dann sterben wir wie Feiglinge«, sagte er und kehrte sich ab, doch Vittoria erkannte, dass ihr Sohn lediglich Frust herausließ und sich eigentlich genauso sehr fürchtete wie sie. Sie war überzeugt davon, dass er auf die Knie fallen und um sein Leben betteln würde, falls einer ihrer Häscher eine Waffe auf ihn richtete.

Sie trat von den Schlitzen zurück und schloss ihre Augen. Das Schlimme bestand nicht darin, wie Feiglinge zu sterben, um es mit den Worten ihres Jungen auszudrücken, sondern in der Tatsache, dass sie aus Gründen getötet würden, die sie nicht verstanden.

Ihre Töchter schliefen auf der Pritsche.

Basilio ging in dieser Zelle auf und ab.

Und die Mutter wollte hinter ihrer Fassade bemühter Unbeugsamkeit weinen.

SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2)

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