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Kapitel 4

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Los Angeles, Kalifornien | Früher Abend

Eine päpstliche Konferenz stand für den Tag nach der Ankunft von Papst Pius XIII. in Dulles an. Seine Redereise sollte in Washington, D.C. beginnen und zwölf Tage später im kalifornischen Rose Bowl enden, ein bisweilen anstrengender Zeitplan mit teilweise nicht unumstrittenen Themen. Die Zahl der Zuschauer ging in die Millionen, und Gegenstand war die Notwendigkeit der Wahrung christlicher Werte gegenüber reformatorischen Bedürfnissen.

Seit Jahren schon schworen Geistliche traditionellen Sitten der römisch-katholischen Kirche ab, sofern diese tatsächlich überholt waren, und zeigten sich mit zunehmend liberaler Einstellung offen gegenüber Veränderungen. Pius hingegen diente, um den Funken religiöser Hoffnung wieder zu entfachen, und predigte, gewisse Freiheiten könnten nur den Anfang vom Ende bedeuten, falls man althergebrachte Bräuche nicht mit Disziplin wahre. Gegenwind wehte ihm natürlich seitens der Medien entgegen, die dies als Weigerung des Vatikans deuteten, sich den Wünschen der Anhänger zu fügen: Ohne Fortschritt keine Entwicklung. Die Kirche wiederum hielt bedachtsam mit einem Aphorismus dagegen und skandierte: Der Preis des Fortschritts ist Zerstörung. Der Papst glaubte, nichts weiter tun zu müssen, als jenen Funken wiederzufinden … und ihn von Neuem aufglimmen zu lassen.

Während seines Kampfs in diesem inoffiziellen Krieg zur Durchsetzung eines modernen Kreuzzugs für die Konsolidierung eines schwächelnden Glaubens wurde Pius bewusst, dass die Kirche in der Vergangenheit zahlreiche Aufbegehren überstanden hatte und dies auch in Zukunft tun würde. Einigkeit zu fördern war jedoch erwiesenermaßen ein sehr schwieriges Unterfangen, das den alten Mann nahezu ausgezehrt hatte. Es fiel ihm im Laufe des Tages zunehmend schwerer, sich auf seine innere Stärke zu berufen.

Schwer atmend schritt der Papst über den Berberteppich seiner Hotelsuite zu einem Sessel mit weichen Lederpolstern. In diesem Augenblick spürte er jedes seiner zweiundsiebzig Jahre. Trotzdem verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln.

Im Rose Bowl hatten sich neunzigtausend Zuschauer eingefunden – neunzigtausend Seelen entweder auf der Suche nach Heil und Erlösung oder im Bestreben, einen Blick auf eine lebende Ikone zu erhaschen, also ohne klares Ziel über den Unterhaltungswert hinaus, den das Kirchenoberhaupt bot. Falls ihn einige von ihnen verstanden hatten – egal wie viele es sein mochten und wie zurückhaltend sie den Herrn in ihre Herzen ließen –, war es ein Erfolg gewesen.

Er ließ sich einen Moment lang Zeit, um durch die Schiebeglastür nach Westen zu blicken, und verinnerlichte den Anblick. Ein Spektrum leicht unterschiedlicher Farben vereinte sich am Himmel zu einem vagen Regenbogen. Nicht mehr lange, bis der Himmel sich zu einem schwarzen Zelt verdunkelt hatte und die Stadt der Engel sich in eine bezaubernde Lichtschau verwandeln würde, als habe man einen Diamantschatz auf schwarzem Samt ausgebreitet.

Als er seine Augen schloss, erkannte der Papst, dass er an diesem Abend früh zu Bett gehen musste. In der Regel blätterte und las er zuvor noch in der Bibel, doch heute setzte ihm die Müdigkeit zu stark zu, als dass er nur den Ledereinband hätte aufklappen können. Allerdings trug Pius seinem Herrn Rechnung, indem er ihm dafür dankte, als unbekannter Mann zu einer so wichtigen Person geworden zu sein.

Amerigo stammte aus einer Großfamilie mit elf Kindern. Er liebte Gott und alles, wofür dieser stand, bereits seit seiner Kindheit: etwa das Gute oder Fürsorge und die Fähigkeit, Menschen zu beherrschen, um sie in eine Welt des Lichts und der liebevollen Seelen zu geleiten.

Sein Vater hatte leider nichts davon wissen wollen und seinen Sohn gemeinsam mit dessen Brüdern zur Feldarbeit gezwungen, weil er davon überzeugt gewesen war, der Wert eines Mannes ergebe sich daraus, wie viel er ernte, nicht durch Aneignung unnützer Kenntnisse, denn damit bringe man es in seinem Dorf zu nichts.

Drum hatte Amerigo, der von seiner Mutter daheim im Lesen, Auswendiglernen von Bibelpassagen und mathematischen Grundlagen unterrichtet worden war, fast ein Jahrzehnt lang gemeinsam mit seinen Geschwistern Ackerbau betrieben und sich die Hände am Pflug schwielig gearbeitet, bis er zu der Einsicht gelangt war, Bodenbestellen sei keine Berufung für ihn.

Er hatte seine Mutter jeden Sonntag zum Gottesdienst begleitet, an den Werktagen beim Schuften unter praller Sonne hingegen davon geträumt, Priestergewänder zu tragen und Predigten zu halten. Amerigos Wunsch war gewesen, von der Kirche ermächtigt zu werden, seinen Mitmenschen den Weg zu weisen.

An seinem achtzehnten Geburtstag hatte er das Ochsengespann stehen lassen und gegen den Willen seines Vaters – allerdings mithilfe des Dorfpfarrers, gegen den sich der Mann nicht hatte auflehnen wollen – die theologische Schule in Florenz besucht, sein erstes Sprungbrett gen Rom.

Während der darauffolgenden Jahre war Amerigo zum Kardinal berufen und ein angesehenes Mitglied der Kurie geworden, was letztlich dazu geführt hatte, dass ihn das Kardinalskollegium zum Nachfolger von Johannes Paul II. erwählte. Nach seiner Annahme des Postens nannte er sich Papst Pius XIII.

Und wie sein Vorgänger zeigte er sich jeder Rasse und Religion entgegenkommend, ließ niemanden außer Acht und half jedermann. Er wollte der Welt ganz mit Liebe und Toleranz begegnen, zuerst in Europa, dann im Zuge weiterer Reisen nach Mexiko sowie Südamerika und abschließend nun wieder in den Norden.

Im Vorjahr, zu Beginn dieses Unterfangens, war der Papst von einer Terroristenbande entführt worden, weshalb er seine Glaubensbotschaft nie hatte verkünden können. Jetzt, nach seiner Wiedergenesung, galt es, dieses Vorhaben nachzuholen, was ihm auch gelang: Seine Stimme erreichte mehr als eine halbe Million Menschen auf dieser Seite der Welt, ausgehend von Kanada bis nach Feuerland.

Nachdem er seine Brille ausgezogen und auf die Armlehne gelegt hatte, fuhr sich Pius mit einer Hand durchs Gesicht, dessen Falten vor Müdigkeit noch tiefer geworden zu sein schienen. Dann rieb er sich die Augen, die brannten und früher leuchtend blau gewesen, während seiner Amtszeit aber trüber geworden waren. Die Intelligenz dahinter blieb indes erhalten, und die inzwischen stahlgraue Farbe deutete auf seine Willenskraft hin.

Im Laufe eines leisen Gebetes, bei dem er den Mund fast nicht bewegte, verloren sich seine Worte.

Papst Pius schlief ein.

Die Erinnerungen suchten ihn jede Nacht heim.

Hinter erstickendem Sand, dem Staubvorhang eines Sturms, waren ihm mehrere Gestalten auf den Fersen. In einer Welt, lohfarben wie die Wüste, wo wabernde Dunstwolken die Sonne verdunkelten, kam er sich vor wie in einem Sumpf, der alle Bewegungen erschwerte wie in einem schlechten Traum. Er drängte weiter vorwärts, trotz des kräftigen Windes, in dem sein verschlissenes Gewand hinter ihm flatterte wie eine Fahne bei böigem Wetter, und näherte sich einem unbekannten Horizont, das Gesicht teilweise bedeckt mit einem schmutzigen Tuch, das allzu deutlich von einer lebenslangen Pilgerschaft zeugte.

Und die Toten folgten ihm.

Durch den Wüstenschleier zogen zwei Schemen mit Gesichtern aus welligen Schatten statt greifbarer Form, und ihre Klagerufe vereinten sich mit dem Pfeifen des heißen Windes.

Dann schloss der Mann seine Augen und blieb auf einer hohen Düne stehen, während Sandkörner wie Wellen übers Wüstenterrain rollten und sein Gewand immerzu gepeitscht wurde. Hier war er Herrscher, Diktator eines Königreichs, das niemand regieren wollte.

Drum setzte er seinen Weg wie durch Morast fort, marschierte auf der Suche nach einem Retter durch ein fernes Land, das es vielleicht gar nicht gab.

Und die Schatten stellten ihm nach, die beiden jungen Schäfer, die er vor Ewigkeiten getötet hatte.

Ihre Stimmen glichen gottlosem Wehgeschrei, das die Luft nahezu gänzlich verwehte, doch ihre Ansage war klar: So weit du auch wegläufst, die Hölle wird dir immer folgen.

In diesem Moment wurde Kimball Hayden stets mit heftigen Kopfschmerzen wach. Als habe ihm ein Maultier gegen eine Schläfe getreten. Für Freudsche Psychologen mochte das, was sich vor seinem geistigen Auge abspielte, leicht zu erklären sein, aber loszulassen fiel schwer.

Mehrere Jahre zuvor hatte er die Force Elite geleitet, eine Spezialeinheit von Soldaten für Geheimoperationen, die nur dem Weißen Haus intern und den Stabschefs bekannt gewesen war.

Seit des 1976 während der Amtszeit von Präsident Ford erfolgten Verbots gezielter Ermordungen gehörten unter Verschluss gehaltene Besprechungen unter den Sicherheitsdiensten zur Norm, wobei das Gesetz oft missachtet wurde, weil das Töten von Feindelementen in gewissen Situationen zugunsten eines übergeordneten Wohles unerlässlich sei.

Deshalb hatte er kraft des Militärs als Geheimagent fungiert, der darauf spezialisiert war, im Ausland Morde zu begehen. 1990 hatte man ihn beauftragt, drei Schlüsselabgeordnete aus Saddam Husseins Kabinett zu beseitigen, die für Unterhandlungen mit russischen Abweichlern verantwortlich gewesen waren, bei denen es um waffenfähiges Plutonium ging. Man hatte die Männer jedoch tot in Tscheljabinsk gefunden, erschossen mit einem Rav-22 LR, der Vorzugswaffe des Mossad für Hinrichtungen. Wegen dieses Gewehrs war man auch auf eine falsche Fährte geführt und verleitet worden, Israel die Schuld zuzuweisen.

Seitdem hatte der Irak nie wieder ernsthaft versucht, sich zu einem Kernwaffenarsenal zu verhelfen.

1991 schließlich war Kimball Hayden gebeten worden, einen weiteren Mord zu begehen. Sein Ziel diesmal: Saddam Hussein persönlich.

Sofort als Iraker auf kuwaitischem Boden einfielen, um im Land zu plündern und zu brandschatzen, verlangten die USA und ihre Verbündeten im Mittleren Osten, Hussein möge unverzüglich abrücken. Darauf folgten mehrwöchige erfolglose Verhandlungen, weshalb die Koalition der Vereinigten Staaten schließlich mit einem Gegenschlag eingriff. Just zu dem Zeitpunkt wandten sich mehrere bedeutsame Stabschefs an Hayden, der Hussein vor dem geplanten Angriff der Alliierten ausschalten sollte, denn sie glaubten, man könne Krieg verhindern, wenn sich die Republikanische Garde in Wohlgefallen auflöse, weil der Diktator sie nicht mehr befehlige. Der zeitige Rückzug aus kuwaitischem Gebiet würde den Eingriff der Koalitionsmächte im Falle von Kimballs Erfolg verhindern, so er Hussein aus dem Verkehr zog.

Während die Zeit jedoch bei all den Verhandlungen knapper wurde, reiste Hayden heimlich in den Irak, ohne Fragen zu stellen, was sich von selbst verstand. Ebensolche Gesten eiskalter Stärke, die an eine herzlose Maschine denken ließen, stellten ihn dem Weißen Haus als schillernden Schatten dar, der weder ein Gewissen hatte noch Reue oder Sorge kannte. Mit diesem Image brüstete sich Kimball dann auch und betrachtete sich als überlebensgroße Persönlichkeit.

Am siebten Tag auf seinem gewagten Weg gen Bagdad stieß er auf zwei Knaben mit einer Ziegenherde. Der eine war höchstens vierzehn, der andere ungefähr zehn Jahre alt, und beide trugen Stöcke aus krumm gewachsenem Olivenholz.

Kimball blieb versteckt, indem er sich mit dem Rücken an die Sandböschung eines Ablaufkanals drückte. Dabei hörte er, wie die Tiere nur wenige Fuß über ihm blökten, und auf einmal fiel der Schatten des kleineren Jungen auf ihn. Dieser hatte Kimball von oben bemerkt. Seine schmächtigen Umrisse zeichneten sich vor der grellweißen Sonne ab, deren Licht hinter ihm streute wie ein Heiligenschein. Prompt stürzte der Knabe los und schlug lauthals Alarm.

Kimball fuhr hoch und entsicherte unversehens seine Waffe, legte an und feuerte. Die Kugel traf den Jungen mit voller Wucht und riss ihn im Sand nieder, sodass eine Wolke aufstob, als er landete. Der ältere verharrte bewegungslos wie eine Salzsäule mit offenem, zu einem großen O geformten Mund, wie zum stummen Einspruch, während sein Blick abwechselnd auf den Toten – seinen Bruder – und den Schützen fiel. Als auch er davonlaufen wollte, gab Kimball noch einen einzelnen Schuss ab. Der Knabe war tot, bevor sein Körper am Boden aufschlug.

An jenem Abend begrub er die beiden Jungen mit ihren Stöcken in dem Kanal. Kimball Hayden schüttete die Löcher mit Sand zu und verscheuchte die Ziegen. Als er fertig war, setzte er sich vor die beiden Erdhügel und erwog, die feinen Herren im Weißen Haus hätten möglicherweise doch recht. Vielleicht war er wirklich unmenschlich. Vielleicht vermochte er nicht, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden, getrieben einzig und allein von empfindungslosem Pflichtbewusstsein.

Stundenlang überlegte er und hinterfragte sein Wesen in der Selbstbetrachtung.

Als es dann ganz dunkel war – er hatte von der Sonne Blasen an die Lippen bekommen –, weigerte er sich, einen Unterschlupf zu suchen, legte sich mit je einer verkrampften Hand auf einem Haufen zwischen die Gräber und betete um Vergebung … nicht durch Gott, sondern die Erschossenen.

Zur Antwort hörte er nur das leise Rauschen von Wüstensand, den der Wind verwehte.

Während er dalag und beobachtete, wie der Mond am mit unendlich vielen Sternen gespickten Himmel entlangwanderte, traf Kimball Hayden eine Entscheidung.

Am nächsten Morgen kehrte er zur syrischen Grenze zurück, woraufhin Präsident Bush und die Stabschefs nie wieder von ihm hören sollten. Im Weißen Haus glaubte man, er sei in Ausübung seiner Pflicht umgekommen. Weniger als zwei Monate nach Beginn des Feldzugs gegen den Irak wurde Hayden posthum von den Köpfen des Pentagons geehrt.

Der Angriff der Amerikaner und Koalitionsmächte begann jedoch schon vierzehn Tage nach seiner Fahnenflucht, als er in einer Bar in Venedig saß und einen Weinbrand trank. Ebendort nahm ihm gegenüber ein Mann mit dem Kollar eines römisch-katholischen Geistlichen Platz, ohne um Erlaubnis zu bitten.

»Ich möchte eigentlich allein sein, Vater«, machte Kimball deutlich. »Für mich ist es sowieso zu spät.«

Der Priester lächelte ihn an. »Wir haben dich beobachtet«, entgegnete er.

Kimball konnte sich nur vorstellen, wie sein Gesichtsausdruck auf sein Gegenüber wirken musste. »Verzeihung … Sie haben was?«, fragte er ihn.

»Kimball Hayden.« Der Mann hielt ihm eine Hand hin. »Mein Name ist Bonasero Vessucci – Kardinal Bonasero Vessucci.«

Dies markierte den Beginn einer neuen Seilschaft.

Der Mann also, dem man einst die Fähigkeit abgesprochen hatte, zerknirscht zu sein, arbeitete nun als Elitesoldat für die Kirche.

Er gehörte nicht der Schweizergarde an.

Ebenso wenig war er ein Mitglied des italienischen Militärs.

Er war ein Ritter des Vatikan.

Kimball Hayden setzte sich in seinem Bett auf. Sein halb zugedeckter Oberkörper ließ einen gut trainierten Bodybuilder vermuten, denn er hatte Oberarme dick wie die Oberschenkel eines durchschnittlichen Mannes, woran vor allem die Trizepsmuskeln beeindruckten.

Auf der Suche nach Heil im Glauben wähnte er sich von jeher in einer Komfortzone, auch wenn diese weder unverrückbar noch abgeschlossen war. Jener Traum suchte ihn immer wieder heim, wobei sich das Szenario nie veränderte, was den psychoanalytischen Schluss zuließ, die überwältigenden Schuldgefühle, die ihn aufgrund des Mordes an zwei Kindern plagten, hätten zu einer plötzlichen Epiphanie geführt, die anscheinend nicht genügte.

Schloss Kimball die Augen, stellte er sich Fragen wie: Wirst du mir je vergeben, Herr? Kannst du mir irgendwann verzeihen? Insgeheim glaubte er aber, wahre Vergebung bleibe ihm aufgrund der Tatsache, dass er einen Krieg aufgegeben hatte, um gegen seine persönlichen Dämonen zu kämpfen, für immer verleidet. Diese Dämonen wiederum würden ihn niemals vergessen lassen, sondern Nacht für Nacht zurückkehren, um das bisschen Hoffnung zu untergraben, das er hatte – die Vergangenheit, die von Tötungen durch seine Hand überschattet war, eines Tages hinter sich lassen zu können.

Er stand aus dem Bett auf und stellte sich nackt im Mondlicht vor ein Schiebeglasfenster, das Los Angeles überblickte. Die Stadtbeleuchtung, viele kleine Lichtpunkte, erinnerten ihn an jene Nacht im Irak, als er mit Blick zum Himmel auf dem Wüstengrund gelegen hatte, zwei Kinder unter der Erde neben ihm und je eine seiner Hände auf ihren Gräbern.

Dies blieb zweifelsohne seine finsterste Erinnerung.

Im Dunkel des Zimmers seufzte er, bevor er sich vor die Scheibe setzte und ihn das Bedürfnis überkam, Alkohol zu trinken.

Was hat sich denn wirklich verändert?, fragte er sich.

Seine Verbindlichkeiten, seine Kriterien hingegen nicht. Unter Kimballs Leitung war ein Soldatentrupp in philippinische und südamerikanische Dschungel eingedrungen, um die Leben als Geiseln entführter Missionare zu retten. Ein andermal hatten sie Ostblockstaaten bereist, um sich am Schutz von Priestern vor aufständischen Dissidenten zu beteiligen, und waren auch nicht selten in Drittweltländern zwischen die Fronten im Clinch befindlicher Religionsorganisationen geraten. Persönliche Differenzen standen stets hintan, wenn sie als Ritter des Vatikan auftraten.

Der springende Punkt war, egal wie überschaubar oder ausufernd – Krieg bleibt Krieg. Deswegen sterben weiterhin Menschen im Bestreben, ein leckes Schiff vorm Untergang zu bewahren. Sie schöpfen nur Wasser, statt die Löcher zu flicken.

Seine Komfortzone mochte zwar auch die Front auf dem Schlachtfeld umfassen, doch Kimball brauchte Abstand von allem, das einen wesentlichen Teil seiner Welt ausmachte. Vonnöten war eine Pause, weiter Abstand von der Menschen ewiger Sünde Lohn, und den konnte er nehmen, indem er während der Versammlung als persönlicher Diener des Papstes arbeitete.

Angesichts der schadhaften Träume, die ihn quälten, hätte Kimball Hayden nie gedacht, er müsse einmal auf seine sehr speziellen Fähigkeiten zurückgreifen, um sich selbst zu retten, den Papst und insbesondere die freie Welt.

Er schaute auf die roten Digitalziffern seines Weckers. Es war noch nicht einmal nach Mitternacht.

Trotzdem würde er warten, bis der Morgen anbrach.

SHEPHERD ONE (Die Ritter des Vatikan 2)

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