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Der ganz normale Wahnsinn

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Zwei Wochen waren wie im Flug vergangen. Im Verlag liefen die ersten Meetings für den kommenden Spitzentitel von Stefan Sommer an. Denn Mathildes Tagebuch würde ein Spitzentitel werden, da waren sich alle einig, nachdem sie Marlenes ausführliches Briefing gehört hatten. Wie sollte man die Presse ansprechen? Vor allem: Welche Presse? Anders als bei sonstigen Titeln kam hier ja aufgrund der Popularität des Autors auch der Boulevard infrage. Und natürlich waren die Feuilletons aller großen Tages- und Wochenzeitungen wichtig. Und der Hörfunk. Das Fernsehen? Warum nicht. Nele rotierte und ließ ihre Kontakte spielen.

Marlene nutzte jede freie Minute, um die Handschrift in ein lesbares Word-Dokument zu übertragen. Sie kam gut voran, aber es gab halt auch noch anderes zu tun. Die Frühjahrsvorschau musste vorbereitet werden. Peter hatte eine – wie immer knappe – Frist für die Budgetplanung des kommenden Jahres ausgegeben. Da musste sie rechnen. Und viele Unwägbarkeiten möglichst realistisch oder zumindest glaubwürdig schätzen. Allzu sehr wollte sie nicht daneben liegen, auch wenn sie bei manchen Positionen gern auf eine Kristallkugel zurückgegriffen hätte. Und natürlich waren immer noch die Nachwehen der Buchmesse abzuarbeiten. Zum Beispiel die Beschwerde von Frau Meyer-Wübbecke, die sich auf dem Autorenempfang nicht ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt gesehen hatte. Marlene wusste auch genau, woran das gelegen hatte: Der Sekt war ausgegangen, bevor Frau Meyer-Wübbecke kurz vor Ende des Empfangs endlich erschienen war. Ein Fan hatte sie mit Autogrammwünschen aufgehalten. Und dann war man ins Plaudern geraten. Nun waren die Canapés geplündert, der Rotwein war ihr zu schwer und beim Riesling vertrug sie die Säure nicht. Da hatten alle freundlichen Worte und Schmeicheleien nichts geholfen. Man war verstimmt. Es galt dennoch, die Dame zu beruhigen und wieder einzufangen. Telefon oder Mail? Marlene entschied sich für Letzteres. Da konnte sie ihre Worte sorgfältig wählen und musste das Ganze erst abschicken, wenn alles stimmig war. Wie viel Kreide musste sie wohl schlucken, um erfolgreich zu sein?

Plötzlich kam ihr eine Idee. Tat sich Frau Meyer-Wübbecke nicht viel darauf zugute, dass sie eine Feministin der ersten Stunde war? Sie würde die Gute als Multiplikatorin in das Stefan-Projekt einbeziehen. Schaden könnte es auf keinen Fall, die Kontakte der Herausgeberin zu Politik und Presse waren exzellent. Und dem Charme des bekannten Schauspielers würde sie auf den ersten Blick erliegen und sich für ihn zerreißen. Natürlich durften zum jetzigen Zeitpunkt nur Andeutungen gemacht werden. Aber wenn sie sich ausgiebig entschuldigte und dann begann, dem ausgeprägten Ego der streitbaren Amazone zu schmeicheln, und sie gleichzeitig um ihre unschätzbare Hilfe bat – ja: Das würde klappen. Fröhlich machte Marlene sich ans Werk.

Nachdem sie die Mail abgeschickt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Sandra, um sie zu einem gemeinsamen Mittagsimbiss beim Italiener um die Ecke zu überreden. Diese Belohnung hatte sie sich heute verdient. Marlene war schon halb aus dem Zimmer, als das Telefon klingelte. Ihre Arbeitsmoral gewann für diesmal den Kampf gegen den Hunger. Es könnte ja wichtig sein. Sie hob ab. Und ob es wichtig war: Stefan. „Hi, Marlene, ich sitze im Zug von Berlin nach Frankfurt. Und ich sterbe vor Hunger: Der Speisewagen fährt aus unerfindlichen Gründen heute nicht mit. In fünfzehn Minuten halten wir bei dir. Ich habe vor, kurz zu unterbrechen, ehe es mich dahinrafft, und am Nachmittag weiterzufahren. Kennst du ein Restaurant in Bahnhofsnähe? Und hast du Zeit für ein Treffen? Ich habe sogar ein erstes Konzept in der Tasche.“

Fantastisch, fantastisch. Dann musste Sandra halt allein essen gehen. Mit der konnte sie auch morgen zum Italiener. Begeistert sagte Marlene zu und schlug vor, Stefan am Bahnhof abzuholen. Das konnte sie gerade so schaffen. Und ein Ristorante gab es gleich neben dem Bahnhof auch. Sie bestellte sicherheitshalber noch einen Tisch, stopfte einen Ausdruck der bereits transkribierten Manuskriptseiten in ihre geräumige Handtasche, machte noch schnell einen Abstecher in den Waschraum, um frischen Lippenstift aufzutragen, und eilte dann los.

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