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Im Büro und anderswo

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Am nächsten Morgen holte der Alltag Marlene wieder ein: Was sich halt so auf dem Schreibtisch türmt, wenn man ein paar Tage nicht da war. Das ging nicht nur ihr so, der halbe Verlag war ja auf der Messe gewesen. Insofern wurde sie wenigstens nicht von Kollegen behelligt, die hatten alle genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun.

Gegen vierzehn Uhr hatte Marlene ihre Mails einmal durchgesehen, das Unwichtige gelöscht, das Wichtige in Kategorien eingeteilt und alles, was schnell zu bewerkstelligen oder weiterzuleiten war, erledigt. Die langwierigen Aufgaben würde sie ab morgen abarbeiten. Jetzt musste sie erst einmal die Messe nachbereiten, so lange noch alles frisch war. Aber zuerst brauchte sie eine Mittagspause. Und etwas zu essen.

Zum Glück lag das Verlagsgebäude mitten in der idyllischen Altstadt, wo es an jeder Ecke einen Imbiss, ein Café oder mindestens eine Dönerbude gab. Wonach war ihr denn? Zu üppig sollte es nach dem wunderbaren Abendessen gestern eher nicht sein, sonst könnte sie die neue Lederhose, die sie sich aus Frankfurt mitgebracht hatte, gleich wieder vergessen. Und überhaupt. Satt machte müde, und das konnte sie überhaupt nicht gebrauchen. Also vielleicht Thai Curry? Das gab es zwar neulich abends mit Stefan Sommer erst, aber das ging immer. Es schmeckte, war schnell zubereitet und machte nicht dick. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen.

Satt und zufrieden betrat sie eine Stunde später ihr kleines Büro, wo passgenau das Telefon läutete. „Winter“, meldete sich Marlene, die Handtasche noch in der Hand und mit einem Arm noch halb in ihrer Jacke. In der Eile hatte sie nicht aufs Display geschaut – sonst hätte sie wohl erst einmal den Anrufbeantworter drangehen lassen.

„Hier ist Stefan Sommer“, tönte es aus dem Hörer. „Ich wollte nur mal hören, ob Sie gut wieder zu Hause angekommen sind.“ – „Oh, hallo, ja, das bin ich. Und Sie?“ Sehr originell. Was sollte er von ihr denken? Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen. „Ich hoffe, die Arbeit geht voran?“, schob sie schnell nach. Ganz die professionelle Lektorin. Gut so.

„Na ja, die Quellenlage ist unverändert hervorragend.“ Stefan Sommer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Weswegen ich anrufe: Könnten Sie mir, bevor ich richtig loslege, schon mal einen Vertragsentwurf zuschicken? Damit ich einen Terminanreiz habe, um fertigzuwerden? Und schon mal überlegen kann, welches Ferrari-Modell ich mir vom Honorar wohl zulege?“ Er lachte.

Das meinte er doch hoffentlich nicht ernst. Oder? Oder??? Marlene zögerte einen winzigen Moment. Dann sagte sie: „Selbstverständlich müssen wir über die Konditionen reden. Auch der Verlag hat ja ein großes Interesse, Sie fest zu binden. Sonst überlegen Sie es sich kurz vor Fertigstellung am Ende und laufen zur Konkurrenz über. Als Termin wäre natürlich eine Vorstellung des Buches auf der nächsten Frankfurter Messe ideal. Da würde unser Marketing so richtig was lostreten. Ob das zu früh käme, können allerdings nur Sie beurteilen. Ich kenne ja Ihre sonstigen Termine nicht. Man könnte auch Leipzig, ein halbes Jahr später, ins Auge fassen. Was das Honorar betrifft: Eventuell sollten Sie mal schauen, ob es nicht eine Preisklasse drunter auch schöne Autos gibt. Was, äh, hatten Sie sich denn so vorgestellt?“

Elegant aus der Affäre gezogen. Jetzt musste er kommen. Für fünf Prozent würde er nicht anbeißen, das war Marlene natürlich klar. Aber wie weit würde sie gehen können? Wie hoch sollte sie die Auflage realistischerweise ansetzen? Das musste sie schnellstmöglich mit Peter und Nele besprechen. Überhaupt: Ihr Chef wusste ja noch gar nichts von dem Coup. Und Nele auch nicht. Die Marketingleiterin würde begeistert sein. Bei solchen Projekten lief sie zur Höchstform auf. Leider gab es sie nicht so häufig, wie Nele das gern gehabt hätte. Aber einen Stefan Sommer konnte man sich eben auch nicht backen. Marlene würde natürlich bescheiden auftreten, wenn sie den Joker aus der Tasche zog. Aber zugeben, dass ihr dieses Goldstück quasi unverhofft in den Schoß gefallen war – soweit würde sie dann auch wieder nicht gehen. Immerhin war die Empfehlung durch Andreas Martens ja ihrer hervorragenden Arbeit zu verdanken.

All das wirbelte blitzschnell durch ihren Kopf. Und so wurde ihr erst mit leichter Verzögerung klar, dass ihr Gegenüber stumm blieb. „Hallo, sind Sie noch dran? Müssen Sie noch rechnen?“ Sie versuchte es mit einem Scherz.

„Nein, das muss ich nicht“, Stefan Sommer klang auf einmal sehr sachlich. „Andreas hat mich über die Honorarzahlungen des Verlags hinlänglich aufgeklärt. Ich mache mir da keine Illusionen. Und aufs große Geld kommt es auch gar nicht an. Aber ein neues Mountainbike sollte irgendwie schon drin sein bei all der Arbeit.“ Marlene atmete auf. „Natürlich, gute Arbeit ist ihren Lohn wert. Ich bringe ja auch kein Geld mit, damit ich in diesem Büro sitzen darf. Obwohl ich manchmal denke, das wäre ganz angemessen. Bei den tollen Autoren, die ich so kennenlerne.“ Sie biss sich auf die Zunge. Ganz so dick sollte sie dann vielleicht doch nicht auftragen. Aber es wirkte.

„Wissen Sie was?“, erklang es am anderen Ende der Leitung, „bis Donnerstag bin ich in Berlin gebunden. Aber am Freitag habe ich eine Abendvorstellung in Köln. Im Stadttheater. Früchte des Zorns – immer wieder schön. Und passend. Ich schicke Ihnen eine Karte. Danach gehen wir nett essen und klären alle Details. Und am Samstag kann ich Ihnen dann noch das Originalmanuskript zeigen, wenn es Sie interessiert.“

Marlene überlegte. Am Freitagabend war sie mit Lukas bei ihrer besten Freundin Alex verabredet. Alex hatte kürzlich Tim kennengelernt und wollte ihn stolz vorführen. Und Alex kochte fantastisch. Aber was gab es da zu überlegen. Stefan Sommer ging natürlich vor. Vielleicht konnte Alex das Essen um einen Tag verschieben? Und wenn nicht – egal. „Das wäre natürlich eine wunderbare Gelegenheit. Super. Das kann ich einrichten.“ Marlene zeigte sich angemessen begeistert, und sie verabredeten die Details. Als sie aufgelegt hatte, machte sie als erstes einen Termin mit Peter und Nele für den kommenden Vormittag. Dann rief sie Alex an und verschob das Essen. Das klappte zum Glück. Und dann schrieb sie es Lukas. Zehn Minuten später las sie seine Antwort. „Mist. Das verstehe ich natürlich. Aber am Samstagabend kann ich nicht. Du weißt doch: Da ist Fußball mit den Jungs. Müsst ihr halt ohne mich auskommen.“

Marlene biss sich auf die Unterlippe. Klar, Samstagabend war alle vierzehn Tage Fußballtraining. Das wusste sie eigentlich. Auch, dass dieser Termin heilig war. Die Jungs kannten sich noch aus der Schule und reisten zum Teil bis zu fünfzig Kilometer an, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Na gut, es war nicht zu ändern.

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