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Ein Konzept mit Konsequenzen

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Im Laufschritt bog Marlene um die Ecke und betrat die Bahnhofshalle. Da stand er ja schon. Hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen und hoffte offenkundig, dass ihn niemand erkannte. Da war wenig Gefahr, die Leute hatten es eilig und achteten nicht auf andere Menschen, wenn sie nicht gerade im Weg standen. Und wer rechnete auf diesem Provinzbahnhof schon mit Stefan Sommer?

Bald darauf saßen sie sich bei einem Teller Pasta gegenüber und brachten sich aufs Laufende. Stefan war unterwegs zu einem Außendreh, der irgendwo in der hessischen Wetterau stattfinden sollte. Das mit dem vorhandenen Konzept in seiner Tasche war allerdings ein klitzekleines bisschen übertrieben gewesen. Er hatte die Zugfahrt genutzt, um erste Gedanken zu notieren. Ohne nähere Kenntnis dessen, was seine Heldin überhaupt zu Papier gebracht hatte, war das naturgemäß etwas dünn. Das wusste er selbst. „Aber es war mir klar, dass ein Gespräch mit dir mich auf jeden Fall weiterbringen würde.“ Bei seinem etwas verlegenen Lächeln schmolz Marlene dahin. „Das Gespräch vielleicht nicht“, sagte sie und zog den Papierpacken aus ihrer Handtasche. „Aber das hier.“ Sie reichte ihm die Seiten, die etwas mehr als die Hälfte des Manuskripts enthielten. Stefan machte große Augen. „So weit bist du schon? Das ist ja perfekt. Und du hast natürlich recht: Was da steht, wird mir Schwung geben.“

„Da ich schon weiß, was da steht, bin ich davon absolut überzeugt. Diese Mathilde war eine klasse Frau. Und dein Urgroßvater war auch nicht ohne.“

„Ich fang gleich nachher an zu lesen. Und morgen auf der Rückfahrt hab ich ja auch viel Zeit. Was meinst du, wie lange brauchst du für den Rest?“ Marlene zögerte. Es lag jede Menge andere Arbeit auf ihrem Schreibtisch. Aber heute war Donnerstag. Und wenn sie das Tagebuch übers Wochenende mit nach Hause nahm, dann würde sie einen großen Schritt weiterkommen. „Irgendwann nächste Woche hast du es. Vielleicht schon am Montag. Aber das kann ich nicht versprechen.“

Stefan winkte dem Kellner. „Keine Widerrede. Heute zahle ich. Schon allein als Dankeschön für deine tolle Unterstützung.“ „Okay, dann bedanke ich mich“, Marlene nickte. „Und hoffe, dass du mit dem Material etwas anfangen kannst. Aber da bin ich eigentlich ganz sicher. Das ist so lebendig.“

„Du bist nicht böse, wenn ich schon aufbreche, oder? Mein Zug geht um 14 Uhr 13. Und der nächste erst in zwei Stunden.“ „Nein, natürlich nicht. Ich muss ja auch wieder an die Arbeit. Wir hören voneinander.“ Weg war er.

Zurück im Verlag war Marlene für die nächsten zwei Stunden in einer Marketingbesprechung zur Vorbereitung der anstehenden Vertreterkonferenz beschäftigt. Als sie wieder an ihren Schreibtisch zurückkehrte, war es draußen schon dämmrig. Es wurde halt langsam Winter und immer früher dunkel. Sie machte Licht und aktivierte ihren PC. Acht neue Mails, sechs davon mit dem Absender Stefan Sommer. Na, der hatte wohl auf der Fahrt Langeweile gehabt. Marlene öffnete die erste. „Wie gut, dass wir uns getroffen haben. Stehe hier auf freier Strecke kurz vor Hanau. Triebwerksschaden. Ohne unser Mittagessen würde ich jetzt elend verhungern.“ Die nächste: „Stehen noch immer. Kein Ende abzusehen.“ Die nächste: „Es geht immer noch nicht weiter. Gerüchteweise wollen sie uns evakuieren und mit dem Bus nach Frankfurt bringen. Nur: Wo soll der herkommen. Hier ist weit und breit keine Straße.“ Die vierte: „Immer noch nichts Neues. Jetzt stehen wir schon drei Stunden. Es wird langsam dunkel.“ Allmählich wich ihr Mitgefühl einer leisen Belustigung. Hatte der sonst niemanden, dem er sein Leid klagen konnte? Wartete er seit Stunden vergeblich auf ihren Beistand? Und könnte er seine Zeit nicht auch sinnvoller verbringen als sich im Minutentakt selbst leidzutun?

Aber dann dachte sie an die vielen Gelegenheiten, bei denen sie selbst der Bundesbahn schon hilflos ausgeliefert gewesen war. Man hatte da irgendwann keine Lust mehr zu gar nichts. Und fügte sich apathisch in sein Schicksal. So schien es Stefan auch zu gehen. Mail Nr. Fünf vermeldete unveränderten Stillstand. Und die letzte Nachricht, die erst vor wenigen Minuten eingetrudelt war, die würde wohl auch keine anderen Neuigkeiten enthalten. Aber: Überraschung! „Es geht wieder los. Hurra. Danke noch mal für heute Mittag. Du hast meinen Tag gerettet.“

Schön. Das war gut zu wissen.

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