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Unter Freunden

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Als Marlene nach Hause kam, war Lukas bereits beim Fußballtraining. Er hatte ihr einen Schokomuffin vom Bäcker mitgebracht und ihn liebevoll mit ein paar Trauben auf einem Tellerchen arrangiert. Daneben lag ein Zettel: „Hab dich lieb.“ Süß. Marlene war gerührt und griff zu. Im Zug hatte sie nichts essen wollen und das Frühstück war lange her. So würde sie wenigstens nicht völlig ausgehungert bei Alex ankommen.

Schnell schlüpfte sie unter die Dusche, zog ihr bequemes Lieblingsstrickkleid und passende Stiefeletten an und musste auch schon los. Die Zeit raste. Marlene griff sich eine Flasche Rotwein, die sie gestern schon als Mitbringsel bereitgestellt hatte und stand beinahe pünktlich um kurz nach sieben bei Alex vor der Tür.

Alle anderen waren schon da. Zwei Pärchen – Nina, Max, Jessica und Mike – die sie nur vom Hörensagen kannte, die aber nett zu sein schienen. Und Tim. Freudestrahlend stellte Alex ihn vor. Man sah ihr an, wie begeistert sie von ihm war. Marlenes erster Eindruck war: Versteh ich nicht. Tim war groß, blond, offensichtlich gut im Training und sah nicht schlecht aus. Aber sein Blick war irgendwie unstet, er sah ihr nicht in die Augen und nuschelte statt einer herzlichen Begrüßung nur ein schwer verständliches ‚Hallo‘, als er ihr die Hand reichte. Schlaffer Händedruck, wenig Präsenz – Marlene war irritiert. Das genügte den hohen Ansprüchen ihrer Lieblingsfreundin? Wie sie im Laufe des Abends noch merkte, wurde Alex von Tim bei Weitem nicht so liebevoll behandelt und beachtet, wie das umgekehrt der Fall war. Das sollte bei einem Frischverliebten doch eigentlich anders sein. Da war ja Stefan aufmerksamer. Und der war nicht verliebt.

Aber wie auch immer: Das Essen war gut, der Wein auch. Es wurde ein gemütlicher Abend. „Zu schade, dass Lukas nicht hier sein kann“, sagte Alex zwei Stunden später, als alle satt und faul um den abgeräumten Tisch saßen. „Na, sein Training ist ihm heilig, das weißt du ja“, entgegnete Marlene. „Und schuld bin schließlich ich mit meiner blöden Dienstreise. Vielen Dank noch mal an alle, dass ihr der Verlegung auf heute zugestimmt habt.“

„Wie war es denn nun eigentlich in Köln? Muss ja ein wichtiger Autor sein, wenn du sogar deinen Samstag für ihn opferst.“ Das kam von Nina, die den Beruf der Lektorin offenbar für weniger strapaziös gehalten und dabei mehr an gemütliches Lesen und schicke Empfänge gedacht hatte. Natürlich konnte Marlene zu diesem Zeitpunkt weder Konkretes zum Buch verraten noch gar den Namen ihres prominenten Autors preisgeben. Vielleicht wurde es ja schlussendlich doch nichts. Es wäre nicht das erste viel versprechende Projekt, das mit großem Enthusiasmus startete und sich dann still und leise verabschiedete. Nicht dass sie Grund zu der Befürchtung gehabt hätte, aber da war sie ein wenig abergläubisch.

Tim interessierte sich offenbar weniger für Bücher. Oder überhaupt für etwas anderes als sich selbst. Er begann, lang und breit von einem Wettkampf zu berichten, den er am kommenden Wochenende bestreiten wollte. Nein, kein schnöder Marathon. Sowas machte ja heutzutage jeder. Es handelte sich um einen Iron-Man-Wettbewerb. „Aber alles nur halbe Strecke, so zum Eingewöhnen“, warf er lässig in den Raum. „Ich werde das systematisch aufbauen. Und Alex übernimmt die Orga und die Verpflegung an der Strecke, nicht wahr, Baby? Diesen offiziellen Energy-Krempel plus Banane kannst du dir ja nicht antun.“

Hoppla. Baby? Baby??? Marlene glaubte sich verhört zu haben. Ihre toughe Freundin Alex, Rechtsanwältin mit eigener Kanzlei und bestens vernetzt in der örtlichen Kunstszene, sollte ab jetzt ihre Wochenenden damit verbringen, an zugigen Landstraßen darauf zu warten, dass der Liebste keuchend herantrabte? Um ihm dann eine Banane zu reichen? Oder nee, eine Banane ja grade nicht. Na, das würde nicht lange gutgehen. Noch sah es aber nicht nach Trennung aus. Alex himmelte den Typen förmlich an. Der musste irgendwelche verborgenen Qualitäten haben. Ersichtlich waren sie jedenfalls nicht.

Jessica schien das auch so zu sehen. Mit zweifelnd zusammengezogenen Augenbrauen wandte sie sich an Alex: „Na, dann kann ich unsere gemütlichen Joggingrunden am Samstagvormittag wohl künftig vergessen? Dafür wirst du dann ja keine Zeit mehr haben. Oder?“ „Aber natürlich“, Alex widersprach heftig. „Nur am nächsten Samstag halt nicht. Oder eventuell müssten wir vielleicht mal etwas früher aufstehen. Ich will ja auch in Form bleiben. Und mit Tim kann ich natürlich nicht mithalten.“ „Äh, nee. 4:18 im Schnitt“, warf der lässig in den Raum. Alle schwiegen beeindruckt. Auch Marlene. Das war bestimmt sehr großartig.

Danach kam irgendwie kein Gespräch mehr in Gang. Max und Nina waren die Ersten, die sich unauffällig zunickten und dann zum Aufbruch bliesen. „Wir müssen, unser Babysitter muss pünktlich nach Hause.“ Man hörte fast das Aufatmen bei den anderen Gästen, die sich erleichtert anschlossen.

Lukas saß frisch geduscht auf dem Sofa und sah Sportschau, machte den Fernseher aber aus, als Marlene zur Tür hereinkam. „War eh nicht mehr spannend. Unsere haben schon wieder verloren. Die Saison kannst du abhaken.“ Zärtlich nahm er sie in die Arme und zog sie zu sich aufs Sofa. „Wie war es denn?“ – „Das Essen wie immer ausgezeichnet. Es gab erst ein Rote-Bete-Carpaccio und dann Lachs im Blätterteigmantel. Und Schokomousse als Nachtisch. Ich hab dir ein Schälchen mitgebracht.“ „Hmm. Lecker. Kochen kann sie einfach, deine Alex. Aber unsere Bratwurst war auch nicht schlecht. Und sonst?“ Lukas hatte gemerkt, dass da noch ein großes Aber kommen würde. „Na ja, also dieser Tim … Ich weiß es nicht. Das wird nicht lange dauern, könnte ich mir vorstellen. Alex ist total verknallt. Aber dann ist man eben auch ein bisschen blind. Mir ist er nicht besonders sympathisch.“ Und dann hechelte Marlene den Abend genüsslich durch. Und schloss gleich noch einen Bericht über ihren Tag in Köln an. „Also verglichen mit Tim ist dieser Stefan offensichtlich verdammt sympathisch“, neckte Lukas sie schließlich, als ihre Lobeshymnen gar kein Ende fanden. „Ja, ist er. Das wird ein tolles Buch und eine tolle Zusammenarbeit.“ Marlene stimmte todernst zu. „Aber natürlich ist das eine rein professionelle Beziehung, das kann man nicht vergleichen.“ „Na dann“, Lukas grinste. „Auf die professionellen Beziehungen. Lass uns schlafen gehen.“

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