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Es war schon dunkel, als Marlene am Samstagabend die Haustür aufschloss. Sie war ziemlich erledigt. Erst hatte sie im Intercity zwei Stunden stehen müssen, weil der Wagen mit ihrem reservierten Platz dem Zug irgendwo zwischen München und Frankfurt abhandengekommen war. Das erlebte sie nicht zum ersten Mal – und wie immer blieb es ein völliges Rätsel, wie so etwas passieren konnte. Zumindest offiziell. Inoffiziell kursierten auf dem Gang, wo sie mit vielen anderen Messeheimkehrern erschöpft auf ihrem Koffer saß, wilde Gerüchte: Von Doppelbuchungen bis zum Totalschaden der Klimaanlage war alles dabei.

Marlene war es eigentlich herzlich egal, warum ihr Platz nicht da war, sie ergab sich in ihr Schicksal und versuchte die Fahrt irgendwie zu überstehen. Das gelang auch, aber als sie am Bahnhof endlich in ihr Auto umstieg, hatte sie Rückenschmerzen. Kein Wunder. Jetzt eine schöne warme Dusche und dann ein gemütlicher Abend auf dem Sofa. Ein Glas Wein, ein bisschen kuscheln mit Lukas, den sie fast eine Woche nicht gesehen hatte. Und morgen, am Sonntag, lange ausschlafen. So sah ihr Programm für die nächsten vierundzwanzig Stunden aus.

Im Erdgeschoss war alles dunkel und still, im ersten Stock auch. „Schatz, ich bin da. Haaallo“, Marlene machte sich bemerkbar. Keine Reaktion. Hmm. Es war nicht abgeschlossen und das Auto stand auch in der Einfahrt. Weit konnte Lukas also nicht sein. Vielleicht kurz beim Nachbarn? Sie kickte ihren Koffer ins Arbeitszimmer und beschloss, sich auf jeden Fall erst einmal die ersehnte Dusche zu gönnen. Zehn Minuten später war sie in ihren Lieblings-Schlafanzug geschlüpft und föhnte sich gerade die Haare trocken, als die Haustür aufgesperrt wurde.

„Hallo, Lukas! Liebling, ich bin wieder da“, Marlene stellte den Föhn ab und trug noch schnell etwas Feuchtigkeitscreme auf. Dann lief sie die Treppe hinunter, um ihrem Schatz um den Hals zu fallen. Doch der war nirgends. Merkwürdig. Sie hatte doch ganz deutlich die Tür gehört? Ah, im Keller brannte jetzt Licht. Also noch eine Treppe tiefer. „Hier bist du“, sie umarmte Lukas, der sich an seiner Werkbank zu schaffen machte, von hinten und schmiegte sich an ihn.

„Hm, schön, dass du wieder da bist“, nuschelte Lukas. „Hab mit Tim über die neue Gartenbank am Zaun gesprochen. Wir machen sie jetzt doch selbst. Muss da eben was vorbereiten.“ Er küsste sie flüchtig, wobei er sich kaum umdrehte, und machte sich dann wieder an den Latten zu schaffen, aus denen vermutlich mal Armlehnen werden sollten.

„Aber das musst du doch nicht heute machen, oder? Wir haben uns die ganze Woche nicht gesehen …“ Marlene war enttäuscht. „Ach doch, lass mich mal machen, jetzt hab ich grad so einen Lauf. Du willst dich doch bestimmt sowieso ausruhen. Schlaf schön – und morgen unternehmen wir dann was zusammen.“ Lukas war in Gedanken ganz woanders. Mist. So viel zu Kuscheln und Wiedersehens­freude. Marlene trollte sich, schenkte sich ein Glas Wein ein und bemitleidete sich noch ein Weilchen. Dann ging sie ins Bett und fiel sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen weckte sie die Sonne, die durchs Fenster schien. Es war kurz vor acht Uhr, sie war ausgeschlafen und bereit, dem Tag das Beste abzugewinnen. Marlene streckte sich und drehte sich zu Lukas um. Das heißt: Sie drehte sich dahin, wo normalerweise Lukas lag, wenn sie aufwachte. Heute lag da aber niemand. Das Bettzeug sah unberührt aus. Er hatte doch wohl nicht die ganze Nacht durchgearbeitet? Zuzutrauen wäre es ihm. Wenn er sich einmal in etwas verbissen hatte, vergaß er Zeit und Raum. Das bedeutete dann allerdings, dass es mit dem gemeinsamen Sonntag nicht viel werden würde. Irgendwann musste schließlich auch ein begnadeter Hobbybastler schlafen.

Marlene rief sich zur Ordnung. Nicht gleich sauer werden, erst mal positiv denken. Das musste sie sich in letzter Zeit immer öfter sagen. Und nur manchmal schämte sie sich im Nachhinein, dass sie Lukas Unrecht getan hatte. Meistens stimmte leider, was sie ihm unterstellte. Zweifellos liebte er sie – jedenfalls hatte sie keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber ebenso zweifellos war es für ihn kein Grund mehr zum Jubeln, dass sie ihn zurückliebte. Das nahm er einfach als gegeben hin. Wenn sie da an ihre Anfangszeit zurückdachte: Lukas hatte sein Glück kaum fassen können. Und ihr in jedem Moment das Gefühl gegeben, sie auf Händen zu tragen und anzubeten. Wie man so schön sagte.

Na ja, das konnte wohl nicht fünfzig Jahre so weitergehen. In lang dauernden Beziehungen mussten andere Werte an die Stelle der gegenseitigen Vergötterung treten. Marlene war nicht so naiv, das zu leugnen. Andererseits: Ging das tatsächlich schon vor der Hochzeit los? Die war noch ein wenig undeutlich für das kommende Jahr ‚irgendwann‘ geplant. Sie war gerade mal dreieinhalb Jahre mit Lukas zusammen. Vor einem Jahr hatten sie dieses Haus gemeinsam bezogen und waren immer noch dabei, sich einzurichten. Etwas länger hätte die Begeisterung für ihren Geschmack durchaus anhalten können.

Stattdessen hatte Lukas beim Hauseinrichten sein Heimwerkertalent entdeckt. Und allen Enthusiasmus, den er aufbringen konnte, steckte er nun in selbstgezimmerte Bänke, passgenau angefertigte Regale und kreativ entworfene Blumenkübel. An sich ja ein schönes Hobby. Nur fühlte sich Marlene allmählich schon selbst wie eine Gartenbank. Die hatte man halt und auf der saß man, um sich auszuruhen. Irgendwelche Gedanken verschwendete man daran nicht mehr, wenn sie einmal da war.

Genug Trübsinn geblasen. Marlene schlüpfte in ihren bequemen Jogginganzug und machte sich auf die Suche nach dem verschollenen Geliebten. Die vage Hoffnung, dass er vielleicht gerade beim Brötchenholen war, zerschlug sich schnell: Die Haustür war verschlossen, die Jacke hing am Garderobenständer. Beim Kaffeekochen war er auch nicht, die Küche war verwaist. Also Keller.

Und richtig: Da lag ihr Prinz, die Arme auf die Werkbank gestützt, den Kopf darauf abgelegt, und schnarchte selig leise vor sich hin. Neben ihm standen zwei leere Bierflaschen und eine, die noch halb voll war. Da hatte ihn die Müdigkeit wohl mitten im Schaffensprozess überrascht. Jetzt siegte doch Marlenes Empörung. Sie arbeiteten beide hart in ihren Jobs. Sie war für den Verlag oft auf Dienstreisen und Lukas als Ingenieur häufig auf Großbaustellen im ganzen Land unterwegs. Sie hatten verdammt noch mal nur die wenigen Wochenenden für sich. Was sollte aus ihrer Beziehung werden, wenn sie die auch noch verplemperten?

Tief in ihrem Herzen wusste Marlene natürlich, dass Lukas das ganz anders sehen würde. Er tat ja keinem etwas Böses, im Gegenteil, er machte ihren Garten schöner. Das war nicht gegen sie gerichtet. Und er hatte eine große Abneigung dagegen, auch noch seine wenige freie Zeit minutiös zu verplanen. Sie dagegen tat genau das, weil ihr sonst das Schöne im Leben durch die Finger rann. Man musste es schon einplanen, wenn es stattfinden sollte. Und für heute hatte sie einen Sonntag mit Lukas eingeplant. Wenn der ausfiel, war das nichts, worüber sie sich freute.

Marlene zog sich leise zurück. So nicht. Dann würde sie eben allein etwas unternehmen. Schließlich war sie erwachsen und nicht darauf angewiesen, einen Mann an ihrer Seite zu haben, um sich zu amüsieren. Lief da nicht seit letzter Woche diese hoch gelobte Picasso-Ausstellung im Kunstmuseum? Die würde sie sich jetzt ansehen. Und sich danach in die Herbstsonne setzen und noch gemütlich einen Cappuccino trinken. Und sich vielleicht bei Emilio eins von diesen fabelhaften Cornetti dazu gönnen, die man dort nicht nur zum Frühstück bekam. Apropos Kaffee. Genau. Erst mal brauchte sie einen Kaffee. Und in Ermangelung eines Cornetto wenigstens einen Marmeladentoast.

Als Marlene eine gute halbe Stunde später das Haus verließ, war von Lukas immer noch nichts zu hören und zu sehen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie ihm ihre Pläne detailliert hinterlassen sollte, damit er sie in zwei oder drei Stunden treffen könnte. Museum war eh nichts für ihn. Aber sie könnten immerhin noch den Nachmittag gemeinsam verbringen. Dann hatte ihr Stolz gesiegt. ‚Bin unterwegs‘ stand auf dem Zettel, den sie ihm auf die Kommode im Flur legte. Sie bettelte doch nicht um gemeinsame Zeit. Wenn er die nicht brauchte: bitte sehr.

Am späten Nachmittag kam sie zurück, entspannt und beschwingt, noch ganz erfüllt von dem schönen Tag, den sie verbracht hatte. Es war irgendwie auch toll, sich mal selbst was Gutes zu tun, ganz allein und nur für Marlene.

Schon an der Haustür zog ihr köstlicher Duft entgegen: Knoblauch, Kräuter … und Fisch? War das Fisch? Lukas kochte. „Bin wieder da“, Marlene machte sich bemerkbar. Lukas kam aus der Küche, strahlte sie an und nahm sie in die Arme. „Hallo, Liebling, wie schön, dass du endlich da bist. Hattest du einen tollen Tag?“ Er wuschelte durch ihre Haare. „Hab dich vermisst, als ich aufgewacht bin. Aber da war es fast schon Mittag. Ist spät geworden gestern mit der Bank.“ Reumütig blickte er sie an. „Gestern Abend hab ich dich gar nicht richtig begrüßt, da war ich so mit meiner Idee beschäftigt. Tut mir leid.“ Er zog sie mit sich in Richtung Keller. „Muss ich dir unbedingt zeigen. Ist super toll geworden.“

Das war sie wirklich. Die Bank war maßgefertigt für die kleine Ecke am Zaun zu den Nachbarn. Sie glänzte inzwischen strahlend weiß und musste nur noch trocknen. Marlene strahlte auch und sah sich schon auf ihr sitzen und Erbsen auspalen. Oder Karotten putzen und Kräuter zupfen. Oder frische Blumensträuße arrangieren. Was man halt so machte im Garten. Sie hatte wirklich den besten, aufmerksamsten, geschicktesten und allerliebsten Mann der Welt. Und war eine undankbare dumme Nuss, wenn sie das nicht anerkannte.

Es wurde dann noch ein richtig schöner Abend.

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