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FÜNF

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Misstrauisch beäugte Gottlieb das krümelige Dinkelbrötchen, aus dem sich ein Salatblatt, ein Stück Tomate und eine blässliche Scheibe Käseersatz aus Tofu herauswellten. Sah gesund aus und würde bestimmt genauso schmecken. Wie lange hatte er eigentlich schon keinen triefend saftigen, kalorienreichen, köstlichen Hamburger mehr in Händen gehalten? Vier Kilo waren es bestimmt her, also ungefähr ein halbes Jahr. Immer noch konnte er die ganze Palette des Fast-Food-Lokals gegenüber dem Polizeiposten im Schlaf herunterbeten, auch wenn es nun verbotenes Terrain war. Lea fragte ihn – egal ob sie zusammen waren oder telefonierten – jeden Abend, was er gegessen hatte, und er wollte sie nicht anschwindeln.

Na ja, in einem hatte sie recht: Diese Vollkorndinger machten satt, im Gegensatz zu den Köstlichkeiten der Vergangenheit. Mutig biss er in das braune Teil und kaute ausführlich, wie es die Diätpäpste immer predigten. Trotzdem freute er sich schon auf die Kaffeepause, denn er hatte vorhin gesehen, dass die Neue wieder gebacken hatte. Sah aus wie Himbeerschnitten, aus weißem Mehl und echtem Zucker, und bestimmt gab es auch noch einen Klecks Sahne dazu. Das würde er sich gönnen als Ausgleich für die Strafarbeit, über der die Soko »Gentleman« nun schon den ganzen Vormittag zusammensaß.

Kollegin Marion Katz hatte sie in die Gentleman-Fälle der letzten zwei Jahre eingewiesen und sich ohne Unterlass beklagt, dass sie die ganzen Akten hierher in die Stadtmitte hatte schleppen müssen, statt sie alle in ihrem seelenlosen, hypermodernen Büro draußen in Rastatt zu empfangen. Natürlich wäre es bequemer, dem Drängen seiner Vorgesetzten nachzugeben und endlich in die Peripherie der Nachbarstadt umziehen. Aber solange er Chef der Mordkommission war, würde er hier in der quirligen Stadtmitte bleiben. Diese Marotte gönnte er sich.

Die »Raubkatz«, wie jeder sie nannte, hatte eine blonde Löwenmähne, einen breiten, sinnlichen Mund und spitze, rosa lackierte Fingernägel. Sie war seit einem halben Jahr geschieden, und ihre Nerven lagen deshalb blank, sagte man.

»Die Asservate liegen in Rastatt und die Zweitakten auch. Wenn etwas unvollständig ist, dann setzen wir unsere Besprechung besser dort fort«, fauchte sie schon wieder.

Wahrscheinlich war sie auch hungrig.

Hanno Appelt, Sonja Schöller und Lukas Decker sahen befremdet und mit gefalteten Händen auf die zerschrammte Tischplatte des engen Besprechungsraums und taten so, als ginge sie die schlechte Laune der Kollegin nichts an. Höchste Zeit, dass sie weiterkamen, um endlich eine Pause einlegen zu können. Die täte allen gut, auch den anderen Kollegen, die zur Großbesprechung gekommen waren.

Seufzend wickelte Gottlieb sein angebissenes Brötchen wieder in die Tüte aus Umweltpapier und stand auf.

»Ich fasse zusammen. Wie Kollegin Katz uns freundlicherweise informiert hat, geht der Mann immer nach demselben Muster vor. Er beobachtet seine Opfer über lange Zeit – ungeklärt ist, wie er das unbemerkt tun kann oder ob er Komplizen hat. Er verschafft sich auf ebenfalls noch ungeklärte Weise Zutritt zu den Anwesen. Seine Opfer sind ausschließlich gut betuchte, alleinstehende Damen im Rentenalter. Er bedroht sie mit einer Waffe, wobei hier die Beschreibungen auseinandergehen. Ich vermute aber, es ist eine Pistole. Manche Opfer sprachen zwar von Revolvern, aber das könnte auch umgangssprachlich gemeint gewesen sein. Das müssen wir nachermitteln. Er benutzt immer breites rotes Paketband, um sie zu fesseln und ihnen, nachdem sie ihm die Pinnummer für ihre EC-Karte und/oder die Kombination ihres Safes genannt haben, auch den Mund zuzukleben.«

Sonja Schöller hob den Kopf. »Ein Glück, dass er bislang nur im Sommer zugeschlagen hat. Hätten die Opfer Schnupfen gehabt, wären sie jämmerlich erstickt. Wenn man es recht bedenkt, hat er eigentlich jedes Mal ihren Tod billigend in Kauf genommen. Mehrfacher versuchter Mord ist das in meinen Augen.«

Gottlieb musterte seine sonst eher stille Kollegin. Sie hatte mit ihrer Bemerkung die Truppe elektrisiert. Die theoretische Möglichkeit, nach einem potenziellen Serienmörder zu fahnden, hatte eine ganz andere Dimension, als der Fall zunächst herzugeben versprach.

»Sonst noch etwas, Kollegin Katz?«, holte Gottlieb sie wieder in die Realität.

»Er tröstet die Opfer mit bislang stets zutreffenden Äußerungen darüber, wer sie am nächsten Tag wann finden wird. Warum sollte er das sagen, wenn es ihm egal ist, ob sie sterben oder nicht?«

»Nun, diese Versprechungen, dass man sie finden wird, sind nicht immer zwingend zuverlässig gewesen, würde ich sagen«, mischte sich Hanno Appelt ein. »Im Fall Dahlmann erlitt die Putzfrau, die am nächsten Morgen erscheinen sollte, am Vortag bei einer anderen Putzstelle einen Unfall und kam ins Krankenhaus.«

Er stockte. »Da fällt mir ein – im Protokoll steht das etwas undeutlich. Hat sie den Unfall bei der Zeugin Campenhausen erlitten, oder hat die Zeugin nur davon gehört?« Jetzt war der Erbsenzähler der Dienststelle in seinem Element.

»Ist das nicht egal?«, fragte Gottlieb leicht genervt, weil er schon ahnte, worauf sein Stellvertreter hinauswollte.

»Oh nein. Wenn ihre Tätigkeit bei der Zeugin nicht ordnungsgemäß angemeldet und versteuert war, müssen wir das weiterleiten. Das ist Schwarzarbeit.«

Gottlieb unterdrückte ein gequältes Stöhnen. Wenn es nach Appelt ginge, säße die Hälfte der Menschheit hinter Gittern, und die andere Hälfte bestünde aus Polizisten und Aufpassern.

»Das klären wir später. Wie viel wurde jeweils erbeutet, und gibt es ein zeitliches Muster?«

Marion Katz blätterte in ihrer Handakte und schüttelte den Kopf. »Mal lagen zwei Monate dazwischen, mal sechs, und es stimmt: niemals im Winter. Auch von der Örtlichkeit gibt es kein Raster, außer dass es immer erlesene Villen ohne Alarmanlagen waren. Und keines der Opfer besaß einen Hund.« Auf die Erkenntnis schien sie besonders stolz zu sein. »Ansonsten kaum brauchbare Spuren. Der Täter scheint Handschuhe benutzt zu haben und trug eine Maske.«

Lukas Decker hörte auf, Strichmännchen auf seinen Block zu malen. »Genau, die Maske. Was gibt es dazu?«

»Eine Faschingsmaske. Soll wohl Putin darstellen.«

»Aha, dachte ich es mir«, nickte Hanno Appelt. »Also müssen wir den Täter im Russenmilieu suchen. Wird auch Zeit, dass wir da mal aufräumen. Ich kann einfach nicht glauben, dass die wohlhabenden Russen, die nach Baden-Baden ziehen und hier alles aufkaufen, wirklich alle sauber sind.«

»Ich muss Sie enttäuschen. Der Täter hat nach einhelligen Aussagen reines Badisch gesprochen, eventuell mit einem Hauch ins Elsässische. Die Höhe der Beute war übrigens unterschiedlich, aber immer lohnenswert. Zwischen zwei- und fünfzigtausend Euro in bar, dazu teurer Schmuck, der bislang nirgendwo wieder auftauchte. Unser Freund ist vorsichtig.«

»Das bringt mich zu den Unterschieden des Falls Dahlmann zu den übrigen Fällen«, sagte Gottlieb. »Das Opfer trug seinen Schmuck noch, drei Ringe an jeder Hand, dicke Halskette, Ohrringe mit Brillanten und Saphiren. Auch war die Börse in der Handtasche voller Bargeld. Nur der Umschlag für den Enkel scheint zu fehlen. Hinzu kommt, dass das Opfer, den Medikamenten auf dem Couchtisch und in der Küche nach zu urteilen, herzkrank war. Wir brauchen dringend das Ergebnis der Obduktion, aber es würde mich nicht wundern, wenn die Dame einen Herzanfall erlitten hat, als der Täter sie fesselte. Allerdings hatte sie eine Platzwunde am Hinterkopf. Also scheint der Mann erstmals Gewalt angewendet zu haben. Das passt nicht ins Schema.«

Hanno Appelt meldete sich. »Das kann zweierlei bedeuten: Der Täter wurde gestört und reagierte deshalb nervös. Ich verweise auf die halb aufgebrochene Terrassentür. Oder es könnte eine ganz andere Möglichkeit geben, die wir unbedingt in Betracht ziehen sollten ...« Er hielt inne und sah erwartungsvoll in die Runde.

Hanno und seine Andeutungen, die er nach einer Kunstpause so gern selbst ausführte. Gottlieb zersprang fast vor Ungeduld und griff ein.

»Das liegt doch auf der Hand, Hanno: Es könnte auch der Enkel gewesen sein, der einen Schlüssel zum Haus besaß und der wie vom Erdboden verschluckt ist und sein Handy abgeschaltet hat. Dagegen spricht allerdings die eindeutige Handschrift des Täters. Hoffen wir, dass sich Thorben Dahlmann in den nächsten Stunden als Zeuge meldet.«

***

Krankenhäuser hatten sich im Laufe der Jahrzehnte vielleicht in Sachen medizinischer Versorgung und Zimmerausstattung verändert, nicht aber was die Kost für die Patienten anging, fand Marie-Luise, als sie das Tablett erblickte, das eine Schwester auf Nataschas Rollcontainer abstellte. Dünne Suppe, nicht ganz frischer Salat in nach Essig riechender Tunke, glasiger Fisch, undefinierbarer dunkelroter Joghurt. Aber Natascha sah nicht einmal hin, denn sie hatte mehr Lebensmittel um sich, als eine vierköpfige Familie übers Wochenende verzehren konnte. Würste vor allem, Butterbrote, Cremeschnitten, saure Gurken, große und kleine Schüsseln mit Nudel-, Gemüse- und Kartoffelsalaten und Gläser mit roter Bete, als müsse sie sich für den langen Weg zurück in die ursprüngliche Heimat stärken. Jeder der Besucher, die das Zimmer bevölkerten, hatte etwas zu essen mitgebracht und dazu Geschichten, die hin und her wogten wie bei einem Familienfest.

Nun, nichts anderes findet hier statt, dachte Marie-Luise, die man fürsorglich auf einen Stuhl gesetzt, dann aber vergessen hatte. Ihr tat nur die Patientin im Bett am Fenster leid, die vergeblich versuchte zu lesen, fernzusehen oder zu schlafen. Bei dem Lärmpegel war daran nicht zu denken. Und nach dem Sitzfleisch der Gäste zu urteilen, würde sich das erst mit dem Auftauchen einer energischen Nachtschwester ändern.

Etwas verloren kam Marie-Luise sich vor, und sie spielte mit dem Gedanken, wieder zu gehen. Aber dann zwang sie sich, durchzuhalten und auf eine ruhige Minute zu warten, so müde und unruhig sie sich auch fühlte. Das war sie Ingeborg schuldig.

Endlich gab es so etwas wie einen Wechsel. Vier Tanten, Nichten, Schwestern oder was auch immer erhoben sich gleichzeitig und verließen den Raum. Zurück blieben zwei Frauen in Marie-Luises Alter, mit orange gefärbten Haaren und Goldzähnen, die bei jedem Lächeln aufblitzten. Natascha drehte den Kopf, sah Marie-Luise und jauchzte.

»Sie noch da. Gar nicht gesehen! Gedacht, Sie schon längst gegangen.«

»Ich würde Sie gern etwas über Frau Dahlmann fragen.«

»Oh, ich schon hören heute. Schrecklich. Arme Frau. Und was Leute gedacht haben über mich – alles schmutzig in Haus wegen Baustelle nebenan.«

»Welche Baustelle? Mir ist nichts aufgefallen, auch kein übermäßiger Dreck.«

»Dann sehr gut. Aber jetzt erzählen bitte. Wie ist passiert. Und wer das getan.«

Marie-Luise schluckte. Sie konnte und wollte der jungen blonden Frau mit den Wolfsaugen nicht sagen, dass Ingeborg vielleicht noch leben würde, wenn sie sich nicht das Bein gebrochen hätte. Über alles andere setzte sie ihre gemeinsame Putzfrau schnell in Kenntnis.

Natascha hörte mit großen Augen zu. »Gentleman-Räuber«, wiederholte sie genauso ungläubig, wie Marie-Luise es am Abend zuvor getan hatte. »Ich längst kennen.«

Marie-Luise erstarrte. Sie musste sich verhört haben.

»Was haben Sie gerade gesagt?«

»Kennen Gentleman-Räuber. Nein, nein, nicht selber. Aber andere Frau, wo ich putzen, auch Opfer. Und Vlasko, wie sagen ... Vetter? ... von mir, kennt Gärtner von noch andere Frau, die wo auch von Mann überfallen. Er immer maskiert.« Sie wandte sich an die Frauen auf der anderen Seite des Bettes. »Hatte Putin-Maske«, rief sie und begann lauthals loszulachen, und ihre Besucherinnen stimmten goldblitzend mit ein.

Marie-Luise wartete, bis sich die allgemeine, in ihren Augen etwas unpassende Heiterkeit gelegt hatte.

»Kennen Sie die Namen der beiden Opfer?«, fragte sie dann mit vor Aufregung zitternder Stimme und sah sich nach etwas zum Schreiben um.

***

8.

Schwarz.

Wie bestellt.

Der Croupier legt einen Jeton auf seinen Einsatz und will ihm den Gewinn zuschieben, aber er schüttelt den Kopf.

»Paroli«, gibt er an, alles auf Schwarz stehen lassen.

Es ist seine letzte Chance, sonst ist auch das Geld seines Bruders weg. Deshalb hat er gerade den »Lutscher« gemacht, ist mit minimalem Einsatz auf Nummer sicher gegangen.

Das Paroli-Spiel ist ungefährlich, redet er sich zum wiederholten Mal ein. Er muss nur die Nerven bewahren und die schwarze Serie aussitzen.

Sein Gewissen meldet sich. Will ihm einflüstern, dass keineswegs die Bank die Einsätze beisteuert. Niemand zwingt ihn, die Jetons stehen zu lassen. Würde er den Gewinn nehmen und an der Kasse umtauschen, würde ihn niemand daran hindern. Es ist also nicht das Geld der Bank, sondern seines. Aber so denkt niemand, der es mit dem Spielen ernst meint. So denken nur Anfänger. Aus dem Stadium ist er längst raus.

Heute wird er vernünftig sein und kein Risiko eingehen. Alles auf Schwarz stehen lassen, dann hat er aus einem Stück im Handumdrehen sechzehn gemacht.

Wenigstens im Spiel will er heute Glück haben.

Eiskalt hatte es ihn überlaufen, als er heute Morgen die Zeitung aus dem Briefkasten gezogen hatte und ihm die Titelzeile entgegensprang. Dazu noch die Fotos aus dem ihm allzu bekannten Wohnzimmer. Tot! Sie ist tot!

Das kann doch nicht sein. Marcel hat ihm gesagt, dass die Putzfrau zuverlässig am nächsten Morgen kommen würde. Sie hätte sie finden müssen, erschöpft und durstig vielleicht, aber wohlauf! Er hat der Frau nichts getan. Nur ein bisschen an die Wand geschubst, weil sie so geschrien hat. Aber davon stirbt man doch nicht.

Er ist wütend auf Marcel.

Nur gesunde alte Weiber, haben sie ausgemacht.

Bei der am Montag hat gar nichts zusammengepasst. Sie konnte nicht einmal richtig gehen. Was, wenn sie Krücken oder einen Stock gehabt und sich zur Wehr gesetzt hätte? Oder wenn sie gar mit einem Notrufknopf, den heutzutage immer mehr Senioren am Körper trugen, lautlos Alarm geschlagen hätte?

»Jetzt hab dich nicht so, bring mir lieber das Geld. Wie viel war es denn?«, hatte Marcel nur zurückgeblafft, als er ihm vorhin am Telefon Vorwürfe gemacht hatte.

»Zehntausend, da ging es zu wie im Taubenschlag. Ich konnte weder nach weiterem Geld oder dem Safe fragen noch danach suchen oder ihr den Schmuck abnehmen.«

»Dann bring mir meine fünftausend heute noch, hörst du? Keine Ausreden. Egal, wie spät es wird. Ich brauche das Geld, das weißt du. Die nächste Rate ist überfällig. Ohne das Geld bin ich den Wagen los, und wenn es so weitergeht, unser Häuschen noch dazu.«

Aber jetzt gibt es auch die fünftausend nicht mehr. Nur die zwei blauen Steine, die auf Schwarz liegen, und den allerletzten Ersatzstein in seiner Tasche, den für das Unvorstellbare.

Tot! Wieder meldet sich das Entsetzen, das ihn vor dem Frühstück gepackt hat. Er hat ein Menschenleben auf dem Gewissen! Das ist unfassbar. Es darf nicht sein. Er kann keine Schuld daran haben. Vielleicht kam nach ihm noch jemand ins Haus, vielleicht die Person von der Terrassentür. Ja, so wird es gewesen sein.

Und jetzt Konzentration, denn die Kugel beginnt zu rollen.

***

Gottlieb wischte sich zufrieden, wenn auch mit leicht schlechtem Gewissen mit der Hand über den Mund. Drei Himbeerschnitten mit Sahne – das war genug. Das dritte Stück am Abend hatte es auch nur gegeben, weil es hier noch länger dauern würde und der Bioladen bereits geschlossen hatte. Außerdem – Himbeerschnitten waren immer noch gesünder als ein Big Mac, redete er sich ein. Und das abendliche Telefonat mit Lea würde sowieso ausfallen, so hatten sie es sich schon vor über einem Jahr versprochen, damit keiner von ihnen jemals vor Dutzenden gespitzten Ohren ein Pflichttelefonat vom Arbeitsplatz aus führen musste, nur weil die Zeit für den gewohnten abendlichen Kontakt reif war.

Jetzt war die Zeit erst einmal reif für die Abendkonferenz.

Draußen wurde es langsam dunkel, und ein leichter Wind erhob sich, der von den Höhen des Schwarzwalds durch die Stadt in Richtung Rhein strich und durch die offenen Fenster die verbrauchte, stickige Büroluft vertrieb. Eine große Erleichterung war es trotzdem nicht. Alle sehnten sich nach Feierabend.

Gottlieb sah in die Runde. Müde Augen, nervöses Scharren. Gähnen hier und dort.

»Wir haben das Ergebnis der Obduktion«, begann er und hoffte, aus seinem Team damit noch einen Funken Aufmerksamkeit herauspressen zu können, auch wenn er ihnen keinen Knüller zu bieten hatte. Leider.

»Das Opfer hat höchstwahrscheinlich seit Montagnachmittag nichts mehr zu sich genommen. Man schätzt den Eintritt des Todes grob auf fünfzehn Uhr, plus minus eine Stunde. Gestorben ist die Frau zwar an einem Herzinfarkt. Wäre sie aber nicht in der hilflosen Situation zurückgelassen worden, hätte man ihr wahrscheinlich helfen können. Also haben wir es hier mit einem Tötungsdelikt ...«

Leises Klopfen unterbrach ihn. Lydia Riebe schlüpfte in Turnschuhen und knappem Sportdress durch die Tür. Er hatte ihr eigentlich schon vor einer Stunde freigegeben, aber sie hatte vor ihrem Abendlauf noch auf das Fax der Spurensicherer warten wollen, die sich weigerten, wegen jeder Neuigkeit extra nach Baden-Baden zu fahren. Vielleicht sollte er in der Ortsfrage wenigstens für die Dienstbesprechungen nachgeben?

Gespannt griff er nach dem Papier, das Lydia mit geheimnisvollem Lächeln schwenkte, und überflog es. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Diesmal kriegen wir ihn«, rief er. »Diesmal ist ihm ein Fehler unterlaufen.«

Baden-Badener Roulette

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