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SIEBEN

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Conny Klapproth war einen Kopf größer als Lea und mindestens fünf Kilo zu schwer. Seine hellen, halblangen Wuschelhaare fielen ihm in die Stirn und in den Nacken und bedeckten nur notdürftig ein großflächiges Muttermal hinter seinem linken Ohr. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen und zupfte an seinem engen Maßhemd und der Markenjeans herum, über deren Gürtel ein Bauchansatz quoll. Seine nackten Füße steckten in Wildlederslippers, die handgefertigt aussahen.

Er empfing sie mürrisch vor dem leicht heruntergekommenen Mehrfamilienhaus aus den sechziger Jahren und hielt ihr nach kurzer, fast feindseliger Begrüßung wortlos die niedrige Tür zum Souterrain auf, in dem sich sein Maklerbüro befand. Lea malte sich schon aus, dass Nadelfilz, Resopal und bröckeliges Kunstleder auf sie warteten, doch das Mobiliar des Büros war vom Feinsten: heller Marmorboden, ein Designerschreibtisch mit Glasplatte, die Lederstühle wie aus einem Vitra-Katalog, in teuren USM-Regalen säuberlich beschriftete Aktenordner. An der Wand hingen große, ungerahmte Farbfotos von bekannten Gebäuden Baden-Badens, auf denen jeweils ein Stempelaufdruck mit der Aufschrift »vermittelt« angebracht war.

Das Dahlmann’sche Hotel »Zum badischen Markgrafen« war nicht darunter, wohl aber die Caviarteria, die erst kürzlich am Sophienboulevard eröffnet worden war, sowie mehrere Jugendstilvillen, Hotels und Pensionen, über deren Besitzerwechsel Lea im Laufe der letzten Jahre immer wieder selbst aus der Zeitung erfahren hatte. Geschäftsnachrichten interessierten sie eher weniger, wohl aber die bislang unbekannten Geldquellen der großteils aus Russland und den angrenzenden Staaten stammenden Investoren.

Genau hier wollte Lea einhaken. Leider kam sie beim Ikonenmuseum immer noch nicht weiter, aber vielleicht hatte sie am Beispiel des »Badischen Markgrafen« mehr Glück. Wenn auch hier Bürger der GUS-Staaten ihre Hand im Spiel hatten, kannten sie vielleicht die Ikonen-Leute oder hatten sogar etwas mit ihnen zu tun.

»Ich habe Ihnen gestern schon am Telefon gesagt, dass ich keine Interviews gebe, schon gar keine Indiskretionen über meine Objekte verrate. Ich habe Sie nur Olli zuliebe empfangen. Also, was wollen Sie von mir?«

Lea schickte einen stummen Gruß in Richtung Käsegeschäft auf der anderen Straßenseite. Wie Böhlke wohl zu diesem Kerl stand? War Klapproth ein Stammkunde? Und wie er ihn wohl einstufte? Vielleicht als Sbrinz, an dem man sich die Zähne ausbeißen konnte?

»Ich habe erfahren, dass der ›Badische Markgraf‹ verkauft werden sollte. Können Sie mir wenigstens das bestätigen?«

Klapproth lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen in seinem Bürostuhl zurück, sodass sein Hemd hochrutschte und einen Streifen seines behaarten Bauchs freilegte.

»Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich? Hat Olli Ihnen den Floh ins Ohr gesetzt?«

Lea versuchte, ein Pokergesicht zu machen. »Das tut doch nichts zur Sache. Es liegt einfach auf der Hand, wenn man all die Objekte ansieht, die Sie schon vermittelt haben. Das Hotel befindet sich gleich gegenüber.«

Klapproth ließ sich nach vorne schnellen, holte Luft und öffnete den Mund, als sein Handy klingelte.

Verärgert nahm er das Gespräch an, wandte sich mit einem misstrauischen Seitenblick abschirmend von ihr weg und unterhielt sich leise mit seinem Gesprächspartner. Auf Deutsch, wie Lea halb enttäuscht, halb erleichtert feststellte.

Sie ließ den Blick durch das Büro schweifen. Ein dicker, versandfertiger Briefumschlag auf dem Schreibtisch sprang ihr ins Auge, mit zahlreichen Briefmarken und einem Luftpost-Sticker beklebt, und sie reckte den Hals, um Adresse oder Absender zu erkennen.

»Das kommt nicht in Frage. Ich mache keine krummen Dinger, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Wir müssen eben noch warten, bis alles geklärt ist«, fauchte Klapproth, dann murmelte er in Leas Richtung eine Entschuldigung und verließ den Raum. Lea spitzte die Ohren, während sie sich halb erhob, um einen Blick auf den Umschlag zu riskieren.

»Nein, er ist im Augenblick nicht erreichbar, und wenn er auftaucht, wird es eine Weile dauern, bis das mit dem Erbe und dem Erbschein offiziell geregelt ist. – Ja, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. – Der Brief mit den Unterlagen geht heute noch an Sie raus. – Nein, er hat keinen weiteren Kaufinteressenten, und der Preis ist für ihn in Ordnung.«

Erbe? Gespannt lauschte Lea, während sie die Adresse entzifferte. Eine russisch klingende Firma mit Sitz am Flughafen von Amsterdam. Interessant. Ob das die Kaufinteressenten des Dahlmann’schen Hotels waren? Schnell holte sie ihren Fotoapparat aus dem Rucksack und machte, während sie zur satinierten Glastür schielte, eine Aufnahme. Klapproths Schatten erschien hinter der Tür. Rasch stellte sie sich an die Wand mit den Fotos und drückte noch einmal ab.

»Was fotografieren Sie da? Unterlassen Sie das! Ich werde mich bei Ihrem Chefredakteur über Sie beschweren. Wenn Sie auch nur ein Foto aus meinem Büro veröffentlichen oder eine Andeutung über mich in Sachen Dahlmann’schem Hotelverkauf schreiben, dann verklage ich Sie, das schwöre ich Ihnen.«

***

Das beste Spielsystem versagt, wenn einem der Glücksbringer fehlt. Vielleicht sollte er das Casino meiden, bis er einen neuen Talisman hat. Andererseits – wenn er sich beherrscht und nur wenig setzt, verringert er das Risiko. Es wird schon gut gehen.

Sechs Stücke mit dem Mindesteinsatz hat er platziert, nur der Erlös einer Keramik, die er vorhin draußen im Rauchereck der Beschäftigten einem Kurhausangestellten aufgeschwatzt hat. Es ist schwer gewesen, diese Figur aus der Töpferei zu schmuggeln, weil Sophie und ihre schreckliche Cousine gerade alles in der Werkstatt katalogisieren. Nächste Woche findet die traditionelle Streisselhochzeit in Seebach statt, da sitzt den Touristenströmen das Geld locker, und die Cousine träumt von einem Stand mitten im Festtreiben. Als wenn sich die alteingesessenen Elsässer Töpfer ihr Geschäft von einer Deutschen abjagen lassen würden.

Wie ihm diese Cousine auf die Nerven geht! Überall steckt sie ihre Nase rein. Was geht es sie an, wo und als was er arbeitet? Soll sie sich doch um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.

Dreimal hat er das Versteck in seinem Zimmer kontrolliert, die Tür sorgfältig abgeschlossen. Wehe, der Karottenkopf steckt seine Nase in diesen Raum. Zuzutrauen ist es ihr ja. Sophie respektiert seine Privatsphäre, aber dieser Frau traut er nicht über den Weg. Soll sie doch selber mal sagen, wo sie arbeitet. Schreibkraft sei sie, hat sie ihm auf seine Gegenfrage lediglich geantwortet und ihn dabei frech angeguckt.

23 – rot – ungerade – kleine Serie.

Na also.

»Paroli.«

Er braucht endlich Erfolg, Marcel lässt sich nicht länger vertrösten. Das Wasser stehe ihm bis zum Hals, und er habe zur Not ein neues Opfer im Visier, hat er vorhin am Telefon angedeutet. Der hat gut reden. Er hat keinen Menschen auf dem Gewissen und wird nicht von Träumen heimgesucht, in denen alte Frauen qualvoll sterben und ihn dabei flehend anblicken, bis er von seinen eigenen Schreien aufwacht.

Nein, nur noch einmal muss es mit der kleinen Serie klappen. Dann kann er Marcel ausbezahlen und hat hoffentlich ein für alle Mal seine Ruhe.

***

Es hatte länger als vorgesehen gedauert, bis Marie-Luise endlich verkabelt war. Interessiert betrachtete sie sich in dem kleinen Spiegel der Praxis. Fünf Elektroden, die man mit langen weißen Pflasterstreifen auf ihrer Brust festgeklebt hatte, dazu das kleine Kästchen, das über einen Schlauch mit der drückenden Manschette am Oberarm verbunden war.

»Meinen Sie nicht, dass sie zu fest ist?«, fragte sie besorgt, als das Gerät zu brummen begann und die Manschette ihr den Arm abquetschte, bis es wehtat.

»Wenn sie lockerer ist, verrutscht sie, und dann sind die Resultate unbrauchbar«, sagte die nette junge Sprechstundenhilfe und tätschelte ihr die Schulter. »Morgen um die Uhrzeit sind Sie erlöst. Das Kombigerät ist wirklich ein Segen. Früher hätten Sie für die Vierundzwanzig-Stunden-Messungen für Blutdruck und EKG zweimal kommen müssen. Soll ich Ihnen beim Anziehen helfen?«

»Nein, nein, das geht schon.«

Umständlich schlängelte Marie-Luise sich in ihr Unterhemd, ihre weiße Bluse, die sie vorsichtshalber bis oben hin verschloss, obwohl es ihr fast die Luft abschnürte. Nicht auszudenken, wenn jemand bemerkte, wie es darunter aussah. So kamen sich wahrscheinlich Detektive vor, die sich ein Aufnahmegerät und ein kleines Mikrofon an den Körper klebten, um einen Täter zu überführen.

Sie seufzte. Das wäre ihr bei Weitem lieber gewesen, als dieses Monstrum tragen zu müssen, so praktisch es vielleicht war. Langzeit-EKG, Dauer-Blutdruckmessung! Das war etwas für Kranke! Es war doch nur die Aufregung gewesen, die ihr Herz hatte stolpern und schlingern lassen. Sollte der junge Herzspezialist doch einmal selbst in eine Villa eindringen und seine Freundin ermordet auffinden! Ihm würde das Herz dann ebenso ein paar Streiche spielen.

Eigentlich hatte sie lediglich auf ein paar beruhigende Worte und Tropfen gehofft, und nun das hier.

Brummend setzte sich der Kasten wieder in Bewegung, und sie blieb stocksteif stehen, den Arm in Herzhöhe, um das Ergebnis nicht zu gefährden. Würde die Messung nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden, würde sofort eine neue folgen, hatte man ihr erklärt. Das galt es zu vermeiden, am besten im Zustand absoluter Ruhe.

Wohl oder übel musste sie abwarten, bis die aufgeblasene Manschette sich wieder entleert hatte, dann griff sie nach ihrer Handtasche und eilte hinaus. Sie war viel zu spät! Kriminalhauptkommissar Gottlieb hatte sie schon vor einer Stunde zu einer wichtigen Aussage einbestellt!

***

Ungeduldig hielt Gottlieb nach seiner Zeugin Ausschau, ohne die sie wegen der Halskette nicht weiterkamen. Wo blieb die alte Dame nur? Sie war doch sonst so pünktlich. Allerdings merkte man, dass sie keine siebzig mehr war. Womöglich hatte sie den Termin verschusselt oder fand den Weg in die Dienststelle nicht mehr.

Sie war ihm gestern und vorgestern zum ersten Mal, wenn auch nur zeitweise, etwas verwirrt vorgekommen. Was zum Beispiel hatte sie sich dabei gedacht, unbedingt etwas aus dem ersten Stock der Villa holen zu wollen, in der gerade ihre Freundin zu Tode gekommen war? Oder gestern, als sie zunächst nicht zugeben wollte, dass in der Villa ein handgeschriebener Briefumschlag mit zehntausend Euro fehlte. Als Lea den Umschlag erwähnte, hatte Frau Campenhausen richtig wütend ausgesehen, obwohl das gar nicht zu ihr passte. Vielleicht sollte er sich nach anderen Quellen umsehen, die etwas Verlässlicheres zu der Kette und dem Jeton sagen könnten.

Wohl zum vierten Mal griff er zum Telefon und erkundigte sich, ob man inzwischen eine Spur von Thorben Dahlmann hatte. Der müsste ebenfalls wissen, ob seine Großmutter dieses ungewöhnliche Stück besessen hatte. Andererseits würde der Mann womöglich die Aussage verweigern, denn sein plötzliches Abtauchen und das Verschwinden des an ihn adressierten Geldumschlags machten ihn im höchsten Maße verdächtig, und entsprechend würde man ihn sich vornehmen.

Es klopfte leise.

Zaghaft trat die zierliche, weißgelockte Frau ein, und am liebsten hätte er sie ganz vorsichtig zum Stuhl begleitet, so zerbrechlich und erschöpft sah sie aus. Wie alt war sie jetzt? Achtundsiebzig? Dann würde sie in zwei Jahren achtzig sein. Himmel!

Mit leiser, fast flüsternder Stimme und zerknirschter Miene begann sie eine lange Geschichte über Herzbeschwerden und einen Arztbesuch, um ihr verspätetes Erscheinen zu entschuldigen.

»Schon gut. Jetzt sind Sie ja da, nicht wahr?«, unterbrach Gottlieb sie freundlich. In einer halben Stunde war die nächste Besprechung angesetzt, und er musste noch ein paar Ermittlungsberichte der Spurensicherer studieren.

Er schloss das Fenster, um die alte Dame besser zu verstehen, und fuhr erschrocken herum, als plötzlich ein leises Brummen zu vernehmen war.

Frau Campenhausen saß stocksteif auf ihrem Stuhl und rührte sich nicht. Hörte sie das auch? Warum wirkte sie so ängstlich? Oder sah er jetzt schon Gespenster?

Er ging an seinen Schreibtisch zurück und schob ihr den kleinen Plastikbeutel zu.

»Frau Campenhausen, ich hatte Sie hergebeten, weil ich hoffe, dass Sie sich ein wenig mit dem Schmuck Ihrer Freundin auskennen. Sehen Sie sich das doch bitte einmal an. Könnte es aus dem Besitz von Ingeborg Dahlmann stammen?«

Ungeschickt streckte seine Zeugin den Arm aus und betrachtete die Kette eingehend.

»Was ist das für ein Anhänger?«, murmelte sie und begann, in ihrer Handtasche zu kramen, dann zog sie eine schmale Lesebrille hervor, setzte sie auf und hielt die Tüte ans Licht.

Täuschte er sich, oder wurde sie blass? Sie griff sich an die Brust, schloss die Augen und ächzte. Sie würde doch jetzt keinen Herzanfall erleiden? Was machte man in solchen Fällen? Stabile Seitenlage? Füße hochlegen? Hoffentlich war Sonja da, die kannte sich mit derartigen Situationen aus.

Und was brummte da schon wieder? War das Frau Campenhausen? Unauffällig machte er sich bereit, helfend aufzuspringen.

Doch Frau Campenhausen wahrte Haltung. Nur ihre Augen wurden immer größer. Fast wirkte es, als habe sie einen gehörigen Schrecken bekommen. Aber nein, er irrte sich, ganz gewiss, und wie zur Bestätigung schüttelte sie bedächtig den Kopf.

»Ich fürchte, Herr Gottlieb, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Ich habe weder diese Kette noch diesen Anhänger je bei Ingeborg gesehen.«

Baden-Badener Roulette

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