Читать книгу Mulaule - Rita Renate Schönig - Страница 11
Mittwoch / 12:45 Uhr
ОглавлениеDen Topf mit einer ordentlichen Restportion Schnüsch stellte Herbert auf die Terrasse. Nicole und Andy würden den leckeren Eintopf schon finden. Wenn es um fertig gekochtes Essen ging, hatten die beiden die Nase eines Spürhundes. Danach machten er und Helene sich auf den Weg zu den Roths.
Kaum, dass sie den Klosterhof überquert hatten, in dem Bettina und Ferdinand in einem der Häuser der ehemaligen Benediktinerabtei wohnten, wurde auch schon die Haustür aufgerissen.
„Gut, dass ihr kommt.“ Bettina schob die beiden quasi ins Wohnzimmer. „Wollt ihr einen Kaffee, oder lieber etwas Stärkeres?“
„En Kaffee deit sichtlich got. No Middach trinken wi ok immer en Kaffee“, erwiderte Helene sichtlich angespannt und deshalb in charmantestem Plattdeutsch. Seit Ferdinands Anruf und der Information, dass er eine Leiche gefunden hatte, kribbelte es mächtig in ihrem Bauch. Sie konnte es kaum abwarten, nähere Einzelheiten zu erfahren.
„Und der derf ruhig stark sein“, ergänzte Herbert schmunzelnd und noch während Helene und er sich auf der Couch niederließen, fragte er aufgeregt: „Jetzt erzähl halt. Wir sind schon gespannt, wie ein Flitzeboge.“
„Wie schon gesagt, habe ich, also eigentlich hat unsere Lizzy den Toten gefunden.“
Wie aufs Stichwort stürmte die kleine Spaniel-Dame die Treppe vom ersten Stock ins Wohnzimmer herunter. Offensichtlich hatte sie gerade ihrem Mittagsschlaf gehalten.
In ihrer Freude wusste sie nicht, wen sie zuerst begrüßen sollte, Helene oder Herbert. Letztlich sprang sie aufs Sofa und drängte sich zwischen beide.
„Miss Lizzy! Runter“, forderte Ferdinand in scharfem Ton.
Ein vorsichtiger Hundeblick von Helene zu Herbert und die Sache war klar; Lizzy blieb.
Mit in Falten gelegter Stirn tadelte der Hausherr: „Ihr macht meine Erziehungsmaßnahmen zunichte. Also, wie ich schon am Telefon erzählte, gingen Lizzy und ich am Main entlang. Plötzlich sauste sie los und blieb erst wieder am Wehrturm stehen und bellte wie verrückt. Als ich ankam, sah ich weshalb.
Zuerst dachte ich, es handele sich um eine Frau, die Hilfe brauchte – schon wegen der Seligenstädter Tracht. Also rief ich, bekam aber keine Antwort. Einen Augenblick lang war ich auch geneigt zu glauben, es könnte sich auch um eine Puppe handeln. Also stieg ich die paar Meter hoch. Oben angekommen stellte ich dann aber fest, es war tatsächlich ein Mensch, der da in der Ecke am Turm saß. Ich sprach die Person noch einmal an. Doch auch jetzt reagierte sie nicht. Daraufhin legte ich meine Finger an die Halsschlagader und bemerkte, dass die Person tot war.
Noch mehr aber irritierte mich, dass ich Bartstoppeln fühlte. Also hob ich das Gesicht der Person kurz an. Da erkannte ich mit Gewissheit … es war ein Mann.“
„Weshalb zieht sich jemand Frauekleidung an und setzt sich zum Sterbe ausgerechnet an den Turm? Warum überhaupt sich die Müh mache, dort hochzuklettern, wo gleich unte e Bank steht? Des gibt für mich alles kein Sinn. Es sei denn ...?“ Herbert schnellte vom Sofa hoch. „Der is net selber dort hochgekraxelt.“
„Was bedeutet, dass der Mann getötet wurde“, führte Bettina seine Gedankengänge weiter.
Die vier sahen sich bestürzt an.
„Also haben wir es mit einem Mord zu tun!“, brachte Helene es auf den Punkt. „Aber was soll die Verkleidung? Wollte der Täter damit etwas ganz Bestimmtes zum Ausdruck bringen?“
„Interessanter Ansatz. Ist dir der Mann vielleicht bekannt vorgekomme?“, bedrängte Herbert Ferdinand.
Der wiegte nachdenklich mit dem Kopf. „Ja und nein. Ich bin mir nicht sicher. Der war so stark geschminkt, dass ich sein Gesicht nicht genau erkennen konnte.“
„Geschminkt? Wie meinst de des jetzt?“
„Make-up meine ich, wie eine Frau, aber etwas zu viel davon. Und das auch nicht so kunstvoll, als dass man ihn für einen Transvestiten hätte halten können. Versteht ihr, was ich meine?“
„Transvestiten?“, wiederholte Helene mit Augen, so groß wie 1-Euro-Stücke während sich in Herberts Kopf Saltos vollzogen.
„Naja … sieht man doch ab und zu im Fernsehen,“ setzte Ferdinand nach.
Unter Bettinas undefinierbarem Blick hatten seine Wangen einen rosa Ton angenommen.
„Ich glaube der Kaffee ist durch“, sagte sie nun und eilte in die Küche. Helene folgte ihr.
„Trotzdem ergibt des für mich keinen Sinn. Ist dir denn gar nix an dem Mann bekannt vorgekomme?“, bohrte Herbert nach.
Ferdinand stützte die Ellenbogen auf die Knie und blickte seinen Freund ernst an. „Ehrlich. Ich hatte wirklich den Eindruck ihn zu kennen. Aber, ich war mir halt nicht sicher und deshalb habe ich auch gegenüber der Polizei nichts gesagt.“
„Und? An wen denkst du?“
Ferdinand zog tief die Luft ein und stieß sie hörbar wieder aus.
„Der Mann erinnerte mich an den Hagemann. Du weißt schon, der ehemalige Staatsanwalt, den alle nur den Hartgesottenen nennen, weil er immer die Höchststrafen forderte. Soweit mir bekannt ist, besitzt er ein Haus, hier in Seligenstadt; irgendwo in der Nähe des Krankenhauses. Ob er dort noch immer wohnt, weiß ich natürlich nicht.“
„Des rauszufinde, dürfte des geringste Problem sein“, warf Herbert ein. „Dafür gibt’s das Internet.“
„Es wurde auch schon mal gemunkelt, dass Hagemann sich bestechen ließ, was die Höhe der Strafe anging“, fuhr Ferdinand fort. „Aber, beweisen konnte man es ihm nie. Irgendwann ist er dann zum Darmstädter Landgericht gewechselt, bis er vor einigen Jahren in Pension ging. Seitdem hörte man nur noch von ihm, wenn er mal wieder in den höchsten Tönen gelobt wurde, für seine gemeinnützige Arbeit.“
„Ja. Jetzt, wo du es sagst, kann ich mich auch erinnern“, sinnierte Herbert. „Wenn des wirklich der Hagemann is, dann könnt es doch sein, dass sich jemand rächen wollte?“
„Jetzt? Nach all den Jahren?“ Ferdinand schüttelte den Kopf.
„Sprecht ihr von Heinz Hagemann, dem ehemaligen Staatsanwalt? Wir haben gerade mit halbem Ohr mitgehört. Ist er vielleicht der Tote? Wenn ja, dann könnte das ein Grund für seinen Tod sein.“
Bettina reichte ihrem Mann die Zeitung, die er heute Morgen mitgebracht, aber noch nicht hingesehen hatte.
Heinz Hagemann – Staatsanwalt a. D. erhält das Bundesverdienstkreuz
Die Schlagzeile prangte unübersehbar auf der zweiten Seite und das Foto zeigte einen Mann mit weißen, leicht welligen kurzen Haaren und einem markanten Gesicht. Die ausgeprägten Wangenknochen und die kleinen stechenden Augen deuteten auf einen starken Charakter hin. Insgesamt machte der Mann den Eindruck, dass er keinen Widerspruch duldet.
„Das könnte er sein“, sagte Ferdinand. „Wenn ich mir die Schminke wegdenke ...? Ja, das ist er!“
„Ich weiß, dass der ehemalige Staatsanwalt nicht jedem gleichermaßen angenehm gewesen sein soll“, bestätigte jetzt auch Helene seine Äußerungen. Ebenfalls belegte sie, dass er der Hartgesottene genannt wurde. „Mein Friedel sprach einmal davon.“
Erneut ertappte sie sich, dass sie ihren verstorbenen Mann noch immer ab und zu mit Mein Friedel betitelte und warf Herbert einen unsicheren Blick zu. Der aber schmunzelte nur verständnisvoll.
„Wenn ihr mich fragt“, ihre Stimme klang nun wieder fest, „war irgendwer damit überhaupt nicht einverstanden.“ Sie tippte mit ihrem Zeigefinger auf den Artikel und holte anschließend ihr Handy aus ihrer Tasche.
„Wen willst de jetzt anrufe?“, fragte Herbert. „Doch net etwa die Frau Hagemann und frage, ob ihr Ehemann noch lebt?“
„Sag mal, bist du jetzt dun im Kopp? Ich rufe niemanden an, schon gar nicht eine Frau, die womöglich gerade ihren Mann verloren hat“, erwiderte Helene kopfschüttelnd und rollte mit den Augen. „Ich will nur unsere ersten Eindrücke festhalten, damit wir nichts vergessen. Wir sind ja nu man nich mehr die Jüngsten.“
Sie betätigte den Button Sprachaufnahme.
„Das bedeutet jetzt aber nicht, dass ihr schon wieder so eine Kriminalnummer abzieht?“ Ferdinand schwenkte mit seinem Zeigefinger zwischen Helene und Herbert hin und her.
Der lächelte. „Wir wisse wer des Opfer is, und was hält uns davon ab, uns e bissje zu erkundige. Wenn ihr wollt, könnt ihr uns helfe.“
„Wir? Auf gar keinen Fall!“ Energisch schüttelte Ferdinand den Kopf. „Wir haben vom letzten Mal noch genug und wollen nichts mit der Polizei zu tun haben. Mir hat es schon gereicht, dass Josef Maier mich, heute Morgen, so seltsam ...“
„Aber sicher machen wir mit“, hörte er die begeisterte Stimme seiner besseren Hälfte neben sich und starrte sie mit offenem Mund an. Nicht nur, dass sie jetzt, ähnlich wie Helene, eine flotte Kurzhaarfrisur trug und ihre Kleidung der aktuellen Mode angepasst hatte. Bettina hatte sich auch sonst total verändert. Sie lachte oft und viel und wirkte rundum glücklich und zufrieden. All das gefiel ihm natürlich. Aber sich in eine Mordermittlung der Polizei einzumischen, ging dann doch etwas zu weit.
Deshalb sagte er: „Ich meine, darüber müssen wir nochmal in Ruhe reden.“
„Was gibt es da zu reden“, entgegnete Bettina. „Du hast den Toten gefunden und weißt um wen es sich handelt. Also, warum können wir nicht ein bisschen rumfragen?“
„Sieht ganz so aus, als wärst du überstimmt“, wandte Herbert sich Ferdinand zu. „Na dann, auf gute Zusammenarbeit.“ Er hob seine Kaffeetasse.
Einige Minuten später, er und Helene wollten sich gerade verabschieden, klingelte das Telefon der Roths und lautstark drangen verschiedene Stimmen durch die Leitung.
„Hallo!“, rief Ferdinand, um sich Gehör zu verschaffen. „Wer ist dran?“
„Ja siehst de des dann net? Isch hoab gedacht‘, dass des uf dene neumodische Telefone zu sehe is, wer do jetzt orifft.“
„Sepp, bist du es?“
„Aja, klar. Jetzt loss doch emol doi Griffel do weg.“
„Was?“
„Noa, net du, Ferdi. Isch moan die zwaa annern, den Schorsch und die Gundel. Dauernd misse die uf dene Taste von dem Ding rumdricke, wo mer des Telefon drufflescht. Deshalb muss isch unbedingt emol mit dem Herbert redde. Der is doch bei euch, odder?“
„Ja, Helene und Herbert sind gerade bei uns.“
„Siehst de, isch hab’s doch gesacht, dass die beim Ferdi und der Bettina sin“, quiekte Schorsch im Hintergrund.
„Sepp, was gibt’s“, fragte Herbert. Er hatte Ferdinand, der irritiert auf den Hörer starrte, diesen aus der Hand genommen. „Warum brüllst du so, dass einem die Ohrn abfalle?“
„Das liegt an dem neuen Telefon, das der Sepp bekommen hat. Er kann‘s aber nicht bedienen“, dröhnte Gundels Stimme.
„Nadirlich kann isch des bediene“, brüllte Sepp zurück. „Isch bin ja net bleed. Ihr habt nur alles verstellt und jetzt kann jeder heern, was isch redd, so laut is des. Kannst de net emol schnell vorbeikomme? Du kennst disch doch aus, in dem neumodische Zeusch.“
Aufgrund des hohlen Echos war Herbert schon klar, um welches Problem es sich handeln könnte.
„Ich komm‘ gleich. Aber tut mir ein Gefalle … bringt euch bis dahin net gegeseitig um, gell.“
„Soweit ich des verstande hab, hat der Sepp ein neues Festnetztelefon bekomme“, erklärte er den anderen „und des auf Lautsprechen gestellt und jetzt kriegt er des net mehr rückgängig gemacht.“
Herbert schüttelte seinen Kopf. „Mit dem erlebt mer jeden Tag was Neues. Heut Vormittag hab ich ihn doch zu seiner Wassergymnastik gefahrn und ...“
„Ach ja“, unterbrach Helene. „Du wolltest mir etwas erzählen, als du nach Hause kamst. Was hat er denn jetzt schon wieder angestellt?“
Herbert schnaufte und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. „Ihr wisst doch, dass der Sepp ständig auf seinem neue Seniorenhandy rumdaddelt?“
Helene, Bettina und Ferdinand nickten.
„Kaum, dass er im Auto gesesse is, fummelte er schon in seiner Hosetasch nach dem Handy. Des konnt er natürlich net greife, weil er ja schon angeschnallt war. Also, hab ich den Gurt nochmal aufgemacht und als er des Ding endlich in de Finger hatte, wieder angeschnallt. Dann hat er mich während der ganz‘ Fahrt gelöchert, dass er jetzt unbedingt seinen Enkel, den Leon, anrufe müsste. Ich hab ihm klargemacht, dass der Leon jetzt ganz bestimmt net ans Telefon gehe kann, weil er um die Zeit in der Schul is. Des hat er dann wohl eingesehe. Jedenfalls war erst mal Ruh‘. Aber, in der Umkleidekabine im Krankehaus hat er wieder damit angefange.“
„Warst du mit drin, in der Kabine?“, fragte Helene beunruhigt.
„Um Gottes Wille, nein. Ich hab nur des Gepiepse gehört und wie er rumgebrummelt hat. Ich bin dann raus, in den Garte. Aber auf einmal war in der Schwimmhalle plötzlich de Teufel los.
Der Sepp hat rumgebrüllt – moi Handy, moi Handy und irgendwas mit verklage hab‘ ich verstande. Erst als die junge Frau, die die Wassergymnastik leitet, aufgeregt auf mich zu gerannt kam und mir erzählte, dass des Handy von Herrn Richter in den Pool gefallen sei, hab ich die ganz Aufregung verstande.“
„Und, bist du nach Sepps Telefon getaucht?“, neckte Ferdinand, mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
„Ja, bist de noch ganz gescheit? Da muss der Sepp schön warte, bis die des Wasser wieder ablasse. Aber kaputt is des allemal. Is er aber selber dran schuld. Was muss der Depp des Telefon auch mit zur Wassergymnastik nehme.“
Herbert schnaufte laut. „Je älter der werd, desto schlimmer werd‘s mit dem. Ich kann die Elfi immer besser verstehe.“