Читать книгу Mulaule - Rita Renate Schönig - Страница 6

Mittwoch / 08:20 Uhr

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Der diensthabende Polizeibeamte schaute skeptisch durch die Glasscheibe, als Ferdinand Roth explizit nach Polizeihauptkommissar Josef Maier, dem Leiter der Polizeidienststelle, fragte.

„Ich muss unbedingt mit Ihrem Vorgesetzten sprechen“, äußerte er nochmals eindringlich.

Der Polizist zeigte auf die Stühle, die in dem kleinen Flur vor der Anmeldung, an der gegenüberliegenden Wand standen, und griff zum Telefonhörer. Dabei ließ er Ferdinand nicht aus den Augen. Erst jetzt entdeckte er die Hündin, die brav neben ihrem Herrn Platz machte.

Sofort wurden die Gesichtszüge des Polizeibeamten weicher, was vermutlich daran lag, dass Lizzy den Mann hinter der Glasscheibe mit schräg gelegtem Kopf, aus ihren schwarzen Knopfaugen anschaute. Damit hatte die Hundedame immer Erfolg.

Gedämpftes Gemurmel drang in den Wartebereich. Wenige Minuten später öffnete Polizeihauptkommissar Josef Maier die seitliche Glastür, durch die es zu den innen liegenden Amtsräumen ging.

Ferdinand erhob sich und Lizzy ebenfalls.

„Ich nehme an, Sie sind Herr Roth?“, stellte Josef Maier in ernstem Ton fest, um sich dann lächelnd zu der Hundedame herunterzubeugen. „Und wen haben wir hier?“ Er hielt ihr seine Hand zum Schnuppern unter die Nase. Die wedelte mit dem Schwanz und schleckte kurz über dessen Finger.

„Das ist Miss Lizzy“, antwortete Ferdinand nervös. „Ich muss eine Tote eh ... einen Toten melden.“

Maier ließ von der Hündin ab und sah den Mann vor ihm bestürzt an. „Ja was denn nun? Und wo? Kommen Sie.“

Die beiden wurden in ein Büro geführt. Der Polizeihauptkommissar machte eine Geste auf die vor seinem Schreibtisch stehenden Stühle. Er selbst ließ sich dahinter im Sessel nieder. Gleichzeitig griff er nach Block und Stift.

„Nun erzählten Sie mal der Reihe nach, Herr Roth.“ Maier stutzte. „Sagen Sie, kennen wir uns nicht? Ach, jetzt fällt es mir wieder ein. Sie wohnen in einem der Häuser im Klosterhof, stimmt’s?“

„Ja“, bestätigte Ferdinand knapp.

Maier nickte betreten. Sofort ereilte ihn die Erinnerung an den Toten im Graben der Klostermühle vor einem Jahr und die vorläufige Inhaftnahme der Roths. Eine unschöne Sache damals.

„Sie haben also einen Leichenfund zu melden? Ich hoffe nur, es liegt nicht schon wieder ein Toter im Klosterhof.“

Ferdinand schüttelte den Kopf. „Aber unten am Main, an der Mulaule.“

„Woher wollen Sie wissen, dass die Person tot ist? Haben Sie sie etwa an…?“

„Ich wollte sehen, ob ich helfen kann“, fiel er dem Polizeihauptkommissar ins Wort und fügte erklärend hinzu: „Ich war früher Sanitäter. Auf den ersten Blick sah es aus, als würde sie schlafen. Dann dachte ich, es könnte auch eine Puppe sein, in der Seligenstädter Tracht – also der Tracht der Frauen“, schilderte Ferdinand seinen Eindruck. Es wunderte ihn selbst, dass er nun auf einmal so ruhig und gelassen seine Angaben vorbrachte.

„Die Seligenstädter Tracht?“, wiederholte Maier ungläubig und schaute Roth mit in Falten gelegter Stirn an. „Sprachen Sie nicht soeben von einem männlichen Toten?“

„Das ist ja gerade das Merkwürdige. Es ist ein Mann in der Kleidung einer Frau.“

Josef Maier brauchte ein paar Millisekunden. Dann fragte er: „Das erklären Sie mir bitte.“

„Als ich meine Hand auf die Schlagader am Hals legte, fühlte es sich stachelig an. Da habe ich kurz das Kinn angehoben und ... ja, da waren einwandfrei Bartstoppeln.“

Der Polizeihauptkommissar beugte sich ein wenig über seinen Schreibtisch. „Getrunken haben Sie aber nicht?“

„Um diese Zeit?“, ereiferte sich Ferdinand etwas zu laut. „Ich bitte Sie.“

„Ja, ist ja gut.“ Maier winkte ab. „Was glauben Sie, was ich hier schon alles erlebt habe.“ Er schnaufte hörbar. „Wann haben Sie die Leiche gefunden?“

„Das muss so etwa 10 bis 15 Minuten her sein. Und gefunden hat sie eigentlich Lizzy, meine Hündin.“

„Haben Sie schon den Notarzt oder die Feuerwehr gerufen?“

„Nein. Mein Handy liegt zu Hause. Ich wollte ... also wir wollten nur kurz Gassi gehen und Brötchen holen. Ach du liebe Zeit, Bettina!“ Ferdinand sprang auf. „Meine Frau wird sich bestimmt schon sorgen, wo ich so lange bleibe.“

„Wie geht es Ihrer Frau? Ich hoffe“, Maier räusperte sich, „sie konnte die eh ... unleidige Angelegenheit von damals einigermaßen gut verarbeiten? Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen für die Unannehmlichkeiten. Aber mir blieb keine Wahl.“

„Machen Sie sich keine Vorwürfe. Das war alles nur ein großes Missverständnis. Sie haben nur Ihre Arbeit getan. Und danke, meiner Frau geht es gut, was auch an Miss Lizzy liegt.“

Die Hündin lag vorbildlich neben Ferdinands Stuhl, hob aber jetzt ihren Kopf, als sie ihren Namen hörte.

„Das beruhigt mich. Danke, dass Sie mir das nicht nachtragen.“ Josef Maier, hievte sich aus seinem Bürosessel und warf der Hündin einen zärtlichen Blick zu. „Sie ist aber auch eine ganz Süße.“

Es schien, als ob Lizzy den Polizeihauptkommissar angrinste.

„Rufen Sie Ihre Frau an, während ich eine Streife zur Mulaule schicke.“ Josef Maier schob das Telefon über den Schreibtisch.

Natürlich hatte Bettina sich bereits Sorgen gemacht und erwogen, nach ihrem Ehemann zu suchen. Der Grund seiner langen Abwesenheit erregte sie allerdings noch mehr. „Weißt du wer es ist?“

Ferdinand verneinte, obwohl er das Gefühl hatte, dass ihm das Gesicht bekannt vorkam.

„Nun kümmert sich die Polizei darum. Ich mache mich jetzt auch gleich auf den Weg. Trotz alldem knurrt mir der Magen.“

Der Dienststellenleiter kam in den Raum zurück, als Ferdinand gerade den Hörer auflegte.

„Danke für das Telefonat“, sagte er. „Brauchen Sie mich noch, oder kann ich jetzt gehen?“

„Ja, natürlich. Sie können gehen, Herr Roth. Eine Streife ist bereits unterwegs. Sollte die Kriminalpolizei noch Fragen haben, wissen wir ja, wo wir Sie finden.“

Sofort bemerkte Maier seinen Fauxpas und schoss hinterher: „Entschuldigung. So hatte ich das nicht gemeint.“

Nachdem Ferdinand seine Hündin die Treppe runtergetragen hatte, setzte er sie vor der Polizeistation ab. Lizzy hatte nichts Eiligeres zu tun, als direkt an der Ecke der letzten Treppenstufe ihre Duftmarke zu hinterlassen.

„Das hat dich wohl auch sehr mitgenommen“, quittierte Ferdinand. „Jetzt aber nix wie weg von hier, sonst bekommen wir zwei noch Ärger. Außerdem wartet Frauchen schon zu lange.“

Sein Blick fiel auf die gegenüberliegende Bäckerei. „Weißt du was? Wir kaufen gleich dort unsere Brötchen.“

Die beiden überquerten die Straße und liefen direkt in die Arme von Gundula Krämer, die gerade aus der Tür kam.

„Ja, Ferdi. Was machst du denn so früh bei der Polizei?“ Mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis, stellte sich die gerade mal 1 Meter 45 kleine Frau dem 1 Meter 90 Hünen in den Weg.

„Ist schon wieder was passiert?“

„Wieso? Woher weißt du ...?“

Sogleich gab Ferdinand sich selber die Antwort.

Was Gundel an Körpergröße fehlte, machte sie durch ihre allgegenwärtigen Augen und Ohren wett. Zurückhaltung und Diskretion waren nicht gerade ihre Stärken. Sie sah und wusste einfach alles, was in der Stadt vor sich ging und kannte auch beinahe jeden; zumindest die alteingesessenen Einwohner.

Jetzt hatte sie ihn und Lizzy gesehen, als sie die Polizeidienststelle verließen. Es hatte also keinen Sinn etwas abzustreiten oder zu verheimlichen. Zudem würde es morgen sowieso in der Zeitung stehen, die Gundel regelmäßig und intensiv las.

Dennoch informierte Ferdinand die Schwägerin seiner Ehefrau nur über den Fund der Leiche neben der Mulaule; nicht aber darüber, dass es sich um einen Mann in der Seligenstädter Tracht der Frauen handelte.

„Und warum hast du nicht schon von dort den Notarzt und die Polizei gerufen?“, fragte Gundel mit einem unüberhörbaren Vorwurf in der Stimme.

„Ein Notarzt hätte da nichts mehr ausrichten können; das kannst du mir glauben. Außerdem liegt mein Handy zu Hause“, antwortete Ferdinand wahrheitsgemäß.

„Hm, hm, hm“, brummte Gundel und schüttelte ihren Kopf mit den dauergewellten, hellblonden Haaren.

„Typisch Mann. Jetzt gibt es schon die Möglichkeit, mit einem Handy von überall hin und her zu telefonieren und dann vergisst du es mitzunehmen.“

Dem hatte Ferdinand nichts entgegenzusetzen und hob nur entschuldigend die Schultern.

„Ich muss jetzt aber wirklich ... Bettina wartet.“

Er drängte sich an Gundel vorbei und öffnete die Tür zur Bäckerei.

„Du musst aber unbedingt Helene und Herbert informieren“, rief diese ihm hinterher. „Ihr seid doch in letzter Zeit sowieso so eng.“

Zum besseren Verstehen ihrer Andeutung kreuzte sie ihre kurzen, fleischigen Zeigefinger übereinander.

„Ich sage schon mal Sepp und Schorsch Bescheid. Die ersten Stunden sind entscheidend für die Ermittlungen“, hörte Ferdinand dumpf ihre helle Stimme durch die bereits geschlossene Tür.

Er holte tief Luft. Warum muss die Frau ständig irgendwem irgendwas erzählen? Und welche Ermittlungen, dachte er noch. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Er tätig schnell seinen Einkauf und eilte, die Brötchentüte in der einen Hand, Lizzy an der anderen führend, die Bahnhofstraße entlang. In Höhe des Kinos hielt er kurz an und schaute nach links.

Soll ich doch erst einen Abstecher zu Helene und Herbert machen, rauschte der Gedanke durch seinen Kopf. Hingegen zeigte seine Armbanduhr: 9 Uhr 20. Er entschied sich für das Frühstück mit Bettina.

Mulaule

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