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V. Der Zwangsverkauf des Horster Grashauses

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Samuel de Taube fuhr mit geliehenem Geld unverzüglich zusammen mit seinem Bruder Salomon von Oldenburg zum Grashaus zurück. Er schrieb 1942: „Dort hausten noch die SA-Leute, und die Wirtschafterin10 erzählte uns weinend, sie täten, als ob alles ihnen gehörte. Sie hatten alle Schränke aufgerissen und mitgenommen, was ihnen passte. Während ich mit meinem Bruder eine Tasse Tee trank, kam ein Wagen mit vier Herren vorgefahren, von denen einer der Kreisbauernführer war. Ich fragte, was die Herren wünschten, worauf ich angefahren wurde: ‚Was machen Sie denn hier noch? Sie haben hier nichts mehr zu suchen, und wenn Sie nicht gleich machen, dass Sie wegkommen, dann werden wir es Ihnen zeigen!’ Ich sagte: ‚Es ist doch wohl noch mein Gut,’ worauf mir erwidert wurde: ‚Ihnen gehört gar nichts, das ist jetzt alles anders. Wo sind die Bücher?’ - ‚Die sind nicht hier, das Gut habe ich an meine Söhne verpachtet, und die Bücher werden in Wilhelmshaven geführt.’ ‚Morgen früh um 10 Uhr sind die Bücher hier, sonst sollen Sie sehen, was Ihnen passiert!’ Ich fuhr dann mit meinem Bruder nach Wilhelmshaven. Am nächsten Morgen kamen dort ein Gestapobeamter, der Landrat aus Wittmund11 und zwei SA-Leute von der Kreisleitung und verlangten die Bücher. Sie durchsuchten alles, nahmen die Bücher mit und was sie sonst noch wollten – alles immer unter Schimpfereien auf die Juden.“12 Die Plünderungen wiederholten sich in den nächsten Tagen noch zweimal. Am 19. November brachten zwei SS-Leute Samuel de Taube zum Sitz der Wilhelmshavener NSDAP-Kreisleitung. Der Kreisleiter13 und die Gestapo zwangen ihn, das Haus in der Adalbertstraße unter Marktwert an die Kreisleitung zu verkaufen, ansonsten würden seine Söhne nicht aus dem KZ Sachsenhausen herausgelassen.14

Robert de Taube wurde am 9. Dezember 1938 fast zeitgleich mit seinen Brüdern entlassen, er schildert die Qualen dieser vier Wochen eindringlich in seinen Erinnerungen. Aus diesem Lager der SS kamen die Häftlinge nur unter der Auflage heraus, sofort die Auswanderung zu betreiben und über die Haft absolutes Stillschweigen zu bewahren. Er durfte ebenfalls nicht auf das inzwischen offiziell beschlagnahmte Grashaus zurück, alle de Taubes mussten sich in Wilhelmshaven aufhalten. Erneut in ein KZ verschleppt zu werden, stand bei allen folgenden administrativen Vorgängen unausgesprochen und auch häufig direkt ausgesprochen als Drohung im Raum.

Bereits zum 10. November 1938 hatten die Behörden den Landwirt und damaligen stellvertretenden Ortsbauernführer Eilert Behrends aus Horsten zum Verwalter für die einstweilige Fortführung des Wirtschaftsbetriebs und für die Verwaltung und Veräußerung des Ernst und Robert de Taube gehörenden Pachtvermögens eingesetzt. Das lebende Inventar umfasste im November 1938 nach Auflistung von Behrends 16 Pferde, 236 Stück Rindvieh, 28 Schafe, 22 Schweine und ein paar Dutzend Hühner, aber offenbar war schon einiges weggekommen.

In den Wochen nach dem Pogrom erließ die Reichsführung eine Fülle von Verordnungen, die zügig von den nachgeordneten Behörden und den Banken umgesetzt wurden. Sie beendeten das Geschäftsleben der jüdischen Einwohner, zwangen sie unter Genehmigungspflicht in kurzer Zeit zum Verkauf ihrer Häuser, Grundstücke und Wertsachen, sperrten die Konten mit den vorhandenen und durch den Zwangsverkauf erzielten Vermögenswerten, erhoben Sondersteuern, erlaubten nur Ausgaben zum Lebensunterhalt und konfiszierten über die sogenannte Reichsfluchtsteuer, was zum Zeitpunkt der Auswanderung übrig geblieben war. Zurück blieb ein kleiner Rest. Der einstige Millionär Samuel de Taube hatte bei seiner Einreise nach England 10,- Reichsmark in der Tasche.

Samuel de Taube wurde mit Schreiben vom 2. Februar 1939 angewiesen, sein Grundeigentum binnen vier Wochen zu veräußern und es zu diesem Zweck zu einem bestimmten Preis der Hannoverschen Siedlungsgesellschaft (HSG) zum Kauf anzubieten. Nach einem vergeblichen Protest wegen des unangemessen niedrigen Preises und einer Reihe von Einschüchterungen erreichten die Nationalsozialisten schließlich am 21. April 1939 die Übertragung der rund 153 Hektar an die HSG. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 23. Juni 1939. Das tote und lebende Inventar gehörte den Pächtern Ernst und Robert de Taube jeweils zur Hälfte und wurde bei demselben Termin im Regierungspräsidium Aurich ebenfalls an die HSG und ebenfalls weit unter Marktwert zwangsverkauft. Die ausgefertigten Verträge lagen zur Unterschrift bereit und durften nicht mehr verändert werden. „In Aurich wurden wir wie Verbrecher behandelt“, berichtete Samuel de Taube. Seinen Sohn Ernst habe er folgendermaßen bei einer Beratungspause auf dem Korridor zur Unterschrift bewegt: „Es bleibt uns ja doch nichts anderes übrig, wir haben ja doch keine Rechte mehr, lass uns unterzeichnen. Wir können froh sein, wenn wir lebendig herauskommen.“15

Siedlungsgesellschaften waren zur Zeit des Nationalsozialismus mit dafür zuständig, die rassistische agrarpolitische Ideologie von „Blut und Boden“ umzusetzen. Im Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933 heißt es: „Die Reichsregierung will […] das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten. […] Bauer kann nur sein, wer deutscher Staatsbürger, deutschen oder stammesgleichen Blutes und ehrbar ist.“ Die HSG bildete aus den Grundstücken des Juden Samuel de Taube einen Resthof von rund 72 Hektar, das meint das Gelände direkt um das Grashaus, und bot diesen dem Kreisbauernführer Erich Reents aus der Nähe von Wittmund zum Kauf an. Die Familie Reents ließ zunächst den Hof im Auftrag bewirtschaften und zog im Oktober 1939 selbst ein. Die sonstigen Grundstücke zur Gesamtgröße von rund 81 Hektar verkaufte die HSG an 25 Landwirte aus dem Raum Horsten zur Aufstockung ihrer Betriebe, die vorwiegend bisher nicht über Klei- bzw. Ackerland verfügten und zum Teil auch die Höherstufung ihres Hofes als „Reichserbhof“ erlangen wollten.

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