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III. Die Nationalsozialisten bekommen die Macht

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Die politischen Ver­änderungen im direkten geografischen Umfeld konnten den de Taubes nicht verborgen bleiben. Bei den Reichstagswahlen vom Mai 1924 erzielte der „Völkisch-Sozialer Block“ (VSB), ein aggressiv antisemitisches Bündnis der sich formierenden Nationalsozialisten mit den Deutschvölkischen zur Zeit der Festungshaft Hitlers, im Kreis Wittmund den republikweiten Spitzenwert von 46,4 Prozent der Stimmen. Die ebenfalls antisemitische DNVP kam auf 14,6 Prozent. In Horsten, zu dem das Horster Grashaus gehörte, stimmten 75, im angrenzenden Gödens 80,2 und in Friedeburg sogar 94,5 Prozent für den VSB.

Die Antisemiten fassten in Neustadtgödens, an das das Grashaus sozial stärker angebunden war als an Horsten, nicht so früh und breit Fuß wie in den westlichen Nachbardörfern, in denen das Landvolk dominierte. In Neustadtgödens lebten noch Reste des angestammten Kleinbürgertums, aber auch viele nach Wilhelmshaven orientierte Arbeiter; „nur“ 38 Prozent stimmten 1924 für den VSB. In diesem Jahr trat in Neustadtgödens der spätere „NSDAP-Reichsredner“ Johann „Jann“ Blankemeyer (1898 – 1982) aus Hude auf. Auf Plattdeutsch erreichte er die Zuhörer mit seinen antisemitischen Tiraden.6 Der „Anzeiger für Harlingerland“ des Verlegers Enno Mettcker, der im Landkreis Wittmund eine Art Pressemonopol besaß, unterstützte redaktionell die extreme Rechte seit dem Anfang der Weimarer Republik. Die Zeitung verfolgte hier dieselbe publizistische Tendenz wie das ebenfalls Mettcker gehörende „Jeversche Wochenblatt“, das das Amt Jever agitierte. Die politische Situation in Neustadtgödens kann bis zum Beginn der Wirtschaftskrise 1929 dennoch als demokratisch bezeichnet werden. Bei der Landtagswahl von Mai 1928 bekamen die Parteien dieses Spektrums eine deutliche Mehrheit, aber in Horsten, wenige Kilometer weiter, lag 1928 die NSDAP bereits bei 56,2 Prozent.

Bei den Reichstagswahlen von März 1933 erzielte die NSDAP im Kreis Wittmund mit 71,0 Prozent (Reichsdurchschnitt 43,9 Prozent) eines ihrer Spitzenergebnisse. In Neustadtgödens kam die NSDAP auf 59,8 Prozent (162 von den insgesamt 271 abgegeben Stimmen), in Gödens auf 75,5 Prozent (336 von 445), in Horsten auf 82,6 Prozent (405 von 490) und in Friedeburg auf 85,3 Prozent (370 von 438).

Für die landständige Bevölkerung war von besonderer Bedeutung, dass der größte Grundbesitzer der Gegend, Haro Burchard Graf von Wedel (1891 – 1966) auf Schloss Gödens, bereits am 10. Februar 1932 in die NSDAP eintrat und als sozial stärkste Person am Ort bis 1937 die Ortsgruppe der NSDAP Gödens-Neustadtgödens leitete. Von ihm waren weite Kreise als Pächter landwirtschaftlicher Grundstücke oder als Landarbeiter mehr oder minder abhängig. Ein anderer Teil der arbeitenden Bevölkerung war auf der Kriegsmarinewerft in Wilhelmshaven beschäftigt. Bei diesem reichseigenen Rüstungsbetrieb wurde größter Wert darauf gelegt, nur solche Arbeitskräfte zu haben, die sich positiv zum Nationalsozialismus stellten. Diese Umstände erklären vielleicht, dass nach 1933 fast die gesamte männliche Bevölkerung des Landstrichs, darunter selbst Männer im vorgerückten Alter, der SA beitrat.7

Dem seit Beginn der 1920er Jahre ansteigenden gesellschaftlichen Druck auf die Juden folgten nach der Machtübertragung an die NSDAP 1933 sofort antisemitische Maßnahmen der Partei, der SA und des Staatsapparats. Robert de Taube erwähnt für die Anfänge der NS-Zeit in seinen Erinnerungen den Boykott vom 1. April 1933, das Umstürzen von Milchkannen an der Straße von Horsten nach Blauhand, Schwierigkeiten beim An- und Verkauf von Weidevieh und bei der Aufnahme von Pferden in das Ostfriesische Stutbuch. Am Eingang zu der zum Grashaus führenden Allee brachte die SA das Plakat „Juden unerwünscht!“ an. In Neustadtgödens und Horsten hing die SA das antisemitische Hetzblatt Der Stürmer in sogenannten Stürmer-Kästen aus. Bei den Kundgebungen und Umzügen der NS-Verbände wurden die üblichen „Kampflieder“ und Parolen gebrüllt. Schleichend schränkten die Behörden den Radius der jüdischen Viehhändler durch Maßnahmen wie Entzug des Führerscheins oder Nichtverlängerung der Wandergewerbeerlaubnis ein, bis sie 1938 das generelle Berufsverbot aussprachen. Nichtjüdische Bauern, die ihre alten Geschäftsbeziehungen aufrecht erhielten, wurden als „Judenknechte“ denunziert und bedroht. Solche Verfolgungen strangulierten in ihrer Wirkung mehr und mehr die Wirtschaftlichkeit des Grashauses und legten den Wegzug in weniger enge Verhältnisse innerhalb Deutschlands oder die Emigration nahe. Auch Samuel de Taube spielte spätestens 1936/37 nicht nur in Gedanken mit dem Verkauf der Ländereien, sondern beauftragte damit sogar schon einen Auktionator. Der Verkauf realisierte sich allerdings nicht und musste dann nach dem Pogrom von November 1938 unter behördlichem Zwang und in einem engen Zeitrahmen vorgenommen werden.

Am 15. März 1936 gab die jüdische Gemeinde Neustadtgödens ihre Synagoge mit einem feierlichen Gottesdienst durch den Landesrabbiner Dr. Samuel Blum aus Emden (1883 – 1951) auf. 1936 hatte die Gemeinde nur noch wenige Mitglieder und deshalb kaum noch Einkünfte zur Gebäudeunterhaltung. Der Psalm 43,5, über den der Landesrabbiner sprach, lautete: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

Die de Taubes waren in dieser Generation im engeren Sinne nicht mehr religiös, aber wir dürfen annehmen, dass zumindest Samuel, sein in Neustadtgödens wohnender Bruder Salomon und Robert de Taube bei diesem traurigen Abschied anwesend waren. Der vier Jahre jüngere Bruder Kurt de Taube, der als Kaufmann in der Wilhelmshavener Viktoriastraße 10 im Eck direkt an der Adalbertstraße 34 wohnte, war im Vorstand der dortigen Synagogengemeinde engagiert, die 1915 eine stattliche Synagoge hatte errichten lassen.

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