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Vorwort

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Robert de Taube starb im Alter von 85 Jahren im August 1982. Zu diesem Zeitpunkt war er für alle, die ihn kannten oder nur einmal von ihm gehört hatten, eine lebende Legende. Den ausgefeilten Plänen der nationalsozialistischen Judenmörder entkommen zu sein, im Chaos des Kriegsendes die geraubten Besitztümer zurückgefordert zu haben und inmitten der Täter und Mitläufer den größten Bauernhof weit und breit erneut zu bewirtschaften, machte nur einen Teil seiner Bekanntheit aus. Sein charmantes Charisma stand in einem seltenen Kontrast zu seiner bäuerischen Bodenständigkeit. Aber zum Gespräch machte diesen fast einzigen Holocaust-Überlebenden weit und breit, was er zu Lebzeiten über die Nazi-Zeit erzählte - oder eher nicht erzählte.

Robert de Taube glich in den langen Jahrzehnten des absichtsvollen Verdrängens des Völkermords an den Juden jener sprichwörtlichen Leiche, die fast jeder auch seiner Nachbarn aus der Nazi-Zeit im Keller hatte, die aber ständig die Kellertreppe hochkam. Nur den übelsten Nazis vor Ort trug er etwas nach, obwohl sich unter den Ermordeten sein Bruder Ernst und viele weitere Familienangehörige befanden. Über die kleinen Peiniger der Nachbarschaft schwieg er sich aus und erzählte lieber davon, wie er in Berlin den Deportationen nach Auschwitz unter der Identität „August Schneider, Landschaftsgärtner aus Hamburg“ entkommen war.

Das Gerücht, er habe einen langen Bericht mit den Namen der Täter verfasst, diesen bei einem Rechtsanwalt deponiert und verfügt, dass er erst veröffentlicht werden dürfe, wenn alle Genannten gestorben wären, hielt sich lange.1 Wahr ist, dass Robert de Taube 1971 einem Neffen ein ausführliches Interview gab, der dann das Transkript der Audiokassetten vervielfältigte. Und dass unter den Papieren des Verstorbenen ein später entstandener, fast gleichlautender Bericht aufgefunden wurde, von dem bestimmte Einwohner Neustadtgödens immer Kopien besaßen, die sie aber zurückhielten. Das Gerücht machte den nachwachsenden Generationen zu einem Rätsel, was die Täter und ihre Familien ohnehin wussten und was einmal öffentlich gewesen war: Die Namen aller 24 wegen des Pogroms von 1938 auf dem Horster Grashaus und in Neustadtgödens Angeklagten standen 1949 in der Zeitung und die Durchschläge des Urteils mit allen Namen befanden sich in vielen Haushalten der Nachbarschaft.

Die nun gedruckt vorliegenden, abenteuerlichen Schilderungen Robert de Taubes der Jahre von 1933 bis 1973 nennen auch Namen, sie geben aber vor allem ein beredtes Zeugnis seiner Klugheit und situativen Spontanität, seiner Menschenkenntnis, seines Witzes und seines Glücks beim Kampf um das Überleben. Auf ihren letzten Seiten sprechen sie auch vom Preis, den dieser Mann zahlen musste für seine lebensnotwendige, permanente Wachsamkeit vor den SS-Schergen und Denunzianten und nach 1945 für seine Entscheidung, nicht aus Deutschland zu weichen. Sie berichten von Schlaflosigkeit, Herzproblemen und dem auf Gewissheit begründeten Misstrauen, dass ein Jude für viele auch nach dem Ende der NS-Diktatur ein „Fremder“ war und bleiben sollte. Daran konnten seine Volkstümlichkeit und Großzügigkeit nichts ändern.

Robert de Taube legt mit seinem unbeirrten Verhalten ein Beispiel dafür ab, was „Heimat“ eigentlich ist: Sie liegt im Auge des Betrachters und entspringt der freien Wahl des Individuums. Obwohl dieser deutsche, von den Nazis zum Juden gemachte Landwirt von den meisten „Deutschen“ seiner Zeit und auch von vielen danach nicht gewollt wurde, hat er der Region, die er liebte, seinen Stempel aufgedrückt. „Diese Gegend hat mich kaputt gemacht, und ich bleibe solange, bis man ihr das anmerkt.“ (Herbert Achternbusch) Mit seinen Erinnerungen hat sich Robert de Taube in seine Heimat hinein­geschrieben - in das so friedlich scheinende Horster Grashaus und die umgebende fruchtbare Marsch.


Robert de Taube zum Zeitpunkt des Interviews durch Walter John Pohl im Mai 1971

(© Sammlung Pohl, Lexington, Kentucky)

Das offene Versteck

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