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VII. Robert de Taube in Berlin 1940 bis 1945
ОглавлениеMit Beginn Ende Januar 1940 organisierte die Geheime Staatspolizeistelle in Wilhelmshaven die Vertreibung der Juden in ihrem Zuständigkeitsbereich, d. h. dem Land Oldenburg und dem preußischen Regierungsbezirk Aurich (Ostfriesland). Begründet wurde die Aktion mit dem angeblich „weiterhin frechen Auftreten der Juden“, der „Gefahr“ jüdischer Spionage oder Sabotage in der „Grenzzonenregion“ Weser-Ems oder auch mit der Wohnraumbeschaffung für „deutsche Volksgenossen“. Mit solchen Sätzen hatten einige Landräte und Bürgermeister der Region schon seit Kriegsbeginn im September des Vorjahres darauf gedrängt, ihre Bezirke endlich „judenrein“ zu machen. Allerdings konnte die anfänglich betriebene Deportation in das okkupierte Polen nicht beim Reichssicherheitshauptamt durchgesetzt werden.19
Betroffen von der Vertreibung waren fast alle im Gebiet lebenden jüdischen Männer und Frauen. Ausgenommen blieben nur die in christlich-jüdischer „Mischehe“ lebenden jüdischen Partner sowie zunächst die Bewohner der beiden jüdischen Altenheime in Emden und Varel. Alle anderen wurden zu Einzelgesprächen direkt bei der Gestapo am Rathausplatz von Wilhelmshaven, wie Robert de Taube und seine Brüder, oder auf die Landratsämter und Rathäuser vorgeladen. Innerhalb weniger Wochen hatten sie sich unter Androhung der Verschleppung in ein Konzentrationslager eine neue Unterkunft in Großstädten außerhalb der Weser-Ems-Region zu suchen. Im Unterschied zu den im Herbst 1941 beginnenden Sammeldeportationen deutscher Juden nach Osteuropa konnten die Opfer hier noch selbst eine gewisse Auswahl des Vertreibungsziels treffen. In der Praxis beschränkte sich das allerdings meist auf den Unterschlupf in „Judenhäusern“ von Berlin oder Hamburg, den die örtlichen jüdischen Gemeindevertretungen zuwiesen. Da lediglich einzelne Zimmer bezogen werden konnten, blieb keine andere Wahl, als fast das gesamte verbliebene Hab und Gut zurückzulassen oder es bestenfalls unter Wert eiligst zu verkaufen.
Robert de Taube ging im März 1940 nach Berlin. Ende 1941 überstand er durch die Simulation eines Rückenleidens in dem katholischen St. Hildegard-Krankenhaus die erste Deportationswelle Berliner Juden nach Osteuropa. Danach hatte er 14 Monate Zwangsarbeit in einer Kreuzberger Fabrik zu leisten, weil den Nationalsozialisten wegen des Krieges die Arbeitskräfte auszugehen drohten. Im März 1943 entschied er sich nach der überfallartigen Deportation seines Bruders Ernst und dessen Ehefrau nach Auschwitz, die auch ihn getroffen hätte, wenn er nicht vorher gewarnt worden wäre, in den Untergrund zu gehen und irgendwie zu überleben. Nach schwierigen Anfängen auf der Straße und in kurzfristigen Unterschlupfen schuf sich Robert de Taube eine Art offenes Versteck, ein Netzwerk verschiedener Adressen und Tätigkeiten. Er fuhr als „August Schneider, Landschaftsgärtner aus Hamburg“ mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Papiere kreuz und quer durch Berlin und die Peripherie bis hin zur rund 50 Kilometer entfernten Spargelregion Beelitz. Er handelte mit Gemüse, Obst und Kleidungsstücken, arbeitete als Gärtner und Hausmeister und lebte nacheinander und manchmal gleichzeitig unter einem Dutzend Berliner Adressen. Ausgerechnet im noblen Villenviertel von Grunewald, bei der reichen Witwe Hanna Sotscheck-Cassirer, fand er seine beste Bastion. Als Gärtner machte er den vom namhaften Landschaftsarchitekten Georg Belá Pniower gestalteten Nachbargarten für die Erfordernisse der Kriegswirtschaft tauglich. Wegen seiner beruflichen Fähigkeiten und seines offensichtlichen Charmes hätte er im Zeichen des kriegsbedingten Männermangels in verschiedene Familien des ländlichen Umlands einheiraten können. Ohne nichtjüdische Unterstützer und ohne fast unglaublich großes Glück hätte er aber nicht überlebt. Mehrfach entkam er nur knapp den Häschern der SS und den Bomben der Alliierten, die die Reichshauptstadt in Schutt und Asche legten. Im September 1945 kam er nach einer einzigartigen Odyssee durch den Untergrund der untergetauchten Juden und parallel durch die arrivierte Berliner Gesellschaft und nationalsozialistische Bauernfamilien zurück nach Wilhelmshaven.