Читать книгу Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery - Robert E. Howard - Страница 10
Herrscher der Nacht
ОглавлениеCäsar saß auf goldenem Thron.
Seine ehernen Legionen kamen,
Zu vernichten einen Herrscher
Und eine Rasse ohne Namen.
- Das Lied des Bran –
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DER DOLCH ZUCKTE HERAB. Ein Aufschrei ging in ein Gurgeln über. Die Gestalt auf dem klobigen Altar ruckte noch ein paarmal und lag dann still. Die Feuersteinschneide drang in die Brust, und dünne Finger rissen das Herz heraus. Unter dichten, weißen Augenbrauen glühten scharfe Augen voll wilder Intensität.
Außer dem Opferpriester standen vier Männer um den Steinhaufen, der den Altar des Gottes der Schatten darstellte. Einer war von mittlerer Größe, schlank gebaut, spärlich bekleidet, und sein Haar wurde von einem schmalen Eisenreif gehalten, in dessen Mitte ein rotes Juwel glühte. Von den anderen glichen zwei dem ersten in der dunklen Farbe der Haut, doch waren sie untersetzt und mißgestalt, ihre Gliedmaßen verformt, und das strähnige Haar fiel wirr über die fliehende Stirn. Während sein Antlitz von Intelligenz und eisernem Willen zeugte, stand in ihren Gesichtern nur tierische Wildheit. Der vierte Mann hatte mit den übrigen wenig gemeinsam. Zwar war sein Haar schwarz wie das ihrige, doch überragte er sie um Haupteslänge, besaß eine relativ lichte Haut und graue Augen. Mißbilligend betrachtete er das Geschehen.
Ja, Cormac von Connacht fühlte sich unbehaglich. Gewiß huldigten die Druiden auf Erin, seiner Insel, dunklen Opferbräuchen, doch nicht so etwas. Düstere Bäume umgaben den Platz, der notdürftig von einer einzelnen Fackel erleuchtet wurde. Durch die Zweige wimmerte gespenstisch der Nachtwind. Cormac befand sich allein mitten unter den Angehörigen einer fremden Rasse und hatte soeben mit angesehen, wie einem Mann das Herz aus dem Körper gerissen worden war. Jetzt betrachtete der uralte Priester das pulsierende Ding. Cormac schauderte und warf dem mit dem Juwel einen Blick zu. Glaubte Bran Mak Morn, König der Pikten, tatsächlich, daß der weißbärtige Schlächter an einem blutenden Menschenherz die Zukunft vorauszusehen imstande war? Die dunklen Augen des Königs verrieten nichts. Die Seele dieses Mannes besaß Tiefen, die für Cormac ebenso wie für jeden anderen unergründlich waren.
„Die Zeichen sind günstig!“ rief der Priester wild und sprach mehr zu den beiden Häuptlingen als zu Bran. „Hier, im Herzen eines gefangenen Römers, lese ich –den Untergang des römischen Heeres! Triumph für die Söhne der Heideländer!“
Die beiden Wilden murmelten erregt, und ihre Augen glitzerten.
„Geht und bereitet eure Clans für den Kampf vor“, sagte der König, und die beiden gehorchten und entfernten sich in ihrem affenartigen Gang, den ihnen die verkrümmten Körper aufzwangen. Ohne dem Priester noch irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, der die grausamen Überreste auf dem Altar untersuchte, winkte Bran Cormac zu. Der Gäle folgte ihm bereitwillig. Außerhalb des Opferplatzes, unter dem Licht der Sterne, atmete er erleichtert auf. Sie befanden sich auf einer Anhöhe und blickten über das Meer des wogenden Heidekrauts. In der Nähe brannten einige Feuer. Dahinter waren mehr Feuer und hinter diesen noch mehr, und die letzteren bezeichneten das Lager von Cormacs eigenen Leuten, verwegen reitende und kämpfende Galen. Sie bildeten einen Teil der Gruppe, die sich soeben an der Westküste von Kaledonien festzusetzen begann, dem Kern des Landes, aus dem sich das Königreich Dalriadia entwickeln sollte. Links von diesen glühten weitere Feuer.
Und weit im Süden gab es noch mehr Feuer – winzige Lichtpünktchen. Doch selbst auf die große Entfernung hin vermochten der Piktenkönig und sein keltischer Verbündeter zu erkennen, daß sie regelmäßiger angeordnet waren.
„Die Lagerfeuer der Legionen“, murmelte Bran. „Die Feuer, die einen Pfad um die Welt erleuchten. Die Männer, die diese Feuer entzündeten, haben die Völker unter ihre Füße getrampelt. Und jetzt, jetzt stehen wir von den Heideländern mit dem Rücken gegen die Wand. Was wird der Morgen bringen?“
„Unseren Sieg, sagt der Priester“, antwortete Cormac.
Bran machte eine ungeduldige Handbewegung. „Mondenschein auf dem Ozean. Wind in den Wipfeln der Föhren. Denkst du, ich glaube an solchen Mummenschanz? Oder daß mich das Hinschlachten eines gefangenen Legionärs erfreut? Ich muß meine Leute ermutigen; es war Gron und Bocahs wegen, daß ich den alten Gonar die Zeichen erforschen ließ. Die Krieger werden besser kämpfen.“
„Und Gonar?“
Bran lachte. „Gonar ist zu alt, um auch nur irgend etwas zu glauben. Er war bereits Jahre vor meiner Geburt Hoherpriester der Schatten und behauptet, direkt von jenem Gonar abzustammen, der in den Tagen Brules des Speeres, dem Begründer meines Geschlechtes, ein Zauberer war. Niemand weiß, wie alt er ist. Manchmal glaube ich, er ist der ursprüngliche Gonar selbst!“
„Zumindest habe ich eines gelernt“, sprach eine spöttische Stimme, und Cormac fuhr zusammen, als eine undeutliche Gestalt an seiner Seite auftauchte, „daß ein weiser Mann als Narr auftreten muß, um das Vertrauen und den Glauben der Menschen nicht zu verlieren. Ich kenne Geheimnisse, die selbst dir den Verstand rauben würden, Bran, würde ich sie dir verraten. Aber um mir den Glauben der Leute zu erhalten, bin ich zu solchen Dingen gezwungen, die sie für richtige Magie halten. Und deswegen hüpfe und schreie ich, raßle mit Schlangenhäuten und rühre in Menschenblut und Hühnerlebern.“
Cormac betrachtete den Alten mit neuem Interesse. Der Anschein des Halb-Irren war verschwunden. Er war nicht länger der Scharlatan, der Sprüche murmelnde Schamane. Das Sternenlicht verlieh ihm eine Würde, die ihn größer erscheinen ließ. Er wirkte wie ein Patriarch.
„Deine Zweifel liegen dort, Bran.“ Ein dürrer Arm wies auf den vierten Feuerring.
„Aye.“ Der König nickte düster. „Cormac, du weißt es ebenso wie ich. Der Ausgang der morgigen Schlacht hängt von jenem Lager ab. Mit den Streitwagen der Briten und deinen Reitern aus dem Westen wäre uns der Sieg gewiß – aber im Herzen eines jeden Nordmanns wohnt ein Teufel! Jetzt, da ihr Anführer, Rognar, tot ist, schwören sie, nur unter einem König ihrer Rasse zu kämpfen! Sonst brechen sie ihren Schwur und gehen zu den Römern über. Ohne sie sind wir verloren, denn wir können unseren Plan nicht ändern.“
„Fasse Mut, Bran“, sagte Gonar. „Greif an das Juwel in deiner Eisenkrone. Vielleicht bringt es dir Hilfe.“
Bran lachte bitter. „Jetzt sprichst du so, wie die Männer denken. Ich bin kein Narr, der an leere Worte glaubt. Was willst du mit dem Juwel? Es ist seltsam, richtig; und es hat mir bisher Glück gebracht. Aber jetzt benötige ich nicht Juwelen, sondern den Beistand von dreihundert launischen Nordmännern, die einzigen unter uns, die zu Fuß dem Anfall der Legion standzuhalten vermögen.“
„Aber das Juwel, Bran, das Juwel!“ beharrte Gonar.
„Ja, das Juwel!“ rief Bran ungeduldig. „Es ist älter als diese Welt. Es war alt, als Atlantis und Lemuria in der See versanken. Brule der Speer, der erste meiner Ahnen, erhielt es von dem Atlanter Kull, dem König von Valusien, als die Welt noch jung war. Aber hilft uns das jetzt?“
„Wer weiß?“ meinte der Zauberer ausweichend. „Zeit und Raum existieren nicht. Es gab keine Vergangenheit, und es wird keine Zukunft geben. Das Jetzt ist alles. Alles, was jemals war, ist oder sein wird, ereignet sich jetzt. Der Mensch befindet sich stets im Zentrum dessen, was wir Zeit und Raum nennen. Ich habe mich ins Gestern und ins Morgen begeben, und beides war so wirklich wie das Heute, das heißt wie die Träume von Geistern! Aber laß mich schlafen und mit Gonar sprechen. Vielleicht steht er uns bei.“
„Was meint er?“ fragte Cormac und schüttelte sich leicht, als der Priester in den Schatten verschwand.
„Er hat immer schon behauptet, der erste Gonar erscheine ihm in seinen Träumen und spräche mit ihm“, antwortete Bran. „Ich habe ihn Taten vollbringen sehen, die über das hinausgehen, wozu Menschen imstande sind. Ich weiß nicht. Ich bin nur ein kleiner König mit einer Eisenkrone, der versucht, eine Rasse von Wilden aus dem Sumpf zu führen, in den sie versunken ist. Sehen wir zu den Lagern.“
Als sie dahinschritten, versank Cormac in Gedanken. Welch seltsames Schicksal hatte bewirkt, daß solch ein Mann aus einem Volk von Wilden hervorgegangen war, aus den Überbleibseln eines dunkleren, grimmigeren Zeitalters? Sicherlich war er ein Atavismus, ein richtiger Vertreter der Pikten aus den Tagen, als sie über ganz Europa herrschten, ehe ihr primitives Reich unter den Bronzeschwertern der Gallier zugrunde ging. Cormac wußte, daß Bran sich aus eigenen Kräften von der unbedeutenden Stellung des Sohnes eines der Wolfs-Clan-Häuptlinge emporgearbeitet und bis zu einem gewissen Grad die Stämme der Heideländer geeinigt hatte und nun die Königswürde über ganz Kaledonien beanspruchte. Doch war seine Herrschaft nicht gesichert, und es mußte noch viel geschehen, ehe die Pikten die Fehden zwischen den Clans vergessen und dem Feind eine gemeinsame Front bieten würden. Von der morgigen Schlacht, der ersten regelrechten Schlacht zwischen den Pikten unter ihrem König und den Römern, hing die Zukunft des wachsenden piktischen Königreiches ab. Bran und sein Bundesgenosse schritten durch das Lager der Pikten, wo die Krieger um ihre kleinen Feuer lagen und schliefen oder an halbgarem Fleisch nagten. Cormag war beeindruckt von ihrer Stille. Tausend Männer lagerten hier, und doch war kaum hier und da ein gutturales Murmeln zu vernehmen. Die Stille der Steinzeit ruhte in den Seelen dieser Männer.
Alle waren sie klein, und die meisten besaßen verbogene Glieder. Bran Mak Morn überragte sie alle. Nur die älteren Männer trugen Barte, und diese waren schütter. Das schwarze Kopfhaar hing ihnen wirr über die Augen. Sie waren barfüßig und notdürftig in Wolfsfelle gehüllt. Ihre Waffen bestanden aus kurzen, gezackten Eisenschwertern, schweren Bögen, Pfeilen mit Spitzen aus Stein, Eisen und Kupfer sowie aus Steinhämmern. Zur Verteidigung besaßen sie grobe Schilde aus lederverkleidetem Holz; viele hatten Metallstücke in ihr Haar geflochten, die als geringfügiger Schutz gegen Schwertstreiche dienen sollten. Einige wenige, meist Söhne von Häuptlingen, besaßen so wie Bran gerade Glieder, doch in aller Augen glühte die unauslöschliche Wildheit des Urzeitmenschen.
Es sind Wilde durch und durch, dachte Cormac. Ärger als die Gallier, die Briten und die Germanen. Lag etwas in den alten Legenden, die besagten, daß sie zu einer Zeit herrschten, da fremdartige Städte dort standen, wo jetzt die Wogen des Meeres rollten? Und daß sie die Flut überlebten, die jene glanzvollen Imperien überschwemmte, und dann in die Barbarei zurückfielen, aus der sie sich einst erhoben hatten?
In der Nähe des Piktenlagers befanden sich die Feuer eines Trupps von Briten, Angehörige der Stämme, die südlich der Römischen Mauer in den Hügeln und Wäldern des Westens ihren Wohnsitz hatten und sich der Gewalt Roms widersetzten. Sie waren von kräftigem Körperbau, besaßen blitzende, blaue Augen und dichtes, gelbes Lockenhaar und gehörten demselben Volk an, das sich an der Ceanntischen Küste drängte, als Cäsar die römischen Adler auf die Inseln brachte. Ebenso wie die Pikten waren sie nicht gepanzert, sondern nur in grobes Leinen und Hirschhautsandalen gekleidet. Sie trugen kleine Rundschilde aus bronzeverstärktem Hartholz und lange, schwere Bronzeschwerter mit abgerundeten Spitzen. Einige hatten Bögen, waren jedoch keine Meister in deren Anwendung. Ihre Bögen waren kürzer als die der Pikten und nur auf kurze Entfernungen hin wirksam. Aber in der Nähe der Feuer standen die Waffen aufgereiht, die den Namen Brite zu einem Wort des Schreckens unter den Pikten, Römern und Nordmännern machten: Fünfzig Streitwagen aus Bronze schimmerten im Schein der Flammen. Die Achsen waren zu langen Klingen verlängert, die einem halben Dutzend Männer gleichzeitig die Beine abzutrennen vermochten. In der Nähe grasten unter den wachsamen Blicken der Posten die Zugpferde, gewaltige und rasche Tiere.
„Ich wollte, wir hätten mehr von diesen“, meinte Bran nachdenklich. „Mit tausend Streitwagen und meinen Bogenschützen könnte ich die Legionen in die See werfen.“
„Die unabhängigen Stämme der Briten müssen früher oder später ein Opfer der römischen Legionen werden“, prophezeite Cormac. „Man möchte annehmen, sie würden dich freudig in deinem Krieg unterstützen.“
Bran machte eine hilflose Geste. „Ha! Die Launenhaftigkeit des Kelten! Sie können ihre alten Fehden nicht vergessen. Unsere alten Männer berichteten uns, sie hätten sich nicht einmal gegen Cäsar zu einen vermocht, als die Römer zum erstenmal die Insel betraten. Sie kämpften niemals gemeinsam gegen einen äußeren Feind. Diese Männer stießen wegen irgendeiner Meinungsverschiedenheit mit ihrem Häuptling zu mir. Aber ich kann mich nicht auf sie verlassen, falls es nicht tatsächlich zum Kampf kommt.“
Cormac nickte. „Ich weiß. Cäsar eroberte Gallien, indem er einen Stamm gegen den anderen ausspielte. Mein eigenes Volk wechselt die Bündnisse mit dem Wechsel der Gezeiten. Aber von allen Kelten sind die Cymrier die launischsten. Vor nur wenigen Jahrhunderten nahmen meine gälischen Vorfahren Erin den cymrischen Danaanen ab, weil sie uns – obgleich in der Überzahl – stammweise entgegentraten anstatt als Nation.“
„Und nun stehen diese cymrischen Briten Rom gegenüber“, sagte Bran. „Morgen werden sie auf unserer Seite kämpfen – mehr kann ich nicht sagen. Aber wie kann ich von fremden Stämmen Treue erwarten, der ich mir nicht einmal meines eigenen Volkes sicher bin? Tausende lauern in den Hügeln und warten ab. Laß mich morgen siegen, und sie werden sich um meine Banner scharen; verliere ich, so zerstreuen sie sich wie Vögel vor einem kalten Sturm.“
Ein Chor von Begrüßungsworten tönte den beiden Anführern entgegen, als sie das Lager von Cormacs Galen betraten. Fünfhundert an der Zahl waren sie groß, schwarzhaarig und grauäugig und trugen das Gehabe von Männern zur Schau, deren Handwerk ausschließlich der Krieg ist. Wenngleich unter ihnen keine eiserne Disziplin herrschte, so gewann man doch den Eindruck größerer Ordnung, als sie in den Lagern der Pikten und Briten existierte. Sie waren zuletzt von den keltischen Völkern auf die Insel gekommen, und ihre barbarische Zivilisation stand viel höher als die ihrer cymrischen Verwandten. Die Vorfahren der Galen hatten das Kriegshandwerk an den weiten Steppen Skythiens und den Höfen der Pharaonen erlernt, wo sie als Söldner Ägyptens fochten, und vieles von dem Erlernten hatten sie nach Irland mitgebracht. Als Meister der Metallbearbeitung besaßen sie hochwertige Waffen aus Eisen.
Bekleidet waren sie mit feingewebten Kilts und ledernen Sandalen. Jeder trug ein leichtes Kettenhemd und einen offenen Helm, war ansonsten jedoch ungerüstet. Die Kelten, Galen wie auch Briten, pflegten den Mut eines Mannes am Ausmaß der Rüstung zu beurteilen, hinter der er sich verbarg. Die Briten, die gegen Cäsar kämpften, hielten die Römer für Feiglinge, weil sie sich in Metall kleideten, und viele Jahrhunderte später dachten die irischen Clans dasselbe von den gepanzerten normannischen Rittern.
Cormacs Krieger waren Reiter. Weder konnten sie mit dem Bogen umgehen, noch schätzten sie ihn. Sie trugen metallverstärkte Rundschilde, Dolche, lange, gerade Schwerter und leichte Äxte. Ihre Rösser grasten nicht weit entfernt. Sie waren nicht so kräftig wie die der Briten, dafür aber rascher.
Brans Augen leuchteten auf, als die beiden Männer durch das Lager schritten. „Deine Leute sind scharfschnäbelige Kampfvögel! Sieh nur, wie sie ihre Äxte glätten, horch, wie sie über das Morgen scherzen! Ich wünschte, die Räuber in dem Lager da drüben wären so zuverlässig wie deine Männer, Cormac! Dann würde ich die Legionen morgen mit Gelächter begrüßen, wenn sie aus dem Süden heranziehen.“
Sie traten in den Kreis der Feuer der Nordleute. Dreihundert Mann saßen umher, würfelten, schärften ihre Waffen und tranken vom Heidebier, das sie von den piktischen Verbündeten erhalten hatten. Sie betrachteten Bran und Cormac mit unfreundlichen Blicken. Der Unterschied zwischen ihnen und den Pikten und Kelten fiel sofort ins Auge: Er lag in den kalten Augen, den Gesichtszügen und in ihrer Haltung. In ihnen fand sich auch die Wildheit des Barbaren, aber sie glich nicht der plötzlichen Wut des Kelten. In ihnen war Grimm, Entschlossenheit und unerschütterliche Halsstarrigkeit. Der Anfall der britischen Clans war schrecklich, überwältigend. Aber sie hatten keine Geduld. War ihnen nicht sofortiger Sieg vergönnt, so neigten sie dazu, den Mut zu verlieren und sich zu zerstreuen. In diesen Seefahrern jedoch herrschte die Geduld des kalten, blauen Nordens – eine feste Entschlossenheit, die sie bis zum bitteren Ende ausharren ließ, wenn sie sich einmal für ein bestimmtes Ziel entschieden hatten.
Sie waren Riesen von Gestalt. Daß sie die Ansichten der Kelten, was Rüstung betraf, nicht teilten, ging aus der Tatsache hervor, daß sie in schwere Schuppenpanzer gehüllt waren, die fast bis zu den Knien reichten, daß sie massive, gehörnte Helme trugen, während die Beinkleider aus gehärtetem Leder ebenso wie die Schuhe mit Eisenplatten verstärkt waren. Ihre Schilde waren riesige Ovale aus Hartholz, Leder und Messing. Als Waffen trugen sie lange Speere mit Eisenspitzen, schwere eiserne Äxte und Dolche. Einige besaßen breite Langschwerter.
Cormac fühlte sich unter den kalten, durchdringenden Blicken der flachshaarigen Männer nicht wohl in seiner Haut. Sie waren seine Erbfeinde, auch wenn sie zur Zeit auf seiner Seite kämpften – aber taten sie das auch?
Ein Mann trat ihnen entgegen, ein langer, hagerer Krieger, in dessen narbiges Antlitz das flackernde Feuer tiefe Schatten warf. Den Mantel aus Wolfspelz über die breiten Schultern zurückgeworfen, die riesigen Hörner auf dem Helm, so stand er da in den schwankenden Schatten, ein drohendes Symbol der düsteren Barbarei, die bald die Welt überfluten sollte.
„Nun, Wulfhere“, begann der Piktenkönig, „ihr habt den Met der Beratung getrunken und an den Feuern gesprochen. Wie ist eure Entscheidung?“
Die Augen des Nordmanns blitzten im Halbdunkel. „Gib uns einen König unserer Rasse, dem wir folgen können, wenn du willst, daß wir für dich kämpfen.“
Bran streckte die Arme empor. „Verlange von mir die Sterne, auf daß sie eure Helme schmücken! Folgen dir deine Kameraden nicht?“
„Nicht gegen die Legionen“, antwortete Wulfhere störrisch. „Ein König hat uns auf den Pfad des Wikingers geführt – ein König muß uns gegen die Römer führen. Und Rognar ist tot.“
„Ich bin ein König“, sagte Bran. „Wollt ihr für mich kämpfen, wenn ich an der Spitze eures Keils stehe?“
„Ein König von unserem Blut“, erwiderte Wulfhere beharrlich. „Wir sind alle ausgesuchte Männer des Nordens. Wir kämpfen für niemand anderen als für einen König, und ein König muß uns gegen die Legionen führen.“
Cormac spürte eine leichte Drohung in der Wiederholung dieser Worte.
„Hier steht ein Prinz von Erin“, versuchte es Bran von neuem. „Wollt ihr für den Westmann kämpfen?“
„Wir fechten unter keinem Kelten – weder einem aus dem Westen noch aus dem Osten“, grollte der Wikinger, und die Umstehenden brummten zustimmend. „Es reicht schon, an ihrer Seite zu kämpfen.“
Das heiße, gälische Blut stieg Cormac in den Kopf und er trat vor Bran und griff das Schwert. „Wie meinst du das, Pirat?“
Ehe Wulfhere antworten konnte, fuhr Bran dazwischen: „Haltet ein! Wollt ihr Narren den Sieg vergeben, noch ehe die Schlacht begonnen hat? Denkt an euren Eid, Wulfhere!“
„Wir schworen ihn unter Rognar. Als er unter einem römischen Pfeil fiel, wurden wir von ihm enthoben. Gegen die Legionen folgen wir nur einem König.“
„Aber gegen das Volk der Heide folgen dir deinen Kameraden!“ schnappte Bran.
„Aye.“ Die Augen des Nordmannes begegneten kalt den seinen. „Gib uns einen König, oder wir schließen uns morgen der Römern an.“
Bran knurrte. In seiner Wut schien er die umstehenden Riesen zu überragen.
„Verräter! Lügner! Ich habe euer Leben in meiner Hand! Aye, zieht eure Schwerter, wenn ihr wollt! Cormac, du behältst deines in der Scheide. Diese Wölfe wagen es nicht, einen König zu beißen! Wulfhere, ich habe euer Leben geschont, als ich es hätte nehmen können. Ihr seid gekommen, um diese Länder zu verheeren. Ihr plündertet die Küsten, und der Rauch brennender Dörfer lag wie eine Wolke über den Ufer Kaledoniens. Ich hatte euch in der Falle, als ich eure Langschiffe verbrannte, während ihr im Landesinnern eure Hände mit dem Blut meines Volkes beflecktet. Ich lockte euch in einen Hinterhalt, als ihr zurückkehrtet Mit dreimal so vielen Bogenschützen hinter mir, wie ihr zähltet, die nach eurem Blut lechzten, verschonte ich euch, wenn wir euch wie gefangene Wölfe hätten abschießen können. Und weil ich euch verschonte, habt ihr geschworen, für mich zu kämpfen.“
„Und sollen wir sterben, weil die Pikten gegen Rom kämpfen?“ grollte einer der bärtigen Räuber.
„Euer Leben gehört mir. Ihr seid gekommen, um zu plündern. Ich habe nicht versprochen, euch alle mit Beute beladen in den Norden heimzuschicken. Ihr habt geschworen, unter meiner Fahne eine Schlacht gegen Rom zu schlagen. Dann werde ich den Überlebenden beim Schiffsbau helfen, und ihr könnt mit einem guten Anteil der Beute, die wir den Römern nehmen werden, ziehen, wohin ihr wollt. Rognar hätte seinen Schwur gehalten. Aber Rognar ist in einem Gefecht mit der römischen Vorhut gefallen, und jetzt verleitest du, Wulfhere der Zwietrachtsäer, deine Kameraden zu dem, was der Nordmann am meisten haßt: den Bruch des Schwert-Eides.“
„Wir brechen keinen Eid“, knurrte der Wikinger, und der König merkte den germanischen Eigensinn, der ungleich schwerer zu bekämpfen war als der Wankelmut der feurigen Kelten. „Gib uns einen König – weder Pikte, Gäle noch Brite – und wir sterben für dich. Wenn nicht, so kämpfen wir morgen für den größten aller Könige, den Imperator von Rom!“
Einen Augenblick lang dachte Cormac, der Piktenkönig würde sein Schwert ziehen und den Nordmann fällen. Wulfhere sah den unermeßlichen Zorn in Brans dunklen Augen, trat einen Schritt zurück und griff an den Gürtel.
„Narr!“ zischte Mak Morn mit seiner Stimme, die vor Wut vibrierte. „Ich könnte euch vom Angesicht der Erde tilgen, ehe noch die Römer nahe genug heran sind, um euer Todesgeheul zu vernehmen. Wählt! Kämpft morgen für mich oder sterbt heute nacht unter einer schwarzen Wolke von Pfeilen, einem roten Sturm von Schwertern, einer dunklen Welle von Streitwagen!“
Bei der Erwähnung der Streitwagen, der einzigen Waffe, die je den Schildwall der Nordleute durchbrochen hatte, veränderte sich der Ausdruck in Wulfheres Gesicht, aber er gab nicht nach.
„So sei Krieg“, beharrte er störrisch. „Oder du gibst uns einen König!“
Die Nordmänner bestätigten seine Worte mit einem kurzen, zustimmenden Ruf, während sie gleichzeitig die Schwerter gegen die Schilde schlugen. Blitzenden Auges wollte Bran eben zu sprechen anheben, als ein weißer Schatten lautlos in den Feuerring trat.
„Friede“, mahnte der alte Gonar beruhigend. „Spare deine Worte, König. Wulfhere, du und deine Leute werdet für uns kämpfen, falls ihr einen König habt, der euch führt?“
„Wir haben es geschworen.“
„So haltet den Frieden“, sprach der Zauberer, „denn bevor morgen die Schlacht beginnt, werde ich euch einen König schicken, wie ihn die Erde seit hunderttausend Jahren nicht gesehen hat! Ein König – weder Pikte, Gäle noch Brite – doch ein solcher, neben dem der Imperator von Rom wie ein Dorfältester wirkt!“
Während sie unentschlossen standen, nahm Gonar Cormac und Bran am Arm. „Kommt. Und ihr, Nordleute, gedenkt eures Schwures und meines Versprechens. Schlaft jetzt und versucht nicht, in der Dunkelheit das Lager der Römer zu suchen, denn selbst wenn ihr unseren Pfeilen entgehen solltet, so nicht meinem Fluch oder dem Mißtrauen der Legionäre.“
Als die drei sich entfernten, warf Cormac einen Blick über die Schulter und sah Wulfhere verwirrt am Feuer stehen und mit seinem Bart spielen.
Die drei gingen schweigend unter dem Sternenhimmel durch das wogende Heidekraut, während der gespenstische Nachtwind geisterhafte Geheimnisse flüsterte.
„Vor unzähligen Jahren“, unterbrach der Zauberer plötzlich das Schweigen, „in den Tagen, da die Welt noch jung war, erstreckten sich weite Länder dort, wo heute das Meer schäumt. In diesen Ländern wohnten mächtige Völker, bestanden große Königreiche. Unter diesen war Valusien, das Land der Magie, an Größe unerreicht. Rom ist ein Dorf im Vergleich zum Glanz der Städte von Valusien. Und der mächtigste König war Kull, der aus Atlantis gekommen und die Krone Valusiens einer degenerierten Dynastie entrissen hatte. Die Pikten, die die Inseln bewohnten, die heute die Gipfel eines Gebirges auf einem Erdteil im westlichen Ozean bilden, waren die Verbündeten von Valusien. Und der größte unter den piktischen Kriegshäuptlingen war Brule der Speer, der erste des Geschlechts, das die Menschen Mak Morn nennen.
Nach einer Schlacht in einem fernen Land gab Kull Brule das Juwel, das du nun in deiner Eisenkrone trägst, o König. Und seither war es alle Zeiten hindurch das Zeichen der Mak Morn, das Symbol früherer Größe. Als sich dann die Wasser erhoben und Valusien, Atlantis und Lemuria verschlangen, überlebten nur die Pikten in geringer Zahl und wurden zerstreut. Aber sie klommen erneut aus der Barbarei empor, und nachdem die Kunst der Metallbearbeitung verlorengegangen war, wurden sie Meister im Umgang mit dem Stein. Und sie herrschten über alle neuen Länder, die aus dem Meer aufgetaucht waren und jetzt Europa genannt werden, bis aus dem Norden jüngere Völker hervorbrachen, die sich zu den Glanzzeiten Valusiens kaum von Affen unterschieden hatten und die in ihren Eisländern nichts von der verlorenen Glorie der Sieben ..Imperien und kaum etwas von der Flut wußten, die die halbe Welt überschwemmt hatte.
Und die Arier, Kelten und Germanen schwärmten aus der Wiege ihrer Rasse hervor, die in der Nähe des Pols liegt. Und wieder wurde die Nation der Pikten in ihrer Entwicklung gehindert und erneut in die Barbarei zurückgeworfen. Überall vertrieben, befinden wir uns jetzt am Rande der Welt. Hier, in Kaledonien, ist die letzte Heimat einer einst mächtigen Rasse. Und wir haben uns verändert. Unsere Stämme haben sich mit den Wilden eines älteren Zeitalters vermischt, die wir in den Norden getrieben hatten, als wir die Inseln eroberten. Und jetzt stellt der Pikte mit Ausnahme von Häuptlingen wie du, Bran, einen abstoßenden Anblick, dar.“
„Richtig gesprochen“, stimmte der König ungeduldig zu, „aber was hat das mit ...“
„Kull, der König von Valusien“, fuhr der Zauberer unerschütterlich fort, „war zu seiner Zeit ein Barbar, wie du es in deiner Zeit bist, und doch regierte er mit Hilfe seines Schwertes ein mächtiges Reich. Gonar, der Freund von Brule, deinem ersten Ahnen, ist seit hunderttausend Jahren tot. Und doch habe ich vor kaum einer Stunde mit ihm gesprochen.“
„Du hast mit seinem Geist gesprochen ...“
„Oder er mit meinem? Bin ich hunderttausend Jahre zurückgegangen, oder ist er zu mir gekommen? Wenn er mich aus der Vergangenheit besucht hat, dann bin es nicht ich, der mit einem toten Mann gesprochen hat, sondern er mit einem Ungeborenen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind für den Weisen eins. Ich sprach mit Gonar, als er lebte; und gleicherweise lebte ich. Wir trafen einander in einem Land ohne Raum und Zeit, und er erzählte mir viele Dinge.“
Die aufkommende Dämmerung erhellte das Land. Das Heidekraut bog sich in langen Reihen im Morgenwind, und es schien, als neige es sich in Verehrung vor der aufgehenden Sonne.
„Das Juwel in deiner Krone ist ein Magnet, das die Äonen herbeizieht“, sagte Gonar. „Die Sonne steigt empor – und wer entsteigt dem Sonnenaufgang?“
Cormac und der König blieben wie angewurzelt stehen. Die Sonne bildete gerade einen roten Halbkreis über den Hügeln im Osten. Und vor ihrem Glanz zeichneten sich plötzlich deutlich die Umrisse eines Mannes ab. Sie hatten ihn nicht kommen sehen. Gegen den goldenen Tagesanbruch wirkte er kolossal, wie ein gigantischer Gott aus dem Zeitalter der Schöpfung. Als er ihnen entgegenschritt, bemerkten ihn die erwachenden Heerscharen, und Ausrufe der Verwunderung stiegen aus den Lagern hoch.
„Wer – oder was – ist das?“ rief Bran.
„Wir wollen ihm entgegengehen, Bran“, antwortete der Zauberer. „Er ist der König, den Gonar geschickt hat, um das Volk Brules zu retten.“
Die Armeen schwiegen, als Bran, Cormac und Gonar dem Fremden entgegengingen, der sich mit großen Schritten näherte. Die Illusion ungeheurer Größe schwand, doch sie sahen, daß sie es mit einem Mann von mächtiger Statur zur tun hatten. Zunächst hielt Cormac ihn für einen Nordmann, doch dann stellte er fest, daß er einem solchen Menschen noch nie begegnet war. Er hatte den Körperbau der Wikinger, massig und geschmeidig zugleich – wie ein Tiger. Aber seine Gesichtszüge waren anders, und die Farbe seiner kurzgeschnittenen, löwengleichen Mähne war schwarz wie die Brans. Unter buschigen Augenbrauen glitzerte es grau wie Stahl und kalt wie Eis. Sein kräftiges, bartloses Gesicht hatte die Farbe von Bronze, und die hohe Stirn zeugte von Intelligenz. Das kräftige Kinn und die dünnen Lippen wiesen auf Willensstärke und Mut hin. Aber vor allem die Haltung, der unbewußte löwengleiche Gang, wiesen ihn als König, als Herrscher aus.
An den Füßen trug er eigenartig geschnittene Sandalen, und bekleidet war er mit einem geschmeidigen Waffenrock aus sonderbar verflochtenem Metall, der ihm fast bis zu den Knien reichte. Ein breiter Gürtel mit einer goldenen Schnalle umschlang seine Hüften, und daran hing ein langes, gerades Schwert in einer Lederscheide. Seine Stirn schmückte ein breiter Goldreif.
Solchermaßen sah der Mann aus, der vor der schweigenden Gruppe anhielt. Er schien halb erstaunt, halb amüsiert. Da trat Erkennen in seine Augen. In eigenartigem, archaischem Piktisch, das Cormac kaum verstand, sagte er mit tiefer, hallender Stimme:
„Ha, Brule! Gonar hat mir nicht gesagt, daß ich von dir träumen würde!“
Zum ersten Mal sah Cormac den Piktenkönig völlig aus der Fassung. Wortlos starrte er den Fremden an, der seine Rede fortsetzte:
„Und du trägst den Edelstein, den ich dir gab, in einem Reif an deiner Stirn! Gestern abend hattest du ihn an einem Ring an deinem Finger.“
„Gestern abend?“ keuchte Bran.
„Gestern abend oder vor hunderttausend Jahren – es ist alles dasselbe!“ murmelte Gonar, der an der Situation Gefallen zu finden schien.
„Ich bin nicht Brule“, sagte Bran. „Ist dein Sinn verwirrt, so von einem Mann zu sprechen, der seit hunderttausend Jahren tot ist? Er war der erste meines Geschlechts.“
Der Fremde lachte unerwartet auf. „Nun, jetzt weiß ich, daß ich träume! Was für eine Geschichte ich Brule morgen nach meinem Erwachen erzählen kann! Daß ich mich in der Zukunft befand und einen Mann traf, der seine Abstammung vom Speer ableitet, der noch nicht einmal verheiratet ist. Nein, du bist nicht Brule; das sehe ich nun, obgleich du seine Augen und sein Gebaren hast. Aber er ist größer und besitzt breitere Schultern. Und doch trägst du sein Juwel ... Na schön, in einem Traum kann alles geschehen, und so will ich mich mit dir nicht streiten. Eine Zeitlang glaubte ich, im Schlaf in ein fremdes Land versetzt worden zu sein, in dem ich tatsächlich aufwachte, denn dies ist der deutlichste Traum, den ich jemals geträumt. Wer bist du?“
„Ich bin Bran Mak Morn, König der kaledonischen Pikten. Und dieser Weise ist Gonar, ein Zauberer vom Geschlecht des Gonar. Und dieser Krieger ist Cormac na Connacht, ein Edler der Insel Erin.“
Der Fremde schüttelte langsam sein Löwenhaupt. „Die Worte klingen mir seltsam mit Ausnahme von Gonar. Und jener ist nicht Gonar, wenn auch ebenso alt. Was ist das für ein Land?“
„Kaledonien, oder Alba, wie die Galen es nennen.“
„Und wer sind jene affengleichen Krieger dort drüben, die uns mit offenen Mündern anstarren?“
„Das sind die Pikten, über die ich herrsche.“
„Wie seltsam verformt die Menschen in meinen Träumen sind!“ murmelte der Fremde. „Und wer sind die Männer bei den Streitwagen?“
„Das sind Briten – Cymrier von südlich der Mauer.“
„Was für eine Mauer?“
„Die Mauer, die Rom errichtete, um die Völker des Heidelandes von Britannien fernzuhalten.“
„Britannien? Ich habe noch nie von dem Land vernommen. Und was ist Rom?“
„Was!“ rief Bran. „Du hast noch nie von Rom gehört, dem Imperium, das die Welt beherrscht?“
„Kein Imperium beherrscht die Welt“, gab der andere hochmütig zurück. „Das mächtigste Königreich auf der Erde ist das, in dem ich regiere.“
„Und wer bist du?“
„Kull von Atlantis, der König von Valusien!“
Cormac lief es kalt über den Rücken.
„Valusien!“ rief Bran. „Aber Mann! Seit unzähligen Jahrhunderten liegt Valusien unter den Wassern des Ozeans begraben!“
Kull lachte lauthals. „In welchem Alptraum ich mich befinde! Als mich Gonar gestern abend im geheimen Gemach des inneren Palastes mit einem Schlafzauber belegte, sagte er mir, ich würde sonderbare Dinge träumen; aber das ist phantastischer, als ich erwartet hatte. Und das Eigenartigste ist, ich weiß, daß ich träume!“
Als Bran etwas sagen wollte, kam ihm Gonar zuvor.
„Zweifle nicht an den Taten der Götter“, murmelte der Zauberer. „Du bist König, weil du bisher günstige Gelegenheiten erkannt und wahrgenommen hast. Die Götter oder der erste Gonar haben diesen Mann geschickt. Laß mich mit ihm verhandeln.“
Bran nickte, und während die Krieger in Hörweite die Geschehnisse mit schweigender Verwunderung verfolgten, sprach Gonar:
„O großer König, du träumst; aber ist nicht das ganze Leben ein Traum? Wie kannst du sicher sein, daß nicht dein bisheriges Leben ein Traum war, aus dem du soeben erwachtest? Nun, auch wir Traumvölker haben unsere Kriege, und gerade jetzt zieht ein großes Heer aus dem Süden heran, um Brules Volk zu vernichten. Willst du uns beistehen?“
Kull grinste voll Eifer. „Aye! Ich habe schon in früheren Träumen gefochten, habe getötet und bin getötet worden, und war stets erstaunt, als ich aus meinen Visionen erwachte. Und manchmal – ebenso wie jetzt –habe ich gewußt, daß ich träumte. Sieh, ich kneife mich und spüre es. Aber ich weiß, daß ich träume, denn ich habe bereits zuvor in Träumen den Schmerz schwerer Wunden gefühlt. Ja, Volk meines Traumes, ich werde mit euch gegen das andere Traumvolk kämpfen. Wo ist es?“
„Und damit du dich an dem Traum noch mehr erfreust“, setzte der Zauberer schlau fort, „vergiß, daß es sich um einen Traum handelt und stelle dir vor, daß du mit Hilfe von Gonars Magie und des Steines, den du Brule schenktest und der jetzt die Krone der Morni ziert, tatsächlich in ein anderes Zeitalter versetzt worden bist, in dem Brules Volk gegen einen übermächtigen Feind kämpft.“
Einen Augenblick lang schien der Mann, der sich König von Valusien nannte, verwirrt. Zweifel, ja fast so etwas wie Furcht, erschien kurz in seinen Augen. Dann lachte er.
„Gut! Sprich weiter, Zauberer!“
Aber es war Bran, der fortfuhr. Er hatte seine Fassung wiedergewonnen. Aber wenn er ebenso wie Cormac glaubte, Gonar habe das ganze Schauspiel inszeniert, so ließ er sich nichts davon anmerken.
„König Kull, siehst du die Männer dort drüben, die uns, auf ihre langschäftigen Äxte gestützt, beobachten?“
„Die großen Krieger mit den goldenen Haaren und Bärten?“
„Aye. Der Ausgang der bevorstehenden Schlacht hängt von ihnen ab. Sie schwören, zum Feind überzugehen, wenn wir ihnen keinen König geben, der sie führt, nachdem ihr eigener den Tod gefunden hat. Willst du sie in den Kampf führen?“
Kulls Augen leuchteten freudig. „Sie gleichen meinen Roten Reitern, meiner Leibgarde. Ich werde sie führen.“
„So komm.“
Die Gruppe ging den Abhang hinunter, und die Krieger, die sich herangedrängt hatten, um den Fremden besser sehen zu können, wichen vor ihnen zurück. Ein gespanntes Flüstern ging durch die Reihen.
Die Nordmänner standen in dichtem Haufen etwas abseits. Ihre kalten Augen maßen Kull, und er erwiderte jeden ihrer Blicke und betrachtete sie eingehend.
„Wulfhere“, begann Bran, „wir haben euch einen König gebracht. Ich erinnere dich an deinen Schwur.“
„Er soll reden“, sagte der Wikinger rauh.
„Er spricht nicht eure Zunge“, antwortete Bran. Er wußte, daß die Nordleute die Legenden seiner Rasse nicht kannten. „Er ist ein großer König des Südens ...“
„Er kommt aus der Vergangenheit“, unterbrach der Zauberer ruhig. „Er war vor langer Zeit der größte aller Könige.“
„Ein Toter!“ Die vorn stehenden bewegten sich unruhig, und die übrigen drängten vorwärts, um jedes Wort zu verstehen. Aber Wulfhere grollte: „Soll ein Geist Lebende anführen? Ihr bringt uns einen Mann, von dem ihr sagt, er sei tot. Wir folgen keinem Leichnam.“
„Wulfhere“, sagte Bran mit unterdrücktem Zorn, „du bist ein Lügner und Verräter. Du hast uns eine Aufgabe gestellt, von der du annahmst, sie sei unlösbar. Du gierst danach, unter den Adlern Roms zu kämpfen. Wir haben dir einen König gebracht, der weder Pikte, Gäle; noch Brite ist, und dennoch hältst du dich nicht an deinen Schwur!“
„So soll er gegen mich kämpfen!“ heulte Wulfhere wütend auf und schwang seine Axt in glitzerndem Bogen um seinen Kopf. „Wenn mich dein Toter besiegt, dann folgen dir meine Leute. Gewinne ich, dann laß uns in Frieden zum Lager der Legionen ziehen!“
„Gut!“ sagte der Zauberer. „Seid ihr einverstanden, Wölfe des Nordens?“
Ein wilder Aufschrei und gezückte Schwerter gaben ihm Antwort. Bran wandte sich an Kull, der das Geschehen schweigend beobachtet hatte. Die Augen des Atlanters glühten. Cormac fühlte, daß sie schon viele derartige Situationen gesehen hatten und daß Kull ahnte, worum es ging.
„Der Krieger hier sagt, du mußt mit ihm um die Führerschaft kämpfen“, erklärte Bran, und Kull nickte mit wachsender Kampfeslust. „Das habe ich erraten. Macht Raum.“
„Einen Schild und einen Helm!“ rief Bran, aber Kull schüttelte den Kopf.
„Ich brauche beides nicht“, grollte er. „Zurück, und gebt uns Platz, den Stahl zu schwingen!“
Rundum traten die Männer zurück und bildeten einen dichten Ring um die beiden Kämpfer, die wachsam aufeinander zugingen. Kull hatte sein Schwert gezückt, und die mächtige Waffe schimmerte wie ein lebendes Wesen in seiner Hand. Wulfhere schleuderte seinen Wolfsmantel beiseite und näherte sich vorsichtig, indem er über den Rand des vorgestreckten Schildes spähte und die Axt halb erhoben in der Rechten hielt.
Plötzlich, als die Kämpfer noch viele Fuß voneinander entfernt waren, sprang Kull. Sein Angriff entlockte den Kehlen der Zuseher einen Aufschrei, denn er sprang wie ein Tiger durch die Luft, und sein Schwert schmetterte gegen den rasch erhobenen Schild. Funken sprühten, und Wulfheres Axt beschrieb einen Bogen. Kull duckte sich, und als sie über seinen Kopf zischte, holte er aus und sprang von neuem. Kein Auge hatte seinen Bewegungen zu folgen vermocht, aber der obere Rand des Schildes wies eine tiefe Kerbe auf, und in Wulfheres Schuppenhemd befand sich ein langer Riß.
Cormac zitterte vor Spannung und fragte sich, wie das Schwert den Panzer hatte durchdringen können. Und der Hieb gegen den Schild hätte es zerbrechen müssen. Trotzdem fand sich nicht eine Scharte auf der valusischen Klinge! Die Waffe mußte tatsächlich von Menschen eines anderen Zeitalters geschmiedet worden sein!
Nun sprangen die beiden Giganten wieder gegeneinander an, und die Waffen zuckten wie zwei Blitze herab. Wulfheres Schild fiel zweigeteilt von seinem Arm, und Kull taumelte, als die Axt des Nordmannes, mit voller Wucht geführt, auf den Goldreif auf seiner Stirn traf. Der Hieb hätte das Gold wie Butter durchschneiden und den Kopf spalten müssen, doch die Axt prallte zurück und wies eine tiefe Scharte auf. Im nächsten Augenblick wurde der Nordmann von einem derartigen Wirbelwind von Stahl eingehüllt, daß er wie auf einer Wellenkrone zurückgetragen wurde. Sein ganzes Geschick zusammennehmend, versuchte er, den singenden Stahl mit seiner Axt zu parieren, doch vermochte er das Ende nur um einige Sekunden hinauszuzögern. Eines der Hörner flog vom Helm, dann fiel das Blatt der Axt selbst, und derselbe Hieb, der den Schaft teilte, biß durch den Helm des Wikingers in dessen Kopfhaut. Wulfhere brach in die Knie, und Blut begann ihm über das Gesicht zu rinnen.
Kull warf Cormac sein Schwert zu und stand dem benommenen Nordmann waffenlos gegenüber. Die Augen des Atlanters blitzten voll wilder Kampfeslust, und er brüllte etwas in einer unbekannten Sprache. Wie ein Wolf knurrend sprang Wulfhere auf die Beine. Ein Dolch blitzte in seiner Hand. Als die beiden Männer! aufeinander prallten, stieg von der Horde der Umstehenden ein Schrei empor, der den Himmel zu spalten drohte. Kulls zupackende Hand verfehlte das Gelenk j des Nordmannes, doch der vorzuckende Dolch brach an der Rüstung des Atlanters. Wulfhere ließ den nutzlosen Griff fahren und schlang seine Arme nach Bärenart um den Gegner. Kull grinste tigerhaft und erwiderte die Umklammerung. Einen Augenblick lang schwankten die beiden, dann bog der schwarzhaarige Krieger seinen Feind langsam rückwärts, bis das Rückgrat zu brechen drohte. Unmenschlich aufheulend krallte Wulfhere in Kulls Gesicht und versuchte, ihm die Augen auszukratzen. Dann wandte er den Kopf und schlug die Zähne in den Arm des Atlanters. Ein Aufschrei, als Blut zu fließen begann: „Er blutet! Er ist kein Geist, sondern ein Sterblicher!“
Wütend wechselte Kull den Griff, schob den schäumenden Wulfhere von sich und versetzte ihm mit der Rechten einen fürchterlichen Hieb unter das Ohr. Der Wikinger landete ein Dutzend Fuß weit auf dem Rücken. Er heulte wie ein Wahnsinniger, sprang mit einem Stein in der Hand auf und schleuderte ihn. Nur Kulls unerhörte Gewandtheit rettete ihm das Gesicht. Die scharfe Kante des Geschosses riß ihm nur die Wange auf und versetzte ihn in rasende Wut. Brüllend sprang er seinen Widersacher an, wirbelte ihn um den Kopf und schleuderte ihn ein Dutzend Fuß weit. Wulfhere landete auf dem Schädel und blieb tot liegen.
Einen Augenblick lang schwiegen die Zuseher betäubt. Dann stießen die Galen ein donnerndes Geschrei aus, das die Briten und Pikten aufnahmen, bis die Echos der Rufe und das Dröhnen der Schwerter gegen die Schilde an die Ohren der marschierenden Legionäre drangen, die Meilen im Süden heranzogen.
„Männer des grauen Nordens“, schrie Bran, „werdet ihr jetzt euren Schwur halten?“
Die ungestümen Seelen der Nordmänner standen in ihren Augen, als ihr Wortführer antwortete. Primitiv, abergläubisch und voll Legenden von kämpfenden Göttern und mythischen Helden, zweifelten sie nicht daran, daß die Schlachtengötter ihnen ein übernatürliches Wesen in Gestalt des schwarzhaarigen Kämpfers gesandt hatten. „Aye! Einem solchen Mann sind wir nie begegnet! Sei er ein Toter, ein Geist oder ein Troll, wir folgen ihm – möge der Pfad nach Rom oder Walhall führen!“
Kull verstand nicht die Worte, wohl aber deren Bedeutung. Mit einem Dankeswort nahm er sein Schwert von Cormac entgegen, wandte sich den wartenden Nordmännern zu und hob die Klinge mit beiden Händen schweigend hoch über den Kopf, ehe er sie in die Scheide schob.
„Komm“, sagte Bran und berührte den Atlanter am Arm. „Der Feind marschiert heran, und wir haben viel zu tun. Die Zeit reicht kaum aus, unser Heer zu ordnen. Folge mir jenen Abhang hinan.“
Vom Hügel aus hatten sie Ausblick auf ein Tal, das von Norden nach Süden verlief. Am nördlichen Ende war es nicht mehr als eine Schlucht, während es sich nach Süden zu verbreitete und in eine Ebene überging. Insgesamt war es kaum eine Meile lang.
„Der Feind wird dieses Tal entlangziehen“, erklärte der Pikte, „weil der Boden zu beiden Seiten für die Wagen des Trosses nicht befahrbar ist. Hier planen wir einen Hinterhalt.“
„Warum liegen deine Männer nicht schon längst auf der Lauer? Und wie willst du die Vorhut täuschen?“
„Meine Wilden hätten es nie so lange ausgehalten“, antwortete Bran bitter. „Und erst mußte ich mich der Nordmänner versichern. Selbst jetzt könnte es geschehen, daß sie vor einer ziehenden Wolke oder einem fallenden Blatt erschrecken und sich in alle Winde zerstreuen. König Kull, das Schicksal der piktischen Nation steht auf dem Spiel. Man nennt mich König der Pikten, aber meine Herrschaft ist keineswegs gesichert. Die Hügel sind voll von Clans, die sich weigern, mir zu folgen. Von den tausend Bogenschützen, die ich befehlige, sind mehr als die Hälfte aus meinem eigenen Clan. Etwa achtzehn Hundertschaften Römer marschieren gegen uns. Es handelt sich nicht um eine richtige Invasion, doch hängt viel davon ab. Es ist der Beginn eines Versuchs, die Grenze nach Norden zu verschieben. Ihr Plan ist, einen Tagesmarsch nördlich von hier eine Befestigung zu errichten. Gelingt ihnen das, so bauen sie weitere Befestigungen, ziehen stählerne Bänder um die Herzen der freien Völker. Gewinne ich diese Schlacht, so erringe ich einen zweifachen Sieg. Dann schließen sich die Stämme mir an, und dem nächsten Versuch der Römer vermag ich festen Widerstand zu bieten. Verliere ich, so zerstreuen sich die Clans, fliehen nordwärts, bis es nicht weitergeht, und kämpfen jeder für sich anstatt zur Nation vereint.
Ich befehlige tausend Bogenschützen, fünfhundert Reiter, fünfzig Streitwagen mit hundertfünfzig Mann Besatzung und – dank dir – dreihundert schwerbewaffnete nordische Seeräuber. Wie würdest du sie aufstellen?“
„Nun, ich hätte das Nordende des Tales verbarrikadiert – nein! Das sähe nach Falle aus. Aber ich würde es mit einem Trupp weniger Männer verstopfen, so wie du sie mir gegeben hast. Dreihundert könnten den Eingang zur Schlucht gegen jede Anzahl eine ziemliche Weile halten. Während der Feind gegen sie anrennt, würde ich von beiden Seiten Bogenschützenfeuer eröffnen. In die entstehende Verwirrung würde ich die Reiterei und die Kampfwagen schicken, die sich bisher verborgen gehalten hat, und den Feind vernichten.“
Brans Augen glühten. „Genau, König von Valusien. Genau so ist mein Plan.“
„Aber die römischen Späher?“
„Meine Krieger sind wie Panther. Sie verstecken sich unter den Nasen der Römer. Die in das Tal hineinreiten, werden nur das sehen, was sie sehen sollen. Und diejenigen, die über die Hügelkämme reiten, werden nicht zurückkehren. Ein Pfeil ist rasch und lautlos. Aber alles beruht auf den Männern, die die Schlucht halten. Sie müssen zu Fuß kämpfen und den Angriffen der schweren Legionen so lange standhalten können, bis sich die Falle geschlossen hat. Mit Ausnahme der Nordmänner verfüge ich nicht über solche Krieger. Meine nackten Pikten mit ihren kurzen Schwertern können den Angriff nicht einen Augenblick lang abwehren. Auch die Rüstung der Kelten ist dafür nicht geeignet. Außerdem sind sie keine Fußkämpfer, und ich benötige sie anderswo. Du siehst also, weshalb ich die Nordleute so notwendig brauchte. Willst du also mit ihnen vor der Schlucht stehen und die Römer aufhalten, bis ich die Falle geschlossen habe? Vergiß nicht, die meisten von euch werden sterben!“
Kull lächelte. „Mein ganzes Leben lang habe ich waghalsige Dinge getan, obwohl Tu, mein engster Berater, sagen würde, mein Leben gehöre Valusien, und ich hätte kein Recht, es zu riskieren.“ Ein Schatten huschte über sein Gesicht. „Bei Valka!“ Er lachte unsicher. „Manchmal vergesse ich, daß alles nur ein Traum ist. Alles ist so wirklich. Aber natürlich ist es ein Traum! Sollte ich sterben, so erwache ich einfach wie schon so oft zuvor. Ich bin bereit, König von Kaledonien!“
Auf dem Weg zu seinen Kriegern war Cormac tief in Gedanken versunken. Sicher war das ganze nur ein Schauspiel, und doch hatte er die Vermutungen der Männer gehört, als sie sich bewaffneten und auf ihre Aufgabe vorbereiteten: Der schwarzhaarige König wäre Neid selbst, der keltische Kriegsgott; er wäre ein König, der von Gonar aus der Zeit vor der Flut geholt worden war; er sei ein Kämpe aus Walhalla. Er wäre überhaupt kein Mensch, sondern ein Geist! Nein, er sei sterblich, denn er hatte geblutet. Aber selbst Götter bluteten, wenn sie auch nicht stürben. So waren die Meinungen aufeinandergeprallt. Aber selbst wenn es sich nur um ein Schauspiel handelte, um die Krieger zu beeindrucken, so hatte es seinen Zweck erfüllt. Der Glaube, daß Kull mehr war als ein gewöhnlicher Sterblicher, versetzte Kelten, Pikten und Wikinger in wilde Kampfeslust. Und was glaubte er selbst, fragte sich Cormac. Sicherlich stammte der Mann aus einem fernen Land, doch wies alles darauf hin, daß es sich um mehr als lediglich räumliche Entfernung handelte. Die gewaltigen Abgründe der Zeit selbst schienen zwischen dem schwarzhaarigen Fremden und den Männern zu liegen, unter denen er sich befand und mit denen er sprach.
Die Sonne senkte sich dem westlichen Horizont entgegen. Stille lag wie ein unsichtbarer Nebel über dem Tal. Cormac packte die Zügel fester und blickte die Abhänge links und rechts hoch. Nichts verriet die Anwesenheit von Hunderten wilder Krieger, die sich zwischen dem wogenden Heidekraut verbargen. Am Eingang zur Schlucht waren die einzigen Menschen zu sehen. Dort standen in Keilformation die dreihundert Nordmänner, und allen voran, wie die Spitze eines Speeres, der Mann, der sich Kull, König von Valusien, nannte. Er trug keinen Helm, nur das schwere Stirnband aus hartem Gold, jedoch den mächtigen Schild Rognars in der Linken, während er in der Rechten die schwere Eisenkeule des toten Seekönigs hielt. Die Wikinger betrachteten ihn mit Verwunderung und wilder Begeisterung. Sie verstanden nicht seine Sprache, und er nicht die ihre, doch waren keine weiteren Befehle nötig. Bran hatte sie angewiesen, sich im Eingang zur Schlucht aufzustellen, und ihr einziger Auftrag lautete: Haltet den Paß!
Bran Mak Morn stand vor Kull, und die beiden Männer sahen einander an. Des einen Königreich war noch nicht geboren, während das des anderen vor undenklichen Zeiten im Nebel der Vergangenheit verschwunden war. Beherrscher der Nacht, dachte Cormac, namenlose Könige der Dunkelheit, deren Reiche aus Abgründen und Schatten bestehen.
Der Piktenkönig streckte die Hand aus. „König Kull, du bist mehr als ein König: du bist ein Mann. Vielleicht sterben wir beide in der nächsten Stunde, doch sollten wir leben, verlange von mir, was du willst.“
Kull lächelte und ergriff die dargebotene Hand. „Auch du bist ein Mann meines Herzens, König der Schatten. Sicher bist du mehr als nur eine Laune meines schlafenden Geistes. Vielleicht treffen wir einander eines Tages in wachem Zustand.“
Bran schüttelte verwirrt den Kopf, schwang sich in den Sattel, ritt den östlichen Abhang hinan und verschwand über den Kamm des Hügels. Cormac fragte zögernd: „Fremder, bestehst du in der Tat aus Fleisch und Blut, oder bist du ein Geist?“
„Wenn wir träumen, sind wir alle Fleisch und Blut –solange wir träumen“, antwortete Kull. „Das ist der seltsamste Traum meines Lebens, aber du, der du bei meinem Erwachen ins Nichts verschwinden wirst, erscheinst mir jetzt ebenso real wie Brule oder Kananu oder Tu oder Kelkor.“
Cormac schüttelte den Kopf, wie es Bran getan hatte, und ritt mit einem letzten Salut, den Kull mit barbarischer Würde erwiderte, von dannen. Auf dem Kamm der westlichen Hügelkette hielt er sein Roß an. Weit im Süden erhob sich eine Staubwolke, und die Spitze der marschierenden Heersäule kam in Sicht. Bereits jetzt vermeinte er, den Boden unter dem gleichmäßigen Schritt von Tausenden gepanzerter Füße vibrieren zu spüren. Er stieg ab, und einer seiner Unterführer, Domnail, führte das Pferd auf der anderen Seite des Hügels hinab in einen dichten Wald. Nur hin und wieder verriet eine schwache Bewegung die Anwesenheit von fünfhundert Männern, die die Hände an den Köpfen ihrer Pferde hatten, um ein zufälliges Wiehern sofort zu unterdrücken.
Oh, dachte Cormac, die Götter selbst haben dieses Tal für Brans Hinterhalt geschaffen! Die Sohle war bar von Bäumen, und an den Wänden wuchs bloß hüfthohes Heidekraut, während sich außen am Fuß der Hügelketten im Lauf der Zeit genug Erdreich angesammelt hatte, um Bäumen Nahrung zu bieten, in denen sich fünfhundert Reiter oder fünfzig Streitwagen zu verbergen vermochten.
Im nördlichen Talausgang stand deutlich sichtbar Kull mit seinen dreihundert Wikingern, zu deren beiden Seiten je fünfzig Bogenschützen der Pikten Stellung bezogen hatten. Auf dem Westabhang der westlichen Hügelkette waren die Galen versteckt, während sich hundert Pikten mit aufgelegten Pfeilen zwischen den Sträuchern auf dem Kamm selbst verbargen. Der Rest der Pikten befand sich auf der anderen Seite des Tales versteckt, und hinter diesen lauerten die Briten mit ihren Streitwagen. Weder sie noch die Galen vermochten die Vorgänge im Tal selbst zu beobachten, doch hatte man Signale vereinbart.
Nun hatte die Spitze der Heersäule das offene Ende des Tales erreicht, und die Vorhut – leicht bewaffnete Reiter auf flinken Pferden – sprengte fast bis auf Bogenschußweite an den schweigenden Trupp heran, der den Paß versperrte. Einige rissen die Rösser herum und jagten zur Hauptmacht zurück, während der Rest ausschwärmte und die Abhänge hinanritt, um zu sehen, was sich dahinter befand. Von ihnen hing alles ab. Ahnten sie den Hinterhalt, dann war alles verloren. Cormac duckte sich in das Heidekraut und staunte über die Fähigkeit der Pikten, sich vollständig unsichtbar zu machen. Er sah, wie ein Reiter weniger als vier Fuß an einer Stelle vorüberritt, an der sich ein Bogenschütze verbarg, und doch merkte der Römer nichts.
Die Kundschafter hatten den Kamm erreicht, sahen sich um, und die meisten lenkten ihre Pferde wieder ins Tal hinunter. Cormac wunderte sich über die Nachlässigkeit. Er hatte noch nie gegen die Römer gekämpft und kannte nicht deren überhebliches Selbstvertrauen, deren unglaubliche Schlauheit, was gewisse Dinge betraf, und deren unglaubliche Dummheit auf anderen Gebieten. Diese Männer waren einfach überheblich –ein Gefühl, das bereits von ihren Offizieren ausging. Es war Jahre her, daß sich ein Heer von Kaledoniern den Legionen entgegengestellt hatte. Und die meisten Soldaten entstammten einer Legion, die in Ägypten stationiert gewesen war. Sie verachteten ihre Feinde und ahnten nichts.
Doch halt! Auf dem jenseitigen Hügel hatten drei Reiter gewendet und waren hinter dem Kamm verschwunden. Und hundert Klafter von Cormac entfernt starrte einer lange und angestrengt zu den Bäumen am Fuß des Abhangs. Cormac sah, wie sich das braune, falkengleiche Antlitz mit Verdacht überzog. Der Römer wandte sich halb um, als wolle er einen Kameraden rufen, lenkte dann jedoch sein Pferd den Abhang hinab und beugte sich weit im Sattel vor. Cormacs Herz hämmerte. Er erwartete jeden Augenblick, daß der Mann sein Reittier herumreißen und Alarm geben würde. Er widerstand dem Drang, aufzuspringen und den Römer zu Fuß anzugreifen. Mit Hunderten brennenden Blicken auf sich gerichtet, mußte der Reiter einfach die Spannung in der Luft fühlen. Nun war er halb den Abhang herunter und von der Talsohle aus nicht zu sehen. Da zerriß das Schwirren einer Bogensehne die schmerzende Stille. Mit einem erstickten Gurgeln warf der Römer die Arme hoch, von einem langen, schwarzen Pfeil durchbohrt, und als sich das Pferd aufbäumte, fiel er herab. Scheinbar aus dem Nichts sprang ein stämmiger Zwerg hervor, packte die Zügel, beruhigte das schnaubende Tier und führte es den Abhang hinab. Um den gefallenen Römer erhoben sich verkrüppelte Gestalten aus dem Gras, und Cormac sah ein Messer aufblitzen. Dann war alles vorbei. Weder Mörder noch Opfer waren zu sehen, und nur noch das schwankende Heidekraut wies auf die grimme Tat hin.
Der Gäle beobachtete wieder das Tal. Die drei, die über die östliche Hügelkette geritten waren, kamen nicht zum Vorschein, und Cormac wußte, daß sie dies auch nie wieder tun würden. Die übrigen Kundschafter hatten offenbar berichtet, daß nur ein kleiner Trupp von Kriegern sich dem Vormarsch der Legionäre in den Weg stellte. Nun befand sich die Spitze des Zuges fast unter ihm, und der Anblick der zum Untergang verurteilten, arroganten Soldaten erregte ihn. Ihre glänzenden Rüstungen, ihre falkengleichen Gesichter und die vollkommene Ordnung beeindruckten ihn sehr.
Zwölfhundert schwerbewaffnete Männer, die im Gleichschritt marschierten, so daß der Boden unter ihnen bebte! Die meisten von ihnen waren von mittlerer Größe, hatten mächtige Brustkörbe und Schultern und bronzene Gesichter. Es waren abgebrühte Veteranen, die Überlebenden vieler Schlachten. Cormac betrachtete die Wurfspieße, die scharfen Kurzschwerter und schweren Schilde, die schimmernden Harnische, die Helmbüsche, die Adler auf den Standarten. Das waren die Männer, unter derem Tritt die Welt bebte und Imperien zerfielen! Nicht alle waren Italiener; es befanden sich romanisierte Briten unter ihnen, und eine ganze Zenturie bestand aus riesigen, gelbhaarigen Kriegern, Galliern und Germanen, die ebenso grimmig wie die Bürger für Rom kämpften, ihre wilderen Verwandten jedoch noch mehr haßten.
An den Flanken befand sich Reiterei, und die beiden Seiten der Kolonne selbst bildeten Bogenschützen und Schleuderer. Eine Anzahl rumpelnder Karren war mit den Vorräten des Heeres beladen. Cormac sah auch den Kommandanten – ein stattlicher Mann mit einem scharfen, herrischen Antlitz, was selbst auf diese Entfernung hin zu erkennen war. Der Gäle kannte den Ruf des Marcus Sulius.
Die Legionäre stießen bei der Annäherung an ihre Feinde ein brausendes Gebrüll aus. Offenbar beabsichtigten sie, sich ohne Aufenthalt ihren Weg durch das Hindernis zu bahnen, denn das gesamte Heer setzte unerschütterlich seinen Weg fort. Wen die Götter strafen, den schlagen sie zuerst mit Wahnsinn. Cormac hatte den Satz noch nie gehört, aber er hielt den großen Sulius für einen Narren. Römische Arroganz! Marcus war an die Völker des dekadenten Ostens gewöhnt; wenig ahnte er vom eisernen Willen der westlichen Rassen.
Eine Reitergruppe löste sich von der Hauptmacht und sprengte zum Eingang der Schlucht, aber es war nur eine Geste. Unter höhnischen Rufen rissen sie drei Speerlängen entfernt ihre Pferde herum und warfen ihre Spieße, die harmlos an den überlappenden Schilden der schweigenden Nordmänner abprallten. Aber ihr Anführer wagte zuviel. Er beugte sich im Sattel vor und stieß mit der Lanze gegen Kulls Kopf. Der ließ die Spitze an seinem großen Schild abgleiten und schlug mit der Geschwindigkeit einer Schlange zu. Die schwere Keule zerschmetterte Helm und Schädel wie eine Eierschale, und selbst das Pferd ging unter dem schrecklichen Hieb in die Knie. Die Nordmänner stießen ein kurzes Brüllen aus, während die Pikten neben ihnen triumphierend heulten und ihre Pfeile gegen die sich zurückziehenden Reiter schickten. Das erste Blut für das Volk der Heideländer! Die anrückenden Römer beschleunigten ihren Schritt, als das erschreckte Pferd vorbeiraste und die Leiche im Steigbügel hinter sich herzog.
Nun prallte die erste Reihe der Legionäre, wegen der Enge der Schlucht dicht zusammengedrängt, gegen den Schildwall – und wurde zurückgeworfen. Die Schildmauer hatte nicht einen Fingerbreit nachgegeben. Es war das erstemal, daß die Römer mit dieser unüberwindlichen Formation Bekanntschaft machten, der ältesten aller arischen Schlachtreihen, dem Vorfahren der spartanischen Hoplit, der mazedonischen Phalanx, des englischen Karrees.
Schild donnerte gegen Schild, und die römischen Kurzschwerter suchten nach einer Öffnung in der Mauer. Von oben herab stachen die Speere der Wikinger, und ihre Spitzen färbten sich rot. Schwere Äxte fielen und schnitten durch Eisen, Fleisch und Gebein. Cormac sah Kull im dichtesten Getümmel. Er überragte die Römer und teilte Hiebe aus wie Donnerschläge. Ein stämmiger Zenturio drängte mit hoch erhobenem Schild heran und führte einen Stich aufwärts. Die Eisenkeule krachte herab, zersplitterte Schwert und Schild und zerschmetterte Helm und Schädel – alles mit einem einzigen Hieb.
Die vorderste Linie der Römer bog sich wie elastischer Stahl um den Keil, als die Legionäre versuchten, sich zu beiden Seiten in den Paß zu schieben und ihre Gegner einzuschließen. Aber der Eingang war zu schmal, und die Pikten, die sich dicht gegen die Wände drängten, schossen ganze Wolken schwarzer Pfeile ab. Auf die kurze Entfernung drangen die schweren Schäfte durch Schild und Panzer und durchbohrten die Körper dahinter. Die erste Reihe der Anstürmenden bestand nicht länger, und die Nordmänner schoben ihre wenigen Toten weg, die Löcher schließend, die durch die Gefallenen entstanden waren. Vor ihnen zog sich eine dünne Linie zerschlagener Gestalten – die rote Gischt der Welle, die vergeblich gegen sie angebrandet war.
Cormac sprang auf und winkte mit beiden Armen. Auf das Zeichen hin verließen Domnail und seine Männer ihr Versteck und galoppierten den Hang hinan. In einer Reihe säumten sie den Hügelkamm. Cormac bestieg das ihm mitgebrachte Pferd und spähte ungeduldig über das enge Tal. Die östlichen Hügel wiesen kein Anzeichen von Leben auf. Wo war Bran mit den Briten?
Unten im Tal formten die Römer, erbittert über den Widerstand, doch immer noch keine Falle vermutend, eine kompaktere Formation. Die Wagen, die angehalten hatten, rollten wieder voran, und das gesamte Heer setzte sich in Bewegung, als wollte es durch die Wucht allein durchbrechen. Mit der gallischen Zenturie an der Spitze nahmen die Legionäre den Angriff wieder auf. Diesmal, mit der vollen Kraft von zwölf hundert Soldaten hinter sich, würde der Anfall den Widerstand von Kulls Kriegern wie ein Rammbock brechen. Cormacs Männer zitterten vor Ungeduld. Plötzlich wandte Marcus Sulius den Blick westwärts, wo sich die Reiterlinie gegen den Himmel abhob. Sogar auf diese Entfernung hin sah Cormac, wie der Römer erbleichte. Endlich hatte er erkannt, daß er in eine Falle geraten war. Sicher sah er die Niederlage, die Entehrung vor seinem geistigen Auge!
Es war zu spät für den Rückzug, zu spät, die Karren zu einem Verteidigungsring zusammenzufahren. Es gab nur einen Ausweg, und Marcus, ein erfahrener General trotz seines begangenen Fehlers, erkannte ihn auch. Cormac vernahm, wie seine Stimme trompetengleich durch den Schlachtenlärm schmetterte, und obwohl er die Worte nicht verstand, wußte er, daß der Römer seinen Männern befahl, den Trupp der Nordmänner zu zerschlagen, noch ehe die Falle sich geschlossen hatte!
Nun erkannten auch die Legionäre die Lage und warfen sich in einem schrecklichen Ansturm gegen ihre Feinde. Der Schildwall schwankte, wich jedoch keinen Schritt. Über den gegeneinandergepreßten Schilden berührten die wilden Gesichter der Gallier und die braunen der Italier fast die blauäugigen des Nordens. Die Männer hieben, töteten und wurden getötet; wie ein Sturmwind wüteten die Äxte, Speere brachen ah schartigen Schwertern.
Wo in aller Welt blieb Bran mit den Streitwagen? In wenigen Minuten mußte der letzte Mann im Paß gefallen sein. In rascher Folge starb einer nach dem anderen, doch noch schlossen sie die Reihe stets von neuem und hielten sie eisern. Die verwegenen Barbaren des Nordens starben im Stehen, und zwischen ihren goldenen Häuptern glänzte die schwarze Löwenmähne Kulls wie ein Symbol der Schlacht, während seine Keule wütete.
Da hielt es Cormac nicht länger aus.
„Jene Männer sterben, während wir auf Brans Signal warten!“ schrie er. „Vorwärts! Folgt mir in die Hölle, ihr Kinder Gäls!“
Ein wilder Aufschrei antwortete ihm, und die Zügel freigebend sprengte er ins Tal hinab, gefolgt von fünfhundert brüllenden Reitern. Gleichzeitig regnete ein Pfeilhagel von beiden Seiten auf die Römer, und das schreckliche Geschrei der Pikten spaltete die Himmel. Da rollten auch endlich die Streitwagen donnernd über die Hügelkämme im Osten. Sie rumpelten den Abhang hinab, Schaum flockte von den Nüstern der Pferde, deren wirbelnde Beine kaum den Boden zu berühren schienen, und das hohe Heidekraut wurde niedergewalzt. Im ersten Wagen hockte mit blitzenden Augen Bran Mak Morn, während in den anderen die halbnackten Briten schrien und auf die Pferde einschlugen, als wären sie von Dämonen besessen. Hinter den dahinrasenden Wagen kamen die Pikten und heulten wie Wölfe, als sie rannten und ihre Pfeile verschossen. Die Heide schien sie wie eine dunkle Flut auszuspeien.
Das alles sah Cormac in den chaotischen Augenblicken, während er den Hang hinabpreschte. Ein Reitertrupp schob sich zwischen ihn und die Heeressäule. Drei große Sprünge vor seinen Männern begegnete der gälische Prinz den Speeren der römischen Reiter. Die erste Spitze lenkte er mit dem Schild ab, erhob sich in den Steigbügeln, hieb mit dem Schwert abwärts und spaltete den Mann von der Achsel bis zum Brustbein. Der nächste Römer schleuderte einen Wurfspieß, der Domnail tötete, doch im nächsten Augenblick rammte Cormacs Tier das leichtere des Römers, das den Reiter abwarf und zertrampelte.
Dann traf die ganze Wucht des gälischen Angriffs auf die römische Reiterei und zerschmetterte sie. Über die blutigen Überreste hinweg sprengten Cormacs heulende Dämonen, und unter ihrem Anprall schwankte die gesamte Flanke der schweren, römischen Fußtruppen. Schwerter und Äxte blitzten auf, und der Schwung trug die Galen bis tief in die dichten Reihen. Dort wurden sie aufgefangen und erbittert bekämpft. Spieße stachen, Schwerter zuckten aufwärts und brachten Pferd und Reiter zu Fall. An Zahl stark unterlegen und von allen Seiten eingeschlossen, wären die Galen inmitten der Feinde zugrundegegangen, wenn nicht in diesem Augenblick von der anderen Seite her die Streitwagen in die römischen Reihen gefahren wären. In einer langen Linie waren sie fast gleichzeitig heran, und im Augenblick der Begegnung wirbelten die Lenker die Pferde in einer Vierteldrehung herum und rasten parallel die Flanke entlang. Die Legionäre fielen wie Weizen unter der Sense. In diesem Augenblick starben Hunderte unter den gebogenen Klingen, und wie Wildkatzen kreischend, warfen sich die Schwertkämpfer der Briten von den Wagen auf die Speere der Legionäre und hieben mit ihren Zweihändern wild um sich. Aus allernächster Nähe ließen die Pikten ihre Pfeile von den Sehnen schnellen und sprangen dann mit den Schwertern in der Hand ins Getümmel. Berauscht von der Aussicht auf den Sieg, fochten diese Leute wie verwundete Tiger, fühlten keine Wunden und starben mit wütendem Knurren, noch ehe sie den Boden berührten.
Doch die Schlacht war noch nicht geschlagen. Ihre geordneten Reihen bestanden nicht mehr, sie waren benommen, und die Hälfte fast ihrer Anzahl gefallen –aber die Römer verteidigten sich mit dem Mut der Verzweiflung. Von allen Seiten umringt, kämpften sie einzeln, in kleinen Gruppen oder Rücken an Rücken. Bogenschützen, Schleuderer, Berittene und Fußvolk mischten sich in einem einzigen Chaos. Die Verwirrung war vollkommen, nicht aber der Sieg. Die vor dem Eingang zur Schlucht warfen sich immer noch gegen die Äxte, die ihnen den Weg versperrten, während hinter ihnen ein wildes Handgemenge tobte. Auf der einen Seite wüteten Cormacs Galen, auf der anderen rollten die Streitwagen, zogen sich zurück und kehrten wie ein eiserner Sturm wieder. Für die Legionäre gab es keinen Rückzug, denn die Pikten hatten quer über den Weg, den sie gekommen waren, eine Linie gezogen, die Troßknechte getötet und die Vorratswagen besetzt, von denen aus sie den gefiederten Tod ins Ende der zerbrochenen Heersäule sandten. Doch der Tod hielt nicht nur auf einer Seite reiche Ernte. Pikten starben unter blitzschnellen Stößen von Spießen und Kurzschwertern, Galen, die unter ihren gestürzten Pferden eingeklemmt lagen, wurden erschlagen, und über die Wagen, die der Zugpferde beraubt worden waren, ergoß sich das Blut der Lenker.
Und an der Schmalseite des Tales tobte immer noch 4er Kampf. Ihr großen Götter, dachte Cormac, als er fechtend einen Blick dorthin warf, halten diese Nordmänner tatsächlich noch die Schlucht? Aye! Sie hielten die Stellung! Auf ein Zehntel der ursprünglichen Anzahl zusammengeschmolzen, schlugen sie die verzweifelten Angriffe der Legionäre ab.
Ein ohrenbetäubender Lärm lag über dem Schlachtfeld. Raubvögel kreisten am Himmel. Cormac, der durch das Getümmel hindurch Marcus Sulius zu erreichen trachtete, sah, wie das Pferd des Römers unter diesem zusammenbrach und der Reiter sich allein inmitten von Feinden wieder erhob. Er sah, wie das Römerschwert dreimal aufblitzte und dabei jedesmal einem Gegner den Tod gab. Dann sprang aus dem dichtesten Gewühl eine schrecklich anzusehende Gestalt hervor. Es war Bran Mak Morn. Als er heranrannte, schleuderte er sein zerbrochenes Schwert von sich und riß den Dolch heraus. Der Römer stach zu, doch der Piktenkönig duckte unter dem Stoß hinweg, packte die Schwerthand und bohrte seinen Dolch durch den glänzenden Harnisch.
Als Marcus starb, stieg ein brüllender Aufschrei zum Himmel empor. Cormac sammelte die Reste seiner Streiter um sich, bohrte seinem Pferd die Sporen in die Weichen und hetzte durch die zerschlagenen Reihen zum anderen Ende des Tales.
Beim Heranreiten sah er, daß er zu spät kam. So wie sie gelebt hatten, so waren sie auch gestorben, jene grimmen Seewölfe: mit den Gesichtern zum Feind und den Waffen in den Händen. Reglos lagen sie da, und selbst im Tod war noch etwas von dem Schildwall erhalten, der keilförmig den Paß gesperrt hatte. Zwischen und vor ihnen türmten sich die Leichen derjenigen, die ihn vergeblich zu durchbrechen versucht hatten. Die Nordmänner waren nicht einen Fußbreit gewichen! Bis zum letzten Mann waren sie auf ihrem Platz gefallen. Doch gab es auch keinen, der über ihre Körper geklettert wäre: Die Römer, die den Wikingeräxten entgangen waren, hatten den Tod durch die Pfeile der Pikten und die Schwerter der Galen gefunden.
Und doch war dieser Teil der Schlacht noch nicht vorbei. Hoch oben, auf dem steilen Westabhang, ging das Drama zu Ende. Eine Gruppe von Galliern drang auf einen einzelnen Mann ein, einen schwarzhaarigen Riesen, auf dessen Haupt ein goldener Reif glänzte. Eiserner Wille war in den Angreifern, ebenso wie in ihrem Gegner, der ihren Untergang verursacht hatte. Ja, sie waren zum Untergang verurteilt, denn ihre Kameraden wurden hinter ihnen hingemetzelt, aber vor ihrem Tod gierten sie noch nach dem Leben des schwarzhaarigen Giganten, der die Männer des Nordens geführt hatte.
Von drei Seiten auf ihn eindrängend, hatten sie ihn langsam die Steilwand der Schlucht hochgetrieben, und die verkrümmten Körper, die seinen Rückzugsweg kennzeichneten, waren Beweis für die Grimmigkeit, mit der sie sich jeden Fußbreit erkämpften. Es war schon schwierig, in dem Gelände nicht den Halt zu verlieren, diese Männer aber kletterten und fochten gleichzeitig. Kulls Schild und Kriegskeule waren dahin, und das große Schwert in der Rechten war rot gefärbt. Sein kunstvoll geflochtenes Kettenhemd hing in Fetzen herab, und Blut rann aus Hunderten von Wunden. Seine Augen jedoch blitzten voll unverminderter Kampfeslust, und sein Arm lenkte das mächtige Schwert zu todbringenden Streichen.
Aber Cormac wußte, daß das Ende kommen würde, noch ehe er ihn zu erreichen vermochte. Auf dem Kamm des Hügels bedrohte ein Dutzend Schwertspitzen das Leben des fremden Königs, dessen Kräfte jetzt rasch schwanden. Soeben spaltete er das Haupt eines riesigen Angreifers und schnitt auf dem Rückschwung durch den Hals eines zweiten. Unter einem Regen von Schwerthieben taumelnd, hieb er wieder zu, und sein Opfer sank zu Boden. Und dann, als sich mehrere Schwerter über dem schwankenden Atlanter erhoben, um ihm den Todesstreich zu versetzen, geschah etwas Seltsames. Die Sonne versank hinter dem westlichen Horizont und tauchte die Heidelandschaft in blutrotes Licht. Kull stand vor der Sonnenscheibe, so wie er gekommen war, und hinter dem taumelnden König eröffnete sich ein wundersamer Anblick. Cormac sah einen kurzen Augenblick lang eine fremdartige Landschaft in fernen Sphären: Wie Spiegelbilder in den Sommerwolken gewahrte er anstelle der Heidelandschaft, die sich bis zur See erstreckte, undeutlich ein reiches Land mit blauen Bergen und schimmernden Seen und goldene, purpurne und saphierblaue Türme und gewaltige Mauern einer mächtigen Stadt, wie sie die Erde seit Äonen nicht mehr gekannt hatte.
Dann verging die Vision wie ein Traum, aber die Gallier auf dem Hügel hatten die Waffen sinken lassen und starrten wie betäubt, denn der Mann namens Kull war, ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwunden!
Bestürzt wandte Cormac sein Pferd und ritt über das zertrampelte Schlachtfeld zurück. Siegesgeschrei dröhnte durch das Tal. Und doch war alles schattenhaft und sonderbar. Jemand schritt heran, und Cormac erkannte geistesabwesend Bran. Der Gäle schwang sich vom Pferd und trat dem König gegenüber. Bran war waffenlos. Aus Wunden an Stirn, Brust und Gliedern rann es rot, die leichte Rüstung, die er getragen hatte, war ihm vom Körper geschlagen worden, und ein Hieb war halb durch die Eisenkrone gedrungen. Nur das rote Juwel schimmerte fleckenlos wie ein Stern der Schlacht.
„Mein Sinn steht danach, dich zu töten“, sprach der Gäle schwerfällig und wie ein Mann unter einem Zauber, „denn du hast das Blut tapferer Männer auf dein Haupt geladen. Hättest du früher das Signal zum Angriff gegeben, so wäre mancher noch am Leben.“
Bran verschränkte die Arme. „Stoß zu, wenn du willst; ich bin des Schlachtens müde. Es ist ein bitteres Brot, König zu sein. Ein König muß mit Menschenleben und bloßen Schwertern als Einsatz spielen. Es ging um das Leben meines Volkes. Ich habe die Nordmänner geopfert, ja! Und mein Herz schmerzt mich in der Brust, denn es waren Männer! Aber hätte ich den Befehl gegeben, als du es für richtig hieltest, hätte alles schiefgehen können. Die Römer befanden sich noch nicht zur Gänze in der Talenge und hätten vielleicht Zeit und Platz gehabt, die Schlachtordnung umzustellen und uns abzuschlagen. Ich wartete bis zum letzten Augenblick – und die Seeräuber starben. Ein König gehört seinem Volk und darf sich nicht von eigenen Gefühlen und den Leben Fremder beeinflussen lassen. Jetzt ist mein Volk gerettet; aber das Herz ist kalt in meiner Brust.“
Müde stützte sich Cormac auf sein Schwert. „Du bist zum König geboren, Bran“, sagte der gälische Prinz.
Bran blickte über das Schlachtfeld. Die Römer, die die Schwerter weggeworfen und sich ergeben hatten, standen in Gruppen, von Wachen umgeben.
„Mein Königreich – mein Volk – ist gerettet“, sagte Bran müde. „Zu Tausenden werden sie aus den Hügeln hervorkommen, und wenn Rom wieder gegen uns marschiert, steht ihnen eine geschlossene Nation gegenüber Aber ich bin müde. Was ist mit Kull?“
„Meine Augen und mein Geist waren vom Kampf verwirrt“, antwortete Cormac. „Ich glaubte, ihn wie einen Geist mit der sinkenden Sonne verschwinden zu sehen. Ich werde nach seinem Leichnam suchen.“
„Suche ihn nicht“, sagte Bran. „Aus der aufgehenden Sonne kam er – in die untergehende Sonne ging er. Aus den Schleiern der Vergangenheit kam er zu uns, und in die Schleier der Äonen kehrte er zurück – in sein eigenes Königreich.“
Cormac wandte sich ab. Die Nacht brach herein. Wie ein weißes Gespenst stand Gonar vor ihm. „In sein eigenes Königreich“, wiederholte der Zauberer. „Zeit und Raum sind nichts. Kull ist in seine eigene Zeit zurückgekehrt.“
„Dann war er also ein Geist?“
„Fühltest du nicht den Griff seiner Hand? Hörtest du nicht seine Stimme? Sahst du ihn nicht essen und trinken, lachen und töten und bluten?“
Immer noch stand Cormac wie betäubt.
„Wenn es also für einen Mann möglich sein sollte, von einem Zeitalter in ein noch ungeborenes zu gelangen, mit seinem fleischlichen Körper und seinen Waffen, dann ist er so sterblich wie zu seinen eigenen Tagen. Ist Kull denn tot?“
„Er starb vor hunderttausend Jahren nach der Zeitrechnung der Menschen“, antwortete der Zauberer, „aber in seiner eigenen Zeit. Er starb nicht unter den Schwertern der Gallier aus dieser Zeit. Berichten uns nicht die Legenden, wie der König von Valusien in ein eigenartiges, zeitloses Land der nebligen Zukunft gereist ist und dort an einer großen Schlacht teilgenommen hat? Und das tat er auch! Vor hunderttausend Jahren – oder heute!
Und vor hunderttausend Jahren – oder vor wenigen Augenblicken – erhob sich Kull, König von Valusien, von seiner seidenen Liege im geheimen Gemach und sprach lachend zum ersten Gonar: ‚Ha, Zauberer, ich hatte in der Tat einen sonderbaren Traum, denn in meinen Visionen begab ich mich in ein fernes Land in einer fernen Zeit und kämpfte für den König eines eigenartigen Schattenvolkes!’ Da lächelte der große Zauberer und wies schweigend auf das gerötete, scharten-übersäte Schwert, die zerfetzte Rüstung und die vielen Wunden des Königs. Und Kull, aus seinem Traum nun völlig erwacht und den Schmerz der noch offenen Wunden spürend, schwieg verwirrt. Alles Leben sowie Zeit und Raum erschienen ihm wie ein Traum von Geistern, und die Gedanken daran ließen ihm für den Rest seines Lebens keine Ruhe mehr. Denn die Weisheit der Ewigkeiten bleibt selbst Königen verborgen, und Kull vermochte ebensowenig zu verstehen, was ihm Gonar erzählt, wie du meine Worte verstehst.“
„So lebte Kull also trotz seiner vielen Wunden“, sagte Cormac, „und kehrte in die Schleier der Stille und der Jahrhunderte zurück. Nun, er hielt uns für einen Traum und wir ihn für einen Geist. Wahrlich, das Leben ist nur ein dünnes Gewebe, gesponnen aus Geistern, Träumen und Illusionen, und ich ahne, daß das Königreich, das heute in diesem Tal mit Hilfe von Schwertern und Kampf geboren wurde, nicht beständiger ist als die Gischt der schimmernden See.“