Читать книгу Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery - Robert E. Howard - Страница 8

Die im Dunkeln wohnen ...

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Schwert schlug klirrend gegen Schwert.

„Ailla! A-a-ailla!“ erklang es schrill aus den Kehlen hundert Wilder.

Von allen Seiten schwärmten sie gegen uns heran. Hundert gegen dreißig. Wir standen Rücken an Rücken, hielten die Schilde überlappt und die Klingen vorgestreckt. Die Waffen waren rot, und rot waren Helm und Harnisch. Einen Vorteil besaßen wir: zum Unterschied von unseren Gegnern waren wir gepanzert. Und dennoch warfen sie sich trotz ihrer Nacktheit auf uns, als wären sie in Stahl gekleidet.

Für einen Augenblick lang zogen sie sich zurück, Flüche keuchend, während das rinnende Blut seltsame Muster auf ihre blau bemalte Haut zeichnete.

Dreißig Mann! Der Überrest eines kleinen Heeres von fünfhundert, das so stolz von der Mauer des Hadrian aus gen Norden gezogen war. Bei Zeus, was für ein Plan! Fünfhundert Mann sollten sich durch ein Land schlagen, das von Barbaren aus einem anderen Zeitalter nur so wimmelte. Bei Tage marschierten wir und hieben uns einen roten Pfad durch die blutdürstigen Horden, bei Nacht schlugen wir Lager auf, die von knurrenden Unholden umschlichen wurden. Und immer wieder verloren Wachtposten ihr Leben unter dem raschen Dolch. Kampf, Blutvergießen, Schlächterei.

Und der Kaiser in seinem noblen Palast würde Kunde davon erhalten, daß wieder eine Expedition in den nebligen Bergen des mystischen Nordens verschwunden war.

Ich warf meinen Kameraden einen Blick zu. Es waren Römer aus Latium und aus Rom selbst, Briten, Germanen und ein feuerhaariger Hibernier. Ich blickte zu den Wölfen in Menschengestalt hinüber, die uns umringten: gnomenhafte Menschen, vornübergebeugt, mit langen, starken Armen und zottigem Haar über fliehenden Stirnen. Schwarzglühende Augen starrten uns bösartig an. Die Barbaren waren fast unbekleidet, trugen kleine Rundschilde, lange Speere und Schwerter mit ovalen Klingen. Kaum einer maß mehr als fünf Fuß, doch ihre unglaublich breiten Schultern zeugten von ungewöhnlicher Stärke. Und flink waren sie wie Katzen.

Da stürmten sie auch schon wieder heran. Die kurzen Schwerter der Angreifer prallten auf die römischen Kurzschwerter. Es war ein Kampf auf engstem Raum, denn es war sowohl die Taktik der Wilden wie auch die der römischen Legionäre. Der römische Schild stellte einen Nachteil dar, denn er war zu schwer für rasche Bewegungen, und die Barbaren stießen geduckt von unten herauf.

Wir standen Rücken an Rücken, und wenn einer von uns fiel, schlossen wir die Reihe wieder. Sie drängten gegen uns, so daß wir einander Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden und ihr säuerlicher Atem uns in die Nase stank. Wie Krieger aus Stahl hielten wir unsere Stellung. Die Heide, die Hügel, ja selbst die Zeit wurde bedeutungslos. Wir waren keine Männer mehr, sondern nur noch kämpfende Automaten. Die Schlacht ließ keinen Platz für Gedanken und Gefühle. Hauen und stechen. Eine Klinge zersplittert auf einem Schild. Ein tierhaftes Gesicht knurrt. Schlag zu! Das Gesicht verschwindet und wird durch eine andere Fratze ersetzt.

Die Jahre der römischen Kultur verschwanden wie Nebel unter den Strahlen der Sonne. Ich war wieder ein Wilder, der einem feindlichen Stamm gegenüberstand. Ich verfluchte die Kürze meines römischen Schwertes. Ein Speer brach an meinem Brustpanzer, ein Schwert zersprang auf meinem Helm, hämmerte mich zu Boden. Ich taumelte empor und tötete den Angreifer mit einem aufwärts geführten Hieb. Dann hielt ich mit erhobenem Schwert inne. Stille herrschte auf der Heide. Kein Feind stand mehr auf den Beinen. Nur noch Leichen lagen umher. Und von uns dreißig waren nur noch fünf übrig: zwei Römer, ein Brite, der Ire und ich. Das Römerschwert und der römische Panzer hatten den Sieg davongetragen.

Es blieb nur eines zu tun, den Marsch nach Süden fortzusetzen. Aber bevor wir uns daran machten, fand ich etwas auf dem Schlachtfeld, was mein Herz mit Freude erfüllte, einen Bihänder in der verkrampften Hand eines der Wilden. Das Langschwert eines Nordmanns, bei Thor! Der Tote hielt die Waffe so fest umklammert, daß ich gezwungen war, ihm die Hand abzuschlagen, um es mir anzueignen.

Nun fühlte ich mich wohler. Kurzschwert und Schild mochten für einen Mann mittlerer Größe genügen, reichten jedoch für einen Krieger, der sechseinhalb Fuß maß, nicht aus.

Wir überquerten die Berge, krochen wie Insekten eine Steilwand hoch und wurden oben fast vom Sturm weggeblasen, der wie ein Riese brüllte. Und dort warteten sie auf uns. Der Brite fiel mit einem Speer im Körper, taumelte hoch, umklammerte den Angreifer, und zusammen stürzten sie über den Rand des Abgrundes tausend Fuß hinunter. Nach einem kurzen, wütenden Gefecht war der Kampf auch schon zu Ende. Vier Feinde lagen bewegungslos zu unseren Füßen, während einer der Römer auf dem Boden hockte und das Blut zu stillen versuchte, das aus seinem Armstumpf hervorsprang.

Die Gefallenen rollten wir über den Rand der Schlucht, und den Arm des Römers umwanden wir fest mit Lederriemen. Dann setzten wir unseren Weg fort.

Weiter. Weiter. Zerklüftete Felsen rund um uns. Die Sonne senkte sich dem Horizont entgegen. Als wir, von Steinblöcken gedeckt, auf einem breiten Felsband hockten, zog eine Schar Eingeborener unter uns vorbei. Wild aufbrüllend sprang der Ire mitten unter sie. Sein rotes Haar schimmerte zwischen ihren schwarzen Schöpfen. Der erste, der ihn erreichte, fiel mit gespaltenem Schädel, und der zweite kreischte auf, als ihm der Arm von der Schulter getrennt wurde. Mit einem wilden Kampf schrei versenkte der Ire sein Schwert in einer haarigen Brust, riß es heraus und hieb einen Kopf ab. Dann waren sie über ihm wie Wölfe über einem Löwen, und einen Augenblick später zierte sein Haupt eine Speerspitze.

Der Trupp zog weiter, ohne unsere Anwesenheit zu ahnen, und wir setzten unseren Weg fort. Die Nacht fiel ein, und der Mond ging auf und warf gespenstische Schatten. Bis zum Morgengrauen taumelten wir weiter, verbargen uns bei Tagesanbruch in Felsnischen und machten uns des Nachts wieder auf den Weg.

Bei Einbruch der Morgendämmerung erreichten wir eine riesige Hochebene, die an drei Seiten von Bergen eingerahmt war. Nur gen Süden zu schien das Land flach zu sein, und so glaubte ich, daß wir endlich das Hügelland vor uns hatten, das in die fruchtbaren Ebenen des Südens überging.

An einem See hielten wir an. Kein Feind war zu sehen, und nirgends stieg Rauch auf. Aber als wir so standen, kippte der einarmige Römer lautlos vornüber. Ein Wurfspeer stak in seinem Körper.

Unsere Blicke suchten den See ab. Kein Boot war zu sehen und auch kein Gegner im spärlichen Schilf am Ufer. Wir wandten uns um und blickten forschend über die Heidelandschaft. Da brach der zweite Römer mit einem kurzen Speer zwischen den Schulterblättern zusammen.

Das Schwert gezückt, suchte ich mit den Blicken die Hänge ab. Die Heide erstreckte sich zwischen den Bergen, und nirgends war das Heidekraut hoch genug, um einen Mann zu verbergen – nicht einmal einen Kaledonier. Keine Welle kräuselte die Seeoberfläche. Wieso bewegte sich das eine Schilfrohr, während die übrigen still standen? Ich beugte mich vor und spähte ins Wasser. Neben dem Rohr stieg eine Luftblase hoch. Ich bückte mich noch mehr und blickte in ein tierhaftes Antlitz unter der Oberfläche! Erstaunen ließ mich einen Augenblick lang zögern, dann spaltete mein Schwert das haarige Gesicht und parierte im letzten Moment den Speer, der gegen meine Brust zuckte. Das Wasser schäumte auf, und kurz darauf trieb die Leiche des Wilden an die Oberfläche. Seine Hand hielt immer noch das Schilfrohr umklammert, durch das er geatmet hatte. Nun wußte ich, warum so viele Römer an den Seeufern auf geheimnisvolle Weise das Leben verloren hatten.

Ich warf meinen Schild weg und behielt nichts außer Schwert, Dolch und Rüstung. Ein wildes, erhebendes Gefühl durchströmte mich. Ich war allein in einem rauhen Land voller Feinde, die nach meinem Blut dürsteten. Bei Thor und Odin! Ich würde ihnen zeigen, wie ein Nordmann zu sterben vermochte! Mit jedem Atemzug verlor ich mehr von der Schale der römischen Kultur. Zuletzt blieb nur noch der primitive Mann übrig, und kalte Wut erfüllte mich, gepaart mit Verachtung für meine Feinde. Ich war nahe daran, zum Berserker zu werden. Die kämpferische Seele des Nordmanns regte sich in mir. Ich war kein Römer. Ich war ein gelbbärtiger Barbar. Und ich schritt über die Heide, als befände ich mich an Bord meines Langschiffs. Wer waren schon die Pikten? Verkrüppelte Zwerge, deren Tage gezählt waren. Sie entstammten aus einem anderen Zeitalter, ein Volk, das die Kelten und Nordleute vor sich her getrieben hatten. Und irgendwo in meinem Geist hauste die verschleierte Erinnerung an wilde, gnadenlose Kriege aus einer dunkleren Zeit.

Aber da war auch eine gewisse Scheu – nicht vor ihren kämpferischen Fähigkeiten, sondern vor der Zauberei, die sie beherrschen sollten. Ich hatte ihre Kromleche in ganz Britannien gesehen und auch den Wall, den sie unfern von Corinium erbaut hatten. Ich wußte, daß die keltischen Druiden sie in einem solchen Ausmaß haßten, das selbst für Priester erstaunlich war. Nicht einmal die Druiden vermochten zu erklären, wie das Steinzeitvolk die mächtigen Steinwälle zu errichten imstande gewesen war. Zauberei mußte im Spiel sein.

Ich begann mich zu fragen, zu welchem Zweck wir fünfhundert Männer eigentlich ausgeschickt worden waren. Einige behaupteten, um einen bestimmten Piktenpriester gefangenzunehmen, andere, um den Aufenthaltsort eines Piktenhäuptlings mit Namen Bran Mak Morn herauszufinden. Aber keiner wußte es, mit Ausnahme des Offiziers. Und dessen Kopf stak irgendwo auf der Spitze eines Piktenspeers. Ich wünschte, ich könnte diesem Bran Mak Morn begegnen. Man erzählte sich, es gäbe im Kampf nicht seinesgleichen – weder in einer Schlacht noch im Zweikampf. Vielleicht träfe ich auf ihn, und wenn er wirklich so tapfer war, wie man behauptete, so würde er mir sicher gegenübertreten.

Ich verbarg mich nicht länger. Ja, mehr noch: ich sang ein Lied im Gehen und schlug den Takt mit meinem Schwert. Sollten die Pikten doch kommen! Ich war bereit, den Tod eines Kriegers zu sterben.

Ich hatte viele Meilen zurückgelegt, als ich um einen Hügel bog und gute hundert von ihnen vor mir hatte. Falls sie erwarteten, daß ich floh, so täuschten sie sich. Ich unterbrach nicht einmal meinen Gesang, als ich ihnen entgegenschritt. Einer kam mir entgegen und griff an. Ich spaltete ihn von der linken Schulter bis zur rechten Hüfte. Ein zweiter sprang von der Seite heran und stieß nach meinem Kopf. Ich duckte mich und schnitt ihm den Bauch auf. Dann umringten sie mich. Ich hielt das Schwert mit beiden Händen, schwang es im Kreis herum und schaffte mir Platz. Mit dem Rücken stellte ich mich zu dem steilen Abhang des Hügels, um zu verhindern, daß sie mich wieder umzingelten. Meine Streiche waren so gewaltig, daß für jeden Feind einer genügte. Ein bärtiger Wilder unterlief mein Schwert und stach von unten herauf. Die Klinge glitt an meinem Harnisch ab, und ich streckte ihn mit meinem Schwertknauf bewußtlos zu Boden. Wie Wölfe belagerten sie mich und versuchten, mich mit ihren kurzen Klingen zu erreichen. Zwei fielen mit gespaltenen Schädeln, als sie zu nahkamen. Da beugte sich einer über die Schultern der vordersten und rannte mir seinen Speer durch die Hüfte. Vor Wut brüllend, spießte ich ihn auf. Bevor ich noch das Gleichgewicht wiedererlangen konnte, riß ein Schwert meinen rechten Arm auf, und ein zweites brach auf meinem Helm. Ich taumelte, ließ meine Waffe kreisen, um mir Platz zu verschaffen, doch eine Speerspitze grub sich in meine rechte Schulter. Ich stolperte, ging zu Boden und taumelte wieder hoch. Ich brüllte löwengleich auf, wurde zum Berserker und sprang mitten unter die Feinde. Ich hieb nach links und rechts und sah nur noch rot. Ich fiel zu Boden, sprang auf, stürzte wieder, der rechte Arm hing nutzlos herab, das Schwert wirbelte in der linken Hand. Der Kopf eines Feindes sprang von den Schultern, ein Arm verschwand am Ellbogen, und dann brach ich zusammen und versuchte vergeblich, die Schwerthand zu heben.

Augenblicklich befanden sich ein Dutzend Speerspitzen an meiner Brust, als jemand die Angreifer zurückwarf und eine befehlsgewohnte Stimme rief:

„Halt! Dieser Mann muß geschont werden!“

Wie durch einen Nebel hindurch erkannte ich ein schmales, dunkles Antlitz, als ich auf die Beine kam. Ich stand einem schlanken, dunkelhaarigen Mann gegenüber, der mir kaum bis zur Schulter reichte, aber der so geschmeidig und stark wie ein Panther wirkte. Er war mit eng anliegenden Kleidern angetan, und als einzige Waffe trug er ein langes Schwert. Im Aussehen glich er den Pikten ebensowenig wie ich, und doch deutete irgend etwas auf seine Verwandtschaft mit ihnen hin.

All dies stellte ich in meiner Benommenheit fest, kaum fähig, mich auf den Beinen zu halten.

„Ich habe dich gesehen“, sagte ich erstaunt. „Immer wieder habe ich dich in der vordersten Schlachtenreihe gesehen. Stets hast du die Pikten zum Angriff geführt, während sich die anderen Häuptlinge abseits hielten. Wer bist du?“

Dann verschwammen die Krieger, der Himmel und die Welt vor meinen Augen, und ich brach zusammen.

Undeutlich vernahm ich die Stimme des geheimnisvollen Kriegers: „Versorgt seine Wunden und gebt ihm Speise und Trank!“ Ich hatte die Sprache von den Pikten erlernt, die an die Mauer kamen, um Handel zu treiben.

Ich merkte, daß den Befehlen des Kriegers Folge geleistet wurde, und mit Hilfe des Weines, den die Pikten aus Heidekraut gären, erlangte ich bald wieder die Herrschaft über meine Sinne. Dann legte ich mich zu Boden und schlief.

Als ich erwachte, stand der Mond hoch am Himmel. Man hatte mir Waffen und Helm abgenommen, und einige Pikten bewachten mich. Als sie merkten, daß ich nicht länger schlief, bedeuteten sie mir, ihnen zu folgen, und wir schritten über die Heide. Nach kurzer Zeit gelangten wir zu einem hohen, nackten Hügel, auf dem ein Feuer brannte. Auf einem Felsblock neben dem Feuer saß der sonderbare Piktenführer, und um ihn in einem Kreis seine Krieger.

Man führte mich vor ihn, und ich betrachtete ihn weder trotzig noch furchtsam. Ich spürte, daß ich einem Mann gegenüberstand, wie ich noch nie einem begegnet war. Eine Kraft, eine Macht schien von ihm auszugehen, die ihn von gewöhnlichen Menschen unterschied. Es schien, als blicke er aus majestätischen Höhen auf die Männer herab, nachdenklich, unergründlich, voll von der Weisheit von Jahrhunderten. Er hielt das Kinn auf eine Hand gestützt, als er mich mit seinen dunklen Augen ansah.

„Wer bist du?“

„Ein Bürger Roms.“

„Ein römischer Legionär. Einer jener Wölfe, die bereits seit zu vielen Jahrhunderten die Welt verheeren.“

Unter den Kriegern erhob sich ein Gemurmel, gefährlich wie die Fänge eines Wolfes.

„Es gibt solche, die meinem Volk verhaßter sind als die Römer“, sagte er. „Du bist also ein Römer. Doch scheint mir, als wären die Römer größer, als ich dachte. Und dein Bart – was hat ihn so gelb werden lassen?“

Die Ironie in seinen Worten ließ mich den Kopf höher heben, und obwohl sich mir beim Gedanken an die –Schwerter in meinem Rücken die Haut zusammenzog, antwortete ich stolz:

„Von Geburt her bin ich ein Nordmann.“

Ein wilder Schrei ertönte in der Runde der kauernden Horde, und einige stürzten vor. Eine einzige Handbewegung des Häuptling sandte sie zurück. Seine Augen hatten mich nicht einen Augenblick lang unbeobachtet gelassen.

„Mein Stamm besteht aus Narren“, stellte er fest. „Denn sie hassen die Nordleute mehr als die Römer, weil die Nordmänner unaufhörlich unsere Küsten überfallen. Und dennoch sollten sie Rom hassen.“

„Aber du bist kein Pikte!“

„Ich bin Mediterraner.“

„Aus Kaledonien?“

„Ich gehöre der Welt an.“

„Wer bist du?“

„Bran Mak Morn.“

„Was?“ Ich hatte mir unter Bran Mak Morn ein Ungeheuer vorgestellt, einen unförmigen Riesen oder einen monströsen Zwerg von der Art der übrigen Angehörigen seiner Rasse.

„Du bist nicht wie die anderen.“

„Ich bin wie mein Volk einmal war“, gab er zur Antwort. „Das Geschlecht der Häuptlinge hat sich ihr Blut während all der Jahrhunderte rein erhalten und die Welt nach den Frauen der Alten Rasse abgesucht.“

„Warum haßt deine Rasse alle Menschen?“ fragte ich neugierig. „Eure Wildheit ist sprichwörtlich unter den anderen Völkern.“

„Warum sollten wir nicht hassen?“ In seinen Augen stand plötzlich ein Glitzern. „Wir wurden aus unseren fruchtbaren Ländern in die Einöden der Welt vertrieben und an Körper und Geist verkrüppelt. Sieh mich an! Ich bin, wie meine Rasse einmal war. Sieh dich um! Ein Volk von Affenmenschen – wir, die wir einst die vornehmsten unter den Menschen waren.“

Der Haß, der in seiner tiefen Stimme vibrierte, ließ mich erschauern.

Zwischen den Reihen der Krieger erschien ein Mädchen, das sich an die Seite des Häuptlings begab und eng an ihn geschmiegt niederließ. Eine schlanke, scheue Schönheit, nicht viel mehr als ein Kind. Mak Morns Gesicht verlor etwas von seiner Härte, als er einen Arm um ihre schmalen Schultern legte. Dann kehrte der brütende Ausdruck in seine Augen zurück.

„Meine Schwester, Nordmann“, sagte er. „Man hat mir gesagt, ein reicher Kaufmann in Corinium bietet jedem, der sie ihm bringt, tausend Goldstücke.“

Meine Kopfhaut prickelte, denn ich vermeinte, einen besonderen Ton in der Stimme des Kaledoniers zu entdecken. Der Mond sank unter den westlichen Horizont und verlieh der Heidelandschaft einen roten Schimmer, so daß sie in dem gespenstischen Licht wie ein Meer von geronnenem Blut aussah.

Die Stimme des Häuptlings unterbrach die Stille: „Der Kaufmann sandte einen Spion über die Mauer. Ich schickte ihm seinen Kopf.“

Ich fuhr zusammen. Ein Mann stand vor mir. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Es war ein sehr alter Mann, nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Ein langer, weißer Bart fiel ihm bis zur Hüfte, und er war vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert. Sein ledriges Antlitz lag in tausend Falten, und seine Haut war schuppig wie die einer Schlange. Unter weißen Augenbrauen brannten große, hektische Augen, als sähen sie unheimliche Visionen. Die Krieger bewegten sich unruhig, und das Mädchen drückte sich erschreckt in Mak Morns Arme.

„Die Götter des Krieges reiten den Nachtwind“, sprach der Zauberer plötzlich mit hoher, geisterhafter Stimme. „Die Sperber wittern Blut. Fremde Füße trampeln auf den Straßen von Alba. Fremde Ruder schlagen die Nordsee.“

„Hilf uns mit deiner Macht, Zauberer“, befahl Mak Morn herrisch.

„Du hast das Mißfallen der alten Götter erregt, Häuptling“, erhielt er zur Antwort. „Die Tempel der Schlange sind verlassen. Der weiße Gott des Mondes erhält nicht länger sein Menschenfleisch. Die Herren der Lüfte blicken von ihren Wällen herab und sind unzufrieden. Hai, hau Sie sagen, ein Häuptling ist vom richtigen Pfad abgewichen.“

„Genug!“ unterbrach Mak Morn rauh. „Die Macht der Schlange ist gebrochen. Die Neophyten opfern den dunklen Göttern keine Menschen mehr. Wenn ich die Nation der Pikten aus dem schwarzen Tal der Barbarei führe, dulde ich keinen Widerspruch – ob von einem Prinzen oder einem Priester. Bedenke meine Worte, Zauberer!“

Der alte Mann wandte seine seltsam leuchtenden Augen gegen mich.

„Ich sehe einen gelbhaarigen Barbaren“, wisperte er. „Ich sehe einen starken Körper, einen starken Geist. Ein Opfer für einen Häuptling.“

Mak Morn entfuhr ein ungeduldiger Ausruf.

Das Mädchen zog seinen Kopf gegen seine Lippen und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

„Die Pikten entbehrten noch nicht ganz jeglicher Menschlichkeit und Freundlichkeit“, sagte er, und ich merkte den feinen Spott in seiner Stimme. „Das Kind möchte, daß ich dich freilasse.“

Obwohl er die keltische Sprache verwendete, verstanden ihn die Krieger und murmelten unzufrieden.

„Nein!“ rief der Zauberer wild.

Der Widerspruch bestärkte den Häuptling in seinem Entschluß. Er erhob sich.

„Ich sage, der Nordmann geht bei Tagesanbruch frei.“

Mißbilligendes Schweigen herrschte.

„Wagt es jemand von euch, mir mit dem Schwert gegenüberzutreten?“ rief er herausfordernd.

Der Zauberer sprach: „Hör zu, o Häuptling. Ich habe mehr als hundert Jahre gelebt. Ich habe gesehen, wie Häuptlinge und Eroberer kamen und gingen. Im mitternächtlichen Wald habe ich gegen die Magie der Druiden gekämpft. Lange hast du meine Macht verhöhnt, Mann der Alten Rasse, und jetzt biete ich dir die Stirn. Ich fordere dich zum Zweikampf.“

Kein Wort mehr wurde gesprochen. Die beiden Männer traten einander im Schein des Feuers gegenüber.

„Wenn ich siege, ringelt sich wieder die Schlange, kreischt wieder die Wildkatze, und du bist auf ewig mein Sklave. Wenn du siegst, sind meine Künste dein, und ich werde dir dienen.“

Zauberer und Häuptling standen einander gegenüber. Die züngelnden Flammen erleuchteten ihre Gesichter. Ihre Blicke prallten aufeinander. Ja, der Kampf zwischen den Augen und den Seelen dahinter war so deutlich zu erkennen, als fochten sie mit Schwertern. Die Augen des Zauberers weiteten sich, die des Häuptlings wurden schmal. Gewaltige Kräfte schienen von beiden auszustrahlen, unsichtbare Mächte hüllten sie ein. Ich erahnte, daß es sich nur um einen Teil eines äonenalten Streits handelte, dem Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen. Hinter dem Zauberer standen Tausende von Jahren voll dunkler Geheimnisse, unheilvoller Mysterien, erschreckende, nebulöse Gestalten, Monstren, halb verborgen in den Nebeln der Vergangenheit. Hinter dem Häuptling stand das klare, starke Licht des kommenden Tages, der erste Funke der Zivilisation, die reine Kraft eines Menschen mit einer neuen und mächtigen Botschaft. Der Zauberer war die personifizierte Steinzeit, der Häuptling die kommende Zivilisation. Vielleicht hing das Schicksal der Piktenrasse vom Ausgang des Kampfes ab.

Die Anstrengungen der beiden Männer waren ungeheuer. Auf der Stirn des Häuptlings traten die Adern hervor. Beider Augen funkelten und sprühten. Da drang ein Keuchen aus der Kehle des Zauberers. Kreischend griff er sich an die Augen und sank wie ein leerer Sack auf den Heideboden.

„Genug!“ keuchte er. „Du hast mich besiegt, Häuptling.“ Er erhob sich unterwürfig.

Die Spannung wich von den Reihen der Zuschauer, und sie richteten ihre Blicke auf den Anführer. Mak Morn machte eine Bewegung, als wolle er etwas Unangenehmes abschütteln. Er ging zum Felsblock, ließ sich darauf nieder, und das Mädchen schlang seine Arme um ihn und flüsterte ihm freudig erregt ins Ohr.

„Das Schwert der Pikten ist flink“, murmelte der Zauberer. „Der Arm der Pikten ist stark. Hai! Man sagt, ein Mächtiger hat sich unter den Männern des Westens erhoben.

Sieh in das uralte Feuer der Verschwundenen Rasse, o Wolf von der Heide! Hai, hau Man sagt, ein Häuptling sei uns entstanden, um die Rasse aufwärts zu führen.“

Der Zauberer beugte sich murmelnd über die Glut des Feuers, dessen Flammen verloschen waren. Er rührte in der Glut, während er einen seltsamen Gesang anstimmte, der sich kaum reimte und dessen Bedeutung schwer verständlich war, in dem jedoch ein wilder Rhythmus lag.

Hin und wieder stocherte er in der Glut oder warf merkwürdig geformte Gegenstände hinein, wobei seine Bewegungen auf den Gesang abgestimmt waren.

Über das verkohlte Holz begannen rote Flammen zu lecken. Einmal züngelten sie empor, dann verlöschten sie wieder, um gleich darauf wieder den Zunder zu entflammen, den der Zauberer darauf geworfen hatte. Es prasselte in der Stille, und Rauch begann emporzukräuseln und sich zu einer Wolke zu vereinigen.

Stärker wurde der Rauch und hüllte den Zauberer ein, bis nur noch seine gelben Augen durch den Nebel glühten. Seine Stimme kam wie aus weiter Ferne, als wäre sie körperlos, als wäre sie nicht die des Zauberers, sondern ein Ding für sich, als spräche nicht der Geist des Alten, sondern die vergangenen Jahrhunderte durch sie.

Selten habe ich mich in solch gespenstischer Umgebung befunden: Über uns herrschte die Dunkelheit, kaum ein Stern blinkte, und nur die wabernden Finger des Nordlichts malten bizarre Banner auf den toten Himmel. Die Hänge des Hügels verloren sich im Meer des wogenden Heidekrauts, und auf der unbewachsenen Spitze hockte die halb menschliche Horde wie Gestalten aus einer anderen Welt, deren Gesichter sich einmal mit den Schatten vermengten und dann wieder im Schein des Feuers blutrot hervortraten. Und Bran Mak Morn saß wie eine Bronzestatue, und die Flammen meißelten sein Profil aus der Dunkelheit, während von dem Alten kaum mehr als die sprühenden, gelben Augen und der lange, schneeweiße Bart zu sehen waren.

„Eine mächtige Rasse, das Volk vom Mittelmeer.“

In den Augen der Umsitzenden leuchtete es auf. Sie beugten sich vor. Kein Mensch vermochte diese urzeitlichen Wilden zu zivilisieren. Niemand vermochte sie zu zähmen, zu überwinden. Der ungestüme Geist der Steinzeit war in ihnen.

„Älter als die schneeigen Gipfel von Kaledonien.“

Die Krieger lehnten sich erwartungsvoll und begierig noch weiter vor. Ich merkte, daß die Erzählung sie stets fesselte, auch wenn sie sie zweifellos bereits Hunderte Male von Hunderten Anführern und alten Männern gehört hatten.

„Nordmann“, riß mich der Zauberer aus meinen Gedanken, „was kommt hinter dem Kanal im Westen?“

„Die Insel Hibernia.“

„Und danach?“

„Die Inseln, die von den Kelten Aran genannt werden.“

„Und danach?“

„Das weiß ich wahrlich nicht. Das Wissen der Menschen nimmt dort sein Ende. Kein Schiff hat je diese Wasser befahren. Die Weisen nennen es Thule. Das Unbekannte, das Land der Illusion, den Rand der Welt.“

„Hai, hau Jener mächtige Ozean bespült die Ufer unbekannter Kontinente und Inseln. Weit, weit jenseits der ungeheuren Wasserwüste liegen zwei große Kontinente, von denen selbst der kleinere ganz Europa bei weitem in den Schatten stellt. Es sind Erdteile von unglaublichem Alter, in deren Länder die Stämme von Menschen umherzogen, die die Geheimnisse jeden Handwerks kannten, während dieses Land, das du Europa nennst, nichts anderes war als ein von Reptilen bewohnter Sumpf, ein feuchter Urwald, in dem Affen hausten.

So gewaltig sind jene Erdteile, daß sie die Welt vom Eis des Nordens bis zum Eis des Südens umspannen. Und jenseits von ihnen liegt ein riesiger Ozean. In ihm befinden sich unzählige Inseln, und diese Inseln stellten einst die Gipfel der Berge eines großen Landes dar – das versunkene Land Lemuria.

Und die beiden Kontinente sind Zwillinge, verbunden durch einen schmalen Streifen Land. Die Westküste des nördlichen Kontinents ist rauh und zerrissen. Mächtige Gebirge türmen sich gegen den Himmel. Aber diese Gipfel waren einmal Inseln, und auf diese Inseln gelangte einst der namenlose Stamm von Norden her. Das war vor so vielen tausend Jahren, daß man müde wird, sie zu zählen. Tausend Meilen entfernt im Nordwesten war der Stamm in den fruchtbaren Ebenen entstanden, die in der Nähe der Meeresstraße liegen, die den nördlichen Kontinent von Asien trennt.“

„Asien!“ rief ich verwirrt.

Der Alte warf mir einen zornigen Blick zu und fuhr nach einem Augenblick wieder fort:

„Dort, im fernsten Nebel der Vergangenheit, hatte sich ein kriechendes Meereswesen zum Affen, vom Affen zum Affenmenschen und vom Affenmenschen zum Wilden entwickelt.

Und Wilde waren sie noch, als sie grausam und kriegslustig die Küste herabkamen. Sie waren geschickte Jäger, denn Jahrhunderte lang hatten sie sich von der Jagd ernährt. Sie waren kräftig gebaut, nicht besonders groß, jedoch zäh und muskulös wie der Leopard. Kein Volk könnte ihnen widerstehen. Und sie waren die ersten Menschen.

Sie kleideten sich in Tierfelle, und ihre Steinwerkzeuge waren grob behauen. Sie nahmen die westlichen Inseln in Besitz, über denen stets die Sonne lachte. Und da lebten sie Tausende von Jahren. Und die westlichen Inseln waren reich und fruchtbar und das Meer friedlich. Da legte der Stamm die Waffen beiseite und begann, die Künste des Friedens zu pflegen. Sie lernten, ihre Steingeräte zu polieren, Getreide und Früchte anzubauen, den Boden zu bestellen. Und sie waren zufrieden, und die Erntegötter lachten ihnen. Und sie lernten spinnen und weben und den Bau von Hütten. Und sie wurden Meister der Töpferei und in der Bearbeitung von Pelzen.

Weit im Westen, jenseits der Wogen, lag das große, düstere Land Lemuria. Und wiederum erschienen viele Boote am Horizont. In diesen befanden sich Angehörige des halbmenschlichen Volkes der See. Vielleicht waren sie aus fremdartigen Seeungeheuern entstanden, denn sie besaßen Schuppen wie der Hai und konnten stundenlang unter Wasser schwimmen. Immer wieder schlug sie der Stamm zurück, doch immer wieder kamen sie, denn Abtrünnige des Stammes flohen nach Lemuria. Im Osten und Süden erstreckten sich riesige Wälder, die von wilden Tieren und Affenmenschen bewohnt waren.

So glitten die Jahrhunderte unter den Schwingen der Zeit hinweg. Stärker und stärker wurde der namenlose Stamm, immer mehr bewandert in der Kunst des Handwerks, immer weniger bewandert in der Kunst des Krieges und der Jagd. Und langsam kletterten die Lemurier auf der Leiter der Entwicklung weiter.

Da erschütterte eines Tages ein ungeheures Beben die Welt. Der Himmel vermischte sich mit dem Wasser, und dazwischen erzitterte das Land. Donnernd, als kämpften Götter gegeneinander, erhoben sich die Inseln des Westens aus dem Meer und bildeten die neue Westküste des nördlichen Kontinents. Und Lemuria versank unter den Wellen. Übrig blieb nur noch eine große, gebirgige Insel, umgeben von einer Unzahl kleinerer, die zuvor die Gipfel der Gebirge gewesen waren.

Und an der Westküste erhoben sich brüllend Vulkane und spien feuriges Gestein, das jegliche Spur der Zivilisation am Ufer überdeckte. Aus fruchtbarem Land war Wüste entstanden.

Ostwärts floh der Stamm und trieb die Affenmenschen vor sich her, bis er die weiten, fruchtbaren Ebenen fern im Osten erreichte. Dort wohnten sie jahrhundertelang, bis die Eisfelder nach Süden vordrangen. Wieder floh der Stamm, und eine tausendjährige Wanderschaft begann.

Südwärts zogen sie und trieben stets die Tiermenschen vor sich her. In der großen Entscheidungsschlacht wurden diese vernichtend geschlagen, flohen weit in den Süden und gelangten über die sumpfigen Inseln, die damals dort das Meer übersäten, nach Afrika, von wo aus sie nach Europa vordrangen, wo es noch keine Menschen gab.

Die Lemurier, die Zweite Rasse, wanderten in den nördlichen Kontinent ein. Es waren kleine, untersetzte Menschen mit Augen, die an fremde Meere erinnerten. Sie wußten wenig vom Handwerk, errichteten jedoch sonderbare Bauten und hatten vom namenlosen Stamm gelernt, Werkzeuge aus poliertem Obsidian und Jade herzustellen.

Die mächtigen Eisfelder dehnten sich weiter aus und drängten den namenlosen Stamm südwärts. Zwar erreichte das Eis nie den südlichen Kontinent, doch bestand dieser bloß aus schlangenverseuchtem Sumpfland. Daher bauten die Namenlosen Boote und segelten zum meerumspülten Atlantis. Die Atlanter waren die Dritte Rasse. Groß und schlank von Gestalt, bewohnten sie Höhlen und lebten von der Jagd. Für das Handwerk besaßen sie kein Geschick, doch waren sie Künstler. Befanden sie sich nicht auf der Jagd oder im Krieg miteinander, so verbrachten sie die Zeit damit, die Wände ihrer Höhlen mit Zeichnungen und Gemälden von Menschen und Tieren zu versehen. Dem namenlosen Stamm waren sie nicht gewachsen, und so wurden sie vertrieben. Auch sie gelangten nach Europa und führten dort erbittert Krieg mit den vor ihnen eingewanderten Tiermenschen.

Dann brach Krieg aus unter den Stämmen der Namenlosen, und die Sieger vertrieben die Besiegten. Unter diesen befand sich ein uralter Zauberer, und der belegte Atlantis mit einem Fluch. Kein Mensch sollte von Atlantis wissen, kein Boot sollte jemals dort landen, noch eines von Atlantis andere Gestade erreichen. Unbekannt sollte Atlantis liegen, bis Schiffe mit Drachenköpfen aus der nördlichen See kämen, bis vier Heere auf der Insel der Seenebel einander zur Schlacht trafen, und bis ein großer Führer aus dem Volk des namenlosen Stammes hervorging.

Sodann ruderten sie von Insel zu Insel nach Afrika, folgten der Küste nach Norden und gelangten in die Mittlere See, die von sonnigen Ufern eingerahmt war.

Dort lebte der Stamm Jahrhunderte lang, wuchs, wurde stark und mächtig und breitete sich über die Länder aus. Von den Wüsten Afrikas bis zu den Wäldern des Nordens, vom Nil bis zu den Bergen Albas tummelten sie sich, bebauten ihre Felder, weideten ihr Vieh, webten ihre Stoffe. Sie bauten Pfahldörfer in den Seen der Alpen und errichteten Steintempel in den Ebenen Britanniens. Sie vertrieben die Atlanter und schlugen die rothaarigen Rentier-Leute.

Da brachen aus dem Norden die Kelten mit ihren Schwertern und Speeren aus Bronze hervor. Von den nebligen Ländern des allgewaltigen Schnees kamen sie, von den Ufern der fernen Nordsee. Und sie waren die Vierte Rasse. Die Pikten flohen vor ihnen, denn die Kelten waren groß und stark. Sie besaßen graue Augen und lohfarbenes Haar. Auf der ganzen Welt bekämpften Kelten und Pikten einander, und stets siegte der Kelte, denn die Stämme hatten in den langen Zeiten des Friedens die Kunst des Krieges verlernt. Sie flohen in die Einöden der Welt.

Und so flohen die Pikten von Alba nach Westen und Norden und vermischten sich dort mit den rothaarigen Riesen, die sie vor langen Zeiten aus den Ebenen vertrieben hatten.

So vergingen die Zeitalter, und die Rasse veränderte sich. Aus dem zierlichen, schwarzhaarigen Volk und den ungeschlachten, rothaarigen Wilden entstand eine neue Rasse, verkrüppelt an Körper und Geist. Sie wurden grausam und hinterlistig im Kampf, aber das alte Können war vergessen. Vergessen war der Webstuhl, der Töpferofen und die Mühle. Das Geschlecht der Häuptlinge jedoch erhielt sich rein. Und einer davon bist du, Bran Mak Morn, Wolf der Heideländer.“

Stille entstand. Der schweigende Ring der Zuhörer lauschte immer noch träumend, als vernahmen sie noch das Echo der Worte des Zauberers. Der Nachtwind flüsterte. Das Feuer griff auf neuen Zunder über, aus dem Flammen emporschossen, die wie Arme in die Dunkelheit griffen.

Die monotone Stimme fuhr fort:

„Der Ruhm des namenlosen Stammes schwand wie Schnee, der auf das Meer fällt, wie Rauch, der sich in der Luft auflöst. Er verschwand wie die vergangenen Ewigkeiten. Verschwunden ist der Glanz von Atlantis, verschwunden das düstere Reich der Lemurier. Die Völker der Steinzeit schmelzen dahin wie Frost in der Sonne. Aus der Nacht kamen wir, und in der Nacht gehen wir auf. Alle sind Schatten. Ein Volk der Schatten sind wir. Unsere Tage sind gezählt. Wölfe hausen in den Tempeln des Mondgotts. Wasserschlangen ringeln sich in unseren versunkenen Städten. Stille regiert in Lemuria. Über Atlantis liegt ein Fluch. Rothäutige Wilde bevölkern die Länder im Westen, wandern durch das Tal des Westflusses, entehren die Tempelwälle, die die Männer von Lemuria zu Ehren des Meeresgotts errichteten. Und im Süden zerbröckelt das Reich der Tolteken von Lemuria. So verschwinden die ersten Rassen. Und die Menschen des neuen Zeitalters werden mächtig.“

Der Alte nahm einen brennenden Ast aus dem Feuer und beschrieb mit unglaublich raschen Bewegungen den Kreis mit dem Dreieck in der Luft. Sonderbarerweise schien das mystische Symbol einige Augenblicke lang flammend zu bestehen.

„Der Kreis ohne Anfang“, leierte der Zauberer. „Der Kreis ohne Ende. Die Schlange mit dem Schwanz im Maul, das Universum umspannend. Und die mystische Drei. Anfang, Ruhe, Ende. Schöpfung, Erhaltung, Zerstörung. Der Frosch, das Ei und die Schlange. Zerstörung, Erhaltung, Schöpfung. Die Schlange, das Ei und der Frosch. Und die Elemente: Feuer, Luft und Wasser. Und das Phallussymbol. Der Feuergott lacht.“

Mit wilder Intensität starrten die Pikten ins Feuer. Die Flammen hüpften. Rauch quoll empor und verschwand, und an seine Stelle trat ein sonderbarer, gelber Dunst – weder Feuer, Rauch noch Nebel, sondern eine Mischung aus den drei Dingen. Die Umgebung und der Himmel schienen in den Flammen aufzugehen. Ich fühlte mich nicht länger als Mensch, sondern als ein Paar körperloser Augen.

Da begannen sich irgendwo in dem gelben Dunst undeutliche Bilder zu formen, die nacheinander auftauchten und wieder verschwanden. Ich wußte, daß es die Vergangenheit war, die da vorüberzog. Ich erkannte ein Schlachtfeld, und auf der einen Seite kämpften viele Krieger, die Bran Mak Morn glichen, bis auf die Tatsache, daß sie kampfunerfahren waren. Ihnen gegenüber stand eine Schar großer, hagerer Männer mit Bronzeschwertern und -Speeren. Galen!

Dann sah ich ein anderes Schlachtfeld, und ich wußte, daß Jahrhunderte vergangen waren. Wieder befanden sich die Galen mit ihren Bronzewaffen im Kampf, doch diesmal waren es sie, die in die Flucht geschlagen wurden. Die Angreifer waren ein Haufen riesiger, gelbhaariger Krieger, die ebenfalls Bronze verwendeten. Die Schlacht kennzeichnete die Ankunft der Briten, die der Insel den Namen Britannien verliehen.

Die darauf folgenden Bilder huschten so rasch vorbei, daß man nichts Genaues unterscheiden konnte. Man gewann den Eindruck von großen Taten und wichtigen Ereignissen, doch waren nur undeutliche Schatten zu erkennen. Einen Augenblick lang erschien ein kräftiges Gesicht mit stahlgrauen Augen und einem gelben Schnurrbart, der schmale Lippen einrahmte. Ich ahnte, daß es sich um einen anderen Bran handelte, den Kelten Brennus, dessen gallische Horden Rom geplündert hatten.

Dann trat ein anderes Gesicht an seine Stelle, das Gesicht eines jungen Mannes, hochmütig und arrogant, mit hoher Stirn, aber grausamen Zügen um den Mund. Das Antlitz eines Halbgotts, gleichzeitig jedoch das eines degenerierten Menschen.

Cäsar!

Ein Ufer im Schatten. Ein düsterer Wald. Kampfeslärm. Die Legionen zerstreuen die Horden des Caractacus.

Dann zogen rasch Bilder vom Pomp und Glanz Roms vorbei. Ihre Legionen kehrten im Triumph zurück und führten Hunderte von Gefangenen in Ketten mit sich. Man sah beleibte Senatoren und Adelige in den Bädern, bei Festen und Ausschweifungen. Weibische Kaufleute und Edelmänner gaben sich in Ostia, in Massilia, in Auqa Sulae dem süßen Leben hin.

Dann änderten sich die Bilder abrupt und zeigten, wie sich die Barbaren an den Grenzen sammelten: die grimmigen, gelbbärtigen Nordmänner, die Germanenstämme, die rothaarigen Wilden aus Wales und Damnonia und ihre Verbündeten, die piktischen Siluren. Die Vergangenheit war vorbei; Gegenwart und Zukunft hatten ihren Platz eingenommen!

Und dann unermeßliche Wirren, ganze Völker in Aufruhr, Armeen und Menschen lösten einander in rascher Folge ab.

„Rom fällt!“ Die jubelnde Stimme des Zauberers unterbrach die Stille. „Die Vandalen schwärmen über das Forum. Eine wilde Horde marschiert auf der Via Appia. Gelbhaarige Barbaren mißbrauchen die Vestalinnen. Und Rom fällt!“

Vielstimmiges Triumphgeschrei stieg zum Nachthimmel empor.

„Ich sehe Britannien unter dem Joch der nordischen Eroberer. Ich sehe die Pikten von den Bergen herabschwärmen. Ich sehe Raub, Brand und Krieg.“ Im feurigen Nebel erschien plötzlich das Antlitz Bran Mak Morns. „Heil dem Retter! Ich sehe das Piktenvolk neuem Glanz entgegengehen!

Der Wolf an der Macht

Spottet der Nacht.

Da drängt an das Licht

Von neuem ein Volk,

Ein Schatten von gestern,

Zu beständigem Ruhm.

Die Schwingen des Sturms

Verbreiten die Kunde

Rasch von der Rückkehr

Einer alten Nation.

Flieht, Wolf und Drache!

Der Pikte jetzt lacht.“

Im Osten stieg grau die Dämmerung hoch. Ihr geisterhaftes Licht erhellte Bran Mak Morns unbewegliches Gesicht. Seine dunklen Augen starrten reglos ins Feuer und sahen darin seine hochstrebenden Pläne, seine Träume von einem Reich in Rauch aufgehen.

„Was wir nicht im Kampf zu halten vermochten, haben wir Jahrhunderte hindurch mit List und Verschlagenheit gehalten. Aber die neuen Rassen erheben sich wie die Sturmflut, und das Alte muß vergehen. In den nebligen Bergen von Galloway wird sich die Nation zur letzten Schlacht sammeln. Und wenn Bran Mak Morn fällt, verschwindet das Verlorene Feuer – für immer. Aus den Jahrhunderten, aus den Äonen.“

Und bei diesen Worten bildete das Feuer eine einzige riesige Flamme, sprang hoch empor und verschwand mitten in der Luft.

Und über die östlichen Berge ergoß sich die Morgenröte.

Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery

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