Читать книгу Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery - Robert E. Howard - Страница 6

Das verschwundene Volk

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Cororuc spähte aufmerksam um sich und beschleunigte seinen Schritt. Er war kein Feigling, doch fühlte er sich unbehaglich. Rundum wuchsen mächtige Bäume gegen den Himmel, und ihre dichten Zweige verbargen die Sonne. Der kaum erkennbare Pfad wand sich zwischen den Stämmen hindurch und führte manchmal an den Rand einer Schlucht. Hin und wieder gewährte der Wald Cororuc einen Blick auf eine Hügelkette in der Ferne, die Ausläufer der Berge Cornwalls im Westen.

In jenen Bergen trieb angeblich Buruc der Grausame, der Anführer einer Räuberbande, sein Unwesen. Cororuc packte seinen Speer fester und beeilte sich noch mehr. Seine Eile war nicht nur mit der Gefahr durch die Gesetzlosen zu erklären, sondern auch mit seinem Wunsch, möglichst bald wieder seine Heimat zu erreichen. Er befand sich auf dem Rückweg von geheimen Verhandlungen mit den wilden Stämmen Cornwalls, und obwohl sein Auftrag mehr oder weniger von Erfolg gekrönt war, trachtete er dennoch, das ungastliche Land so rasch wie möglich zu verlassen. Noch mußte er fast ganz Britannien durchqueren. Voll Mißbehagen blickte er um sich. Er sehnte sich nach den lichten Wäldern seiner Heimat, die viel Wild und viele Vogelarten beherbergten. Er sehnte sich nach den weißen Klippen, gegen die die blaue See brandete. Der Urwald rings um ihn schien unbewohnt. Es gab kein Wild, keine Vögel, und nirgends war er auf Anzeichen menschlichen Lebens gestoßen.

Seine Gefährten verweilten immer noch am Hof des Königs in Cornwall, genossen seine Gastfreundschaft und hatten es mit dem Aufbruch nicht eilig. Cororuc jedoch war nicht zufrieden. Deswegen hatte er sie verlassen und war allein aufgebrochen.

Cororuc war ein gutaussehender Mann. Mit seinen sechs Fuß Länge, dem schlanken Körperbau und den grauen Augen vermittelte er das Bild eines Briten, wenngleich nicht das eines reinrassigen Kelten, denn sein langes, gelbes Haar verriet belgisches Erbe. Bekleidet war er mit kunstvoll genähtem Rehledergewand, denn die Kelten verstanden es noch nicht, feinere Gewebe herzustellen, und deshalb zogen die meisten Rehleder vor.

Cororuc war mit einem langen Bogen aus Eibenholz, einem langen Bronzeschwert mit Wildlederscheide, einem langen Bronzedolch und einem kleinen Rundschild bewaffnet, der mit Ochsenhaut bespannt und einem Bronzeband eingerahmt war. Den Kopf schützte ein einfacher Bronzehelm.

Seine Arme und Wangen waren leicht mit Waid, dem blauen Saft einer Pflanze, bemalt. Sein Gesicht war das eines typischen edlen Briten: bartlos und scharf geschnitten, mischten sich darin die schlaue Beharrlichkeit der Nordmänner mit dem tollkühnen Mut und der träumerischen Feinheit des Kelten.

So folgte Cororuc dem Pfad, vorsichtig, jederzeit zum Kampf oder zur Flucht bereit. Der Weg führte von der Schlucht weg und verschwand hinter einem riesigen Baum. Da hörte Cororuc von der anderen Seite der Biegung her Kampfeslärm. Vorsichtig schlich er weiter, und gefaßt darauf, Elfen oder Zwerge zu sehen, die in diesen Wäldern hausen sollten, spähte er um den mächtigen Stamm herum.

Wenige Fuß vor ihm bot sich ihm ein seltsamer Anblick. Mit dem Rücken gegen einen Baum gedrängt, machte sich ein großer Wolf bereit, sein Leben zu verteidigen. Aus tiefen Rissen an seiner Schulter troff Blut, und vor ihm duckte sich ein Panther zum Sprung. Cororuc fragte sich, was die beiden Herrscher der Wälder zum Kampf bewogen haben mochte. Und vor allem wunderte er sich über das Fauchen der Raubkatze. Es war wild und blutdürstig, enthielt jedoch einen Unterton der Furcht. Außerdem schien sie den Sprung hinauszuzögern.

Warum Cororuc Partei für den Wolf ergriff, hätte er wohl nicht zu sagen vermocht. Zweifellos war es auf die unbekümmerte Ritterlichkeit des Kelten in ihm zurückzuführen, auf seine Bewunderung für die Haltung des Wolfes gegenüber seinem viel mächtigeren Gegner. Jedenfalls zog er sein Schwert und stellte sich mit einem Satz dem Panther entgegen. Aber er kam nicht dazu, seine Waffe zu gebrauchen, denn die Raubkatze stieß ein erschrecktes Kreischen aus und verschwand so rasch zwischen den Bäumen, daß sich Cororuc fragte, ob er wirklich einen Panther gesehen hatte. Er wandte sich dem Wolf zu. Das Tier beobachtete ihn geduckt, machte einige Schritte rückwärts, drehte sich dann um und verschwand in sonderbarem Trott im Unterholz. Den Krieger beschlich ein unheimliches Gefühl. Er hatte schon viele Wölfe gesehen, er hatte sie gejagt und war von ihnen gejagt worden; einem solchen Wolf war er jedoch noch nie begegnet.

Er zögerte und folgte dann vorsichtig dem Tier. Die Spuren waren in dem weichen Lehmboden deutlich zu erkennen. Nach wenigen Schritten hielt er jäh an, und seine Nackenhaare schienen sich zu sträuben. Es waren nur noch die Abdrücke der Hinterpfoten zu sehen – der Wolf ging aufrecht!

Cororuc warf scheue Blicke um sich. Nichts war zu hören. Er verspürte den Drang, umzukehren und diesen Ort so rasch wie möglich weit hinter sich zu lassen, doch die Neugier hinderte ihn daran. Er folgte den Spuren. Unter einer mächtigen Eiche hörten sie unvermutet gänzlich auf. Cororuc fühlte kalten Schweiß auf der Stirn. In was für einen Wald war er da geraten? Versuchte irgendein unmenschliches Monstrum der Wälder ihn in die Irre zu führen? Cororuc zog sein Schwert und nahm den Weg zurück, den er gekommen war. Und nur sein Stolz hielt ihn davon ab, zu laufen. Endlich erreichte er den Baum, bei dem sich der Wolf gegen den Panther verteidigt hatte. Er schlug seinen alten Pfad wieder ein und beeilte sich, aus der Gegend zu verschwinden, in der ein Wolf zuerst auf zwei Beinen gegangen und dann gänzlich verschwunden war.

Der Weg machte mehr Windungen denn je zuvor, und das gereichte Cororuc zum Vorteil, denn so hörte er zuerst die Stimmen der Männer, die ihm entgegenkamen, bevor sie ihn sahen. Rasch erkletterte er einen Baum und schmiegte sich an einen Ast.

Drei Männer kamen den Pfad entlang. Einer war ein massiver Kerl, der weit über sechs Fuß maß, einen langen, roten Bart und einen wilden, roten Haarschopf hatte. Im Gegensatz dazu waren seine Augen klein und schwarz. Er war in Leder gekleidet und mit einem mächtigen Schwert bewaffnet.

Der zweite war ein hagerer, übel aussehender Schurke mit nur einem Auge, der dritte klein und runzlig und schielte auf beiden Augen.

Cororuc erkannte sie nach den Beschreibungen, die er von den Bewohnern von Cornwall erhalten hatte. In seinem Eifer, den berüchtigsten Mörder Britanniens genauer zu betrachten, verlor er den Halt und stürzte mitten unter die Räuber.

Augenblicklich sprang er auf und riß das Schwert aus der Scheide. Er konnte keine Gnade erwarten, denn der Rothaarige war Buruc der Grausame, der Schrecken von Cornwall.

Der Räuberhauptmann stieß einen schrecklichen Fluch aus und zog ebenfalls sein Schwert. Er entging dem wilden Stoß des Briten durch einen raschen Sprung rückwärts, und dann begann der Kampf. Buruc griff den Krieger unter Einsatz seines ganzen Gewichtes von vorn an, während der hagere, einäugige Kerl versuchte, Cororuc in den Rücken zu gelangen. Der dritte hatte sich zum Waldrand zurückgezogen. Die Kunst des Fechtens war diesen frühen Kämpfern unbekannt. Da regnete es bloß Hiebe und Stiche, und jedesmal lag die gesamte Kraft des Armes dahinter. Die fürchterlichen Hiebe, die Cororuc mit dem Schild auffing, ließen ihn in die Knie gehen, und der Einäugige sprang vor, um ihm den Rest zu geben. Cororuc wirbelte herum, ohne sich zu erheben, führte einen Streich gegen die Beine dieses Gegners, erstach ihn, als er fiel, warf sich zur Seite, um Burucs Hieb auszuweichen, und sprang wieder auf die Beine. Wiederum fing er einen Schlag des Banditen mit dem Schild auf, wirbelte seine Bronzewaffe mit aller Macht und schlug zu. Burucs Kopf sprang von seinen Schultern.

Cororuc wandte sich um und sah, wie der Kleine im Unterholz verschwand. Er verfolgte ihn einige Schritte, sah aber bald die Sinnlosigkeit dessen ein und rannte den Pfad entlang. Er wußte nicht, ob sich in dieser Richtung noch mehr Banditen befanden, wohl aber wußte er, daß er, wollte er den Wald lebend verlassen, dies rasch tun mußte. Zweifellos würde der Entflohene die übrigen Banditen alarmieren.

Nachdem er eine Zeitlang gelaufen war und kein Anzeichen des Feindes erkannt hatte, erklomm er den höchsten Baum in der Nähe. Auf allen Seiten war er von einem Blättermeer umgeben. Im Westen erkannte er die Hügel, denen er ausgewichen war. Im Norden erhöben sich weit weg andere Hügel, im Süden befand sich Wald, soweit das Auge reichte. Weit im Osten jedoch erspähte er die Linie, die den Übergang des Waldes in fruchtbare Weiden kennzeichnete. Dort würde er auf Dörfer stoßen, auf Angehörige seines Volkes. Er war überrascht, so weit sehen zu können, doch befand er sich auf einem wirklichen Riesen unter den Bäumen.

Ehe er hinabkletterte, betrachtete er seine nähere Umgebung. Er folgte mit den Blicken den Pfad, der sich nach Osten schlängelte. Da ließ ihn ein Aufblitzen aufmerksam werden. Eine Gruppe von Männern betrat soeben eine Lichtung, durch die der Weg führte. Nun bemerkte er rings umher, wie sich die Büsche bewegten, wie sich die Sonne in blankem Metall spiegelte. Der schielende Räuber hatte also bereits seine Genossen benachrichtigt. Cororuc befand sich mitten unter ihnen. Rasch glitt er den Baum hinab und floh in den Wald.

Dann begann die aufregendste Jagd, an der Cororuc jemals beteiligt gewesen war, denn er war das Wild, und die Räuber waren die Jäger. Von Busch zu Busch schleichend, von Baum zu Baum huschend, manchmal rennend, sich manchmal im Gesträuch versteckend, floh Cororuc stets ostwärts. Oft wurde er zu Umwegen gezwungen, doch gelang es ihm jedesmal wieder, weiter nach Osten vorzudringen.

Manchmal, wenn er sich im Unterholz verbarg oder sich auf einen Baum gegen einen Ast schmiegte, kamen die Verfolger so nahe an ihm vorbei, daß er sie hätte berühren können. Zweimal bekamen sie ihn zu Gesicht, und er floh Hals über Kopf, über gefällte Baumstämme und Sträucher springend, in Dickichten Haken schlagend.

Dann gelangte er in hügeliges Gelände, und als er einen Blick zurückwarf, stellte er fest, daß die Banditen angehalten hatten, obwohl sie ihn deutlich sehen mußten. Ohne lange über dieses seltsame Verhalten nachzudenken, hetzte er um einen Felsblock, spürte, wie er über eine Wurzel oder etwas Ähnliches stolperte, und fiel. Gleichzeitig schlug ihm etwas gegen den Kopf, und der junge Mann verlor das Bewußtsein.

Als Cororuc wieder zu sich kam, stellte er fest, daß er an Händen und Füßen gefesselt war und getragen wurde. Er öffnete die Augen und sah, daß er von einigen Männern auf den Schultern geschleppt wurde, doch waren es Männer, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte. Der größte maß kaum vier Fuß, alle besaßen eine dunkle Hautfarbe und schwarze Augen, und die meisten gingen vornübergebeugt, als hätten sie sich das ganze Leben lang geduckt, und spähten unruhig umher. Bewaffnet waren sie mit kleinen Bogen, Pfeilen, Speeren und Dolchen, und die Spitzen und Schneiden bestanden nicht aus grober Bronze, sondern aus geschliffenem Feuerstein. Ihre Kleidung war aus den Häuten von Hasen und anderem Kleintier sowie grobem Stoff gefertigt, und viele waren von Kopf bis Fuß blau und gelb tätowiert. Insgesamt waren es vielleicht zwanzig Männer. Cororuc hatte ihresgleichen noch nie gesehen.

Sie kletterten in eine Schlucht hinab. Zu beiden Seiten erhoben sich steile Felswände. Nach einiger Zeit gelangten sie an eine glatte Mauer, die die Schlucht anscheinend begrenzte. Auf ein Kommando des Anführers hin legten sie den Briten auf die Erde, traten an einen riesigen Felsblock heran und wälzten ihn zur Seite. Dahinter wurde eine kleine Öffnung sichtbar, die in das Innere des Berges zu führen schien. Die seltsamen Männer luden sich den Briten wieder auf die Schultern und setzten sich in Bewegung.

Bei dem Gedanken, in die Höhle getragen zu werden, lief es Cororuc kalt über den Rücken. Was waren das für Männer? In ganz Britannien und Alba, in Cornwall und Irland hatte er noch nie ein solches Volk gesehen. Zwergenhafte Männer, die unter der Erdoberfläche hausten. Dem Jüngling brach kalter Schweiß aus. Sicherlich handelte es sich um die bösartigen Zwerge, von denen in Cornwall gesprochen wurde. Bei Tag sollten sie sich in ihren Höhlen aufhalten, während sie nächtens hervorkamen, um zu stehlen, Häuser anzuzünden und sogar zu morden, falls sich die Gelegenheit bot.

Cororuc wurde in die Höhle getragen, die übrigen folgten und rollten den Felsen wieder vor die Öffnung. Nach einigen Augenblicken der Dunkelheit flackerten in einiger Entfernung Fackeln auf. Die Fackelträger kamen ihnen entgegen.

Cororuc sah sich um. Das Licht war ziemlich schwach und erleuchtete abwechselnd die eine und die andere Wand der Höhle. Cororuc erkannte undeutlich einfache Malereien, die jedoch ein Geschick vermuten ließen, das dem der Briten überlegen war. Die Decke war in Dunkelheit gehüllt, woraus er schloß, daß sich die kleine Höhle zu einer überraschend hohen Grotte erweitert hatte. Im trügerischen Licht der Fackeln kamen und gingen die seltsamen Menschen, schweigend, wie Schatten aus einer fernen Vergangenheit.

Da fühlte er, wie ihm die Fesseln von den Füßen genommen wurden. Man stellte ihn zu Boden.

„Geh geradeaus!“ befahl eine Stimme in seiner Sprache, und er fühlte eine Lanzenspitze hinten am Hals.

Er gehorchte. Seine Sandalen schliffen über den steinernen Boden der Höhle, bis der Trupp eine Stelle erreichte, wo der Boden steil anstieg. Gleichzeitig wurde er so schlüpfrig, daß Cororuc ohne Hilfe nicht hätte hinaufgehen können. Seine Wächter zogen und schoben ihn jedoch, und er erblickte lange, kräftige Schlingpflanzen, die von irgendwoher herabhingen.

Die Männer ergriffen sie, stemmten die Füße gegen die glitschige Unterlage und klommen rasch empor. Kurz darauf ging der Boden wieder in die Waagerechte über, die Höhle machte eine Biegung, und Cororuc stolperte in hellen Feuerschein. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn nach Luft schnappen.

Er befand sich in einer Grotte von fast unglaublichen Ausmaßen. Die mächtigen Wände wölbten sich zu einer riesigen Kuppel empor, die sich in der Dunkelheit verlor. Vor ihm erstreckte sich ziemlich eben der Boden, der von einem unterirdischen Fluß in zwei Teile geteilt wurde. Eine Steinbrücke, anscheinend natürlichen Ursprungs, spannte sich über das Wasser. Überall in den Wänden der Riesengrotte, die die Form eines Kreises hatte, befanden sich kleinere Höhlen, und vor jeder gloste ein Feuer. Die Höhlen befanden sich nicht nur am Boden, sondern waren in regelmäßigen Reihen auch übereinander angeordnet. Diese Stadt war sicherlich nicht von Menschen erbaut worden.

Leute gingen in den Höhlen aus und ein und verrichteten anscheinend alltägliche Arbeiten. Die Männer sprachen miteinander, besserten Waffen aus, einige fischten im Fluß; Frauen hüteten die Feuer oder nähten an Kleidungsstücken. Von ihrer Tätigkeit her zu schließen, hätte es sich um jedes beliebige Dorf in Britannien handeln können, die Umgebung vermittelte Cororuc jedoch ein völlig anderes Gefühl.

Da wurde man auf den Gefangenen aufmerksam und scharte sich um ihn. Niemand stieß Verwünschungen oder Flüche aus, wie es die Wilden sonst zu tun pflegten, – die kleinen Leute starrten ihn nur bösartig an. Cororuc überlief ein Schaudern.

Seine Wächter drängten ihn durch die Menge. Nahe des Flußufers hielten sie an und zogen sich in einem Kreis von ihm zurück.

Vor ihm loderten zwei Feuer, und dazwischen konnte er einen Gegenstand ausnehmen. Er konzentrierte seine Blicke darauf und erkannte einen thronartigen, steinernen Sitz und darauf einen alten Mann mit langem, weißem Bart. Er saß reglos, und nur die Augen funkelten wie die Lichter eines Wolfes.

Der Alte war in eine lange Robe gehüllt. Eine klauenartige Hand ruhte auf dem Sitz neben ihm, während die andere im Gewand verborgen war.

Die Flammen tanzten und flackerten; jetzt war der alte Mann deutlich zu sehen – die gekrümmte, schnabelartige Nase und der Bart traten reliefartig hervor –, dann wieder schien er eins mit der Dunkelheit zu werden, und Cororuc vermochte nur noch die glitzernden Augen auszumachen.

„Sprich, Brite!“ Die Wörter kamen klar, deutlich und ohne jedes Anzeichen von Alter. „Sprich, was du zu sagen hast!“

Cororuc wurde überrumpelt und fragte stammelnd: „Wieso ... was seid ihr für ein Volk? Warum habt ihr mich gefangengenommen? Seid ihr Zwerge?“

„Wir sind Pikten“, kam die ruhige Antwort.

„Pikten!“ Cororuc hatte von den gälischen Briten Geschichten über dieses uralte Volk gehört. Manche behaupteten, sie hausten immer noch in den Hügeln von Siluria.

„Ich habe in Kaledonien gegen Pikten gefochten“, erwiderte der Brite. „Sie sind klein, aber kräftig und mißgestaltet und gleichen euch nicht im mindesten!“

„Das sind keine echten Pikten“, erhielt er zur Antwort. „Sieh um dich, Brite!“ Der Alte machte eine umfassende Armbewegung. „Du siehst die Überreste einer verschwindenden Rasse, einer Rasse, die einst ganz Britannien von Küste zu Küste beherrschte.“

Der Brite schwieg verwirrt.

„Merke auf, Brite“, fuhr die Stimme fort. „Merke auf, Barbar, und lausche der Geschichte der verschwundenen Rasse!“

Das Feuer züngelte und tanzte und warf gespenstische Schatten gegen die mächtigen Wände und auf den dahineilenden Fluß.

Die Stimme des Alten hallte durch die riesige Kaverne.

„Unser Volk kam aus dem Süden. Über die Inseln, über das Binnenmeer. Über die schneebedeckten Berge, wo einige zurückblieben, um diejenigen Feinde aufzuhalten, die uns vielleicht zu verfolgen versuchten. Von den Bergen stießen wir in die fruchtbaren Täler vor. Über das ganze Land breiteten wir uns aus. Wir wurden reich. Da erhoben sich zwei Könige im Land, und der Sieger vertrieb den Besiegten. Also bauten sich viele von uns Boote und segelten gegen die weißen Klippen jenseits des trennenden Wassers. Wir fanden Land mit fruchtbaren Ebenen. Wir fanden eine Rasse von rothaarigen Barbaren, die in Höhlen lebten. Sie hatten große Leiber und kleine Gehirne.

Wir errichteten unsere Lehmhütten. Wir pflügten die Erde. Wir jagten die rothaarigen Riesen in die Wälder. Wir jagten sie noch weiter – bis sie endlich in die Berge im Westen und Norden flohen. Wir waren reich und glücklich.

Dann ...“, seine Stimme überschlug sich vor Wut und Haß und schien von allen Wänden der Höhle her zu erschallen, „dann kamen die Kelten. Von den Inseln im Westen her kamen sie in ihren Rindenbooten. Im Westen landeten sie, aber mit dem Westen gaben sie sich nicht zufrieden. Sie zogen ostwärts und eigneten sich die fruchtbaren Ebenen an. Wir kämpften. Sie waren stärker. Sie waren verwegene Krieger und waren mit Bronzewaffen ausgerüstet, während wir nur solche aus Stein besaßen.

Wir wurden vertrieben. Wir wurden versklavt. Sie jagten uns in die Wälder. Einige von uns flohen in die Berge im Westen. Viele flohen in die Berge im Norden. Dort vermischten sie sich mit den rothaarigen Riesen, die wir vor langer Zeit vertrieben hatten, und wurden zu einer Rasse monströser Zwerge, die sämtliche friedlichen Künste vergaß und nur noch für den Kampf lebte.

Einige von uns jedoch schworen, nie das Land zu verlassen, das wir uns erobert hatten. Aber die Kelten machten uns zu schaffen. Es waren viele, und noch mehr kamen. Und so suchten wir unsere Zuflucht in Schluchten, Höhlen und Grotten. Wir, die wir stets in lichten Hütten gewohnt hatten, die wir die Äcker bestellt hatten, wir lernten wie Tiere zu leben, in Höhlen, die nie das Sonnenlicht gesehen haben. Wir fanden Höhlen – diese hier ist die größte –, und wir gruben Höhlen.

Du Brite!“ Seine Stimme schnappte über, und er streckte anklagend seinen Arm aus. „Du und deine Rasse! Ihr habt ein freies, blühendes Volk zu einer Rasse von Erdratten gemacht! Wir, die wir nie geflohen waren, die an der Luft und in der Sonne gelebt haben, in der Nähe des Meeres, über das die Händler kamen, wir mußten wie gehetztes Wild fliehen und wie die Maulwürfe graben! Doch bei Nacht! Ah, welche Vergeltung! Da schwärmten wir mit Feuer und Dolch aus unseren Schlupfwinkeln! Sieh, Brite!“

Cororucs Blick folgte der ausgestreckten Hand und fiel auf einen Pfahl aus einem harten Holz, der in eine Spalte im Steinboden in der Nähe des Ufers gerammt war. Um den Pfahl war der Boden wie von alten Feuern angeschwärzt.

Cororuc starrte verständnislos darauf. In der Tat hatte er nur wenig von dem Gehörten verstanden. Er war sich gar nicht sicher, daß er es überhaupt mit Menschen zu tun hatte.

Der Alte fuhr fort: „Dort, Brite, wirst du bezahlen.“ Er wies auf den Pfahl. „Ein kleiner Teil der Schuld, die deine Rasse auf sich genommen hat, aber du wirst in vollem Umfang zahlen.“

Die Erregung des alten Mannes hätte als teuflisch bezeichnet werden können, wäre in seinem Gesicht nicht ein besonderer Ausdruck zu lesen gewesen. Er meinte es ernst. Er glaubte tatsächlich, nur gerechte Rache zu üben, und machte den Eindruck eines großen Patrioten, der für eine verlorene Sache streitet.

„Aber ich bin ein Brite!“ stammelte Cororuc. „Nicht mein Volk hat deine Rasse vertrieben! Es waren die Galen aus Irland. Ich bin Brite, und mein Volk kam vor erst hundert Jahren aus Gallien. Wir bezwangen die Galen und drängten sie nach Erin, Wales und Kaledonien ebenso, wie sie euch vertrieben.“

„Das tut nichts zur Sache!“ Der Alte sprang auf. „Ein Kelte ist ein Kelte – ob Brite oder Gäle spielt keine Rolle. Wären es nicht die Galen gewesen, so die Briten. Jeder Kelte, der uns in die Hände fällt, muß bezahlen, sei es Krieger oder Weib, Kind oder König. Ergreift ihn und bindet ihn an den Pfahl!“

Wenige Augenblicke später war Cororuc an den Pfosten gefesselt und bemerkte zu seinem Entsetzen, daß die Pikten Holzscheite um seine Füße häuften.

„Und wenn du genügend gebrannt hast, Brite“, krächzte der Alte, „wird dieser Dolch, der das Blut von Hunderten Briten getrunken hat, seinen Durst in deinem Blut stillen.“

„Aber niemals habe ich einem Pikten Leid zugefügt“, keuchte Cororuc und zerrte an seinen Fesseln.

„Du zahlst nicht für das, was du getan hast, sondern dafür was dein Volk getan hat“, antwortete der Alte ernst. „Wohl kann ich mich an die Taten der Kelten erinnern, als sie zum erstenmal in Britannien landeten, an das Heulen der Ermordeten, an die Schreie der Vergewaltigten, den Rauch brennender Dörfer, an das Plündern.“

Cororuc fühlte, wie sich ihm die Haare im Nacken aufstellten. Als die Kelten zum erstenmal in Britannien gelandet waren! Das war mehr als fünfhundert Jahre her!

Und die keltische Neugier ließ ihm keine Ruhe, selbst angesichts der Pikten, die sich daran machten, den Holzstoß anzuzünden. „Daran kannst du dich nicht erinnern. Das liegt Äonen zurück.“

Der Pikte sah ihm ruhig in die Augen. „Und ich bin Äonen alt. In meiner Jugend war ich ein Hexenjäger, und eine alte Hexe verfluchte mich, während sie sich am Pfahl wand. Sie sagte, ich müsse leben, bis das letzte Kind der Pikten gestorben sei; daß ich mitansehen würde, wie das mächtige Volk der Vergangenheit anheim fällt, und erst dann dürfte ich sterben. Sie belegte mich mit dem Fluch des ewigen Lebens.“

Die Stimme erfüllte wieder die ganze Höhle: „Und nun verschwindet die Rasse der Pikten wie Schnee an der Sonne. Und wenn der letzte gegangen ist, wird mich dieser Dolch von der irdischen Welt befreien.“ Er wechselte rasch den Tonfall: „Legt Feuer an!“

Cororucs Gedanken wirbelten durcheinander. Er hatte kaum etwas verstanden und glaubte verrückt zu werden. Und das, was er zu sehen bekam, überzeugte ihn davon.

Ein Wolf drängte sich durch die Menge. Er erkannte den Wolf wieder, den er vor dem Panther gerettet hatte!

Sonderbar, wie lange her ihm dies erschien! Und doch handelte es sich um denselben Wolf. Er besaß denselben sonderbaren Gang. Da richtete sich das Tier auf die Hinterbeine auf und führte die Vorderpfoten an den Kopf. Welcher Wahnsinn war das?

Da fiel der Wolfskopf zurück und gab das Gesicht eines Menschen frei, eines Pikten. Der Mann stieg aus dem Wolfspelz, kam heran und rief etwas. Der Pikte, der soeben eine Fackel an den Holzstoß legen wollte, hielt zögernd inne.

Der Wolf-Pikte wandte sich an den Häuptling und sprach mit Rücksicht auf den Gefangenen keltisch: „Was bedeutet das? Ein Mann wird verbrannt, der am Leben bleiben sollte!“

„Wie?“ rief der Alte ergrimmt und klammerte sich an seinen langen Bart. „Wer bist du, daß du dich gegen einen uralten Brauch auflehnst?“

„Ich begegnete einem Panther“, kam die Antwort, „und dieser Brite wagte sein Leben für das meine. Soll sich ein Pikte undankbar zeigen?“

Und als der Alte zögerte, offensichtlich hin und her gerissen von Rachsucht einerseits und Stolz andererseits, überschwemmte ihn der andere mit einem wilden Wortschwall in der eigenen Sprache. Zuletzt nickte der Häuptling.

„Ein Pikte hat stets seine Schuld beglichen“, stellte er mit beeindruckendem Großmut fest. „Ein Pikte vergißt niemals. Bindet ihn los! Kein Kelte soll sagen können, ein Pikte habe sich undankbar gezeigt.“

Cororuc wurde befreit, und als er seinen Dank stammeln wollte, winkte der Häuptling ab. „Niemals vergißt ein Pikte einen Feind, stets erinnert er sich an eine Freundestat.“

„Komm“, murmelte der piktische Freund und zog den Kelten am Arm. Er führte ihn auf einen Gang zu, der aus der Haupthöhle führte. Cororuc warf einen Blick über die Schulter und sah den uralten Häuptling auf seinem Thron aus Stein. Seine Augen glänzten, als sähen sie den verlorenen Glanz der Vergangenheit; zu beiden Seiten sprangen die Flammen. Eine beeindruckende Gestalt – der König einer verschwundenen Rasse.

Nach einiger Zeit gelangten sie an die Erdoberfläche, und der Brite sah den Sternenhimmel über sich.

„In dieser Richtung liegt ein Dorf deines Volkes“, sagte der Pikte und streckte einen Arm aus. „Dort wirst du aufgenommen werden, bis du deine Reise fortzusetzen gedenkst.“ Und er überhäufte den Kelten mit Geschenken: Kleider aus Stoff und Leder, bestickte Gürtel, einen Bogen und mit Obsidianspitzen versehene Pfeile, Nahrungsmittel. Außerdem erhielt er seine eigenen Waffen zurück.

Als sich der Pikte zum Gehen wandte, sagte der Brite fragend: „Eine kurze Strecke bin ich deinen Spuren im Wald gefolgt. Sie verschwanden.“

Der Pikte lachte leise. „Ich bin in das Geäst des Baumes gesprungen. Hättest du emporgeblickt, du hättest mich gesehen. Wenn du jemals einen Freund brauchst, so findest du ihn in Berula, einem Häuptling der Alba-Pikten.“

Er drehte sich um und verschwand. Und Cororuc schritt unter dem Licht des Mondes auf das keltische Dorf zu.

Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery

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