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Der Moorgeist

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Es gibt zwei Wege nach Torkertown.

Der kürzere und direktere führt quer über ein Hochmoor, während der längere sich zwischen den niedrigen Erhebungen und den gefährlichen Morasten der Sumpflandschaft hindurchwindet, die sich östlich der Hügel erstreckt. Es war ein tückischer und anstrengender Pfad, und daher hielt Solomon Kane erstaunt an, als er von einem atemlosen Jüngling aus der Ortschaft eingeholt wurde, die er gerade verlassen hatte, und von diesem gebeten wurde, doch den Sumpfweg zu wählen.

»Den Sumpfweg!«

Kane blickte den Jungen verständnislos an.

Solomon Kane war ein großer, hagerer Mann, dessen einfaches puritanisches Gewand den düsteren Eindruck des grauen Gesichts mit den tiefliegenden, brütenden Augen noch verstärkte.

»Ja, Herr; es ist viel sicherer«, antwortete der Junge.

»Dann muß der Moorweg vom Satan selbst heimgesucht sein, denn im Dorf hat man mich vor dem anderen gewarnt.«

»Wegen der Sumpflöcher, Herr, die in der Dunkelheit schwer zu entdecken sind. Am besten wäre es für Euch, ins Dorf zurückzukehren und die Reise morgen fortzusetzen, Herr.«

»Und den Sumpfweg einzuschlagen?«

»Ja, Herr.«

Kane zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

»Der Mond wird aufgehen, sobald die Nacht hereinbricht. In seinem Licht kann ich Torkertown über das Moor in wenigen Stunden erreichen.«

»Herr, es ist besser, wenn Ihr diesen Weg meidet. Auch sonst benützt ihn niemand. Auf dem Moor gibt es überhaupt keine Häuser, während in den Sümpfen das Haus des alten Ezra steht, der es ganz allein bewohnt, seit sein verrückter Vetter Gideon in den Sümpfen verschwand und nie gefunden wurde. Und obwohl der alte Ezra ein Geizhals ist, so wird er Euch nicht die Unterkunft verweigern, falls Ihr Euch entschließen solltet, bei ihm den Morgen abzuwarten. Wenn Ihr nach Torkertown müßt, so nehmt Ihr besser den Weg durch die Sümpfe.«

Kane betrachtete den Knaben mit einem durchdringenden Blick. Der Junge wand sich verlegen und trat von einem Fuß auf den anderen.

»Wenn der Weg über das Hochmoor für den Wanderer so gefährlich ist«, sagte der Puritaner, »warum haben mir die Dorfbewohner dann nicht die ganze Geschichte erzählt, anstatt sich so unbestimmt auszudrücken?«

»Die Leute sprechen nicht gern darüber, Herr. Wir hofften, Ihr würdet den Weg durch die Sümpfe wählen, nachdem man Euch dazu geraten hatte, aber als wir Euch nachsahen und merkten, daß Ihr an der Weggabelung nicht abzweigtet, schickte man mich hinterher, um Euch zu warnen.«

»Zum Teufel!« rief Kane unbeherrscht aus. Sein Ärger mußte groß sein, denn es war sonst nicht seine Art zu fluchen. »Der Sumpfweg, der Moorweg – welche Gefahr droht mir, und warum soll ich einen meilenweiten Umweg machen und das Risiko der Schlammlöcher auf mich nehmen?«

»Herr«, sagte der Knabe, indem er die Stimme senkte und näher an Kane heran trat, »wir sind einfache Dorfbewohner, die nicht gern über solche Dinge reden, damit nicht das Unglück über uns kommt, aber der Weg über das Moor ist ein verfluchter Weg und wurde von den Leuten aus der Gegend seit über einem Jahr nicht mehr benützt. Des Nachts über das Moor zu gehen, bedeutet den Tod, wie so mancher Unglückliche erfahren mußte. Irgendein schreckliches Ungeheuer lauert dort auf Opfer.«

»So? Und wie sieht dieses Ungeheuer aus?«

»Das weiß kein Mensch. Niemand, der es gesehen hat, ist noch am Leben. Mancher späte Wanderer hat draußen schreckliches Gelächter vernommen, und man hat die entsetzlichen Schreie seiner Opfer gehört. Herr, um Himmels willen kehrt ins Dorf zurück, verbringt da die Nacht und nehmt morgen den Weg durch die Sümpfe nach Torkertown.«

Tief in Kanes düsteren Augen begann ein Licht zu glimmen. Sein Herz schlug rascher. Abenteuer! Der Reiz der Gefahr unter Einsatz des Lebens! Nun war es keineswegs so, wie Kane seine Gefühle einschätzte. Er war überzeugt davon, seinen wirklichen Empfindungen Ausdruck zu verleien, als er sagte: »Hier sind die Taten einer bösen Macht geschehen. Die Herren der Finsternis haben das Land mit einem Fluch belegt. Es bedarf eines starken Mannes, Satan und seine Macht zu bekämpfen. Deswegen gehe ich weiter, der ich ihn viele Male besiegt habe.«

»Herr«, begann der Knabe, hielt aber dann den Mund, als er die Zwecklosigkeit weiterer Einwände erkannte.

Er fügte nur noch hinzu: »Die Leichen der Opfer sind zerrissen und zerfetzt, Herr.« Er stand an der Weggabelung und seufzte bedauernd, als er sah, wie die lange, hagere Gestalt den Weg zum Moor hinaufging.

*


DIE SONNE GING UNTER, als Kane den Hang bezwungen und das Hochland erreicht hatte, auf dem sich das Moor erstreckte. Riesig und blutrot versank sie hinter dem Horizont und schien das dürre Gras in Brand zu setzen, so daß es dem Wanderer einen Augenblick lang war, als blicke er über ein Meer von Blut. Dann glitten die Schatten aus dem Osten heran, der Glanz im Westen verschwand, und Solomon Kane schritt mutig in die zunehmende Dunkelheit hinein.

Zwar war der Pfad etwas verwachsen, weil er so lange nicht benützt worden war, doch konnte Kane ihn deutlich erkennen, als er ihm rasch jedoch aufmerksam folgte, den Degen und die Pistolen griffbereit. Die Sterne traten hervor, und der Nachtwind wisperte im Gras, und es klang wie das Flüstern von Gespenstern. Der Mond ging auf und wirkte wie ein kahler Schädel zwischen den Sternen. Plötzlich hielt Kane an. Irgendwo vor ihm erklang ein sonderbares, geisterhaftes Echo – oder so etwas wie ein Echo. Da! Nochmals! Diesmal lauter. Kane setzte sich wieder in Bewegung. Täuschten ihn die Sinne? Nein!

Weit draußen ertönte schreckliches Lachen. Und wiederum, diesmal von näher her. Kein menschliches Wesen lachte jemals so. Es lag keine Freude darin, nur Haß, Furcht und höchstes Entsetzen. Kane blieb stehen. Er hatte keine Angst, verlor einen Augenblick lang jedoch die Fassung. Dann drang durch das schreckliche Gelächter ein Schrei, der zweifellos aus einer menschlichen Kehle stammte. Kane nahm mit erhöhter Geschwindigkeit seinen Weg wieder auf. Er verfluchte das täuschende Licht und die flackernden Schatten, die durch den tiefstehenden Mond hervorgerufen wurden und ein genaues Erkennen der Umgebung unmöglich machte. Das Gelächter wurde lauter und die Schreie ebenfalls. Dann ertönte das Geräusch rennender Füße. Kane begann zu laufen.

Da draußen wurde ein Mensch zu Tode gehetzt, und Gott allein mochte wissen, wer oder was der Verfolger war. Plötzlich verstummte das Geräusch der fliehenden Füße, und das Schreien wurde unerträglich laut und ekelhafte Laute ertönten. Offenbar war ein Mann eingeholt worden, und Kane sah vor seinem geistigen Auge, wie ein höllisches Ungeheuer auf dem Rücken des Unglücklichen kauerte und ihm die Klauen ins Fleisch bohrte.

Da drangen die Geräusche eines kurzen, verzweifelten Kampfes durch die Stille der Nacht, worauf wieder die rennenden Schritte zu vernehmen waren – diesmal jedoch stolpernd und unregelmäßig. Auch das Schreien war wieder zu hören, unterbrochen von gurgelndem Keuchen. Kalter Schweiß trat Kane auf die Stirn. Wollte denn der Schrecken gar kein Ende nehmen?

O Gott! Wenn es bloß für einen Augenblick hell wäre!

Das furchtbare Drama spielte sich, der Deutlichkeit der Laute nach zu schließen, in seiner unmittelbaren Nähe ab. Aber das teuflische Zwielicht hüllte alles in unbeständige Schatten, die das Moor zu beleben schienen, und die verkrüppelten Bäume und Büsche wirkten wie Riesen.

Kane rief und bemühte sich, noch rascher voranzukommen. Die Schreie des Unbekannten steigerten sich zu einem entsetzlichen Kreischen, wieder ertönte Kampfgeräusch, und dann taumelte aus den Schatten des hohen Grases eine Gestalt, die einmal ein Mensch gewesen war, ein schleimbedecktes, grausiges Ding, das Kane zu Füßen fiel, sich krümmte und wand, das furchtbar anzusehende Gesicht dem aufgehenden Mond zuwandte, stammelte und gurgelte und endlich zusammenbrach und starb.

Der Mond war nun zur Gänze aufgegangen, was die Sicht beträchtlich verbesserte. Kane beugte sich über den Körper, und als er die schrecklichen Verstümmelungen wahrnahm, schauderte er. Und das, obwohl er oftmals Taten der Spanischen Inquisition und der Hexenjäger miterlebt hatte.

Er nahm an, daß es sich um einen Wanderer handelte.

Und plötzlich schien eine Eishand sein Rückgrat zu umklammern, als er gewahr wurde, daß er nicht allein war.

Er sah auf, und seine kalten Augen durchdrangen die Schatten, aus denen der Mann getaumelt war, mit ihren Blicken. Er erblickte nichts, aber er wußte, er fühlte, daß ein anderes Augenpaar seinen Blick erwiderte, Augen, die nicht von dieser Welt waren. Er richtete sich auf, zog eine Pistole und wartete. Das Licht des Mondes ergoß sich über das Moor, und die Bäume und Gräser nahmen ihre gewohnten Formen und Proportionen an.

Die Schatten schmolzen, und Kane sah es! Zuerst hielt er es für einen Nebelfetzen, der zwischen den hohen Gräsern vor ihm schwankte. Er sah genauer hin. Eine Täuschung, dachte er. Doch dann begann das Ding Gestalt anzunehmen, undeutlich und unbestimmt zuerst; doch plötzlich glühte ein schreckliches Augenpaar auf, ein Augenpaar, in dem all der Schrecken lag, der den Menschen vom Anbeginn seiner Tage an geplagt hatte.

Wahnsinn sprach aus den Augen, Wahnsinn, der irdischen Begriffen spottete. Die Gestalt des Dinges war nebelhaft und undeutlich, sie glich auf grausige Weise der eines Menschen, war ihr gleichzeitig jedoch auf schreckliche Art unähnlich. Deutlich waren durch sie hindurch die Gräser und die Büsche zu erkennen.

Kane fühlte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte, aber er war kalt wie Eis. Wie ein so unstabiles Etwas wie das Ding vor ihm einem Menschen physischen Schaden zufügen konnte, begriff er nicht; aber der verstümmelte Leichnam zu seinen Füßen legte nur zu deutlich Zeugnis dafür ab, daß das Ungeheuer dazu in der Lage war. Einer Sache war sich Kane gewiß: Er würde sich nicht über das öde Moor jagen lassen, er würde nicht fliehen. Wenn er sterben mußte, so mit dem Gesicht zum Feind. Da öffnete sich ein schauerliches Maul in der undeutlichen Gestalt, und wiederum ertönte das dämonische Gelächter. Aus dieser Nähe war es kaum auszuhalten. Der Todesgefahr nicht achtend, hob Kane kaltblütig die Pistole und feuerte mitten in das Maul. Ein wahnsinniges Kreischen der Wut und des Spottes war die Antwort auf den Schuß, und wie eine vom Wind getriebene Nebelschwade stürzte sich das Ding mit vorgestreckten Schattenarmen auf Kane, um ihn niederzureißen.

Kane bewegte sich mit der Raschheit eines hungernden Wolfes. Er feuerte seine zweite Pistole ab, was ebenfalls keine Wirkung zeigte, riß seinen langen Degen aus der Scheide und stieß ihn mitten in den nebelhaften Angreifer. Die Klinge zischte, als sie widerstandslos hindurchdrang, und Kane spürte, wie eisige Finger seine Glieder packten, bestialische Krallen seine Kleidung und die Haut darunter zerrissen.

Er ließ den nutzlosen Degen fallen und versuchte, seinen Feind zu packen. Es war, als kämpfe er gegen einen Nebelschleier, einen fliegenden Schatten, der mit dolchartigen Krallen bewaffnet war. Seine wilden Hiebe gingen ins Leere, und seine zähen, kraftvollen Arme, in deren Umklammerung starke Männer ihr Leben hatten lassen müssen, fuhren durch Luft und packten nichts als Leere. Nichts hatte Substanz oder war wirklich außer den reißenden, affenartigen Fingern mit ihren gekrümmten Krallen und die wahnsinnigen Augen, die sich in die Tiefen seiner Seele brannten.

Kane erkannte, daß er sich wahrhaftig in einer verzweifelten Lage befand. Die Kleidung hing bereits in Fetzen an ihm herab, und er blutete aus einer Anzahl tiefer Wunden. Aber er gab nicht auf, und der Gedanke an Flucht kam ihm nicht einmal in den Sinn. Er war noch nie vor einem einzelnen Feind geflohen. Über den Ausgang des Kampfes bestand für ihn kein Zweifel. Er sah bereits seine Leiche neben den Überresten des anderen Opfers liegen, aber der Gedanke daran hatte nichts Schreckliches für ihn. Sein einziger Wunsch war, sich so tapfer wie möglich und so lange wie möglich zu verteidigen und dem unterirdischen Feind Schaden zuzufügen.

Unter dem bleichen Licht des Mondes kämpfte Mensch gegen Dämon über der verstümmelten Leiche, und alle Vorteile mit Ausnahme von einem lagen bei dem Dämon. Dieser eine jedoch wog alle anderen auf. Denn wenn abstrakter Haß einem geisterhaften Ding materielle Substanz zu verleihen vermag, stellte dann nicht die ebenso abstrakte Tapferkeit eventuell eine wirksame Waffe im Kampf gegen diesen Geist dar?

Kane kämpfte mit den Armen, Füßen und Händen und stellte endlich fest, daß der Geist nachzugeben begann und das schreckliche Gelächter sich in erstaunte Wutschreie verwandelte. Denn die einzige Waffe des Menschen ist der Mut, der nicht einmal vor den Toren der Hölle zurückschreckt, und gegen diese bestehen nicht einmal die Legionen des Bösen.

Von all dem wußte Kane nichts. Er merkte nur, daß die Krallen, die an ihm zerrten und rissen, schwächer zu werden schienen, und daß in den schrecklichen Augen ein wildes Leuchten wuchs. Schwankend und keuchend stürzte er vor, bekam das Ding endlich zu fassen und warf es zu Boden. Und als sie sich am Boden wälzten, und als es wie eine Schlange zuckte und sich wand, lief es ihm kalt über den Rücken, und das Haar sträubte sich in seinem Nacken, denn Kane begann das Gestammel des Dinges zu verstehen.

Er hörte und verstand es nicht auf die Weise, wie ein Mensch die Sprache eines Menschen hört und versteht, aber die entsetzlichen Geheimnisse, die es ihm flüsternd und stammelnd und kreischend mitteilte, drangen wie Finger aus Eis in seine Seele, und ... er wußte.

*


DIE HÜTTE DES ALTEN Ezra stand inmitten der Sümpfe am Rand des Weges. Der Ring von grauen Bäumen, der sie umgab, verbarg sie halb, ihre Wände moderten, das Dach war am verfallen, und blaßgrüne Baumschwämme wuchsen an Tür und Fenster, als versuchten sie hineinzusehen. Die Bäume beugten sich über sie, und deren Zweige waren miteinander verflochten. Die Hütte kauerte im Halbdunkel wie ein monströser Zwerg, über dessen Schultern sich Unholde beugen.

Der Weg, der sich zwischen faulenden Baumstümpfen, kleineren Hügeln und stinkenden Schlammpfützen durch die Sümpfe wand, führte an der Hütte vorbei. In diesen Tagen gingen viele Menschen diesen Weg, aber nur wenige sahen den alten Ezra. Und selbst diese erhaschten bloß einen Blick von dem gelben Gesicht, das zwischen den Flechten vor dem Fenster hindurchspähte und selbst wie ein Baumschwamm wirkte.

Der alte Ezra hatte überhaupt viel Sumpfartiges an sich: Er war verwachsen und schweigsam, seine Finger glichen den Luftwurzeln parasitischer Pflanzen, sein wirres Haar hing wie gelbgraues Moos über die Augen, die an die Düsterkeit des Sumpflandes gewöhnt waren, und seine Augen glichen denen eines Toten, wenngleich in ihnen etwas von den trüben Tiefen der Tümpel der Sumpflandschaft lag.

Diese Augen waren nun auf den Mann gerichtet, der vor der Hütte stand. Der Mann war groß und schlank, sein Gesicht hager und von Klauen gezeichnet, und Arme und Beine waren mit Bandagen umwickelt. In einigem Abstand hinter ihm hielt sich eine Gruppe Dorfbewohner auf.

»Du bist Ezra vom Sumpfweg?«

»Aye, und was willst du von mir?«

»Wo ist dein Vetter Gideon, der wahnsinnige Jugendliche, der mit dir zusammen wohnte?«

»Gideon?«

»Aye.«

»Er ist eines Tages in die Sümpfe gewandert und nicht wieder zurückgekehrt. Zweifellos hat er sich verirrt und ist von Wölfen angefallen worden, oder er ist in einem Schlammloch versunken oder von einer Natter gebissen worden.«

»Wann war das?«

»Vor über einem Jahr.«

»Aye. Hör zu, Ezra. Kurz nach dem Verschwinden deines Vetters wurde ein Bauer, der über das Moor heimkehrte, von einem unbekannten Unhold überfallen und in Stücke gerissen, und seither bedeutet es den Tod, den Weg über das Moor zu nehmen. Erst waren es Menschen aus der Gegend, später nur noch Fremde, die dem Ding in die Hände fielen; seither sind viele gestorben.

In der vergangenen Nacht wanderte ich über das Moor und hörte, wie ein weiteres Opfer floh und verfolgt wurde, ein Fremder, der von der Gefahr nichts wußte. Ezra, der Mann hatte fürchterliches auszustehen, denn zweimal gelang es ihm, schwer verletzt, dem Feind zu entkommen, doch jedesmal packte ihn der Dämon wieder und riß ihn zu Boden. Endlich brach er tot vor meinen Füßen zusammen. Er starb auf eine Weise, die eine Steinstatue erweichen lassen könnte.«

Die Dorfbewohner bewegten sich unruhig und murmelten furchtsam untereinander. Die Augen des alten Ezra huschten hierhin und dorthin. Der düstere Ausdruck auf Kanes Antlitz jedoch war unverändert, und sein raubvogelhafter Blick schien den Alten zu durchbohren.

»Aye, aye«, murmelte Ezra hastig. »Es ist eine böse Sache, wahrhaftig eine böse Sache! Aber warum erzählst du mir das?«

»Aye, es ist eine böse Sache. Hör weiter, Ezra. Der Unhold kam aus den Schatten hervor, und ich kämpfte mit ihm über der Leiche seines Opfers. Aye, wie ich ihn überwand, weiß ich nicht, denn der Kampf war hart und lang, aber die Mächte des Guten und des Lichtes waren auf meiner Seite, und sie sind stärker als die Mächte der Hölle.

Endlich gewann ich die Oberhand, und das Ding riß sich von mir los und floh, und ich folgte ihm vergebens.

Aber ehe es floh, flüsterte es mir eine ungeheuerliche Geschichte zu.«

Der alte Ezra fuhr zusammen, blickte wild um sich und schien in sich zusammenzusinken.

»Nein, warum erzählst du mir das?« murmelte er.

»Ich kehrte ins Dorf zurück und berichtete von den Geschehnissen«, setzte Kane fort, »denn ich wußte, daß es nun in meiner Hand lag, das Moor für immer von seinem Fluch zu befreien. Ezra, komm mit uns!«

»Wohin?« keuchte der Alte.

»Zur modernden Eiche auf dem Moor.«

Ezra taumelte, als habe man ihn geschlagen. Er schrie etwas Unverständliches und wandte sich zur Flucht.

Im selben Augenblick gab Kane ein scharfes Kommando, zwei kräftige Dörfler sprangen vor und packten den Alten an beiden Armen. Sie entwanden seiner dürren Hand einen Dolch und preßten ihm die Arme an den Körper. Bei der Berührung mit seinem kalten Fleisch konnten sie einen Schauder nicht unterdrücken.

Kane bedeutete ihnen, ihm zu folgen, wandte sich um und schritt den Weg voran, gefolgt von den Dorfbewohnern, die Mühe hatten, den Gefangenen mit sich zu schleppen. Nach einiger Zeit schwenkten sie auf einen wenig benutzten Pfad ein, der die niedrigen Hügel hinan und zum Hochmoor führte.

Die Sonne glitt dem Horizont entgegen, und der alte Ezra starrte sie mit hervorquellenden Augen an, als könnte er nicht genug von ihr sehen. Auf dem Moor erhob sich eine gewaltige Eiche wie ein Galgen, doch war sie nur noch eine modernde Hülle. Bei ihr blieb Solomon Kane stehen.

Der alte Ezra wand sich im Griff seiner Häscher und stieß unverständliche Laute aus.

»Vor über einem Jahr«, sagte Solomon Kane, »hast du deinen schwachsinnigen Vetter Gideon auf demselben Pfad, dem wir jetzt folgten, aus den Sümpfen hierher gebracht und nächtens ermordet, weil du fürchtetest, er würde sich bei den Leuten über die Grausamkeiten beklagen, die du an ihm begangen hast.«

Ezra wand sich und knurrte: »Du kannst diese Lüge nicht beweisen!«

Kane richtete einige Worte an einen behenden Dorfeinwohner. Der Jugendliche erkletterte den dicken Stamm des Baumes, und hoch oben zog er etwas aus einem Loch hervor und ließ es klappernd auf den Boden zu Füßen des Alten fallen. Ezra sackte mit einem schrecklichen Aufschrei zusammen.

Es war das Skelett eines Menschen mit gespaltenem Schädel.

»Du ... wie hast du das gewußt? Du bist der Satan!« stammelte der alte Ezra.

Kane verschränkte die Arme.

»Das Ding, mit dem ich gestern nacht kämpfte, erzählte es mir, und ich folgte ihm bis zu diesem Baum. Denn das Ungeheuer ist Gideons Geist.«

Ezra heulte wiederum auf und versuchte sich loszureißen.

»Du hast gewußt«, fuhr Kane ernst fort, »wer für die Untaten verantwortlich war. Du fürchtest den Geist des Wahnsinnigen, und deshalb begingst du deine Tat auf dem Moor und verbargst die Leiche dort anstatt im Sumpf. Denn du wußtest, der Geist würde den Platz seines Todes heimsuchen. Im Leben waren seine Sinne verwirrt, und im Tode vermochte er seinen Mörder nicht zu finden, sonst hätte er dich in deiner Hütte aufgesucht. Er haßt niemanden außer dir, aber in seinem Wahn vermag er die Menschen nicht voneinander zu unterscheiden, und so tötet er alle, um sicherzugehen. Doch er würde dich erkennen und danach für alle Zeit in Frieden ruhen. Der Haß hat aus seinem Geist ein substantielles Etwas gemacht, das verletzen und töten kann, und obgleich er dich Zeit seines Lebens auf das Äußerste gefürchtet hat, fürchtet er dich im Tode nicht im geringsten.«

Kane hielt inne und warf einen Blick auf die Sonne.

»All dies erfuhr ich von Gideons Geist, entnahm ich seinem Gestammel und Geflüster und Kreischen. Nur dein Tod vermag diesem Geist die Ruhe zu verleihen.«

Ezra lauschte in atemloser Stille, als Kane sein Urteil sprach.

»Es ist eine schwere Sache, einen Mann kaltblütig zum Tode zu verurteilen«, sprach Kane, »und besonders auf diese Weise, wie ich es vorhabe. Aber du mußt sterben, auf daß andere leben können; und Gott weiß, du hast den Tod verdient. Du sollst nicht durch die Schlinge sterben, nicht durch die Kugel oder das Schwert, sondern durch die Klauen deines Opfers. Denn nichts anderes wird ihn befriedigen.«

Bei diesen Worten brach Ezra zusammen. Seine Knie gaben nach, und er fiel schreiend und wimmernd zu Boden und flehte sie an, ihn sofort zu töten. Kanes Antlitz war unbeweglich wie das des Todes, und die Dörfler banden den kreischenden Unglücklichen an die Eiche.

Einer von ihnen forderte ihn auf, sich auf die Begegnung mit Gott vorzubereiten, doch Ezra gab keine Antwort, sondern schrie ohne Unterlaß mit schriller Stimme. Als ein Mann ihn schlagen wollte, hinderte Kane ihn daran.

»Laß ihn sich auf die Begegnung mit Satan gefaßt machen, denn diesem wird er eher begegnen«, sagte der Puritaner grimmig. »Die Sonne geht gleich unter. Lockert ihm die Fesseln, so daß er sich bei Einbruch der Dunkelheit zu befreien vermag, denn es ist besser, dem Tod frei zu begegnen.«

Als sie sich abwanden, um ihn zu verlassen, jammerte der alte Ezra und stieß unmenschliche Laute aus, schwieg aber dann und wandte seinen Blick nicht einen Moment von der Sonne.

Als sie über das Moor schritten, blickte sich Kane ein letztes Mal um und sah zu der unförmigen Gestalt zurück, die an den Baum gefesselt war. Und plötzlich schrie der Alte mit entsetzlicher Stimme: »Tod! Tod! Ich sehe den Tod zwischen den Sternen!«

»Das Leben war ihm teuer trotz seiner verkrüppelten Gestalt und seiner Bosheit«, seufzte Kane. »Vielleicht hat Gott einen Platz für solche Seelen, wo Feuer sie von ihrer Schlechtigkeit reinigt, so wie das Feuer den Wald von Schwammgewächsen säubert. Aber mein Herz ist schwer.«

»Nein, Herr«, sagte einer der Dörfler, »Ihr habt nur den Willen Gottes ausgeführt, und aus dem Geschehen dieser Nacht wird nur Gutes erwachsen.«

»Nein«, antwortete Kane niedergeschlagen.

»Ich weiß nicht ...«

Die Sonne war nun verschwunden, und die Nacht breitete sich mit erstaunlicher Schnelligkeit aus. Es war, als eilten große Wolken aus unbekannten Tiefen heran, um die Welt mit Dunkelkeit zu umhüllen. Durch die Finsternis drang ein sonderbarer Laut, und die Männer blieben stehen und blickten den Weg zurück, den sie gekommen waren.

Nichts war zu sehen. Das Moor war ein Ozean von Schatten, und das hohe Gras um sie beugte sich in langen Wellen vor dem schwachen Wind und unterbrach die Stille mit einem leisen Wispern.

Da erhob sich in der Ferne die rote Scheibe des Mondes über dem Moor, und für einen Augenblick lang zeichnete sich vor ihr eine grimmige Szene ab: Eine Gestalt floh gebeugt über das Antlitz des Mondes, deren Füße kaum den Boden zu berühren schien, und dicht dahinter folgte ein Ding, das wie ein fliegender Schatten wirkte – ein namenloses Ungeheuer.

Dann verschmolzen die beiden Gestalten zu einer formlosen Masse, die in den Schatten verschwand.

Über das Moor hallte kurz schrilles Gelächter.

Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery

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