Читать книгу Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery - Robert E. Howard - Страница 16

Auf dem Pfad der Rache

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Die Klingen klirrten gegeneinander. Funken sprühten.

Zwei Augenpaare belauerten einander mit wilden Blicken: Das eine Paar war schwarz, das andere blau. Die Kämpfer keuchten, ihre Füße scharrten auf dem Boden, als sie vorgingen und zurückwichen.

Der Schwarzäugige machte eine Finte und stieß dann mit der Geschwindigkeit einer Natter zu. Der Blauäugige parierte mit einer halbkreisförmigen Bewegung seiner sehnigen Hand, und seine Riposte kam wie der Blitz eines Sommergewitters.

»Haltet ein, Gentlemen!«

Ein beleibter Mann trennte die Degen der beiden Kämpfer mit seinem juwelenbesetzten Rapier. In der anderen Hand hielt er einen dreieckigen Hut.

»Haltet ein! Die Sache ist entschieden und die Ehre wieder hergestellt! Sir George ist verletzt!«

Der schwarzäugige Mann versteckte den linken Arm, der blutete, hinter dem Rücken.

»Tretet beiseite!« rief er zornig. »Es ist nur ein Kratzer! Nichts ist entschieden! Das hat keine Bedeutung. Hier geht es bis zum Tod!«

»Aye, geht zur Seite, Sir Rupert«, sagte der andere ruhig, aber seine blauen Augen blitzten wie Stahl. »Diese Sache kann nur durch den Tod eines von uns entschieden werden!«

»Steckt die Waffen weg, ihr jungen Kampfhähne!« verlangte Sir Rupert. »Ich befehle es als Richter! Herr Doktor, wollt ihr bitte nach Sir Georges Wunde sehen. Jack Hollinster, steckt Eure Klinge in die Scheide! In meinem Distrikt dulde ich keinen Mord, solange mein Name Rupert d’Arcy ist.«

Der junge Hollinster sagte nichts und folgte auch nicht der Aufforderung des cholerischen Richters, aber er senkte seine Waffe, stand schweigend da und bedachte die Gesellschaft mit Blicken unter gerunzelten Augenbrauen.

Sir George zögerte, aber als einer seiner Sekundanten ihm eindringlich etwas ins Ohr flüsterte, gab er zögernd nach, überreichte dem Sprecher seinen Degen und ließ den Arzt seine Wunde behandeln.

Die trostlose Umgebung paßte zu dem Geschehen. Das Land war eben und nur stellenweise mit dürrem Gras bewachsen und ging in einen weißen Sandstrand über, auf dem Treibholz lag. Dahinter hob und senkte sich grau und ruhelos die See. Das einzige Zeichen von Leben auf den wie tot wirkenden Wassern war ein einzelnes Segel in großer Entfernung. Landeinwärts erhoben sich die schäbigen Hütten einer kleinen Ortschaft auf der anderen Seite eines öden Moores, das in Strandnähe begann.

In dieser unfreundlichen Landschaft bildete die farbige Gruppe am Strand einen eigenartigen Kontrast. Die bleiche Herbstsonne spiegelte sich in den glänzenden Klingen, den mit Edelsteinen verzierten Griffen, den Silberknöpfen der Mäntel einiger Männer und den Goldverzierungen an Sir Ruperts dreieckigem Hut.

Sir Georges Sekundanten halfen diesem in den Rock und Hollinsters Sekundant, ein kräftiger junger Man in schlichter Kleidung, forderte ihn auf, sich ebenfall anzuziehen. Aber Jack schob ihn beiseite. Plötzlich sprang er mit dem blanken Degen in der Hand zwei Schritte vor und rief mit erregter Stimme: »Sir George Banway, nehmt Euch in acht! Ein Kratzer am Arm löscht noch lange nicht die Beleidigung aus, von der Ihr wohl wißt! Wenn sich unsere Wege das nächste Mal kreuzen, wird kein Richter da sein, Eure räudige Haut zu retten!«

Mit einem wilden Fluch wirbelte der Angesprochene herum, und Sir Rupert sprang brüllend dazwischen: »Mein Herr, wie könnt Ihr es wagen ...«

Hollinster schnitt eine Grimasse, wandte sich um, schob mit einer wilden Bewegung den Degen in die Scheide und ging von dannen. Sir George machte Anstalten, ihm zu folgen, aber sein Freund flüsterte ihm wiederum etwas ins Ohr und machte eine Armbewegung gegen das Meer hin. Banways Blick richtete sich auf das einsame Segel, das so aussah, als wäre es gegen den Himmel gemalt, und er nickte grimmig.

*


HOLLINSTER SCHRITT schweigend den Strand entlang. Seinen Hut hielt er in der Hand, seinen Überrock trug er über den Arm geworfen. Der kühle Wind spielte in seinen schweißverklebten Locken, vermochte jedoch nicht, seine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen. Handel, sein Sekundant, folgte ihm schweigend. Nach einiger Zeit wurde die Umgebung wilder und zerklüfteter. Moosbewachsene Felsen standen dicht am Strand.

Weiter draußen war ein gefährliches Riff.

Jack Hollinster hielt an, wandte sein Gesicht der See zu und begann aus vollem Herzen zu fluchen. Der beeindruckte Zeuge dieses Monologs erfuhr, daß er, Hollinster, es aus tiefster Seele bedauerte, nicht seinen Degen bis an den Griff in das schwarze Herz George Banways, dieses verdammten Schuftes, versenkt zu haben.

»Und jetzt«, knurrte er, »sieht es so aus, daß der Kerl mir nie wieder in ehrlichem Zweikampf gegenüberstehen wird, nun, da er meinen Stahl gekostet hat. Aber bei Gott ...«

»Beruhige dich, Jack«, mahnte Handel. Er war Hollinsters bester Freund, aber er verstand nicht, daß Hollinster in solche Wut verfallen konnte. »Du hast es ihm gegeben. Du hast ehrlich gesiegt. Letzten Endes kannst du einen Mann kaum dafür töten, was er getan hat.«

»Nicht?« rief Jack wild. »Kann ich einen Mann für diese Beleidigung nicht töten? Nun, vielleicht nicht einen Mann, wohl aber diesen erbärmlichen Schuft von einem Adeligen! Ist dir bewußt, daß er in aller Öffentlichkeit Mary Garvin verleumdete, das Mädchen, das ich liebe?

Daß er in der Schenke ihren Namen in den Schmutz zerrte? Ich ...«

»Das verstehe ich wohl«, seufzte Handel, »habe ich es doch schon oftmals in allen Details gehört. Aber ich weiß auch, daß du ihm einen Becher Wein ins Gesicht geschüttet, ihn auf das Hinterteil geschlagen, seinen Tisch umgestürzt und den Mann obendrein zwei- oder dreimal getreten hast. Glaube mir, Jack, das muß für jeden reichen! Sir George ist von hohem Stand, und du bist nur der Sohn eines Kapitäns im Ruhestand, auch wenn du dich in der Fremde durch Tapferkeit ausgezeichnet hast.

Vergiß nicht, Jack, daß Sir George eigentlich gar nicht gegen dich hätte zu kämpfen brauchen. Er hätte sich auf seinen Stand berufen können und dich von seinen Dienern auspeitschen lassen.«

»Hätte er das getan«, knirschte Hollinster zwischen zusammengebissenen Zähnen, »dann hätte ich ihm eine Pistolenkugel zwischen seine schwarzen Augen gejagt.

Dick, laß mir meine Eigenheiten. Ich weiß, du predigst den rechten Weg – den Pfad der Geduld und der Bescheidenheit. Ich habe aber an Orten gelebt, wo die einzige Hilfe eines Mannes der Degen an seiner Seite war, und ich habe ungestümes Blut geerbt. Und jetzt ist dieses Blut in äußerstem Aufruhr. Er wußte, daß ich Mary liebe, und dennoch saß er da und beleidigte sie in meiner Anwesenheit – aye, mir direkt ins Gesicht mit einem höhnischen Grinsen! Und warum? Weil er Geld hat, Länder, Titel, eine einflußreiche Verwandtschaft und edles Blut. Ich bin ein armer Mann und der Sohn eines armen Mannes und trage mein Vermögen in einer Scheide an meiner Seite. Wären ich oder Mary von edler Abstammung gewesen, dann hätte er uns respektiert und ...«

»Pah!« unterbrach Handel. »Wann hat Sir George Banway jemals etwas respektiert? Er hat seinen üblen Ruf in dieser Gegend wohl verdient. Er respektiert bloß seine eigenen Wünsche und Begierden.«

»Und er stellt Mary nach«, grollte der andere wütend. »Nun, vielleicht wird er sie nehmen wie so manche andere Maid hier, aber zuerst muß er Jack Hollinster töten.

Dick, ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich halte es für besser, wenn du mich ein wenig allein läßt. Im Augenblick gebe ich für niemanden eine gute Gesellschaft ab, und ich benötige die Einsamkeit und den kalten Atem der See, um mein brennendes Blut abzukühlen.«

»Du suchst doch wohl nicht Sir George auf?« fragte Randel zögernd.

Jack machte eine ungeduldige Handbewegung.

»Ich verspreche, den entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Sir George hat sich nach Hause begeben, um seinen Kratzer behandeln zu lassen. Er wird sich zwei Wochen nicht blicken lassen.«

»Aber Jack, seine Männer haben einen schlechten Ruf. Ist es ohne Risiko für dich?«

Jack grinste wölfisch.

»Keine Angst; schlägt er auf diese Weise zu, so in der Dunkelheit der Nacht und nicht am hellichten Tag.«

*


HANDEL GING AUF DAS Dorf zu und schüttelte zweifelnd den Kopf, während Jack seinen Weg entlang des Strandes fortsetzte. Jeder Schritt entfernte ihn weiter von den Behausungen der Menschen und tiefer in die düstere Region wilden Landes und wilden Wassers. Der Wind schnitt wie ein Messer durch seine Kleidung, aber er zog sich nicht den Mantel an. Wie ein Leichentuch lastete der graue Schimmer des Tages über seiner Seele, und er verfluchte das Land und das Klima.

Seine Seele hungerte nach den fernen, warmen Ländern, in denen er gewandert war, aber vor seinem geistigen Auge erschien ein lachendes, mädchenhaftes Gesicht, das von goldenen Locken gekrönt war und in dessen Augen eine Wärme lag, die selbst dieses kahle Land mild und angenehm machte.

Da wurde er in seinen Gedanken durch den Anblick eines anderen Gesichts gestört; es war dunkel und spöttisch, hatte schwarze, grausame Augen, und unter einem schmalen schwarzen Schnurrbart verzog sich bösartig ein grausamer Mund. Jack Hollinster fluchte ausgiebig. Eine tiefe Stimme unterbrach sein Fluchen: »Junger Mann, Eure Worte sind wie der Klang von Posaunen und Becken: voll Aufruhr und Wut, jedoch ohne Bedeutung.«

Jack wirbelte herum und griff an den Degen. Auf einem großen grauen Felsbrocken saß ein Fremdling. Der Mann erhob sich, als Jack sich ihm zuwandte, entfaltete einen weiten, schwarzen Umhang und legte ihn sich über den Arm.

Hollinster betrachtete ihn neugierig. Der Mann würde überall sofort Aufmerksamkeit erregen. Er war um eine gute Handbreit größer als Hollinster, der selbst Leute von durchschnittlicher Größe beträchtlich überragte.

Kein Gramm Fett oder überflüssiges Fleisch hing an den Knochen, und doch wirkte der Mann nicht gebrechlich oder auch nur dünn. Im Gegenteil zeugten seine breiten Schultern, seine mächtige Brust und die langen Gliedmaßen von Kraft, Flinkheit und Ausdauer, verrieten den Fechter ebenso deutlich wie das lange Rapier an seinem Gürtel. Der Mann erinnerte Jack vor allem an die schlanken, grauen Wölfe, denen er auf den sibirischen Steppen begegnet war.

Aber es war das Gesicht, das zuerst die Aufmerksamkeit des jungen Mannes erregte. Es war ziemlich lang, glattrasiert und von einer seltsamen Blässe, die dem Mann mit den eingefallenen Wangen ein fast leichenhaftes Aussehen verlieh – bis man ihm in die Augen sah. Diese leuchteten mit dynamischer Vitalität, jedoch verhalten und eisern beherrscht. Als Jack Hollinster in diese Augen blickte und ihre seltsame Macht verspürte, konnte er nicht ihre Farbe feststellen. Es lag das Grau alten Eisens in ihnen, aber auch die Bläue der tiefsten Tiefen der Nordsee. Darüber befanden sich dichte, schwarze Brauen, und der Gesamteindruck war entschieden mephistophelisch.

Die Kleidung des Fremden war auffallend schlicht.

Keine Feder zierte seinen schwarzen Schlapphut. Von Hals bis Fuß war er in eng anliegende Gewänder in düsteren Farben gehüllt, ohne jeden Schmuck oder Verzierung. Kein Ring schmückte seine kräftigen Finger, kein Edelstein funkelte am Griff seines Rapiers, und die lange Klinge stak in einer einfachen Lederscheide. An den Kleidern waren keine Silberknöpfe und an den Schuhen keine glänzenden Schnallen. Sonderbarerweise wurde die düstere Monotonie seiner Kleidung durch eine breite Schärpe unterbrochen, die auf Zigeunerart um seine Taille geschlungen war. Die Schärpe war aus orientalischer Seide, schimmerte grün, und die Griffe eines Dolches und zweier Pistolen ragten daraus hervor.

Hollinsters Blick wanderte über die sonderbare Erscheinung, und er fragte sich, wie der Mann wohl hierher gekommen sein mochte. Er machte den Eindruck eines Puritaners, aber dennoch war etwas an ihm ...

»Wie seid Ihr hierhergekommen?« fragte Jack geradeaus. »Und wie kommt es, daß ich Euch nicht sah, ehe Ihr mich anspracht?«

»Ich kam wie alle ehrlichen Männer, junger Herr«, gab die tiefe Stimme zur Antwort, als der Sprecher sich wieder in den weiten Umhang hüllte und wieder auf dem Felsblock Platz nahm, »nämlich auf meinen beiden Beinen. Und was die andere Frage betrifft: Derjenige, der so sehr mit sich selbst beschäftigt ist, daß er den Namen des Herrn unnütz in den Mund nimmt, sieht weder seine Freunde noch seine Feinde.«

»Wer seid Ihr?«

»Mein Name ist Solomon Kane, junger Herr; ein Mann ohne Heimat – einstens aus Devon.«

Jack runzelte die Stirn. Der Puritaner mußte irgendwo irgendwann den unverwechselbaren Dialekt von Devonshire zur Gänze verloren haben. Von der Sprache her mochte er überall in England beheimatet sein – sowohl im Norden wie auch im Süden.

»Ihr seid weit herumgekommen, Sir?«

»Meine Wanderungen haben mich durch viele fremde Länder geführt, junger Mann.«

Da kam Hollinster ein Gedanke, und er betrachtete sein Gegenüber mit erneutem Interesse.

»Wart Ihr nicht eine Zeitlang Hauptmann in der franzosischen Armee, und wart Ihr nicht in ...« Er nannte einen bestimmten Ort.

Kanes Stirn verfinsterte sich.

»Aye. Ich führte einen Haufen gottloser Manner, wie ich zu meiner Schande gestehen muß, wenngleich unsere Sache gerecht war. Bei der Einnahme der Stadt, die Ihr nanntet, wurden unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit viele üble Taten begangen, und mein Herz litt darunter. Nun, seither ist viel Wasser unter der Brücke hindurch geflossen, und ich habe einige der blutigen Erinnerungen im Meer ertränkt ...

Und wenn wir schon vom Meer sprechen, junger Mann; was haltet Ihr von jenem Schiff, das seit der Morgendämmerung des gestrigen Tages dort ankert?«

Ein schlanker Finger wies gegen die offene See, und Jack schüttelte den Kopf.

»Es liegt zu weit draußen. Ich kann es nicht deutlich ausmachen.«

Die düsteren Augen bohrten sich in die seinen, und Hollister zweifelte nicht daran, daß der Blick imstande wäre, die Entfernung zu überwinden und den Namen des Schiffes zu lesen, der auf seinen Bug gemalt war.

Diese seltsamen Augen schienen alles zu vermögen.

»Es ist in der Tat ein wenig zu weit entfernt«, sagte Kane, »aber ich glaube es am Aufbau seiner Masten zu erkennen. Ich würde ganz gern den Herrn des Schiffes treffen.«

Jack schwieg. Es gab keinen Hafen in der Nähe, aber bei ruhigem Wetter mochte ein Schiff leicht weiter herankommen und außerhalb des Riffes ankern. Vielleicht handelte es sich um ein Schmugglerschiff. An dieser abgelegenen Küste, an der man nur selten Zollbeamte sah, herrschte stets ein ziemlich reger, aber ungesetzlicher Handel.

»Habt Ihr je von einem gewissen Jonas Hardraker gehört, den man den Fischadler nennt?«

Hollinster fuhr zusammen. Der gefürchtete Name war an allen Küsten der zivilisierten und an vielen der unzivilisierten Welt bekannt, denn der Besitzer hatte durch berüchtigte Taten dafür gesorgt. Jack versuchte im Gesicht des Fremden zu lesen, aber die düsteren Augen waren undurchdringlich.

»Der blutige Pirat? Nach dem, was ich zuletzt von ihm hörte, soll er in der karibischen See kreuzen.«

Kane nickte.

»Lügen sind rascher als das schnellste Schiff. Der Fischadler kreuzt dort, wo sich sein Schiff befindet, und wo sein Schiff ist, weiß nur sein Meister, der Teufel.«

Er erhob sich und zog den Umhang enger um sich.

»Gott hat mich an viele seltsame Orte geführt und über viele seltsame Pfade«, sagte er düster. »Einige waren gut und viele waren schlecht; manchmal schien ich ohne Ziel und Zweck zu wandern, doch jedesmal, wenn ich tief nachdachte, konnte ich einen Grund dafür erkennen. Hört zu, junger Mann! Abgesehen von den Feuern der Hölle gibt es kein heißeres Feuer als die blaue Flamme der Rache, die Tag und Nacht ohne Unterlaß das Herz eines Mannes verbrennt, bis er sich in Blut ertränkt.

In der Vergangenheit war es oftmals meine Pflicht, verschiedene schlechte Menschen ihres Lebens zu berauben. Nun, der Herr ist mein Licht und mein Weg, und mir deucht, er hat mir meinen Feind in die Hände gegeben.«

Mit diesen Worten schritt Kane mit langen, katzenhaften Schritten von dannen, während Hollinster ihm verwundert nachstarrte.

*


JACK HOLLINSTER ERWACHTE aus unruhigen Träumen. Er setzte sich im Bett auf und blickte um sich. Draußen war der Mond noch nicht aufgegangen, aber im Fenster zeichneten sich schwarz gegen das Sternenlicht breite Schultern ab. Ein warnendes »Pssst!« drang an seine Ohren.

Jack erhob sich, zog den Degen aus der Scheide, die am Bettpfosten hing, und trat ans Fenster. Er erkannte ein bärtiges Gesicht, in dem zwei kleine Augen funkelten.

Der Mann atmete schwer, als wäre er weit gerannt.

»Nimm deinen Degen, Junge, und folge mir«, kam ein eindringliches Flüstern. »Er hat sie.«

»Wer hat wen?«

»Sir George«, flüsterte es wieder. »Er schickte ihr ein Schreiben mit deinem Namen drauf, sie soll zum Felsen kommen, und seine Kerle schnappten sie und ...«

»Mary Garvin?«

»So wahr ich hier stehe, Herr!«

Das Zimmer schien sich um ihn zu drehen. Hollinster hatte einen Angriff gegen sich selbst erwartet, nicht aber damit gerechnet, daß die Bösartigkeit von Sir George so weit gehen würde, das hilflose Madchen zu entführen.

»Verdammt sei seine schwarze Seele«, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen, als er sich hastig ankleidete. »Wo ist sie jetzt?«

»Sie haben sie in sein Haus gebracht, Herr.«

»Und wer bist du?«

»Ich bin der arme Sam vom Stall bei der Schenke, Herr. Ich habe gesehen, wie sie sie packten.«

Angezogen und mit dem Degen in der Hand, kletterte Hollinster durchs Fenster.

»Ich danke dir, Sam«, sagte er. »Wenn ich am Leben bleibe, werde ich es dir nicht vergessen.«

Sam grinste und entblöste dabei gelbe Zähne. »Ich gehe mit dir, Herr; ich habe ein paar Dinge mit Sir George abzurechnen!« Er schwenkte einen groben Knüttel.

»So folge mir.«

Sir George Banways altes Herrschaftshaus, das er zusammen mit ein paar häßlichen Dienern und einigen alten Weibern bewohnte, befand sich zwei Meilen vom Dorf entfernt am Strand, aber in entgegengesetzter Richtung zu der, die Jack am Vortag eingeschlagen hatte. Es war unförmig und groß, reparaturbedürftig und die Eichenbalken vom Alter geschwärzt. Man erzählte sich viele böse Geschichten darüber, und außer den Raufbolden und Rohlingen, die das Vertrauen des Besitzers genossen, hatte es niemand aus dem Dorf je betreten. Es war von keiner Mauer umgeben, nur von einigen verwilderten Buschreihen und ein paar Bäumen. Das Moor reichte bis zur Hinterseite, und zwischen der Vorderseite und dem felsigen Meeresstrand erstreckte sich ein etwa zweihundert Schritt breiter Sandstreifen. Die Felsen am Ufer direkt vor dem Haus waren ungewöhnlich hoch und zerklüftet. Man sagte sich, es befänden sich geheimnisvolle Höhlen dazwischen und darunter, doch wußte niemand etwas Genaues, denn Sir George betrachtete diesen Teil des Ufers als sein Eigentum und pflegte Vorwitzige, die den Gerüchten nachgehen wollten, mit seiner Muskete zu beschießen.

Kein Licht brannte im Haus, als Jack Hollinster und sein Begleiter sich ihm vom Moor her näherten. Ein dünner Nebel hatte die meisten Sterne verhüllt, und in diesem Nebel erhob sich das Haus schwarz und drohend, umgeben von Hecken und Bäumen. In Richtung des Meeres war alles wie in ein graues Leichentuch gehüllt, aber einmal glaubte Jack das gedämpfte Klirren einer Ankerkette zu vernehmen. Er fragte sich, ob ein Schiff außerhalb des gefährlichen Riffes liegen mochte.

»Zu den Fenstern, Herr«, flüsterte Sam. »Er hat die Lichter gelöscht, aber er ist sicher da!«

Zusammen schlichen sie vorsichtig auf das dunkle Haus zu. Jack wunderte sich darüber, daß anscheinend keine Wachen aufgestellt waren. Fühlte sich Sir George so sicher, daß er dies versäumte? Oder schliefen die Wachen? Er betastete vorsichtig ein Fenster. Es befand sich ein schwerer Laden davor, aber dieser ließ sich bemerkenswert leicht öffnen. Dabei durchzuckte ihn blitzartig ein Verdacht: Alles ging viel zu leicht! Er wirbelte herum und sah gerade noch Sams Keule herabsausen. Zum Ausweichen war es zu spät. Ehe die Welt um ihn versank und es um ihn dunkel wurde, sah er noch das Glitzern des Triumphs in Sams Augen.

*


LANGSAM KAM JACK HOLLINSTER wieder zu Bewußtsein.

Vor seinen Augen tanzten rote Schleier. Sein Kopf schmerzte fürchterlich, und das rote Leuchten tat ihm in den Augen weh. Er schloß sie und hoffte, der Schmerz würde verschwinden, aber der Schein drang durch seine Lider und direkt in sein hämmerndes Gehirn. Gedämpft drang Stimmengewirr an seine Ohren. Er versuchte die Hand zum Kopf zu führen, konnte sich jedoch nicht bewegen. Da kam ihm mit einem Mal die Erinnerung an alles, und er war völlig wach und bei Bewußtsein.

Er war an Händen und Füßen gefesselt und lag auf feuchtem Erdboden. Er befand sich in einem riesigen Keller, in dem sich Kisten und Fässer und schwarze Tonnen hoch auftürmten. Die Decke des Kellers bestand aus Brettern, die durch schwere Eichenpfosten abgestützt wurden. An einem dieser Pfosten hing eine Laterne, von der das Licht ausging, das ihm in den Augen schmerzte. Der Schein der Laterne erleuchtete den Keller, erfüllte jedoch die Winkel mit flackernden Schatten.

An einem Ende führte eine breite steinerne Stiege in den Keller herab, während am anderen Ende ein Gang begann, der hinausführte.

Im Raum befanden sich viele Männer. Jack erkannte das dunkle, höhnische Gesicht Banways, die aufgeschwämmten Züge des Verräters Sam und zwei oder drei der Raufbolde, die ihre Zeit abwechselnd in Sir Georges Haus und dem Dorfwirtshaus verbrachten. Die restlichen zehn bis zwölf Männer kannte er nicht. Es handelte sich zweifellos um Seeleute, denn sie hatten langes Haar, Ringe in den Ohren oder den Nasen und teerbefleckte Beinkleider. Einige hatten farbenprächtige Stirnbänder um den Kopf gebunden, und alle waren bis zu den Zähnen bewaffnet. Sie trugen schwere Säbel mit großen Schalen aus Messing, edelsteinbesetzte Dolche und mit Silber eingelegte Pistolen. Die Männer würfelten, tranken und fluchten wild, und ihre Augen glitzerten im Licht der Laterne.

Piraten! Das waren keine ehrlichen Seeleute. Der Kontrast zwischen den Kostbarkeiten und ihrem Gehabe war zu groß. Zu den teerbefleckten Hosen und Seemannshemden trugen sie seidene Schärpen um die Hüften; an den Beinen hatten sie keine Strümpfe, doch waren viele in Schuhe mit Silberschnallen gekleidet und trugen schwere Goldringe an den Fingern. An mehr als einem goldenen Ohrring baumelten große Edelsteine.

Statt Seemannsmessern besaßen sie wertvolle spanische und italienische Dolche. Der Prunk, die verwegenen Gesichter und ihr wildes und gotteslästerliches Benehmen verrieten ihr blutiges Handwerk.

Jack dachte an das Schiff, das er vor Sonnenuntergang gesehen und dessen Ankerkette er im Nebel gehört hatte. Plötzlich fiel ihm auch der seltsame Fremde, Kane, ein und dessen Worte. Hatte er gewußt, daß es sich um ein Piratenschiff handelte? Was für eine Beziehung hatte er zu diesen Verbrechern? War sein puritanisches Gehabe nur eine Maske, hinter der er unheilvolle Absichten verbarg?

Ein Mann, der mit Sir George würfelte, wandte sich plötzlich dem Gefangenen zu. Er war groß und breitschultrig, und Jacks Herz schlug rascher. Dann beruhigte er sich wieder. Im ersten Augenblick hatte er den Mann für Kane gehalten, doch jetzt sah er, daß der Pirat, obgleich er dem Puritaner von der Statur her glich, in jedem anderen Hinblick sein Gegenteil darstellte. Er trug wenige, aber prächtige Kleidungsstücke und war mit einer Seidenschärpe, Silberschnallen und goldenen Troddeln geschmückt. Sein breiter Gürtel war mit Dolchen und Pistolen vollgepfropft, die mit Juwelen verziert waren. Ein mit Goldeinlagen und Edelsteinen überladenes, langes Rapier hing an einem verzierten Wehrgehänge. Von beiden goldenen Ohrringen hingen rotleuchtende Rubine herab, die zu dem braunen Gesicht eigenartig kontrastierten. Das Gesicht war schmal und grausam, auf der hohen Stirn saß ein dreieckiger Hut, und zwischen ihm und den schwarzen Brauen war ein buntes Kopftuch sichtbar. Im Schatten des Hutes glitzerten graue Augen, über dem schmalen Mund krümmte sich eine messerscharfe Nase, und die Oberlippe zierte ein Schnurrbart, der zu beiden Seiten lang herabhing.

»Ho, George, unser Gast ist erwacht!«, rief er dann. »Bei Zeus, Sam! Ich glaubte schon, du hättest ihm zu viel verpaßt. Aber er scheint einen dickeren Schädel zu besitzen, als ich erwartete.«

Die Piraten hielten mit ihren Spielen inne und betrachteten Jack neugierig oder höhnisch. Sir Georges Antlitz verdunkelte sich, und er wies auf seinen linken Arm, wo unter dem geschlitzten Seidenärmel ein Verband zu erkennen war.

»Du hast die Wahrheit gesprochen, Hollinster, als du sagtest, bei unserem nächsten Treffen würde kein Richter anwesend sein. Nur deucht es mir, daß deine räudige Haut darunter leiden wird.«

»Jack!«

Tiefer noch als Banways Hohn schnitt die verzweifelte Stimme ihm in die Seele. Jack rollte sich verzweifelt herum, und als er den Kopf verdrehte, bot sich ihm ein Anblick, der fast sein Herz zum Stillstand brachte. An einen schweren Ring an einem der Eichenpfosten war ein Mädchen gebunden – ein Mädchen, das auf der feuchten Erde kniete und ihn mit weißem Gesicht und erschreckt aufgerissenen Augen anstarrte.

»Mary – oh mein Gott!« drang es über Jacks Lippen.

Ein Chor brutalen Gelächters war die Antwort auf seinen gepeinigten Aufschrei.

»Trinkt auf das Wohl des Liebespaars!« brüllte der riesige Piratenkapitän und hob seinen schäumenden Lederbecher. »Trinkt auf die beiden, Leute! Mir deucht, er beklagt unsere Gesellschaft. Möchtest wohl gern mit dem Mädchen allein sein, was Junge?«

»Ihr Schweine!« brüllte Jack und richtete sich mit übermenschlicher Anstrengung auf die Knie auf. »Ihr Feiglinge, ihr Memmen, ihr erbärmlichen Wichte! Bei allen Göttern der Hölle ... hätte ich nur meine Arme frei! Laßt mich los, wenn ihr nur einen richtigen Tropfen Männerbluts in den Adern habt! Schneidet mich los, und ich fahre euch mit bloßen Händen an eure verdammten Hälse!

»Donnerwetter!« sagte einer der Piraten bewundernd.

»Der Junge hat auf jeden Fall Mut, das muß man ihm lassen! Und welche Sprache ... Verdammt, Kapitän, aber ...«

»Schweig!« unterbrach ihn Sir George heftig. »Hollinster, du verschwendest nur deinen Atem. Diesmal stehe ich dir nicht mit bloßem Stahl gegenüber. Du hattest deine Chance und nütztest sie nicht. Diesmal kämpfe ich mit Waffen, die deinem Rang und Namen besser angepaßt sind. Niemand weiß, wohin du gegangen bist, und warum. Und niemand wird es jemals wissen. Die See hat schon bessere Männer als dich verborgen.

Und was dich betrifft ...«, er wandte sich an das entsetzte Mädchen, »... so wirst du mir in meinem Haus eine Weile Gesellschaft leisten. Und wenn ich deiner überdrüssig geworden bin ...«

»Sieh dazu, daß du ihrer bei meiner Rückkehr in zwei Monaten überdrüssig geworden bist«, unterbrach ihn der Piratenkapitän. »Wenn ich diesmal einen Leichnam mitnehme – und der Satan weiß, daß dies eine unheilvolle Fracht ist –, so will ich das nächste Mal einen erfreulicheren Passagier an Bord haben.«

Sir George grinste säuerlich. »Na schön. In zwei Monaten soll sie dir gehören – außer sie stirbt zuvor. Knapp vor Sonnenaufgang segelst du mit den Überresten Hollinsters in einem Leinensack los und wirfst ihn so weit vom Ufer entfernt über Bord, daß er niemals an Land gespült wird. Wenn du das tust, kannst du dir in zwei Monaten das Mädchen holen.«

Als Jack dieses Gespräch mithörte, sank ihm das Herz im Leibe.

»Mary, meine Geliebte«, sagte er schwach, »wie kommst du hierher?«

»Ein Mann brachte mir eine Botschaft«, flüsterte sie erschöpft und voll Furcht. »Die Schrift ähnelte deiner, und sie war mit deinem Namen unterzeichnet. Darin stand, du wärest verletzt, und ich sollte zu dir zum Felsen kommen. Ich kam, diese Männer ergriffen mich und brachten mich durch einen langen Tunnel hierher.«

»Habe ich es Euch nicht gesagt, Meister?« rief Sam voll höhnischer Freude. »Überlaßt es nur dem alten Sam, ihn zu überlisten! Er folgte mir wie ein Lamm! Was für ein Trick – und was für ein Narr!«

»Haltet ein«, erhob ein hagerer, finsterer Pirat, offenbar der Erste Steuermann, seine Stimme. »Es ist gefährlich genug, so nahe heranzukommen, um unsere Beute loszuwerden. Was geschieht, wenn jemand das Mädchen hier findet und sie ihm alles erzählt? Wo werden wir dann die Waren los, die wir erbeuten?«

Sir George und der Kapitän lachten.

»Beruhige dich, Allardine! Du warst schon immer ein mißtrauischer Kerl. Sie werden annehmen, das Mädchen und der Junge sind miteinander davongerannt.

George sagt, ihr Vater mag den Jungen nicht. Keiner im Dorf wird die beiden je wieder sehen oder von ihnen hören, und hier werden sie niemals nachsehen. Du bist schlechter Laune, weil wir uns so weit von der offenen See befinden. Nimm dich zusammen, Mann; wir haben nicht zum ersten Mal den Kanal durchsegelt und in der Ostsee die Kauffahrer vor den Nasen der Kriegsschiffe beraubt!«

»Das stimmt schon«, murmelte Allardine, »aber ich fühle mich erst sicher, wenn ich diese Gewässer hinter mir habe. In diesen Breiten sind die Tage der Piraten gezählt. In der Karibischen See sind wir besser dran. Ich spüre Unheil in meinen Knochen. Über uns schwebt der Tod wie eine schwarze Wolke, und ich sehe keinen Durchschlupf für uns.«

Die Piraten wurden unruhig. »Halt ein, Mann! Deine Rede bringt Unglück!«

»Der Meeresboden ist ein freudloser Platz«, antwortete der andere düster.

»Sei guten Mutes«, lachte der Kapitän und hieb seinem Steuermann dröhnend auf die Schulter. »Trink einen Schluck Rum auf die Braut! Die Hinrichtungsstätte ist ein unguter Platz, aber noch liegt viel Wasser dazwischen. Trink auf die Braut! Ha, ha! Georges – und meine Braut – wenngleich das scheue Reh keine besondere Freude zu haben scheint ...«

»Still!« Der Steuermann riß den Kopf hoch. »War das nicht ein Schrei da droben?«

Alle schwiegen. Augenpaare richteten sich auf die Treppe, und Hände griffen nach den Waffen. Der Kapitän zuckte unwirsch mit den Schultern.

»Ich habe nichts gehört.«

»Aber ich. Ein Schrei und ein fallender Körper. Ich sage euch, heute geht der Tod um ...«

»Allardine«, sagte der Kapitän mit beherrschter Leidenschaft und hieb einer Flasche den Hals ab. »In der letzten Zeit bist du wahrhaftig zu einem alten Weib geworden, das sich vor Schatten fürchtet. Nimm dir ein Beispiel an mir! Mache ich mir jemals Sorgen?«

»Es wäre besser, du ließest mehr Vorsicht walten«, antwortete der Steuermann. »Du gehst die größten Risiken ein, und dabei hast du Tag und Nacht einen menschlichen Wolf auf den Fersen! Hast du die Botschaft vergessen, die er dir vor fast zwei Jahren geschickt hat?«

»Bah!«

Der Kapitän lachte und hob die Flasche an die Lippen.

»Die Spur ist selbst für ...«

Ein schwarzer Schatten fiel auf ihn, die Flasche entglitt seinen Fingern und zerschellte auf dem Boden. Wie von einer Vorahnung gepackt, erbleichte der Pirat und wandte sich langsam um. Aller Blicke richteten sich auf die Steintreppe, die in den Keller führte. Niemand hatte vernommen, daß sich eine Tür geöffnet oder geschlossen hätte, und doch stand ein großer Mann oben auf der Treppe. Er war ganz in Schwarz gekleidet, wenn man von der glänzenden, grünen Schärpe um seine Taille absah. Unter dichten, schwarzen Brauen im Schatten eines tief in die Stirn gezogenen Schlapphuts glühten zwei Augen. In beiden Händen hielt er schwere Pistolen. Solomon Kane!

»Keine Bewegung, Jonas Hardraker«, sagte Kane ausdruckslos. »Rühr dich nicht, Ben Allardine! George Banway, John Harker, Black Mike, Bristol Tom, haltet eure Hände vor euch, so daß ich sie sehen kann! Keiner rührt an Säbel oder Pistole, oder er stirbt augenblicklich.«

Im Keller befanden sich fast zwanzig Mann, aber in den schwarzen Läufen lauerte für zwei von ihnen der sichere Tod, und keiner wollte der erste sein, der ihn fand.

Also rührte sich niemand. Nur Steuermann Allardine keuchte: »Kane! Ich habe es gewußt! Wenn er in der Nähe ist, schwebt der Tod in der Luft! Ich habe es dir gesagt vor fast zwei Jahren, als er dir die Nachricht sandte, Jonas. Aber du lachtest. Ich habe dir ja gesagt, er kommt wie ein Schatten und tötet wie ein Gespenst! Die Indianer der Neuen Welt könnten von ihm lernen! Oh, Jonas, du hättest auf mich hören sollen!«

Unter Kanes eisigem Blick verstummte er.

»Du kennst mich von früher her, Ben Allardine. Du kennst mich noch aus der Zeit, ehe die Bruderschaft der Freibeuter zu einer blutigen Bande von Halsabschneidern und Piraten wurde. Wir beide erinnern uns daran, daß ich mit deinem Kapitän zu tun hatte. Er war ein schlechter Mensch, und er brennt zweifellos im Feuer der Hölle – wohin ich ihn mit Hilfe einer Musketenkugel schickte.

Und was den Vergleich mit den Indianer betrifft, so muß ich zugeben, daß ich tatsächlich in der Neuen Welt etwas vom Jägerhandwerk und vom Anpirschen gelernt habe, aber Piraten sind wie Ochsen und leicht zu beschleichen. Die Wachen vor dem Haus sahen mich nicht, als ich durch den Nebel schlich, und der Halunke, der mit Muskete und Säbel die Kellertür bewachte, wußte nicht, daß ich das Haus betreten hatte. Er starb eines plötzlichen Todes.«

Hardraker fluchte wild. »Was willst du hier?«

Solomon Kane bedachte ihn mit einem Blick, in dem er sein sicheres Verderben las, und das Blut gefror dem Kapitän in den Adern.

»Einige deiner Leute kennen mich von früher, Jonas Hardraker, den man den Fischadler nennt.« Kanes Stimme war fast ausdruckslos, aber wenn man genauer hinhörte, erkannte man unterdrückte Leidenschaft dahinter. »Und du weißt sehr genau, warum ich dir von der Neuen Welt nach Portugal und von Portugal nach England gefolgt bin. Vor zwei Jahren versenktest du in der Karibischen See ein Schiff, die ›Flying Heart‹ aus Dover.

Darauf befand sich ein junges Mädchen, die Tochter von ... Nun, der Name tut nichts zur Sache. Du erinnerst dich an das Mädchen. Sein Vater war ein guter Freund von mir, und vor vielen Jahren habe ich seine Tochter oftmals auf den Knien geschaukelt, das Kind, das, kaum erwachsen, in deine dreckigen Hände fiel. Das Schiff wurde also geentert, das Mädchen kam in deinen Besitz und starb kurz danach. Der Tod war gnädiger zu ihr als du. Ihr Vater, der durch Überlebende des Massakers von ihrem Schicksal erfuhr, wurde wahnsinnig. Sie hatte keine Brüder, niemanden außer dem alten Mann. Niemand war da, um sie zu rächen ...«

»Außer dir, Sir Galahad?« höhnte der Fischadler.

»Ja, ich, du verdammter Hund!« brüllte Kane unerwartet. Das Dröhnen seiner mächtigen Stimme schmerzte in den Ohren, und selbst die abgehärteten Freibeuter fuhren zusammen und erbleichten. Nichts ist überraschender und schrecklicher als der Anblick eines Mannes mit eiserner Selbstbeherrschung, der plötzlich diese Beherrschung verliert und in einem mörderischen Wutausbruch explodiert. Eine kurze Zeitlang, als er die Worte hinausdonnerte, bot Kane das Bild schrecklicher Leidenschaft. Danach legte sich der Sturm augenblicklich, und er war wieder er selbst: kalt und hart wie Stahl, tödlich wie eine Kobra.

Einer der schwarzen Läufe richtete sich auf Hardrakers Brust, während der andere die übrigen Männer in Schach hielt.

»Versöhne dich mit Gott, Pirat«, sagte Kane tonlos, »denn in wenigen Augenblicken ist es dazu zu spät.«

Zum ersten Mal wurde der Kapitän kreidebleich.

»Großer Gott«, keuchte er, während Schweiß auf seiner Stirn perlte, »du wirst mich doch nicht wie einen tollen Hund niederschießen?«

»Das werde ich tun, Jonas Hardraker«, antwortete Kane, und weder seine Stimme noch seine Hand zitterte auch nur im geringsten. »Und freudigen Herzens. Hast du nicht alle Verbrechen begangen, die man sich nur denken kann? Bist du nicht Gestank in der Nase Gottes und ein Schmutzfleck in den Büchern der Menschen?

Hast du jemals den Schwachen verschont oder Mitleid mit Hilflosigkeit gehabt? Fürchtest du dich vor deinem Schicksal, du erbärmlicher Feigling?«

Mit ungeheurer Anstrengung riß sich der Pirat zusammen.

»Nein, ich fürchte mich nicht, aber der Feigling bist du.«

Zorn verdunkelte einen Augenblick lang die kalten Augen. Kane schien sich noch mehr in sich zurückzuziehen, noch mehr von menschlichem Kontakt zurückzuweichen. Wie eine unmenschliche Gestalt stand er oben auf der Treppe – wie ein riesiger, schwarzer Kondor, der sich aufs Töten vorbereitet.

»Du bist ein Feigling«, fuhr der Pirat hastig fort, denn er war kein Narr und hatte die schwache Stelle in Kanes Panzer entdeckt: Eitelkeit. Obgleich er nie prahlte, war Kane äußerst stolz darauf, daß, was immer man auch von ihm sagte, nicht einmal seine Feinde ihn je Feigling genannt hatten.

»Vielleicht verdiene ich es, kaltblütig getötet zu werden«, fuhr der Fischadler fort und beobachtete ihn genau, »aber wenn du mir keine Gelegenheit gibst, mich zu verteidigen, wird man dich eine feige Memme nennen.«

»Eitelkeit ist die Tugend und die Schande des Menschen«, sagte Kane düster. »Und alle wissen, ob ich ein Feigling bin oder nicht.«

»Aber ich nicht!« rief Hardraker triumphierend. »Wenn du mich niederschießt, so werde ich im Jenseits wissen, daß du feige bist, mögen die Leute denken oder sagen, was sie wollen!«

Trotz all seines Fanatismus war Kane letzten Endes dennoch menschlich. Er versuchte sich einzureden, daß er sich nicht um das kümmerte, was der elende Schuft dachte oder sagte; aber in seinem Herzen wußte er, daß sein Stolz und seine Tapferkeit innerlich so groß war, daß er es für den Rest seines Lebens nicht zu vergessen vermochte, wenn der Pirat mit einem höhnischen Lächeln sterben würde. Er nickte grimmig.

»Es sei. Du sollst deine Chance haben, obgleich der Herr weiß, daß du sie nicht verdienst. Wähle die Waffen.«

Die Augen des Fischadlers verengten sich. Kanes Geschick mit dem Degen war ein geflügeltes Wort unter den Gesetzlosen und Räubern, die die Welt durchstreiften. Mit Pistolen hätte er, Hardraker, keine Gelegenheit für eine Hinterlist und vermochte auch nicht seine unerhörte Kraft einzusetzen.

»Messer!« stieß er zwischen den Zähnen hervor.

Kane betrachtete ihn einen Augenblick lang nachdenklich, dann breitete sich ein grimmiges Lächeln über seine Gesichtszüge aus.

»Ich bin einverstanden. Zwar ist das Messer nicht die geeignete Waffe für einen Gentleman, aber damit kann man einen Tod bringen, der weder rasch noch schmerzlos ist.«

Er wandte sich an die Piraten: »Werft eure Waffen weg!« Sie gehorchten widerwillig.

»Und jetzt macht das Mädchen und den Jungen los!«

Auch diesem Befehl kamen sie nach. Jack streckte seine betäubten Gliedmaßen, befühlte die Wunde auf dem Kopf, die von getrocknetem Blut bedeckt war, und nahm die wimmernde Mary in die Arme.

»Laßt das Mädchen gehen«, flüsterte er, doch Solomon schüttelte den Kopf.

»Sie käme niemals an den Wachen vor dem Haus vorbei.«

Kane bedeutete Jack, sich auf die Treppe zu stellen, mit Mary hinter ihm. Er reichte Hollinster die Pistolen, nahm den Gürtel ab, zog sich den Rock aus und legte beides vor sich auf die Stiegen. Hardraker legte seine Waffen ab und zog sich bis auf die Hosen aus.

»Halte sie alle gut unter Aufsicht«, murmelte Kane.

»Ich kümmere mich um den Fischadler. Wenn ein anderer nach einer Waffe greift, schieß rasch und genau. Falle ich, so flieh mit dem Mädchen die Treppe hinauf. Aber mein Geist ist mit der blauen Flamme der Rache erfüllt, und ich werde nicht fallen!«

Die beiden Männer gingen aufeinander zu – Kane barhäuptig mit Hemd und Hosen, während Hardraker sein Kopftuch trug, ansonsten aber bis zu den Hüften nackt war. Der Pirat war mit einem langen, türkischen Dolch bewaffnet, den er mit der Spitze nach oben hielt. Kane hielt einen Dolch vor sich wie ein Rapier. Beide waren erfahrene Kämpfer, und daher richtete keiner die Spitze der Waffe nach unten. Das ist unpraktisch und nur in ganz besonderen Fällen von Vorteil.

Die flackernde Laterne an der Wand beleuchtete eine alptraumhafte Szene: Auf der Treppe stand der bleiche Jüngling mit dem Mädchen hinter sich und den Pistolen in den Händen, die Augen der bärtigen Piraten glitzerten, die mattblauen Klingen schimmerten gespenstisch, als die beiden Gestalten in der Mitte des Raumes einander umkreisten.

»Komm und kämpfe, Puritaner«, höhnte der Pirat, wich aber gleichzeitig vor Kanes unerbittlichem Vormarsch zurück. »Denk an das Mädchen, Breitkrempe!«

»Das tue ich auch, du Abschaum des Fegefeuers«, erwiderte Kane ernst. »Es gibt viele Feuer, du Niederträchtiger, und einige sind heißer als andere. Aber mit Ausnahme der Feuer der Hölle können alle Feuer mit Blut gelöscht werden!«

Und Kane stieß zu wie ein Wolf. Hardraker parierte den geraden Stoß, sprang vorwärts und führte einen Streich nach oben. Kane lenkte die Waffe mit der Spitze der seinen ab, und der Pirat sprang mit einem mächtigen Satz wieder außer Reichweite. Kane drang erbarmungslos nach – stets war er der Angreifer in jedem Kampf. Wie der Blitz stieß er nach dem Gesicht und dem Körper, und für einige Augenblicke war der Pirat zu sehr damit beschäftigt, die Stöße abzuwehren, um an einen eigenen Angriff zu denken. So konnte es nicht lange weitergehen, denn ein Messerkampf ist meist kurz und tödlich. Die Natur der Waffen läßt ein langes Schauspiel der Fechtkunst nicht zu.

Da erkannte Hardraker eine Gelegenheit und packte plötzlich Kanes Handgelenk mit eisernem Griff, während er gleichzeitig einen wilden Streich nach dem Leib seines Feindes führte. Kane fing die emporzuckende Hand auf, was ihm einen bösen Schnitt eintrug, und stoppte die Messerspitze einen Fingerbreit vor seinem Körper. Einen Augenblick lang standen die beiden wie Statuen da, starrten einander in die Augen und setzten all ihre Kräfte ein.

Kane mochte diese Art des Kampfes nicht. Er zog den anderen Stil vor, der rascher zu einer Entscheidung führte, den offenen Stil, bei dem man vor- und zurücksprang, stieß und parierte, wo man sich auf die Flinkheit von Hand, Fuß und Auge verlassen mußte, wo man zu offenen Stößen einlud und solche austeilte. Aber sollte es auf ein Kräftemessen ankommen, so war es ihm auch recht!

Hardraker bekam bereits Zweifel. Noch nie war er einem Mann begegnet, der ihm ebenbürtig war, was rohe Kraft anbelangte. Nun mußte er jedoch feststellen, daß der Puritaner unbeweglich wie Eisen war. Er sammelte all seine Kraft in seinen Gelenken und den mächtigen Beinen.

Kane hatte den Griff gewechselt und sich der veränderten Lage angepaßt. Beim Zusammenprall hatte Hardraker Kanes Hand mit dem Messer hochgedrückt. Nun hielt Solomon seine Waffe mit der Spitze abwärts über der Brust des Piraten. Sein Bestreben ging darauf hinaus, die Hand, die sein Gelenk umspannte, hinunterzudrücken, so daß er Hardraker den Dolch in die Brust stoßen konnte.

Der Fischadler hielt sein Messer tief und mit der Klinge nach oben und versuchte, gegen den Widerstand von Kanes linker Hand und linkem Arm dem Puritaner den Bauch aufzuschlitzen. So kämpften sie reglos gegeneinander, bis ihnen die Muskeln wie Knoten überall hervortraten und Schweiß über ihre Stirnen strömte.

Eine Zeitlang wogte der Kampf unentschieden. Dann begann Kane den Piraten zurückzudrängen. Die verkrampften Hände der Männer änderten nicht ihre Stellung zueinander, doch Hardrakers Körper begann schwanken. Seine dünnen Lippen verzerrten sich. Sein Kopf glich einem Totenschädel, und die Augen traten aus ihren Höhlen. Unerbittlich machte sich Kanes überlegene Kraft bemerkbar. Der Fischadler bog sich wie ein Baum, der fällt, während die Wurzeln aus dem Erdreich gerissen wurden. Sein Atem pfiff, als er verzweifelt versuchte, sich zusammenzureißen und den verlorenen Boden zurückzugewinnen. Aber Fingerbreit um Fingerbreit wurde er rückwärts gebogen, bis sein Rücken fest gegen die Platte eines Eichentisches gepreßt war.

Hardrakers Rechte umfaßte immer noch den Dolch, die linke Hand hatte immer noch Kanes rechtes Gelenk gepackt. Nun aber drückte Kane seinen Dolch langsam abwärts, während er sich mit der anderen Hand Hardrakers Waffe vom Leibe hielt. Die Anstrengung ließ Kanes Adern an den Schläfen anschwellen. Fingerbreit um Fingerbreit, so wie er den Fischadler auf den Tisch gezwungen hatte, preßte er nun den Dolch abwärts. Manchmal gelang es dem Fischadler, den Abstand für einen Augenblick lang zu wahren, nie aber ihn zu vergrößern. Er riß verzweifelt mit der rechten Hand, die den türkischen Dolch umklammert hielt, aber Kanes blutige Linke hielt sie wie eine Stahlklammer.

Nun befand sich die unerbittliche Messerspitze nur noch zwei Finger breit über der wogenden Brust des Piraten, und Kanes Augen hatten die Farbe blauen Stahls angenommen. Die Verzweiflung des Verbrechers hielt die Spitze in unveränderter Entfernung von seinem Herzen. Was sahen die weitaufgerissenen Augen? Obwohl ihr Blick auf die Dolchspitze gerichtet war, der für sie das Zentrum des Universums darstellte, lag eine gewisse Geistesabwesenheit in ihnen. Was sahen sie noch?

Sinkende Schiffe, über denen sich die Oberfläche des Meeres schloß? Von Flammen erhellte Küstenstädte, in denen Frauen schrien und düstere Gestalten mordeten und raubten? Dunkle Gewässer, vom Sturm gepeitscht und von Blitzen erleuchtet? Rauch, Flammen und Blut? Gestalten, die an Rahen baumelten? Zappelnde Menschen, die von einer Planke ins Wasser gestoßen wurden? Die Gestalt eines Mädchens, das verzweifelt um ihr Leben flehte?

Hardraker schrie. Kanes Hand sank ein Stück tiefer, und die Dolchspitze drang in die Brust des Piraten. Auf den Steigen wandte sich Mary Gavin ab und preßte ihr Gesicht gegen die Kellerwand, um den Anblick nicht sehen zu müssen, hielt sich die Hände vor die Ohren, um nichts zu hören.

Hardraker hatte seine Waffe fallengelassen. Er versuchte seine Rechte loszureißen, um den Dolch abzuwehren. Aber Kane hielt ihn wie ein Schraubstock. Immer noch nicht lockerte der Pirat seinen Griff um Kanes Handgelenk. Und so wie Kane den Dolch gegen seine Brust gezwungen hatte, so schob er ihn auch seinem Widersacher ins Herz – Fingerbreit um Fingerbreit. Der Anblick trieb den Zuschauern den kalten Schweiß auf die Stirn, aber Kanes Augen waren unbeweglich. Er dachte an ein blutbesudeltes Deck und an ein schwaches Mädchen, das vergebens um Gnade gebeten hatte.

Hardrakers Schreie gingen in ein entsetzliches Kreischen über. Es war das Schreien eines Menschen in Todesangst. Fast berührte der Griff des Dolches bereits seine Brust, als das Kreischen zu einem Gurgeln wurde, das dann schnell verstummte. Blut rann über die aschfarbenen Lippen, und die Hand in Kanes linker Faust erschlaffte. Und erst danach lösten sich die Finger der linken Hand von Kanes Handgelenk – der Tod, dem sie sich so lange widersetzt hatten, hatte sie gelockert.

Über allem lastete die Stille wie ein weißes Leichentuch. Kane riß seine Waffe aus dem Toten. Der Puritaner vollführte mit der Waffe automatisch eine halbkreisförmige Bewegung in der Luft, um die roten Tropfen vom Stahl abzuschütteln. Und als sie im Licht der Laterne aufblitzte, erschien sie Jack Hollinster wie eine blaue Flamme – eine Flamme, die in Rot getränkt war.

Kane griff nach seinem Degen. In diesem Augenblick sah Jack, wie Sam heimlich eine Pistole ergriff und auf den Puritaner anlegte. Das sehen und handeln war eins.

Zugleich mit dem Knall von Hollinsters Schuß schrie Sam auf und ruckte empor. Seine Pistole ging in die Luft los. Er war direkt unter der Laterne, und als er in Todeszuckungen die Arme hochwarf, traf der Lauf der Pistole die Laterne und zerschmetterte sie.

Zugleich mit der Dunkelheit kamen Geschrei und Gefluche. Fässer wurden umgeworfen, Männer stolperten übereinander, Stahl klirrte, und Pistolen wurden ziellos abgefeuert. Jemand heulte auf, als einer dieser blinden Schüsse ein Ziel fand. Jack hielt das Mädchen am Arm, und halb zog er sie, halb trug er sie die dunklen Stiegen empor. Er glitt aus und stolperte, aber letzten Endes erreichte er doch den Treppenabsatz und stieß die schwere Tür auf. Im schwachen Licht, das durch die Öffnung fiel, sah er dicht hinter sich die Gestalt eines Mannes und weiter unten einen Schwarm weiterer Männer, die die Stufen hochstrebten.

Hollinster schwenkte die noch geladene Pistole herum, als er Kanes Stimme erkannte: »Ich bin es, junger Mann. Rasch hinaus mit dem Mädchen.«

Hollinster gehorchte, und Kane, der hinter ihm durch die Öffnung sprang, wirbelte herum und schmetterte die Eichentür in die Gesichter der schreienden Verfolger, die von unten nachdrängten. Er schob einen schweren Riegel vor und trat einen Schritt zurück. Von innen her klangen gedämpfte Rufe, Gehämmer und Schüsse, und an einigen Stellen wölbte sich das Holz, als Kugeln in die Tür gejagt wurden.

Aber keines der weichen Bleigeschosse drang gänzlich durch die dicken Bohlen.

»Was nun?« fragte Jack, an den Puritaner gewandt.

Erst da bemerkte er die leblose Gestalt zu seinen Füßen, einen Piraten mit Ohrringen und einer farbenprächtigen Schärpe, dessen Säbel und Muskete neben ihm lagen. Zweifellos handelte es sich um den Wachtposten, den Kane getötet hatte.

Der Puritaner schob die Leiche mit dem Fuß beiseite und bedeutete dem Liebespaar, ihm zu folgen. Er ging einige Holzstufen hinan, einen Gang entlang und in eine Kammer, wo er stehenblieb. Auf einem Tisch in dem Gemach brannte eine große Kerze.

»Wartet hier einen Augenblick«, forderte er sie auf.

»Die meisten der Übeltäter sind unten eingeschlossen, aber draußen befinden sich Wachen, fünf oder sechs Männer. Als ich kam, schlüpfte ich an ihnen vorbei, jetzt aber scheint der Mond, und wir müssen vorsichtig sein. Ich werde ein Fenster suchen und sehen, ob ich welche erspähen kann.«

Allein in der Kammer, betrachtete Jack Mary voll Liebe und Mitgefühl. Es war eine abenteuerliche Nacht gewesen, und Mary, das arme Kind, war noch nie Gewalt und schlechter Behandlung ausgesetzt gewesen. Ihr Gesicht war so bleich, daß Jack sich fragte, ob jemals wieder Röte ihre Wangen färben würde. Die Augen waren weit aufgerissen und verstört, aber als sie ihren Geliebten anblickte, kehrte das Vertrauen in sie zurück.

Er zog sie sanft in seine Arme. »Mary, mein Mädchen«, begann er sanft, als sie plötzlich, den Blick über seine Schulter gerichtet, einen Schrei ausstieß. Gleichzeitig war das Scharren eines rostigen Riegels zu vernehmen.

Hollinster wirbelte herum. In der zuvor völlig glatten Wand gähnte nun eine schwarze Öffnung. Davor stand Sir George Banway mit zwei Pistolen im Anschlag.

Jack stieß Mary beiseite und riß seine Waffe hoch. Die beiden Schüsse krachten gleichzeitig. Hollinster fühlte, wie das Geschoß ihm wie ein glühendes Rasiermesser die Wange aufschnitt. Aus Sir Georges Hemd wurde ein Stoffetzen herausgerissen. Fluchend ging er zu Boden.

Aber als sich Jack dem Mädchen zuwandte, taumelte Banway wieder hoch. In tiefen Atemzügen sog er die Luft in die Lungen, als wäre er außer Atem, aber er schien nicht verletzt zu sein, und kein Blutstropfen wies auf eine Wunde hin.

Erstaunt und entsetzt – denn er wußte, daß seine Kugel genau getroffen hatte – stand Jack mit offenem Mund da und hielt die rauchende Pistole in der schlaffen Hand, bis ihn Sir George mit einem gewaltigen Faustschlag zu Boden streckte. Da sprang Hollinster wütend auf, aber Banway hatte das Mädchen bereits gepackt, war mit ihr durch die Öffnung gesprungen und schmetterte die Geheimtür zu. Solomon Kane, der zurückkehrte, so rasch ihn seine Beine zu tragen vermochten, fand Hollister tobend und mit den Fäusten gegen eine glatte Wand trommelnd vor.

Einige hastige Sätze, vermischt mit Flüchen und Selbstbeschuldigungen, unterrichteten Kane von dem Geschehen.

»Satan hält seine Hand über ihn«, schrie der Jüngling außer sich. »Ich schoß ihn mitten in die Brust, und er ist nicht einmal verletzt! Oh, ich Narr und Idiot! Ich stand da wie eine Statue, anstatt auf ihn einzudringen – stand da wie ein verdammter Narr, während er ...«

»Ich bin ein Narr, nicht daran zu denken, daß das Haus mit Geheimgängen versehen ist«, unterbrach der Puritaner. »Natürlich führt der Gang in den Keller. Aber halt ein!« sagte er, als Hollinster mit dem Säbel des toten Seeräubers, den Kane mitgebracht hatte, die Wand zu bearbeiten begann. »Selbst wenn wir auf diese Weise die Geheimtür öffnen und in den Keller vordringen können oder aber den Weg durch die verriegelte Kellertür nehmen, schießen sie uns wie Kaninchen ab. Beruhige dich einen Augenblick und hör zu! Hast du den dunklen Gang gesehen, der aus dem Keller führt? Ich nehme an, es muß ein Tunnel existieren, der zu den Felsen am Meeresufer führt. Banway hat lange Zeit gemeinsame Sache mit Schmugglern und Piraten gemacht. Nachdem Spione niemals gesehen haben, daß Waren ins oder aus dem Haus getragen wurden, folgt daraus, daß es einen Tunnel geben muß, der den Keller mit der See verbindet.

Daraus folgt weiter, daß die Schurken mit Sir George, der sich nach der heutigen Nacht in England nicht länger blicken lassen kann, durch den Tunnel zum Schiff flüchten werden. Wir nehmen den Weg über den Strand und nehmen sie in Empfang, wenn sie daraus hervorkommen.«

»So beeilen wir uns um Gottes willen!« bat der Jüngling und wischte sich kalten Schweiß von der Stirn »Befindet sich das Mädchen einmal an Bord des Höllenschiffs, erreichen wir es nie wieder!«

»Deine Wunde blutet wieder«, murmelte Kane mit einem beunruhigten Seitenblick.

»Das spielt keine Rolle. Los!«

*


HOLLINSTER FOLGTE KANE, der furchtlos zur Eingangstür ging, sie öffnete und hinauslief. Der Nebel hatte sich aufgelöst, und im weißen Licht des Mondes waren die schwarzen Felsen in zweihundert Schritt Abstand am Meeresufer deutlich zu sehen, ebenso wie das Piratenschiff, das außerhalb der Brecher an seiner Ankerkette schaukelte. Wachen waren nicht zu sehen. Ob sie aufgrund der Geräusche im Haus geflüchtet waren, ob sie einen Befehl erhalten hatten oder einen Auftrag, nach einer bestimmten Zeit an den Strand zurückzukehren, wußten Kane und Jack nicht. Aber sie sahen niemanden.

Entlang des Ufers erhoben sich wie die Ruinen schwarzer Häuser düster die Felsen und verbargen alles, was am Sandufer vor sich gehen mochte.

Die beiden Männer rannten darauf zu. Kane war nicht anzumerken, daß er eben erst ein schreckliches Duell auf Leben und Tod überstanden hatten Er schien aus Stahlfedern zu bestehen, und der zusätzliche Spurt schien nicht einmal seinen Atem zu beschleunigen. Hollinster aber taumelte im Laufen. Er war schwach vor, Sorge, Aufregung und Blutverlust. Nur seine Liebe zu Mary und grimmige Beharrlichkeit hielten ihn aufrecht.

Als sie sich den Felsen näherten, gebot der Klang wirrer Stimmen Vorsicht. Hollinster, der sich fast im Delirium befand, war dafür, über die Felsen zu springen und alles anzugreifen, was sich dahinter befinden mochte, aber Kane hielt ihn zurück. Gemeinsam krochen sie vorwärts, legten sich flach auf einen Vorsprung und blickten hinab.

Das klare Mondlicht zeigte den Beobachtern, daß die Freibeuter an Bord des Schiffes dabei waren, den Anker zu lichten. Unter ihnen befand sich eine kleine Gruppe von Männern. Ein Beiboot war bereits auf dem Weg zum Schiff, während ein weiterer Trupp, auf die langen Riemen gestützt, ungeduldig auf ihren Anführer wartete. Offenbar waren die Piraten sofort durch den Tunnel geflohen. Hätte nicht Sir George noch das Mädchen geraubt, wobei ihm der Zufall zu Hilfe gekommen war, so hätten sich die Piraten längst an Bord des Schiffes befunden. Die Beobachter bemerkten auch eine kleine Höhle, von deren Eingang ein Felsblock weggewälzt worden war. Sie bildete offenbar den Anfang des Tunnels.

Sir George und Ben Allardine standen einander in heißem Streitgespräch gegenüber. Mary lag gebunden zu ihren Füßen. Bei ihrem Anblick machte Hollinster Anstalten aufzuspringen, aber Kanes eiserner Griff hielt ihn zurück.

»Ich nehme das Mädchen mit an Bord!« ertönte Banways zornige Stimme.

»Und ich sage nein!« gab Allardine heftig zurück. »Es entsteht nichts Gutes daraus! Wegen eines Weibes liegt Hardraker in seinem Blut! Frauen verursachen Streit und Feindschaft zwischen Männern. Nimm das Mädchen an Bord, und noch ehe die Sonne aufgeht, sind einem Dutzend Männer die Kehlen durchschnitten worden! Ich sage, wir schneiden ihr hier die Gurgel durch und ...«

Er griff nach dem Mädchen. Sir George schlug ihm die Hand beiseite und zog sein Rapier, aber Jack sah diese Bewegung nicht. Er schüttelte Kanes Hand ab, richtete sich auf und sprang hinab. Bei seinem Anblick schrien die Piraten im Boot auf, glaubten sich offenbar von einer größeren Gruppe angegriffen, legten sich in die Riemen und ließen Steuermann und Patron am Ufer zurück.

Hollinster landete mit den Füßen voran im weichen Sand. Der Aufprall ließ ihn in die Knie gehen, aber er federte sofort wieder hoch und griff die beiden Männer an, die erstaunt vor ihm standen. Allardine brach mit gespaltenem Schädel zusammen, ehe er noch seine Waffe zu heben vermochte, und dann parierte Sir George Jacks zweiten wilden Hieb.

Ein Säbel ist unhandlich und für die Finessen des Fechtens ungeeignet. Jack hatte seine Überlegenheit über Banway mit der geraden, leichten Klinge bewiesen, aber er war die schwere, gekrümmte Waffe nicht gewohnt und außerdem müde und geschwächt. Banway war bei frischen Kräften. Dennoch drängte Jack den Adeligen einige Sekunden lang durch die schiere Wut seines Angriffs in die Verteidigung. Dann aber gewann trotz Haß und Entschlossenheit die Schwäche die Oberhand. Mit einem kalten Lächeln auf dem dunklen Gesicht berührte Banway ihn wieder und wieder auf Wange, Brust und Beinen. Es waren keine tiefen Wunden, aber brennende, und das Blut, das daraus tropfte, schwächte ihn noch mehr.

Sir George machte eine Finte und setzte zum entscheidenden Ausfall an. Dabei rutschte sein Fuß im schlüpfrigen Sand aus. Er verlor das Gleichgewicht, hieb wild um sich und gab sich eine Blöße. Jack, der dies erkannte, sammelte alle ihm noch verbliebenen Kräfte zu einer letzten, verzweifelten Anstrengung. Er sprang vor und führte einen seitlichen Hieb. Die scharfe Schneide traf Sir Georges Körper mitten zwischen der Hüfte und der Armhöhle und hätte die Rippen bis zu den Lungen spalten müssen. Statt dessen zerbrach die Klinge wie Glas. Jack taumelte betäubt zurück, und der nutzlose Griff entfiel seiner kraftlosen Hand. Sir George erlangte sein Gleichgewicht und stieß mit einem Triumphschrei zu. Doch als sich der Degen geradewegs auf Jacks schutzlose Brust zubewegte, fiel ein großer Schatten zwischen die beiden. Banways Klinge wurde mit unglaublicher Leichtigkeit beiseite geschoben.

Hollinster, der zur Seite kroch, sah Solomon Kane wie eine schwarze Wolke über Sir George Banway, während das lange Rapier des Puritaners den verzweifelt fechtenden Adeligen unerbittlich zurücktrieb. Im Licht des Mondes, das die langen, flinken Klingen bleich schimmern ließ, beobachtete Hollinster den Kampf. Gleichzeitig beugte er sich über das bewußtlose Mädchen und versuchte mit unbeholfenen Fingern ihre Fesseln zu lösen. Er hatte von Kanes hervorragender Fechtkunst vernommen. Nun hatte er die Gelegenheit, sie mit eigenen Augen zu sehen, und als geborener Fechter wünschte er, Kane hätte einen würdigeren Feind gegen sich.

Denn obgleich Sir George ein guter Fechter war und sich in der Gegend einen Namen als tödlicher Duellgegner gemacht hatte, spielte Kane nur mit ihm. Außer den Vorteilen der Größe, des Gewichtes, der Stärke und der Reichweite besaß Kane noch zwei weitere – Geschick und Gewandtheit. Trotz seiner Größe war er rascher als Banway. Und was das Können betraf, so war der Adelige im Vergleich zu ihm ein Anfänger. Kane focht mit sparsamen Bewegungen und mit einer Teilnahmslosigkeit, die dem Kampf einiges von der Eleganz nahm. Er machte keine weitausholenden, spektakulären Paraden oder überweite Ausfälle. Aber jede seiner Bewegungen war genau die richtige, er war niemals im Nachteil, niemals erregt – eine Kombination von Eis und Stahl. In England und auf dem Kontinent hatte Hollinster eindrucksvollere und brillantere Fechter gesehen aber nie einen, der so technisch perfekt, so sicher und tödlich war wie der Puritaner.

Es erschien ihm, als hätte Kane seinen Gegner bereits mit der ersten Attacke durchbohren können, aber das lag nicht in der Absicht des Puritaners. Er hielt sich dicht am Feind, seine Spitze bedrohte andauernd das Gesicht des anderen, und als er den jungen Adeligen ununterbrochen in der Defensive hielt, sprach er mit ruhiger Stimme, so als gehörten Zunge und Arm nicht zum gleichen Körper.

»Nein, junger Herr; Ihr braucht Euch auf der Brust keine Blöße zu geben. Ich sah, wie Jacks Klinge zersplitterte und möchte nicht meinen Stahl riskieren, so stark und elastisch er auch ist. Schon gut, Sir, macht Euch nichts draus! Auch ich habe manchmal einen Panzer unter meinem Hemd getragen, jedoch kaum einen so starken, der eine aus größter Nähe abgefeuerte Kugel aufzuhalten vermag. Jedoch hat Gott in seiner unendlichen Weisheit und Gnade den Menschen so geschaffen, daß sich nicht alle lebenswichtigen Teile im Brustkorb befinden. Ich wünschte, Ihr könntet besser mit der Waffe umgehen, Sir George; Euch zu töten ist eine Schande für mich, aber wenn ein Mann seinen Fuß auf eine Natter setzt, fragt er nicht nach deren Größe.«

Diese Worte wurden in ernstem und ruhigem Tonfall gesprochen und keineswegs im Spott. Jack wußte, daß Kane sie nicht höhnisch meinte. Sir Georges bleiches Gesicht wurde aschfahl im Mondlicht. Sein Arm schmerzte vor Müdigkeit und war schwer wie Blei, und der schwarze Teufel trieb ihn immer noch zurück und parierte seine verzweifeltsten Anstrengungen mit unmenschlicher Leichtigkeit.

Plötzlich verfinsterte sich Kanes Stirn, als hätte er eine unangenehme Pflicht zu erledigen und wollte sie rasch hinter sich bringen.

»Genug!« rief er mit tiefer, vibrierender Stimme, die seinen Zuhörern einen Schauder über den Rücken jagte.

»Das ist eine üble Tat – möge sie rasch geschehen!«

Das Folgende ging mit solcher Geschwindigkeit vor sich, daß das Auge nicht zu folgen vermochte. Hollinster zweifelte nie wieder daran, daß Kanes Fechtkunst brillant sein konnte, falls er es wünschte. Jack bemerkte eine blitzende Finte gegen den Oberschenkel, glänzender Stahl flirrte – und Sir George Banway lag tot Solomon Kane zu Füßen. Aus dem linken Auge sickerte ein wenig Blut.

»Durch das Auge ins Gehirn«, stellte Kane fest und reinigte die Spitze seiner Waffe. »Er wußte nicht, was auf ihn zukam, und starb ohne Schmerzen. Möge Gott uns allen einen solch leichten Tod gewähren. Aber das Herz ist mir schwer in der Brust, denn er war kaum dem Jünglingsalter entwachsen und mir mit der Waffe nicht ebenbürtig. Nun, Gott wird am Tage des Jüngsten Gerichtes zwischen uns beiden richten.«

Mary wimmerte in Jacks Armen und erlangte wieder das Bewußtsein. Ein sonderbarer Schein breitete sich über der Gegend aus, und Hollinster vernahm ein eigenartiges Knistern.

»Seht! Das Haus brennt!«

Flammen schlugen aus dem schwarzen Dach des Herrenhauses der Banways. Die fliehenden Piraten hatten es in Brand gesteckt, und nun loderten die Flammen hoch empor. Das Meer leuchtete rot in der purpurnen Glut, und das Piratenschiff, das der offenen See zustrebte, schien in einem Meer von Blut zu schwimmen. Auch die Segel warfen den roten Schein zurück.

»Es segelt in einem Ozean von Blut!« rief Kane, in dem der schlummernde Aberglaube und schlummernde Poesie zum Ausbruch kamen.

»Es segelt in Blut, und seine Segel sind blutig! Tod und Vernichtung folgen ihm, und dahinter folgt die Hölle! Rot sei sein Verderben und schwarz sein Untergang!«

Mit einem plötzlichen Wechsel der Gefühle beugte sich der Fanatiker über Jack und das Mädchen.

»Ich würde deine Wunden verbinden, Junge«, sagte er sanft, »aber ich halte sie nicht für ernsthaft, und ich höre das Geklapper vieler Hufe über das Moor. Deine Freunde werden bald hier sein. Aus der Not erwächst Stärke, Friede und Glück, und vielleicht verläuft euer Lebensweg nach dieser Nacht des Schreckens gerader.«

»Aber wer seid Ihr?« rief das Mädchen und klammerte sich an ihn. »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll ...«

»Du hast mir genug gedankt, kleines Mädchen«, antwortete der seltsame Mann sanft. »Mir genügt es, dich wohlbehalten und außer Gefahr zu sehen. Mögest du blühen und heiraten und starke Söhne und liebliche Töchter zur Welt bringen.«

»Aber wer seid Ihr? Woher kommt Ihr? Was sucht Ihr?

Wohin geht Ihr?«

»Ich habe keine Heimat.« Ein fast mystischer Ausdruck trat in seine Augen. »Ich komme aus dem Sonnenuntergang und gehe in den Sonnenaufgang, wohin der Herr meine Schritte lenkt. Ich suche – vielleicht mein Seelenheil. Ich kam, indem ich dem Pfad der Rache folgte. Jetzt muß ich euch verlassen. Die Morgendämmerung ist nicht mehr fern, und ich möchte nicht, daß sie mich müßig findet. Vielleicht sehe ich euch nicht wieder.

Meine Arbeit hier ist getan; ich stehe am Ende eines langen, roten Pfades. Der Mann des Blutes ist tot. Aber es gibt andere Männer des Blutes und andere Pfade der Rache und Vergeltung. Ich führe den Willen Gottes aus.

Solange das Böse gedeiht und Ungerechtes geschieht, solange Männer verfolgt werden und Frauen Gewalt angetan wird, solange schwache Dinge – ob Mensch oder Tier – mißhandelt werden, gibt es für mich keine Ruhe unter dem Himmel und keinen Frieden an Tisch oder Bett. Lebt wohl!«

»Bleib stehen!« rief Jack sich erhebend, wahrend plötzlich Tranen in seine Augen traten.

»Oh, bleibt doch stehen, Herr!« rief Mary und streckte die weißen Arme aus.

Aber die hohe Gestalt war in der Dunkelheit verschwunden.

Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery

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