Читать книгу Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery - Robert E. Howard - Страница 13

Würmer der Erde

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„Schlagt die Nägel ein, Soldaten! Unser Gast soll sehen, was römische Gerechtigkeit bedeutet.“

Der Sprecher schlang den purpurnen Mantel enger um seine mächtige Gestalt und setzte sich in seinen Amtssessel, als befände er sich im Circus Maximus, um sich an Gladiatorenkämpfen zu ergötzen. Jede Bewegung zeugte von seinem Machtbewußtsein. Stolz war der wesentlichste Charakterzug eines jeden Römers, und Titus Sulla war mit Recht stolz, war er doch Legat von Eboracum und als solcher nur dem Imperator von Rom selbst verantwortlich. Von kräftigem Körperbau und mittlerer Größe, besaß er die falkengleichen Züge des reinrassigen Römers. Jetzt spielte ein höhnisches Lächeln um seine vollen Lippen. Der Vergoldete Brustpanzer, das Kurzschwert am Gürtel und der versilberte Helm mit dem Federbusch, der auf seinen Knien ruhte, verliehen ihm ein militärisches Aussehen. Hinter ihm stand eine Gruppe unbeweglicher Soldaten mit Schild und Speer – blonde Titanen vom Rhein.

Vor ihm fand ein Schauspiel statt, das ihn anscheinend so sehr befriedigte – ein alltäglicher Anblick in den Ländern innerhalb der weiten römischen Grenzen. Ein rohbehauenes Kreuz lag flach auf dem Erdboden, woran ein spärlich bekleideter Mann mit verkrümmten Gliedern, wilden Augen und wirrem Haar gebunden war. Seine Henker waren römische Soldaten, und sie bereiteten sich soeben darauf vor, Eisennägel durch die Hände und Füße des Opfers in das Holz zu treiben.

Nur eine kleine Gruppe von Männern wohnte dem grausigen Schauspiel bei, das sich auf der gefürchteten Hinrichtungsstätte außerhalb der Stadtmauern abspielte: der Legat mit seiner wachsamen Garde, ein paar junge römische Offiziere, sowie der Mann, den Sulla als Gast bezeichnet hatte und der wie eine Bronzestatue schweigend dastand. Neben dem Glanz des Römers wirkte die schlichte Kleidung dieses Mannes farblos, ja düster.

Er hatte eine dunkle Hautfarbe, ähnelte jedoch nicht den Italiern um ihn. An ihm war nichts von der fast orientalischen Sensualität, die über den Zügen der Männer vom Mittelmeer lag. Die blonden Barbaren hinter Sullas Stuhl glichen dem Mann eher als die Römer. Er besaß nicht die vollen, geschwungenen Lippen und reiche Lockenpracht der Griechen. Seine dunkle Haut war nicht von der Farbe der reifen Olive des Südens, sondern spiegelte die rauhe Dunkelheit des Nordens. Der gesamte Eindruck des Mannes erinnerte an die Schatten, die Nebel, die Düsternis, die eisigen Winde der kahlen Nordländer. Selbst seine schwarzen Augen glichen Feuern, die durch dickes Eis glühten.

Von mittlerer Größe, hatte er doch etwas an sich, das körperliche Maße übertraf – eine gewisse wilde Vitalität, vergleichbar mit der eines Wolfes oder Panthers. Jede Linie seines schlanken Körpers wies darauf hin, ebenso wie sein glattes Haar, die schmalen Lippen, die raubvogelhafte Kopfhaltung, die breiten Schultern, die kräftige Brust, die schmalen Lenden, die kleinen Füße. Mit dem sparsamen Körperbau eines Panthers, vermittelte er den Eindruck dynamischer innerer Kraft, von eiserner Selbstkontrolle beherrscht.

Zu seinen Füßen kauerte ein Mann, der ihm in der Hautfarbe glich. Aber damit nahm die Ähnlichkeit auch schon ein Ende. Dieser andere war ein verkümmerter Riese mit verbogenen Gliedern, einem schweren Körper, fliehender Stirn und einem Ausdruck störrischer Wildheit im Gesicht, in den sich jetzt Furcht mischte. Wenn der Mann am Kreuz, rassisch gesehen, Ähnlichkeiten mit dem Mann aufwies, den Titus Sulla Gast genannt hatte, so glich er bedeutend mehr dem verwachsenen Riesen.

„Nun, Partha Mac Othna“, sagte der Legat mit ausgeklügelter Unverschämtheit, „wenn du zu deinem Stamm zurückkehrst, kannst du eine Geschichte von der Gerechtigkeit Roms erzählen, die im Süden herrscht.“

„Ich habe eine Geschichte zu erzählen“, antwortete der andere mit einer Stimme, die keinerlei Gefühle verriet, ebenso wie sein unbewegtes, dunkles Antlitz nichts von dem Sturm in seiner Seele zeigte.

„Gerechtigkeit für alle unter der Herrschaft Roms“, sagte Sulla. „Pax Romana! Belohnung für Gehorsam, Strafe für Unrecht!“ Er lachte innerlich ob seiner Heuchelei und fuhr fort: „Gesandter aus dem Piktenland, du siehst, wie rasch Rom Missetäter bestraft.“

„Ich sehe“, gab der Pikte mit einer Stimme zurück, in der fast Zorn und Drohung schwangen, „daß man den Untertan eines anderen Königs wie einen römischen Sklaven behandelt.“

„Er wurde von einem unparteiischen Gericht verhört und verurteilt“, wandte Sulla ein.

„Aye! Und der Ankläger war ein Römer, die Zeugen waren Römer, und der Richter war ein Römer! Er hat einen Mord begangen? In einem Augenblick des Zorns hat er einen römischen Kaufmann niedergeschlagen, der ihn hintergangen, betrogen, beraubt und obendrein noch geschlagen hatte! Ist sein König denn bloß ein Hund, daß Rom seine Untertanen nach Belieben vor römische Gerichte stellen und kreuzigen darf? Ist sein König zu schwach oder ein Narr, um nicht Gerechtigkeit walten zu lassen, wenn er von der Tat erfährt und der Missetäter angeklagt wird?“

„Nun“, meinte Sulla zynisch, „du magst selbst Bran Mak Morn davon unterrichten. Rom, mein Freund, legt Barbarenkönigen gegenüber keine Rechenschaft für sein Handeln ab. Wenn Wilde zu uns kommen, müssen sie dem Gesetz gehorchen oder aber die Folgen tragen.“

Der Pikte schloß hörbar die Kiefer, und Sulla wußte, daß er keine weitere Antwort zu erwarten hatte. Der Römer gab den Schergen einen Wink. Einer von ihnen ergriff einen Nagel, setzte ihn am kräftigen Handgelenk des Opfers an und schlug zu. Die Lippen zogen sich über die Zähne des Mannes am Kreuz, aber kein Laut drang aus seiner Kehle. Wie ein gefangener Wolf gegen den Käfig ankämpft, so wand und wehrte sich das gebundene Opfer. Aber die Hämmer hoben und senkten sich unerbittlich und trieben die grausamen Spitzen tiefer und tiefer. Blut floß über die Hände, die die Nägel hielten, und färbte das Holz des Kreuzes. Deutlich war das Splittern von Knochen zu vernehmen. Und dennoch gab der Gepeinigte keinen Laut von sich.

Der Mann namens Partha Mac Othna stand wie eine Eisenstatue. In dem unergründlichen Antlitz brannten die Augen, und unter der ungeheuren Anspannung wurde sein Körper starr wie Eisen. Zu seinen Füßen kauerte der mißgestalte Diener, verbarg das Gesicht vor dem grausigen Anblick und umklammerte die Knie seines Herrn. Er murmelte unaufhörlich, und es klang wie eine Beschwörung.

Der letzte Hammerschlag fiel. Die Fesseln wurden entfernt, damit das ganze Gewicht des Mannes an den Nägeln hänge. Der Pikte hatte aufgehört, sich zu winden, denn das vergrößerte nur den Schmerz in den Wunden. Seine glänzenden, schwarzen Augen starrten unverwandt in das Gesicht des Mannes, der sich Partha Mac Othna nannte. Ein verzweifelter Hoffnungsschimmer lag in ihnen. Nun hoben die Soldaten das Kreuz und senkten es in ein vorbereitetes Loch im Boden. Dann traten sie ringsum die Erde fest, um ihm besseren Halt zu gewähren.

Der Pikte hing in der Luft, und nur die Nägel hinderten ihn am Fallen. Immer noch drang kein Laut über seine Lippen. Immer noch haftete sein Blick am unbewegten Antlitz des Gesandten, aber der Hoffnungsschimmer schwand.

„Er wird noch Tage leben!“ rief Sulla. „Diese Pikten sind schwerer zu töten als Katzen! Eine Wache von zehn Soldaten wird dafür sorgen, daß ihn niemand abnimmt, bevor er tot ist. He, Valerius! Reiche ihm einen Becher Wein zu Ehren unseres geschätzten Nachbarn, des Königs Bran Mak Morn!“

Lachend trat der junge Offizier vor, einen vollgefüllten Becher in der Hand haltend, erhob sich auf die Zehenspitzen und hielt ihn an die ausgetrockneten Lippen des Gepeinigten. In dessen schwarzen Augen flammte eine Welle roten Hasses auf; er bog den Kopf zur Seite, um das Gefäß nicht berühren zu müssen, und spuckte dem jungen Römer in die Augen. Fluchend schmetterte Valerius den Becher zu Boden, riß sein Schwert heraus und versenkte es, ehe ihn jemand daran hindern konnte, in den Körper des Gekreuzigten.

Sulla sprang mit einem Ausruf des Zornes auf. Der Mann namens Partha Mac Othna war heftig zusammengezuckt, aber er biß sich auf die Lippen und schwieg. Valerius schien selbst über sich erstaunt, als er sein Schwert reinigte. Er hatte instinktiv gehandelt –als Reflex auf seinen verletzten Stolz.

„Lege dein Schwert ab, junger Mann!“ rief Sulla. „Zenturio Publius, nimm ihn in Gewahrsam. Ein paar Tage in einer Zelle bei altem Brot und Wasser wird dich lehren, deinen Patrizierstolz zu zügeln, wenn es um Dinge des Imperiums geht. Siehst du denn nicht, du Narr, daß du dem Hund nichts Besseres hast antun können? Wer zieht nicht den raschen Tod durch das Schwert dem qualvollen Sterben am Kreuz vor? Schafft ihn fort. Und du, Zenturio, stelle eine Wache an das Kreuz, auf daß der Leichnam nicht eher herabgenommen wird, ehe nicht die Krähen das Fleisch von den Knochen gefressen haben. Partha Mac Othna, ich begebe mich zu einem Gastmahl im Hause des Demetrius. Willst du mich nicht begleiten?“

Der Gesandte schüttelte den Kopf und wandte den Blick nicht von der schlaffen Gestalt, die am Kreuz hing. Er gab keine Antwort. Sulla lächelte sardonisch, erhob sich und schritt von dannen, gefolgt von einem Diener, der ihm den vergoldeten Stuhl nachtrug, und von den gleichmütigen Soldaten, unter denen Valerius gesenkten Hauptes ging.

Der Mann, den man Partha Mac Othna nannte, zog seinen Mantel um die Schultern und betrachtete noch einen Augenblick lang grimmig das Kreuz mit seiner Last, das sich dunkel gegen den roten Himmel abzeichnete, an dem sich die Wolken der Nacht sammelten. Dann ging er, gefolgt von seinem schweigenden Diener.

*


IN EINEM ZIMMER IN Eboracum ging der Mann, der Partha Mac Othna genannt wurde, wie ein Tiger auf und ab.

„Grom“, wandte er sich an den mißgestalten Diener, „ich weiß wohl, warum du meine Knie so fest umklammertest und warum du die Hilfe der Mondfrau erbatest – du fürchtetest, ich würde meine Selbstbeherrschung verlieren und dem armen Unglücklichen beizustehen versuchen. Bei den Göttern, ich glaube, das war es, was der römische Hund wollte! Ich merkte, wie mich seine gepanzerten Soldaten scharf beobachteten, und sein Hohn war schwerer zu ertragen als gewöhnlich.

Götter, schwarz und weiß, des Dunkels und des Lichtes!“ Voll leidenschaftlichen Grimms ballte er die Fäuste über dem Kopf. „Daß ich dastehen und zusehen konnte, wie man einen Mann meines Volkes auf einem römischen Kreuz abschlachtete – ohne Gerechtigkeit und auf einen parteiischen Richtspruch hin! Ihr schwarzen Götter von R’lyeh, selbst euch würde ich anrufen, um Tod und Verderben über jene Schlächter zu bringen! Ich schwöre bei den Namenlosen, daß für diese Tat Männer sterben werden und daß Rom aufschreien wird wie eine Frau, die auf eine Natter tritt!“

„Er erkannte dich, Herr“, sagte Grom.

Der andere ließ den Kopf sinken und bedeckte schmerzerfüllt die Augen.

„Seine Augen werden mir im Augenblick des Todes erscheinen. Aye, er kannte mich, und fast bis zum Schluß las ich in seinen Augen die Hoffnung, ich würde ihm beistehen. Götter und Dämonen, soll Rom mein Volk unter meinen eigenen Augen abschlachten dürfen? Dann bin ich kein König, sondern ein Hund!“

„Nicht so laut, im Namen aller Götter!“ rief Grom erschreckt. „Ahnten die Römer, daß du Bran Mak Morn bist, dann würden sie dich ebenfalls ans Kreuz schlagen.“

„Sie werden es bald genug erfahren“, gab der König grimmig zurück. „Zu lange habe ich mich hier bereits aufgehalten und als Gesandter ausgegeben, um zu spionieren. Sie glaubten mit mir zu spielen, diese Römer, und verbargen ihre Geringschätzung und Verachtung hinter Spott. Rom ist großzügig den Gesandten der Barbaren gegenüber, man gibt uns prächtige Häuser zum Wohnen, versehen uns mit Sklaven, reizen unsere Begierden mit Weibern, Gold, Wein und Spielen – aber insgeheim lachen sie über uns. Ihre Großzügigkeit ist in Wirklichkeit eine Beleidigung, und manchmal – so wie heute – sprengt ihre Verachtung die Schale der Höflichkeit. Bah! Ich habe ihre verlockenden Köder durchschaut, unerschütterlich meine Beherrschung aufrechterhalten und ihre ausgesuchten Beleidigungen geschluckt. Aber das – bei allen Dämonen der Unterwelt –, das geht über menschliches Beherrschungsvermögen hinaus! Mein Volk sieht zu mir auf. Wenn ich es enttäusche, wenn ich auch nur einen, selbst den niedrigsten, im Stich lasse – an wen sollen sie sich wenden? Wer wird ihnen helfen? Bei den Göttern, ich werde den Hohn der römischen Hunde mit schwarzen Pfeilen und scharfem Eisen beantworten!“

„Und der Häuptling mit dem Federbusch?“ Grom meinte den Legaten, und seine gutturale Stimme war erfüllt von Blutgier. „Er stirbt?“ Er riß seine Klinge hervor.

Bran blickte finster drein. „Das ist leichter gesagt als getan. Er stirbt. Aber wie soll ich ihn erreichen? Bei Tag hat er seine Garde von Germanen um sich, und nachts wachen sie vor Tür und Fenster. Er besitzt viele Feinde, sowohl Römer wie auch Barbaren. So mancher Brite würde ihm freudig die Kehle durchschneiden.“

Grom packte Bran am Gewand und stammelte, als sein wilder Eifer die Bande der Sprache sprengte.

„Laß mich gehen, Herr! Mein Leben ist wertlos. Ich erschlage ihn inmitten seiner Krieger!“

Bran lächelte grimmig und hieb dem mißgestalten Riesen mit einer Wucht auf den Rücken, die einen schwächeren Mann niedergestreckt hätte.

„Nein, mein treuer Kämpe, ich brauche dich zu sehr! Du sollst dein Leben nicht umsonst wegwerfen. Sulla würde dir die Absicht an den Augen ablesen, und die Wurfspeere der Teutonen würden dich durchbohren, noch bevor du den Römer erreicht hättest. Wir werden ihn weder mit einem Dolch im Dunkeln, noch durch Gift im Becher oder den Pfeil aus dem Hinterhalt zur Strecke bringen.“

Der König wandte sich ab und nahm mit nachdenklich gesenktem Haupt die Wanderung im Zimmer wieder auf. Langsam verdunkelten sich seine Augen bei einem Gedanken von solcher Schrecklichkeit, daß er ihn dem wartenden Krieger nicht mitteilte.

„Während meines Aufenthalts in dieser verfluchten Wüste aus Schlamm und Marmor habe ich einiges über die Gewohnheiten der Römer herausgefunden“, sagte er. „Sollte es an der Mauer zu einem Aufruhr kommen, so ist es eigentlich Sullas Aufgabe als Legat dieser Provinz, mit seinen Zenturien dorthin zu eilen. Aber Sulla tut dies nicht. Er ist kein Feigling, aber selbst die Tapfersten vermeiden bestimmte Dinge. Jeder noch so mutige Mann hat irgendeine geheime Furcht vor etwas. Also schickt er Caius Camillus, der zu Zeiten des Friedens die Sümpfe des Westens bewacht, damit nicht die Briten die Grenze überschreiten. Und Sulla befindet sich an seiner Statt in Trajans Turm. Ha!“

Er wirbelte herum und packte Grom mit stählernen Fingern.

„Grom, nimm den roten Hengst und reite nach Norden! Jage wie der Wind zu Cormac na Connacht und sage ihm, er soll mit Feuer und Schwert ins Grenzland einfallen! Seine wilden Galen sollen alles mit Krieg überziehen. In einigen Tagen komme ich selbst. Bis dahin habe ich im Westen zu tun.“

Bran zog ein schweres Bronzesiegel unter seiner Tunika hervor.

„Das hier weist mich als Gesandten aus gegenüber den Römern“, sagte er grimmig. „Es wird dir alle Türen von hier bis Baaldor öffnen. Und falls dich jemand zu genau befragen sollte – hier!“

Bran hob den Deckel von einer eisenbeschlagenen Kiste, entnahm ihr einen schweren Lederbeutel und reichte ihn dem Krieger.

„Wenn bei einer Tür alle Schlüssel versagen sollten“, sagte er, „so versuche es mit einem goldenen Schlüssel. Geh jetzt!“

Zwischen dem Barbarenkönig und seinem barbarischen Vasallen fand keine feierliche Abschiedszeremonie statt. Grom hob grüßend den Arm, wandte sich um und eilte hinaus.

Bran trat an das vergitterte Fenster und starrte in die mondhellen Straßen.

„Warte, bis der Mond untergeht“, murmelte er grimmig. „Dann mache ich mich auf den Weg zur Hölle! Aber zuvor habe ich eine Schuld zu begleichen.“

Das leise Klirren eines Hufeisens gegen Marmorplatten drang an sein Ohr.

„Mit dem Geleitssiegel und Gold versehen, kann nicht einmal Rom einen Pikten von seinem Weg abbringen“, murmelte der König. „Und jetzt schlafe ich, bis der Mond untergegangen ist.“

Beim Anblick der marmornen Friese und der gerillten Säulen schnitt er eine Grimasse und ließ sich auf ein Lager fallen, von dem er bereits vor langem die Kissen und seidenen Decken entfernt hatte. Sein harter Körper bedurfte nicht so weicher Dinge. Trotz seines Hasses und Rachedurstes fiel er augenblicklich in Schlaf. Das erste, was ihn sein bitteres und rauhes Leben gelehrt hatte, war, bei jeglicher sich bietender Gelegenheit zu schlafen – wie ein Wolf, der auf der Jagd hin und wieder einige Minuten schläft. Im allgemeinen war sein Schlaf leicht und traumlos wie der eines Panthers, doch nicht so in dieser Nacht.

Er versank in den weichen, grauen Abgründen des Schlafes, und in einem zeitlosen, nebligen Schattenland begegnete er der hohen, schlanken, weißbärtigen Gestalt Gonars, des Mondpriesters und Ersten Beraters des Königs. Und Bran blieb wie angewurzelt stehen, denn Gonars Antlitz war weiß wie Schnee, und es schüttelte ihn wie im Fieber. Und mit Recht mochte Bran entsetzt sein, denn in all den vergangenen Jahren hatte er an Gonar dem Weisen nie ein Zeichen der Furcht gesehen.

„Was ist los, Gonar?“ fragte der König. „Ist alles beim Rechten in Baaldor?“

„In Baaldor ist alles in Ordnung, wo mein Körper im Schlaf liegt“, antwortete der alte Gonar. „Über den leeren Abgrund bin ich gekommen, um für deine Seele zu kämpfen. König, bist du des Wahnsinns? Ich habe die Gedanken in deinem Geist gelesen.“

„Gonar“, sprach Bran düster, „heute habe ich tatenlos zugesehen, wie ein Mann meines Volkes an einem römischen Kreuz starb. Seinen Namen und Stand kenne ich nicht. Es ist mir auch gleich. Vielleicht war er ein unbekannter, treuer Krieger, vielleicht aber auch ein Geächteter. Ich weiß nur, daß er mein Mann war. Die ersten Gerüche, die er kannte, waren die Gerüche der Heide; das erste Licht, das er sah, war der Sonnenaufgang über den piktischen Hügeln. Er gehörte mir und nicht Rom. Hatte er Strafe verdient, so hätte niemand anderer als ich sie vollziehen dürfen. Sollte er vor Gericht gestellt werden, so hätte niemand anderer als ich sein Richter sein dürfen. Das gleiche Blut floß in unseren Adern, dasselbe Feuer brannte in unseren Seelen, in der Kindheit lauschten wir denselben alten Legenden, und in der Jugend sangen wir dieselben alten Gesänge. Er war in meinem Herzen so wie jeder andere Mann, jedes Weib und jedes Kind im Land der Pikten. Es war meine Pflicht, ihn zu beschützen!. Und jetzt ist es meine Pflicht, ihn zu rächen.“

„Aber im Namen der Götter, Bran“, rief der Zauberer, „räche dich auf andere Weise! Kehre in die Heide zurück, sammle deine Krieger, schließe dich Cormac und seinen Galen an und verwandle das Land um die große Mauer in ein Meer von Blut und Feuer!“

„All das werde ich tun“, gab Bran grimmig zurück. „Aber jetzt – jetzt – werde ich Rache nehmen, wie es sich ein Römer nicht zu erträumen vermag! Ha! Was wissen sie von den Geheimnissen dieser uralten Insel, auf der es bereits Leben gab, bevor Rom sich aus den Sümpfen des Tibers erhob?“

„Bran, es gibt Waffen, die sind zu widerwärtig, um selbst gegen Rom angewendet zu werden!“

Bran lachte kurz.

„Ha! Es gibt keine Waffen, die ich nicht gegen Rom einsetzte! Ich befinde mich mit dem Rücken an der Wand. Beim Blut der Dämonen! Hat Rom fair gegen mich gekämpft? Bah! Ich bin ein Barbarenkönig mit einem Wolfsfell als Mantel und einer Eisenkrone, der mit einer Handvoll Bogen und Speeren gegen die Königin der Welt streitet. Was habe ich? Die hügelige Heide, die Lehmhütten, die Speere meiner wirrköpfigen Stammesleute! Und ich kämpfe gegen Rom mit ihren gepanzerten Legionen, ihren weiten, fruchtbaren Ebenen und reichen Meeren, ihren Bergen und Flüssen und glänzenden Städten, gegen ihren Reichtum, ihren Stahl, ihr Gold, ihre Überlegenheit und ihren Zorn. Mit Stahl und Feuer werde ich Rom bekämpfen, mit Tücke und Verrat, mit dem Dorn unter dem Fuß, mit der Natter auf dem Pfad, mit dem Gift im Becher, mit dem Dolch in der Dunkelheit; aye“, und seine Stimme wurde düster, „und mit den Würmern der Erde!“

„Aber das ist Wahnsinn!“ rief Gonar. „Du wirst bei deinem geplanten Vorhaben untergehen – du wirst in die Hölle hinabsteigen und daraus nicht wieder zurückkehren! Was wird dann aus deinem Volk?“

„Wenn ich ihnen nicht zu dienen vermag, dann ist es besser, ich sterbe“, grollte der König.

„Aber du kannst die Geschöpfe, die du suchst, nicht erreichen“, rief Gonar. „Ungezählte Jahrhunderte lang haben sie für sich gelebt. Es gibt keine Tür, durch die du zu ihnen gelangen kannst. Vor langer Zeit haben sie die Bande durchtrennt, die sie mit unserer Welt verbanden.“

„Vor langer Zeit“, wandte Bran düster ein, „hast du mir erzählt, daß sich nichts im Universum vom Strom des Lebens zu trennen vermag. Die Wahrheit dieser Worte habe ich oft bestätigt gefunden. Jede Rasse, jede Lebensform ist auf irgendeine besondere Weise eng mit dem übrigen Leben und der Welt verbunden. Irgendwo muß es eine Verbindung geben zwischen unserer Welt und jenen, die ich suche. Irgendwo gibt es eine Tür. Und irgendwo in den öden Sümpfen des Westens werde ich sie finden.“

Entsetzen trat in Gonars Augen, und er rief: „Weh, weh! Weh der Piktenheit! Weh dem ungeborenen Königreich! Weh den Söhnen der Menschen!“

Bran erwachte in dem schattenerfüllten Raum. Das Licht der Sterne lag auf dem Fenstergitter, und der Mond war hinter den Häusern verschwunden, obwohl sein Schein noch über den Dächern lag. Ein Schauder überlief ihn bei der Erinnerung an seinen Traum, und er fluchte leise.

Er erhob sich, legte Umhang und Mantel ab, bekleidete sich mit einem leichten, schwarzen Kettenhemd und gürtete sich mit Schwert und Dolch. Der eisenbeschlagenen Kiste entnahm er mehrere Beutel und leerte deren klingenden Inhalt in die Ledertasche an seinem Gürtel. Dann schlang er den weiten Umhang um sich und verließ leise das Haus. Es gab keine Diener, die ihn hätten beobachten können. Unwirsch hatte er alle Sklaven abgelehnt, mit der Rom die barbarischen Gesandten zu versehen pflegte. Der mißgestalte Grom hatte nach Brans wenigen Bedürfnissen gesehen.

Im Hof befanden sich die Türen zu den Ställen. Bran tastete einen Augenblick lang im Dunkeln umher und legte dann dem kräftigen Hengst die Hand über die Nüstern, um das Wiehern des Erkennens zu unterdrücken. Ohne ein Licht zu entzünden, zäumte und sattelte er rasch das mächtige Tier und führte es durch den Hof in eine dunkle Seitengasse. Der Mond war im Untergehen begriffen, und die Westmauer warf einen breiten Schatten. Stille lag über den Marmorpalästen und Erdhütten von Eboracum, und darüber glitzerten kalt die Sterne.

Bran griff an den Gürtel mit der Ledertasche, die mit Goldmünzen gefüllt war. Er war als Gesandter der Pikten nach Eboracum gekommen, um zu spionieren. Doch Barbar, der er war, vermochte er seine Rolle nicht mit der passenden Würde zu spielen. Er hatte undeutliche Erinnerungen an wilde Gelage, wo der Wein in Strömen floß, an vollbusige römische Frauen, die, der kultivierten Liebhaber überdrüssig, dem männlichen Barbaren mehr als nur ihre Zuneigung geschenkt hatten. Er erinnerte sich an Gladiatorenspiele und an andere Spiele, bei denen die Würfel klapperten und hohe Stapel von Goldmünzen den Besitzer wechselten. Nach Barbarenart hatte er viel getrunken und verwegen gewettet und erstaunliches Glück gehabt, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen war, daß er mit derselben Gleichmut gewann wie verlor. Für den Pikten bedeutete Gold nicht mehr als Staub, der durch die Finger rinnt. In seinem Land hatte er keine Verwendung dafür, wußte jedoch seine Macht innerhalb der Grenzen der Zivilisation zu schätzen.

Fast gänzlich im Schatten der Nordwestmauer erhob sich vor ihm der hohe Wachturm, der mit der Außenmauer in Verbindung stand. Die Ecke, die am weitesten von der Mauer entfernt war, diente als Gefängnis. Bran ließ sein Pferd in einer dunklen Seitengasse und schlich in die Schatten der Festung.

Der junge Valerius erwachte aus einem leichten, unruhigen Schlummer durch ein Geräusch am vergitterten Fenster. Er richtete sich auf und fluchte leise, als der Schatten des Gitters auf dem nackten Steinboden ihn an seine Schmach erinnerte. Nun, in ein paar Tagen würde er wohl wieder in Freiheit sein. Sulla konnte einem Mann mit seinen Verbindungen gegenüber nicht zu streng sein. Und dann wollte er den Mann oder die Frau sehen, der ihn zu verspotten wagte! Der Pikte möge verdammt sein! Doch dann erinnerte er sich plötzlich wieder des Geräusches, das ihn geweckt hatte.

„Pssst!“ erklang es vom Fenster her.

Weshalb die Heimlichtuerei? Es konnte sich kaum um einen Feind handeln – und doch: Warum sollte es ein Freund sein? Valerius erhob sich, durchquerte die Zelle und trat ans Fenster. Im Ungewissen Licht der Sterne vermochte er nur eine schattenhafte Gestalt dicht am Fenster auszunehmen.

„Wer bist du?“ Er lehnte sich ans Gitter und versuchte mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen.

Die Antwort war ein wölfisches Auflachen, das Aufblitzen einer Klinge im Sternenlicht. Valerius taumelte vom Fenster zurück, griff sich an die Kehle und stürzte zu Boden. Blut rann zwischen seinen Fingern und bildete um seinen Körper eine Lache, die das schwache Licht der Sterne trübe-rötlich widerspiegelte.

Draußen glitt Bran wie ein Schatten davon, ohne einen Blick in die Zelle zu werfen. In wenigen Augenblicken würde die Wache auf ihrem Rundgang um die Ecke kommen. Er vernahm bereits den Gleichschritt ihrer eisenbeschuhten Füße. Noch ehe sie in Sicht kamen, war er verschwunden, und die Soldaten schritten am Zellenfenster vorüber, ohne etwas von der Leiche zu ahnen, die drinnen auf dem Boden lag.

Bran ritt auf das kleine Tor in der Westmauer zu, ohne von der schläfrigen Wache angehalten zu werden. In Eboracum brauchte man keinen feindlichen Überfall zu befürchten, und außerdem sorgten gutorganisierte Diebe und Mädchenhändler dafür, daß es sich für die Wache bezahlt machte, ihre Pflicht nicht allzu genau zu nehmen. Der einzelne Soldat am Westtor – seine Kameraden lagen betrunken in einem nahegelegenen Freudenhaus – hob jedoch seinen Speer und rief Bran zu, anzuhalten und sich erkennen zu geben. Schweigend ritt der Pikte näher. Eingehüllt in seinen dunklen Umhang, erschien er dem Soldaten nur undeutlich. Da streckte Bran seinen Arm vor, und der Soldat sah den Glanz von Gold im Licht der Sterne, während er in der anderen Hand des Reiters eine Klinge blitzen sah. Der Römer verstand und zögerte nicht in seiner Wahl zwischen der goldenen Bestechung und einem Kampf auf Leben und Tod mit dem unbekannten Reiter, bei dem es sich offenbar um einen Barbaren handelte. Brummend senkte er den Speer und öffnete das Tor. Bran ritt hindurch und warf dem Soldaten eine Handvoll Münzen zu. In einem goldenen Strom fielen sie zu Boden und klirrten auf den Steinplatten. Der Römer bückte sich gierig danach, und Bran Mak Morn jagte westwärts in die Nacht.

*


IN DIE DÜSTEREN SÜMPFE des Westens kam Bran Mak Morn. Ein kalter Wind blies über die Einöde, und über den grauen Himmel flogen einige Reiher. Das hohe Schilf und das Sumpfgras bog sich wellenförmig im Wind, und einige stille Weiher spiegelten das trübe Licht des Himmels wider. Da und dort erhoben sich sonderbar regelmäßige Hügel aus der Landschaft, und am Horizont erkannte Bran eine Linie von Monolithen. Wer mochte die Menhire einst errichtet haben?

Eine schmale, blaue Linie im Westen stellte die Hügel dar, die jenseits des Horizonts zu den zerklüfteten Bergen von Wales anwuchsen, in denen immer noch wilde keltische Stämme hausten, grimmige, blauäugige Männer, die nicht unter dem Joch Roms stöhnten. Eine Linie von gut besetzten Wachtürmen hielt sie hinter ihren Grenzen. Jenseits der Moore gewahrte Bran die uneinnehmbare Festung, die Trajans Turm genannt wurde.

Doch selbst diese trostlose Einöde entbehrte nicht ganz menschlichen Lebens. Bran begegnete den wortkargen Männern der Sümpfe. Sie hatten dunkle Augen und dunkles Haar und sprachen eine Mischsprache, aus deren Elementen man kaum die ursprünglichen Quellen zu erahnen vermochte. Bran bemerkte in ihnen eine gewisse Verwandtschaft mit sich selbst, blickte jedoch mit der Verachtung des Patriziers dem Mischling gegenüber auf sie herab.

Zwar waren auch die gewöhnlichen Einwohner von Kaledonien keineswegs reinblütig; ihre gedrungenen Körper und kräftigen Gliedmaßen hatten sie von einer primitiven germanischen Rasse erhalten, die schon vor der endgültigen Eroberung Britanniens durch die Kelten in den nördlichsten Teil der Insel eingewandert und von den Pikten absorbiert worden war. Aber die Häuptlinge von Brans Volk hatten von alters her ihr Blut von fremden Einflüssen freigehalten, und er selbst war ein reinrassiger Pikte der Alten Rasse. Diese Sumpfleute jedoch waren der Reihe nach von britischen, gälischen und römischen Eroberern überrannt worden, hatten von allen Erbanlagen aufgenommen und im Laufe der Zeit fast ihre ursprüngliche Sprache und Abstammung vergessen.

Bran entstammte einer sehr alten Rasse, die vor der Ankunft der Arier in Westeuropa ein riesiges Imperium errichtet hatte, als die Vorfahren der Kelten, der Hellenen und Germanen noch ein einziges Volk bildeten, ehe sie Stämme bildeten und langsam in den Westen vordrangen.

Nur in Kaledonien hatte die Alte Rasse vermocht, der Flut der arischen Eroberer standzuhalten. Bran hatte von einem piktischen Volk gehört, das sich Basken nannte und in den Tälern der Pyrenäen hauste. Sie behaupteten, nie erobert worden zu sein, aber Bran wußte, daß sie jahrhundertelang den Vorfahren der Galen Tribut zahlten, bevor diese keltischen Eroberer ihr Bergland verlassen und nach Irland gesegelt waren. Nur die Pikten in Kaledonien hatten sich ihre Unabhängigkeit bewahrt, auch wenn sie in kleine, einander bekämpfende Stämme gespalten waren. Bran war der erste anerkannte König seit fünfhundert Jahren, der Begründer eines neuen Herrscherhauses – nein, eigentlich ließ er eine alte Dynastie unter neuem Namen wieder aufleben. Vor der Nase Roms träumte er von einem Imperium.

Er durchstreifte das Marschland und suchte nach einem Tor. Den dunkeläugiger) Sumpfleuten verriet er nichts von seinen Absichten. Sie berichteten von Neuigkeiten, die von Mund zu Mund gingen: von einem Krieg im Norden, vom Schrillen der Kriegspfeifen vor der gewundenen Mauer, von Versammlungsfeuern in der Heide, von Brand, Rauch und Plünderei, vom Wüten gälischer Schwerter. Die Adler der Legionen zogen nordwärts, und die uralte Straße bebte unter den eisernen Füßen. Und Bran, in den Marschen des Westens, lachte und war es zufrieden.

In Eboracum befahl Titus Sulla, nach dem piktischen Gesandten zu suchen, der seit der gleichen Nacht verschwunden war, als man Valerius mit durchschnittener Kehle in seiner Zelle fand. Sulla ahnte, daß das plötzliche Aufflackern des Krieges am Grenzwall im Zusammenhang mit der Hinrichtung eines verurteilten piktischen Verbrechers stand, und er mobilisierte sein Netz von Spionen, obwohl er davon überzeugt war, daß Partha Mac Othna sich zu dieser Zeit bereits weit außerhalb seiner Reichweite befand. Er bereitete sich auf seine Abreise aus Eboracum vor, schloß sich jedoch nicht dem Heer von Legionären an, das er nach Norden schickte. Sulla war ein tapferer Mann, aber jeder Mann hat seinen eigenen Schrecken, und Sullas Schrecken war Cormac nach Connacht, der schwarzhaarige Gälenprinz, der geschworen hatte, dem Legaten das Herz aus dem Leibe zu schneiden. Und daher ritt Sulla mit seiner Leibgarde nach Westen, wo Trajans Turm stand, dessen kriegerischer Kommandant. Caius Camillus, nichts lieber tat, als den Platz des Legaten einzunehmen, wenn die Wogen des Krieges gegen die Mauern des Walles anbrandeten. Es entsprach nicht den Vorschriften, aber Rom war weit, und Titus hatte die höchste Macht in Britannien inne.

Und Bran, der all dies wußte, erwartete in einer verlassenen Hütte geduldig seinen verhaßten Feind.

Eines grauen Abends ging er zu Fuß über die Moore. Schwarz zeichnete sich seine Gestalt gegen das rote Feuer des Sonnenuntergangs ab. Er spürte das unglaubliche Alter des schlafenden Landes, und er kam sich wie der letzte Mensch auf Erden vor. Doch endlich stieß er auf ein Zeichen menschlichen Lebens – eine schmutzige Hütte aus Erde und Lehm am Schilfufer eines Sumpfes.

Von der offenen Tür her grüßte ihn eine Frau, und Bran zog mißtrauisch die Augenbrauen zusammen. Die Frau war nicht alt, und doch fand sich das verbotene Wissen von Äonen in ihren Augen. Ihre dürftige Kleidung war zerlumpt, und ihre schwarzen Locken waren verfilzt und wirr, was ihr den Anschein von Wildheit verlieh, der gut zu der abstoßenden Umgebung paßte. Ihre roten Lippen lachten, doch lag keine Fröhlichkeit in ihrem Gelächter, sondern eine Andeutung von Spott. Zwischen den Lippen sah man scharfe, gespitzte Zähne, wie Raubtierfänge.

„Tretet ein, Herr“, forderte sie ihn auf, „wenn Ihr Euch nicht fürchtet, mit der Hexe von Dagon-Moor unter einem Dach zu weilen!“

Bran trat schweigend ein und setzte sich auf eine schäbige Bank, während sich die Frau mit einem spärlichen Mahl beschäftigte, das über einem offenen Feuer auf dem Erdboden kochte. Er betrachtete ihre fast gespitzten Ohren, die gelben, eigenartig schräg stehenden Augen und ihre geschmeidigen, fast schlangengleichen Bewegungen.

„Was sucht Ihr in den Sümpfen, mein Lord?“ fragte sie und wandte sich mit einer geschmeidigen Wendung ihres ganzen Körpers ihm zu.

„Ich suche ein Tor“, antwortete er, während er sein Kinn auf die Faust stützte. „Ich habe den Würmern der Erde ein Lied zu singen!“

Sie fuhr zusammen und ließ einen Krug fallen, der auf der Erde zerschellte.

„Das war schlecht gesprochen, selbst wenn es nicht so gemeint war“, stammelte sie.

„Es war wohl so gemeint, und ich spreche im Ernst“, erklärte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du weißt es wohl“, gab er zurück. „Aye, wohl weißt du es! Meine Rasse ist sehr alt. Sie herrschte in Britannien, noch ehe die Nationen der Kelten und Hellenen aus dem Völkerschoß geboren wurden. Aber mein Volk war nicht das erste in Britannien. Bei den Flecken deiner Haut, bei der Schräge deiner Augen, bei dem Fremden in deinem Blut – ich bin mir voll der Bedeutung meiner Worte bewußt.“

Sie schwieg eine Weile. Ihre Lippen lächelten, aber ihr Gesicht war unbeweglich.

„Mann, bist du verrückt?“ fragte sie. „Du suchst in deinem Wahnsinn nach etwas, wovor in alten Zeiten furchtlose Männer schreiend geflohen sind?“

„Ich suche eine Rache“, antwortete er, „die mir nur Sie verschaffen können, die ich suche.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Du hast dem Gesang eines Vogels gelauscht; du hast leere Träume geträumt.“

„Ich habe eine Viper zischen gehört“, grollte er. „Und ich träume nicht. Genug der ausweichenden Worte! Ich habe eine Verbindung zwischen zwei Welten gesucht –ich habe sie gefunden.“

„Ich brauche dich nicht länger zu belügen, Mann des Nordens“, sagte die Frau. „Diejenigen, die du suchst, leben immer noch unter den schlafenden Hügeln. Sie haben sich weiter und weiter von der Welt entfernt, die du kennst.“

„Aber sie kommen immer noch nächtens hervor und nähern sich Weibern, die sich im Moor verirrt haben“, stellte er fest, und sein Blick ruhte auf ihren schrägstehenden Augen. Sie lachte böse.

„Was willst du von mir?“

„Daß du mich zu Ihnen bringst.“

Sie warf den Kopf zurück und lachte verächtlich. Er packte sie mit der Linken am Gewand über der Brust, und seine Rechte schloß sich um den Griff seines Schwertes. Sie lachte ihm ins Gesicht.

„Stich zu und sei verdammt, Wolf des Nordens! Glaubst du, mein Leben ist mir so teuer, daß ich mich daran klammere wie ein Säugling an die Brust?“

Er ließ die Hand fallen.

„Du hast recht. Drohungen sind töricht. Ich werde deine Hilfe erkaufen.“

„Und wie?“ Spott schwang in ihrer lachenden Stimme.

Bran öffnete seine Tasche und schüttelte einen Strom von Gold in seine Hand.

„Mehr Reichtum, als die Sumpfleute jemals erträumten.“

Wieder lachte sie. „Was bedeutet mir das rote Metall? Spare es dir für eine weißbrüstige Römerin.“

„Nenne mir einen Preis!“ drängte er. „Den Kopf eines Feindes ...“

„Beim Blut in meinen Adern mit seinem uralten Erbe des Hasses! Wer ist denn mein Feind, wenn nicht du?“ Sie lachte und sprang wie eine Katze. Doch ihr Dolch zersplitterte an der Rüstung unter seinem Umhang, und er schleuderte sie mit einer verächtlichen Bewegung seiner Hand von sich, so daß sie auf ihr grasbestreutes Lager fiel. Sie lachte zu ihm empor.

„Ich werde dir meinen Preis nennen, mein Wolf, und es werden Tage kommen, an denen du die Rüstung verfluchen wirst, die Atlas Dolch brach!“ Sie erhob sich, trat dicht an ihn heran, und ihre langen Finger krallten sich in seinen Umhang. „Ich werde ihn dir nennen, Schwarzer Bran, König von Kaledonien! Oh, ich erkannte dich, als du in meine Hütte kamst mit deinem schwarzen Haar und kalten Augen! Ich werde dich zu den Toren der Hölle führen, wenn du es wünschst; und der Preis sollen die Küsse eines Königs sein!

Ich lebe ein verlorenes und bitteres Leben, da mich die sterblichen Männer verabscheuen und fürchten.

Nie habe ich die Liebe eines Mannes gekannt, nie den Druck eines starken Armes gespürt, nie das Brennen menschlicher Küsse – ich, Atla, die Werfrau vom Moor! Was habe ich schon gekannt außer dem einsamen Wind der Sümpfe, dem düsteren Feuer kalter Sonnenuntergänge, dem Wispern des Schilfes? Ja, die Gesichter, die durch die Wasser der Weiher zu mir emporstarren, schleichende Schritte in der Nacht von Dingen mit roten Augen, das grausige Murmeln namenloser Geschöpfe!

Ich bin zumindest zur Hälfte menschlich! Habe ich nicht Sorge und verzehrende Sehnsucht verspürt und den dumpfen Schmerz der Einsamkeit? Gib mir, König, gib mir deine wilden Küsse und die schmerzlichen Umarmungen des Barbaren. Dann brauche ich in den langen, öden Jahren, die kommen werden, mich nicht zu verzehren vor Neid auf die weißbrüstigen Weiber der Menschen. Denn ich besitze eine Erinnerung, deren sich wenige rühmen können: die Küsse eines Königs! Eine Liebesnacht, o König, und ich führe dich zu den Pforten der Hölle!“

Bran betrachtete sie düster. Dann packte er sie am Arm. Bei der Berührung ihrer glatten Haut überlief ihn unwillkürlich ein Schauder. Er nickte langsam, zog sie näher an sich heran und zwang sich dazu, den Kopf zu senken, um ihren wartenden Lippen zu begegnen.

*


DIE GRAUEN NEBEL DES Morgens umhüllten König Bran wie ein klammer Mantel. Er wandte sich der Frau zu, deren schräge Augen im grauen Dunst leuchteten.

„Und nun erfülle deinen Teil des Abkommens“, sagte er rauh. „Ich habe eine Verbindung zwischen den Welten gesucht und sie in dir gefunden. Ich suche das eine Ding, das Ihnen heilig ist. Es soll der Schlüssel sein, der mir die unsichtbare Tür zwischen Ihnen und mir öffnet. Sage mir, wie ich es finde.“

„Das will ich tun.“ Die roten Lippen lächelten verzerrt. „Geh zu dem Hügel, den die Menschen Dagons Barrow nennen. Zieh den Stein beiseite, der den Eingang versperrt und geh in die Kuppel im Hügel. Der Boden der Kammer besteht aus sieben großen Steinen. Sechs sind um den siebenten geordnet. Hebe den mittleren Stein heraus, und du wirst weitersehen!“

„Werde ich den Schwarzen Stein finden?“ fragte er.

„Dagons Barrow ist das Tor zum Schwarzen Stein“, antwortete sie, „wenn du wagst, dem Weg zu folgen.“

„Wird das Symbol gut bewacht sein?“ Unbewußt lockerte er das Schwert in der Scheide.

Die roten Lippen kräuselten sich spöttisch. „Wenn dir etwas auf dem Weg begegnet, wirst du sterben, wie seit langen Jahrhunderten kein Mann gestorben ist. Der Stein ist nicht bewacht, so wie Menschen ihre Schätze bewachen. Warum sollten Sie bewachen, was nie ein Mensch gesucht hat? Vielleicht sind Sie in der Nähe, vielleicht nicht. Das ist ein Risiko, das du eingehen mußt, um den Stein in deinen Besitz zu bringen. Nimm dich in acht, König der Pikten! Denk daran, daß es dein Volk war, das vor langer Zeit den Faden abschnitt, der Sie mit einem menschlichen Leben verband. Damals waren sie fast menschlich; sie lebten im ganzen Land und kannten das Licht der Sonne. Jetzt haben sie sich entfernt. Sie kennen nicht das Licht der Sonne und scheuen das des Mondes. Sie hassen sogar das Sternenlicht. Stark haben sie sich verändert, sie, die einst vielleicht Menschen geworden, wären nicht die Speere deiner Vorfahren gewesen.“

Der Himmel war mit einem nebligen Grau überzogen, durch das die Sonne fahlgelb schien, als Bran Dragons Barrow erreichte, einen runden Hügel, der üppig mit einem Gras schwammartigen Aussehens überwuchert war. An der Ostseite des Hügels befand sich der Eingang eines grob gebauten Steintunnels, der offenbar in das Innere führte. Er war mit einem großen Stein verschlossen. Bran packte ihn an den scharfen Kanten und setzte alle seine Kräfte ein, doch der Fels saß fest. Er zog sein Schwert und schob es zwischen den Block und den Tunnel. Er benutzte es vorsichtig als Hebel, und es gelang ihm, den Felsen zu lockern und herauszuziehen. Gestank strömte ihm entgegen, und das trübe Licht der Sonne schien die höhlengleiche Öffnung kaum zu erleuchten.

Mit dem Schwert in der Faust tastete sich Bran in dem Gang vor, der, aus schweren Steinen errichtet, lang und schmal und zu niedrig für ihn war, als daß er hätte aufrecht stehen können. Seine Augen gewöhnten sich an das Halbdunkel, und er gelangte in eine runde, niedrige Kammer, deren Decke eine Kuppel bildete. Hier hatten zweifellos in alten Zeiten die Gebeine desjenigen geruht, für den die Steine des Grabmals errichtet worden waren, über die man dann Erde gehäuft hatte. Nun fand sich nicht eine Spur dieser Gebeine auf dem Boden. Als sich Bran hinabbeugte und genauer hinsah, bemerkte er regelmäßige Linien darauf: sechs sauber geschnittene Platten, um einen siebenten, sechsseitigen Stein angeordnet.

Er stieß die Schwertspitze in einen Spalt und bewegte sie Vorsichtig. Die Kante des Mittelsteins hob sich ein wenig. Mit etwas Anstrengung gelang es ihm, ihn herauszuheben, und er lehnte ihn gegen die Wand. Er spähte in das Loch, sah aber nur die gähnende Schwärze eines dunklen Schachts, in den kleine, ausgetretene Stufen hinabführten. Er zögerte nicht. Er schwang sich hinab und fühlte förmlich, wie ihn die Dunkelheit verschluckte.

Als er sich hinabtastete, rutschte er aus und stolperte auf den Stufen, die für menschliche Füße viel zu klein waren. Er stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und erlangte wieder das Gleichgewicht. Mit Schrecken dachte er an einen Fall in unbekannte, unerleuchtete Tiefen. Die Stufen waren in soliden Fels gehauen, jedoch sehr abgenutzt. Je tiefer er gelangte, desto schlechter wurden die Stufen. Plötzlich änderte der Schacht die Richtung. Zwar führte er immer noch hinunter, jedoch in einem solchen flachen Winkel, daß er mit gegen die Wände gestützten Ellbogen und gesenktem Kopf gehen konnte. Die Stufen hatten überhaupt aufgehört, und der Stein fühlte sich schleimig an wie das Lager einer Schlange. Bran fragte sich, was für Geschöpfe wie viele Jahrhunderte hindurch den Gang benutzt haben mochten.

Der Tunnel verengte sich, bis Bran Schwierigkeiten bekam, sich durchzuzwängen. Er legte sich auf den Rücken und schob sich, mit den Füßen voran, weiter. Tiefer und tiefer sank er in die Eingeweide der Erde und wagte nicht daran zu denken, wie weit die Oberfläche entfernt war. Da bemerkte er weit vor sich einen gespenstischen Lichtschimmer. Er grinste grimmig. Wenn Sie ihn plötzlich überraschen sollten – wie konnte er sich da zur Wehr setzen? Aber er hatte jegliche persönliche Furcht hinter sich gelassen, als er seine Suche begann. Er kroch weiter und dachte an nichts anderes als an sein Ziel.

Da gelangte er endlich in einen riesigen Raum, in dem er sich aufzurichten vermochte. Das Dach der Höhle konnte er nicht ausmachen, aber er gewann den Eindruck ungeheurer Größe. Die Dunkelheit drückte von allen Seiten gegen ihn, und hinter sich erkannte er den Eingang zum Schacht, aus dem er soeben gekrochen war – ein schwarzer Fleck in der Dunkelheit. Aber vor ihm gloste ein gespenstischer Schein um einen grausigen Altar, der aus menschlichen Schädeln errichtet war. Die Quelle des Lichtes vermochte er nicht auszumachen, aber auf dem Altar lag ein matter, nachtschwarzer Gegenstand – der Schwarze Stein!

Bran verlor keine Zeit. Er packte den Stein, klemmte ihn unter den linken Arm und kroch in den Schacht. Wenn man einer Gefahr den Rücken kehrt, wirkt ihre beklemmende Drohung viel stärker, als wenn man darauf zugeht. So fühlte auch Bran, als er sich mit seiner Beute durch den Tunnel schob, wie die Dunkelheit hinter ihm her kroch. Kalter Schweiß bedeckte seinen Körper, und er beeilte sich, sosehr er es vermochte. Angestrengt lauschte er nach irgendwelchen Geräuschen, die ihm verrieten, daß ihm Verfolger auf den Fersen waren. Immer wieder schüttelte es ihn, und die Haut am Hinterkopf prickelte, als bliese ein kalter Wind darüber.

Als er die ersten winzigen Stufen erreichte, hatte er das Gefühl, an den Grenzen der Welt der Sterblichen angelangt zu sein. Stolpernd und rutschend eilte er sie hinan, bis er mit einem Seufzer der Erleichterung die Grabkammer betrat, deren geisterhaftes Halbdunkel im Vergleich zu den höllischen Tiefen, in denen er sich befunden hatte, wie der grelle Schein des Mittags wirkte. Er legte den Mittelstein an seinen Platz zurück und gelangte durch den Tunnel an das Licht des Tages. Niemals war ihm das Licht der Sonne willkommener gewesen als jetzt. Er wälzte den Felsblock an seinen Platz zurück, hob den Umhang auf, den er am Eingang in den Hügel zurückgelassen hatte, wickelte den Schwarzen Stein hinein und eilte davon. Ekel und Abscheu erschütterten seine Seele und verliehen seinen Schritten Flügel.

Graue Stille brütete über dem Land. Es war so öde wie die Landschaft des Mondes, und doch spürte Bran unter seinen Füßen in der braunen Erde sich regendes Leben – zwar noch schlafend, aber bald erwachend. Und auf welche schreckliche Weise?

Durch dichtes, hohes Schilf gelangte er an einen stillen, tiefen See, der Dagon-See genannt wurde. Nicht die kleinste Welle kräuselte die Oberfläche des kalten, blauen Wassers und zeugte von der Existenz des schrecklichen Ungeheuers, das der Legende nach darin hausen sollte. Bran spähte aufmerksam um sich. Er sah kein Anzeichen von Leben – weder von menschlichem noch von unmenschlichem. Er horchte auf die Instinkte seiner wilden Seele, die ihm verraten sollten, falls unsichtbare Augen ihren Blick auf ihn gerichtet hatten, aber erhielt keine Antwort. Er war so allein, als wäre er der letzte Mensch auf Erden.

Rasch wickelte er den Schwarzen Stein aus, und als er ihn in der Hand hielt, trachtete er weder danach, das Geheimnis des Materials zu ergründen, noch die seltsamen Schriftzeichen darauf zu studieren. Er wog ihn prüfend in den Händen, schätzte die Entfernung ab und schleuderte ihn weit hinaus, so daß er fast in der Mitte des Sees landete. Ein Aufspritzen, und dann schlossen sich die Wasser darüber. Einige Augenblicke lang blitzte es wellenförmig auf der Oberfläche auf, dann lag sie wieder still und unberührt da.

*


DIE WER-FRAU FUHR HERUM, als Bran sich ihrer Tür näherte. Ihre schräggestellten Augen weiteten sich.

„Du! Und am Leben! Und bei klarem Verstand!“

„Ich war in der Hölle, und ich bin zurückgekehrt“, grollte er. „Und was wichtiger ist – ich habe das, wonach ich gesucht.“

„Den Schwarzen Stein?“ rief sie. „Du hast wirklich gewagt, ihn zu stehlen? Wo ist er?“

„Das spielt keine Rolle. Aber in der vergangenen Nacht schrie mein Hengst im Stall, und ich hörte etwas unter seinen schlagenden Hufen knirschen, und es war nicht die Wand des Stalles. Und als ich nachsah, fand ich Blut an seinen Hufen und am Boden. Und ich habe verstohlene Schritte in der Nacht gehört und Geräusche unter dem Erdboden der Hütte, als grüben Würmer tief in der Erde. Sie wissen, daß ich den Stein gestohlen habe. Hast du mich verraten?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich habe dein Geheimnis bewahrt. Sie bedürfen nicht meines Wortes, um dich zu kennen. Je weiter sie sich von der Welt der Menschen entfernt haben, desto größer sind ihre Kräfte auf anderen, unheimlichen Gebieten geworden. Eines Morgens wird deine Hütte leerstehen, und falls es jemand wagen sollte, nachzusehen, wird er nichts finden außer Erdklumpen auf dem Boden.“

Bran lächelte grimmig.

„Ich habe nicht geplant und geschuftet, um jetzt den Klauen des Ungeziefers zum Opfer zu fallen. Sollten Sie mich des Nachts töten, so werden Sie nie erfahren, was aus ihrem Idol – oder was immer es sein mag – geworden ist. Ich möchte mit Ihnen sprechen.“

„Wagst du es, mir zu folgen und ihnen in der Nacht gegenüberzutreten?“ fragte sie.

„Beim Donner der Götter!“ knurrte er. „Wer bist du, mich zu fragen, was ich wage? Führe mich zu Ihnen und laß mich heute nacht mit Ihnen über meine Rache verhandeln. Die Stunde der Vergeltung nähert sich. Ich sah heute silbrige Helme und glänzende Schilde jenseits der Sümpfe blitzen. Der neue Kommandant ist am Turm eingetroffen, und Caius Camillus befindet sich auf dem Marsch zum Limes.“

In jener Nacht ging der König mit der Wer-Frau über die düstere Einöde der Moore. Die Nacht war dicht und reglos. Die Sterne blinkten undeutlich, rote Punkte nur, die kaum die unbewegte Dunkelheit durchdrangen. Ihr Glanz war schwächer als das Glitzern in den Augen der Frau, die neben dem König einherglitt. Sonderbare Gedanken überfluteten Bran – undeutliche, ursprüngliche Gedanken. Heute nacht rührten sich uralte Erinnerungen an diese schlummernden Sümpfe in seiner Seele und beschworen die Träume verschleierter Äonen herauf. Das ungeheure Alter seiner Rasse lastete auf ihm. Wo er nun einherging, hatten dunkeläugige Könige in den frühen Zeiten geherrscht, deren Aussehen er geerbt hatte. Verglichen mit seinem Volk, waren die keltischen und römischen Eroberer Fremde auf dieser uralten Insel. Dabei war sein Volk ebenfalls als Eroberer gekommen, war auf eine noch ältere Rasse gestoßen, deren Ursprung sich im Vergessen verlor.

Vor ihnen erstreckte sich eine niedrige Hügelkette, die östlichsten Ausläufer des Hügellands, das weit im Westen zu den Bergen von Wales emporkletterte. Die Frau folgte einem Weg, der ein Hirtenpfad sein mochte, und hielt vor einer schwarzen, gähnenden Höhle an.

„Ein Tor zu jenen, die du suchst, o König!“ Ihr Lachen klang voll Haß in der Dunkelheit. „Wagst du einzutreten?“

Seine Finger krallten sich in ihre wirren Locken, und er schüttelte sie heftig.

„Frag mich noch einmal, ob ich etwas wage“, knirschte er, „und du stirbst! Geh weiter.“

Ihr Lachen war wie tödliches Gift. Sie betraten die Höhle, und Bran schlug Stahl gegen Stein. Im Aufflammen des Zunders erkannte er eine geräumige, staubige Höhle, an deren Dach Fledermäuse in Trauben hingen. Er entzündete eine Fackel, hob sie hoch und leuchtete die Nischen aus. Aber er gewahrte nichts als Staub und Leere.

„Wo sind Sie?“ grollte er.

Sie winkte ihn an die Rückwand der Höhle und lehnte sich wie zufällig gegen einen rauhen Stein. Doch die scharfen Augen des Königs bemerkten die Bewegung ihrer Hand, als sie fest gegen einen Felsvorsprung drückte. Er fuhr zurück, als sich zu seinen Füßen plötzlich ein schwarzer Schacht öffnete. Ihr Lachen durchfuhr ihn wie ein scharfes Messer. Er hielt die Fackel an die Öffnung und sah wieder kleine Stufen, die hinabführten.

„Sie benötigen diese Stufen nicht länger“, sagte Atla. „Früher war es anders – bevor dein Volk sie in die Finsternis trieb. Aber du wirst sie brauchen.“

Sie rammte die Fackel in eine Felsspalte über dem Schacht, so daß sie ihren roten Stein in die Dunkelheit sandte. Atla machte eine auffordernde Handbewegung, und Bran lockerte sein Schwert und stieg in den Schacht ein. Als er einige Stufen hinabgestiegen war, verfinsterte sich der Eingang über ihm, und einen Augenblick lang glaubte er, Atla habe die Öffnung wieder verschlossen. Dann merkte er, daß sie ihm gefolgt war.

Der Abstieg dauerte nicht lange. Unerwartet spürte Bran festen Boden unter den Füßen. Atla trat neben ihn in den schwachen Lichtkreis. Bran vermochte die Größe des Platzes nicht abzuschätzen, in den sie gelangt waren.

„Viele Höhlen in diesen Hügeln stellen nur Eingänge zu größeren Höhlen dar, die darunter liegen“, sagte Atla, und ihre Stimme klang verloren und eigenartig spröde in der unbekannten Weite. „Und kein Mensch ahnt, was sich dahinter und unterhalb befindet.“

Plötzlich stellte Bran fest, daß sich in der Finsternis etwas rührte. Verstohlene Schritte drangen an sein Ohr, aber es waren nicht Geräusche, wie sie ein menschlicher Fuß verursacht. Plötzlich begannen in der Dunkelheit Funken wie Glühwürmchen aufzuleuchten und zu schweben. Sie kamen näher, bis sie ihn in Form eines großen Halbkreises umgaben. Und hinter dem ersten Ring glommen weitere Funken, bildeten förmlich ein Meer, das sich in der Entfernung verlor. Und Bran wußte, daß dies die schräggestellten Augen der Lebewesen waren, die in solcher Anzahl gekommen waren, daß ihn schwindelte.

Nun, da er seinem alten Feind gegenüberstand, fühlte Bran die Wellen schrecklicher Drohung, die von ihnen ausgingen, den grausigen Haß, die unmenschliche Bedrohung von Körper, Geist und Seele. Er war sich seiner schrecklichen Lage bewußt, aber er fürchtete sich nicht, obwohl er die Verkörperung der entsetzlichsten Dinge aus den Träumen und Legenden seiner Rasse vor sich hatte. Sein Blut raste durch die Adern, jedoch nicht getrieben von Panik, sondern von Erregung.

„Sie wissen, daß du den Stein hast, o König“, sagte Atla, und obwohl er wußte, daß sie Angst hatte, obwohl er ihre Anstrengungen fühlte, das Zittern ihrer Glieder zu beherrschen, bebte ihre Stimme nicht vor Furcht. „Du befindest dich in tödlicher Gefahr. Sie kennen dich von alters her – oh, sie erinnern sich an die Tage, da ihre Vorfahren Menschen waren! Ich kann dich nicht retten. Wir beide werden sterben, wie kein Mensch seit Jahrhunderten gestorben ist. Sprich zu ihnen, wenn du willst; sie verstehen deine Sprache, auch wenn du sie nicht verstehen wirst. Aber es ist zwecklos. Du bist ein Mensch – und ein Pikte.“

Bran lachte, und der sich verengende Ring von Feuerpünktchen wich vor der Wildheit des Gelächters zurück. Mit dem durchdringenden Geräusch, das Stahl gegen Metall verursacht, zog er sein Schwert und stellte sich mit dem Rücken gegen die Felswand. Mit dem Schwert in der Rechten und dem Dolch in der Linken stand er den glitzernden Augen gegenüber und knurrte wie ein blutdürstiger Wolf.

„Aye“, grollte er, „ich bin ein Pikte, ein Abkomme jener Krieger, die eure tierischen Vorfahren wie Spreu im Wind vor sich her trieben, die das Land mit eurem Blut tränkten und eure Schädel anhäuften zu Ehren der Mondfrau! Ihr, die ihr stets vor meinem Volk geflohen seid, wagt ihr jetzt, euren Herrn anzuknurren? Überschwemmt mich wie die Flut, wenn ihr es wagt! Ehe eure Giftzähne in meinen Körper schlagen, werde ich eure Horden wie Korn niedermähen. Hunde der Finsternis, Ungeziefer der Hölle, Würmer der Erde, kommt heran und schmeckt meinen Stahl! Wenn der Tod mich in dieser dunklen Höhle findet, wird der Schwarze Stein euch für immer verloren sein, denn nur ich weiß, wo er versteckt ist, und nicht alle Martern der Hölle vermögen mir das Geheimnis von den Lippen abzuringen!“

Eine angespannte Stille entstand. Bran starrte auf das Meer von Lichtpunkten und wartete wie ein gestellter Wolf auf den Angriff. An seiner Seite kauerte die Frau mit glühenden Augen. Da erhob sich in der Dunkelheit jenseits des schwachen Lichtes der Fackel ein mißtönendes Gemurmel. Bran fuhr zusammen. Ihr Götter! War das die Sprache von Lebewesen, die einst Menschen genannt wurden?

Atla richtete sich auf und lauschte angestrengt. Dann drangen zwischen ihren Lippen dieselben abscheulichen Zischlaute hervor, und obwohl Bran das grausige Geheimnis ihrer Abstammung gekannt hatte, wußte er, daß er sie in Zukunft höchstens mit tiefen Abscheu würde berühren können.

Sie wandte sich ihm zu, und ein seltsames Lächeln umspielte ihre roten Lippen.

„Sie fürchten dich, o König! Bei den schwarzen Geheimnissen von R’lyeh! Wer bist du, daß selbst die Hölle vor dir zittert? Nicht dein Stahl, sondern die unermeßliche Wildheit deiner Seele hat ihre fremdartigen Geister mit ungewohnter Furcht erfüllt. Sie wollen den Schwarzen Stein zu jedem Preis zurückkaufen.“

„Gut.“ Bran schob seine Waffen in den Gürtel. „Sie sollen versprechen, dir wegen der mir geleisteten Hilfe keinen Schaden zuzufügen. Und“ – seine Stimme klang wie das Schnurren eines jagenden Tigers – „Sie sollen mir Titus Sulla, den Befehlshaber von Eboracum, ausliefern, der sich jetzt in Trajans Turm aufhält. Das vermögen sie zu tun – wie, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß in den alten Tagen, als meine Vorfahren mit diesen Kindern der Nacht Krieg führten, Säuglinge aus bewachten Hütten verschwanden und niemand die Räuber kommen oder gehen sah. Verstehen Sie mich?“

Wiederum ertönte das Gezischel, und Bran schauderte beim Klang ihrer Sprache.

„Sie verstehen“, sagte Atla. „Bring morgen nachts den Schwarzen Stein zu Dagons Ring, wenn das Land in die Dunkelheit gehüllt ist, die der Dämmerung vorangeht. Lege den Stein auf den Altar. Dorthin werden Sie dir Titus Sulla bringen. Vertraue Ihnen; Sie haben sich seit vielen Jahrhunderten nicht in die Angelegenheiten der Menschen gemischt, aber Sie werden ihr Wort halten.“

Bran nickte, wandte sich um und kletterte, gefolgt von Atla, die Stufen hinan. Oben angekommen, warf er noch einen Blick hinunter. So weit sein Auge reichte, sah er ein wogendes Meer von gelbblitzenden Augenpaaren, die zu ihm emporstarrten. Aber die Träger jener Augen hielten sich sorgfältig außerhalb des Lichtkreises, den die Fackel warf, und ihre Körper vermochte er nicht auszumachen. Ihre leise zischenden Stimmen wogten zu ihm herauf, und er schauderte, als ihm seine Phantasie nicht das Bild einer Menge von Zweibeinern vorspiegelte, sondern Myriaden von sich wiegenden Schlangen, die ihn mit starren, glitzernden Augen beobachteten.

Er betrat die obere Höhle, und Atla stieß den Verschlußstein auf seinen Platz zurück. Er paßte so genau in die Öffnung des Schachtes, daß Bran in dem anscheinend soliden Boden der Höhle keine Ritze sehen konnte. Atla machte Anstalten, die Fackel auszulöschen, aber der König hinderte sie daran.

„Warte, bis wir die Höhle verlassen haben“, brummte er. „Wir könnten in der Dunkelheit auf eine Natter treten.“

*


NICHT LANGE VOR SONNENUNTERGANG gelangte Bran wieder an das schilfbewachsene Ufer des Dagon-Sees. Er legte Umhang und Schwertgürtel ab und zog seine kurzen, ledernen Hosen aus. Dann tauchte er mit dem nackten Dolch zwischen den Zähnen mit der Eleganz eines Seeotters ins Wasser. Mit kräftigen Schwimmzügen erreichte er die Mitte des kleinen Sees, holte tief Luft und tauchte.

Der See war tiefer, als er angenommen hatte. Es schien, als würde er nie den Grund erreichen, und als er es endlich tat, fanden seine tastenden Hände nichts. Ein Brausen in den Ohren warnte ihn, und er tauchte auf.

Nach einigen tiefen Atemzügen schwamm er wieder hinab, und wieder war seine Suche vergebens. Als er zum dritten Mal die Tiefe aufsuchte, stieß er im Schlamm des Grundes auf einen bekannten Gegenstand. Er packte ihn und tauchte auf.

Der Stein war nicht besonders groß, aber schwer. Er schwamm gemächlich, und plötzlich wurde er einer Unruhe im Wasser gewahr, die nicht von seinen Bewegungen hervorgerufen wurde. Er steckte den Kopf unter die Oberfläche und versuchte, die blauen Tiefen mit seinen Blicken zu durchdringen. Da glaubte er, einen undeutlichen, riesigen Schatten wahrzunehmen.

Er schwamm rascher. Seine Füße stießen auf Grund, und er watete an Land. Als er sich umblickte, sah er, wie das Wasser aufbrauste und sich dann wieder beruhigte. Fluchend schüttelte er den Kopf. Er hatte der alten Legende, derzufolge im Dagon-See ein Wasserungeheuer hausen sollte, keine Bedeutung zugemessen, hatte nun jedoch das Gefühl, nur knapp davongekommen zu sein. Die uralten Mythen des Landes gelangten vor seinen Augen zum Leben. Bran hatte keine Ahnung, was für ein Ungeheuer unter der Oberfläche des trügerischen Sees lauerte, aber er verstand jetzt, daß die Sumpfleute das Gewässer mieden.

Bran kleidete sich an, bestieg den schwarzen Hengst und ritt im Abendrot über das Marschland. Den Schwarzen Stein hatte er in den Umhang gehüllt. Er ritt nicht auf seine Hütte zu, sondern westwärts in Richtung des Turmes und des Dagon-Ringes. Als er einige Meilen zurückgelegt hatte, kamen die roten Sterne zum Vorschein. Die Mitternacht zog vorbei, und weiter ritt Bran in der mondlosen Nacht. Sein Herz brannte bei dem Gedanken, Titus Sulla zu treffen. Atla konnte es kaum erwarten, den Römer unter Martern sich winden zu sehen, aber der Pikte hegte keinerlei solche Absichten. Der Legat sollte sich mit der Waffe in der Hand verteidigen können. Mit Brans eigenem Schwert würde er dem Dolch des Piktenkönigs gegenüberstehen und entsprechend seiner Tapferkeit leben oder sterben. Aber obwohl Sulla in der Provinz als guter Schwertkämpfer bekannt war, zweifelte Bran nicht am Ausgang des Kampfes.

Der Dagon-Ring lag in einiger Entfernung von Trajans Turm. Er bestand aus einem Kreis hoher, aufrechter Steine mit einem grob behauenen Steinaltar in der Mitte. Die Römer betrachteten diese Menhire mit Abneigung. Sie nahmen an, die Druiden hätten sie errichtet, die Kelten ihrerseits vermuteten dasselbe von Brans Volk, den Pikten. Bran jedoch wußte sehr genau, wessen Hände vor langen Zeitaltern jene grimmen Monolithe aufgestellt hatten. Ihren Zweck vermochte er kaum zu erraten.

Der König ritt nicht geradewegs zum Ring. Ihn plagte die Neugier, auch welche Weise seine grausigen Verbündeten ihr Versprechen einlösen würden. Daß Sie imstande waren, Titus Sulla aus der Mitte seiner Männer zu entführen, dessen glaubte er sicher zu sein, und er glaubte auch zu wissen, wie Sie ans Werk gehen würden. Ihn beunruhigte die nagende Vorahnung, sich mit Mächten unbekannter Stärke eingelassen und Kräfte entfesselt zu haben, die er nicht kontrollieren konnte. Jedesmal, wenn er sich an das reptilartige Gezischel, an die schrägliegenden Augen erinnerte, überlief ihn ein kalter Schauer. Sie waren erschreckend genug anzusehen gewesen, als sein Volk Sie vor langer Zeit in die Höhlen unter den Hügeln getrieben hatte. Was mochten lange Jahrhunderte der Entartung aus Ihnen gemacht haben? Hatten Sie während ihres unterirdischen Lebens überhaupt irgendwelche menschliche Eigenschaften bewahrt?

Etwas drängte ihn, zum Turm zu reiten. Er wußte, daß er sich bereits in der Nähe befand. Trotz der dichten Dunkelheit müßte er ihn eigentlich bereits sehen. Eine undeutliche Vorahnung befiel ihn, und er spornte den Hengst zu einer schnelleren Gangart.

Plötzlich taumelte Bran im Sattel wie unter einem Schlag, so überraschend war der Anblick, der sich ihm bot. Der uneinnehmbare Turm des Trajan stand nicht länger! Brans erstaunter Blick ruhte auf einem gigantischen Ruinenhaufen, auf zerschmetterten Steinen und Granittrümmern, zwischen denen die zersplitterten Enden zerbrochener Balken hervorragten.

Bran stieg ab und ging verwirrt zu Fuß weiter. Der Graben war teilweise mit Steinen und Mauerwerk gefüllt. Er überquerte ihn und gelangte zwischen die Ruinen. Wo nur wenige Stunden zuvor die Steinplatten unter dem kriegerischen Schritt eisenbeschuhter Füße gedröhnt und die Mauern vom Klang der Schilde und der Trompeten widergehallt hatten, herrschte nun schreckliche Stille.

Vor Bran krümmte sich eine zerschmetterte Gestalt und stöhnte. Der König beugte sich zu dem Legionär hinab, der in seinem Blut lag. Mit einem Blick erkannte der Pikte, daß der Mann starb.

Bran hob den Kopf hoch und setzte dem Mann seinen Wasserbeutel an die Lippen. Der Römer trank tief, die Flüssigkeit durch zersplitterte Zähne einsaugend. Im schwachen Licht der Sterne sah Bran, wie er die Augen öffnete.

„Die Mauern fielen“, murmelte der Sterbende. „Sie krachten herab wie der Himmel am Tage des Weltuntergangs. Bei Jupiter! Es regnete Granitsplitter und Hagel von Marmor!“

„Ich habe kein Erdbeben verspürt“, sagte Bran verwundert.

„Es war kein Erdbeben“, keuchte der Römer. „Es begann vor dem letzten Morgengrauen – ein schwaches, undeutliches Kratzen und Schaben tief in der Erde. Wir von der Wache vernahmen es. Es klang, als grüben Ratten oder als höhlten Würmer die Erde aus. Titus lachte uns aus, aber wir hörten es den ganzen Tag. Um Mitternacht zitterte der Turm und schien sich zu senken, als würde man die Fundamente abgraben ...“

Ein Schauder überlief Bran Mak Morn. Die Würmer der Erde! Tausende des Gewürms gruben wie Maulwürfe tief unter der Festung, nagten an den Fundamenten. – Bei den Göttern! Dieses Land mußte von Tunneln und Höhlen förmlich durchsetzt sein. Diese Geschöpfe waren noch weniger menschlich, als er gedacht hatte! Welche grausigen Gestalten der Finsternis hatte er zu seiner Hilfe gerufen?

„Was geschah mit Titus Sulla?“ fragte er und ließ den Legionär nochmals trinken. In diesem Augenblick erschien ihm der sterbende Römer fast wie ein Bruder.

„Als der Turm bebte, vernahmen wir aus dem Gemach des Legaten einen fürchterlichen Schrei“, antwortete der Soldat. „Wir stürzten hin, und während wir die Tür aufbrachen, horten wir seine Schreie. Und sie schienen in die Tiefen der Erde zu entschwinden! Wir stürzten hinein – das Gemach war leer. Sein blutbeflecktes Schwert lag auf dem Boden, und in den Steinplatten gähnte ein schwarzes Loch. Dann schwankten die ... Türme, das Dach stürzte herab ... ich ... kroch ... durch ...“

Ein Krampf schüttelte die zerschmetterte Gestalt.

„Leg mich hin“, flüsterte der Römer. „Ich sterbe.“

Er hatte aufgehört, noch ehe ihm Bran seinen Wunsch erfüllen konnte. Der Pikte erhob sich und eilte vondannen. Und als er über die dunklen Moore galoppierte, erschien ihm das Gewicht des verfluchten Schwarzen Steines unter dem Mantel wie das Gewicht des Alpdrucks auf der Brust eines Sterblichen.

Als er sich dem Ring näherte, sah er, wie er von innen her geisterhaft glühte, so daß die schlanken Steine wie ein Gerippe wirkten, in dem ein Hexenfeuer brennt. Der Hengst schnaubte und stieg, als Bran ihn an einen der Menhire band. Mit dem Stein im Mantel betrat er den unheimlichen Ring und sah Atla neben dem Altar stehen. Sie hatte die Hände in die Hüften gestützt, und ihr geschmeidiger Körper pendelte wie der einer Schlange. Der gesamte Altar glühte in gespenstischem Licht, und Bran wußte, daß ihn jemand – wahrscheinlich Atla – mit Phosphor beschmiert hatte.

Er trat vor, riß den Umhang vom Stein und schleuderte das verfluchte Ding auf den Altar.

„Ich habe meinen Teil des Abkommens eingehalten“, knurrte er.

„Und Sie den ihren“, gab sie zurück. „Sieh! Sie kommen!“

Er wirbelte herum, und seine Hand griff gewohnheitsgemäß nach dem Knauf des Schwertes. Außerhalb des Ringes schrie der mächtige Hengst entsetzt und riß an den Zügeln. Der Nachtwind winselte durch das wogende Gras. Leises Zischen wurde vernehmbar. Eine Flut schwarzer Schatten ergoß sich zwischen die Menhire. Der Ring füllte sich mit glitzernden Augen, die jenseits des schwachen Lichtkreises vom phosphoreszierenden Altar her schwebten. Irgendwo in der Dunkelheit kicherte und stammelte eine menschliche Stimme. Bran erstarrte von Schrecken erfüllt.

Er strengte die Augen an und versuchte die Gestalten derjenigen auszumachen, die ihn umringten. Aber er vermochte nur wogende Schattenmassen auszumachen, die sich wie eine zähe Flüssigkeit hoben und senkten, sich wanden und krümmten.

„Sie sollen ihr Versprechen einlösen!“ rief er zornig.

„Dann sieh, o König!“ rief Atla mit durchdringendem Spott in der Stimme.

In den sich windenden Schatten entstand eine Störung, eine Unruhe, und aus der Dunkelheit kroch wie ein vierbeiniges Tier eine menschliche Gestalt, die zu Brans Füßen auf den Bauch fiel, sich wand und stöhnte, den totenähnlichen Schädel hob und wie ein sterbender Hund heulte. In dem geisterhaften Licht sah Bran entsetzt die starrenden, glasigen Augen, die blutleeren Gesichtszüge, die schlaffen, schaumbedeckten Lippen des nackten Wahnsinns. Bei den Göttern, war dies Titus Sulla, der stolze Herr über Leben und Tod in Eboracum?

Bran zog sein Schwert.

„Ich gedachte diesen Streich aus Rache zu führen“, sagte er düster. „Ich führe ihn aus Erbarmen. Vale Cäsar!“

Die Klinge blitzte in dem gespenstischen Licht, und Sullas Kopf rollte zum Sockel des glühenden Altars, wo er, gen Himmel starrend, liegenblieb.

„Sie haben ihm nichts getan!“ Atlas verhaßtes Gelächter durchdrang die Stille. „Das, was er sah und erfuhr, zerbrach seinen Geist! Wie auch alle anderen seiner Rasse wußte er nichts von den Geheimnissen des uralten Landes. In dieser Nacht ist er durch die tiefsten Abgründe der Hölle geschleppt worden, wo selbst du erbleicht wärest!“

„Es ist gut für die Römer, nicht die Geheimnisse dieses verfluchten Landes zu kennen!“ brüllte Bran wütend. „Mit seinen Ungeheuern in den Seen, seinen verruchten Hexen und seinen Höhlen und unterirdischen Gängen, wo die Finsternis Gestalten aus der Hölle gebiert!“

„Sind Sie widerwärtiger als ein Sterblicher, der ihre Hilfe sucht?“ fragte Atla mit Hohngelächter. „Gib ihnen ihren Schwarzen Stein!“

Ein unvorstellbarer Ekel füllte Brans Seele mit roter Wut.

„Ave, nehmt euren verfluchten Stein!“ brüllte er, riß ihn vom Altar und warf ihn mit solcher Gewalt unter die Schatten, daß unter seinem Aufprall Knochen splitterten. Ein brausendes Zischen erhob sich, und die Schatten wogten in Aufruhr. Eine Teilgestalt löste sich einen Augenblick lang aus der Masse, und Bran schrie auf vor Abscheu, obwohl er das Ding nur flüchtig hatte sehen können, nur kurz einen breiten, seltsam platten Kopf, schlaff hängende Lippen mit spitzen, gebogenen Fängen darunter, einen schrecklich mißgestalten, fleckigen Körper und über allem reglose Reptilaugen erkannt hatte. Ihr Götter! Die Mythen hatten ihn auf Horror in Menschengestalt mit tierhaften Gesichtern und mißgebildeten Körpern vorbereitet, aber das hier war ein Horror des Alptraums und der Nacht.

„Kehrt in die Hölle zurück und nehmt euer Idol mit euch“, schrie er und schüttelte seine geballten Fäuste gegen den Himmel, als, sich die massiven Schatten zurückzogen und wie faule Wasser bei Ebbe wichen. „Eure Vorfahren waren Menschen, wenn auch fremdartig und ungestalt. Aber bei den Göttern, ihr seid in der Tat das geworden, was euch mein Volk im Hohn nannte!

Würmer der Erde, zurück in eure Löcher und Gänge! Ihr verpestet die Luft und beschmiert die reine Erde mit dem Schleim der Schlangen, die ihr geworden seid! Gonar hatte recht: Es gibt Geschöpfe, die sind zu widerlich, um selbst gegen Rom verwendet zu werden!“

Er rannte aus dem Ring, so wie ein Mann vor der Berührung einer sich ringelnden Schlange flieht, und riß den Hengst los. Neben ihm kreischte Atla in fürchterlichem Gelächter. Alles Menschliche schien wie ein Mantel von ihr abgefallen zu sein.

„König des Piktenlandes!“ rief sie. „König von Narren! Erbleichst du vor so einer Kleinigkeit? Bleib stehen, und ich zeige dir echte Früchte aus den Schlünden der Hölle! Ha-ha-ha! Renn, du Narr! Renn! Aber der Makel haftet an dir. Du hast sie gerufen, und sie werden es nicht vergessen! Und das nächste Mal kommen sie aus eigenem Antrieb zu dir!“

Er fluchte wild und versetzte ihr einen harten Schlag auf den Mund. Sie taumelte, und Blut rann von ihren Lippen, aber ihr dämonisches Gelächter wurde nur lauter.

Bran sprang in den Sattel, verrückt nach der reinen Heide und den kalten, blauen Hügeln des Nordens, wo er ehrlich sein Schwert schwingen, seine befleckte Seele mit roter Kampfeslust füllen und die Schrecken vergessen konnte, die unter den Sümpfen des Westens lauerten. Er gab dem zitternden Tier die Sporen und jagte wie besessen durch die Nacht davon, bis das höllische Gelächter der heulenden Wer-Frau in der Finsternis verklang.

ENDE

Schritte in der Gruft

Die Abenteuer des Solomon Kane

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ROBERT E. HOWARD, AUTOR der weltbekannten CONAN-Serie, hatte schon in frühester Jugend ein besonderes Interesse für Mythen, barbarische Völker, versunkene Kulturen und dunkle Geheimnisse entwickelt. Diesem Interesse verdanken wir auch die Figur des Solomon Kane, Howards ersten Fantasy-Helden.

Solomon Kane, ein Puritaner der elisabethanischen Zeit, ist ein glühender Verfechter der Gerechtigkeit. Auf Suche nach Abenteuern zieht er durch die Welt. Mit seinem Degen, den er meisterhaft zu führen versteht, rächt er begangenes Unrecht und bekämpft das Böse, wo immer er es findet.

Dieser Band enthält sechs Solomon Kane Abenteuer, die Europa und Afrika zum Schauplatz haben. Es sind die Stories:

AUF DEM PFAD DER RACHE

DAS SKELETT DES MAGIERS

DER MOORGEIST

SCHATTEN DES TODES

DER RUF DES DSCHUNGELS

SCHRITTE IN DER GRUFT

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EIN CASSIOPEIAPRESS Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author / Titelbild Elena Schweitzer 123/RF, 2018

© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

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Schwerter gegen Bestien: Fantasy Sammelband 1026 Seiten Sword & Sorcery

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